Asset-Herausgeber

von Michael Gahler

Die Europäische Union und Afrika

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Mit dem Start des neu gewählten Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission unter Leitung von Präsidentin Ursula von der Leyen besteht die Chance, die Zusammenarbeit mit Afrika zu vertiefen. Die neue Kommissionspräsidentin hat einen überzeugenden Nachweis ihres Engagements für diese Partnerschaft erbracht, als sie ihre erste Reise außerhalb der Europäischen Union (EU) nach Afrika und zur Afrikanischen Union (AU) im Dezember 2019 unternahm. Das zehnte Treffen von EU- und AU-Kommission fand am 26./27. Februar 2020 in Addis Abeba mit einer Rekordzahl von zwanzig teilnehmenden EU-Kommissionsmitgliedern statt.

Die wirtschaftliche Einschätzung Subsahara-Afrikas durch die Weltbank trifft zu: Riesige Chancen treffen auf fortdauernde Problemlagen. Ein enormes Potenzial erwächst aus dem Umstand, dass im Prinzip 1,2 Milliarden Menschen in einer kontinentalen Freihandelszone leben. Die Errichtung der Afrikanischen Freihandelszone im Mai 2019 zeugt von dem politischen Willen, diesen Schatz nun auch zu heben. Doch müssen einige Steine aus dem Weg geräumt werden, darunter die Fragen der wirtschafts- und zollrechtlichen Ursprungsregeln oder das Verhältnis zu den existierenden sub-regionalen Wirtschaftsgemeinschaften.

Leider wird das afrikanische Entwicklungspotenzial nicht durch überragende Wachstumsraten getragen. Vielmehr stagnieren diese Raten bei 2,5 Prozent für 2018 beziehungsweise bei 2,6 Prozent 2019. Jedoch liegen vier der zehn weltweit am schnellsten wachsenden Nationalökonomien auf dem südlichen Kontinent: Äthiopien, Ghana, Ruanda und die Elfenbeinküste.

In einzelnen afrikanischen Ländern kann festgestellt werden, dass das Bevölkerungswachstum zurückgeht, wenn der Lebensstandard steigt. Augenscheinlich wird dieser Zusammenhang, wenn man sich die verbesserte Bildung für junge Mädchen und Frauen vor Augen führt. Angesichts des rasanten afrikanischen Bevölkerungswachstums und der Prognosen, die eine Verdoppelung der Bevölkerung bis 2050 voraussagen, sind diese Ansätze vielversprechend.

Chancen für Subsahara-Afrika erwachsen auch aus der zunehmenden Befriedung des Kontinents. Es ist erfreulich, dass 2018 die Anzahl der Kriege in dieser Weltregion zurückgeführt wurde. Dank der Intervention der Vereinten Nationen konnten die gewaltsamen Konflikte in der Demokratischen Republik Kongo deeskaliert werden.

Zu den andauernden Problemlagen Subsahara-Afrikas gehört die seit den 1970er-Jahren rückläufige Einbindung in den weltweiten Handel. Diese Herausforderung wird dadurch verschärft, dass das Wirtschaftswachstum zu gering bleibt, um mit dem Bevölkerungswachstum Schritt zu halten. Aktuell treten jährlich zwischen zehn und zwölf Millionen Jugendliche in den Arbeitsmarkt ein. Dieses Arbeitskräftepotenzial trifft jedoch auf nur 3,1 Millionen neue Arbeitsplätze.

Eine weitere soziale Herausforderung erwächst aus dem Umstand, dass im internationalen Vergleich schlecht ausgebildete Jugendliche in den eingeschränkten Arbeitsmarkt drängen. Bei der afrikanischen Bevölkerung beträgt der Anteil der Jugendlichen mit Qualifikationsdefiziten 28,9 Prozent. Im Vergleich dazu liegt der Anteil in anderen sich entwickelnden Regionen bei dreizehn Prozent.

Vor diesem Hintergrund erwartet die Afrikanische Entwicklungsbank, dass 2025 263 Millionen junge Menschen nicht in der Lage sein werden, am wirtschaftlichen Leben teilzuhaben. Damit diese gefährliche Situation abgewendet werden kann, muss sich die EU stärker auf dem afrikanischen Kontinent einbringen.

Die Beziehungen zwischen Subsahara-Afrika und der EU gestalten sich im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen der EU und den Ländern Afrikas, der Karibik und des Pazifiks (AKP). In diesem Rahmen ist das primäre Finanzierungsinstrument bisher der Europäische Entwicklungsfonds (EEF), der nach gegenwärtiger Planung ab 2021 zusammen mit dem Instrument für die Nachbarschaftspolitik in einem neuen gemeinsamen Instrument aufgehen soll, das im Gegensatz zum EEF Teil des EU-Haushalts sein wird. Gegenüber der Afrikanischen Union wird die EU-Politik im Rahmen der EU-Afrika-Strategie als Panafrikanisches Programm (PANAF) durchgeführt.

 

Rückblick auf die Afrika-EU-Beziehungen

 

Außerhalb des EU-Haushalts war bisher der EEF das Hauptprogramm zur Förderung der Demokratie. Er wurde 1959 ins Leben gerufen und soll Entwicklungshilfe für Länder in Afrika, im karibischen Raum und am Pazifischen Ozean leisten. Der EEF wird durch direkte freiwillige Beiträge der EU-Mitgliedstaaten finanziert. Am 23. Juni 2000 unterzeichneten die 77 AKP-Staaten in Cotonou (Benin) mit der EU ein gemeinsames Abkommen, das seit dem 1. April 2003 in Kraft war und eine Laufzeit bis Februar 2020 hatte. Es diente primär dem Ziel, sich der Bekämpfung und Beseitigung der Armut anzunehmen. Im Rahmen des Abkommens wurden die politische Zusammenarbeit innerhalb eines institutionalisierten Dialogs zur Gestaltung guter Regierungsführung sowie die wirtschaftliche und finanzielle Zusammenarbeit geregelt. Die Finanzmittel für den Zeitraum 2014 bis 2020 belaufen sich auf 30,5 Milliarden Euro. Ein erheblicher Teil (Schätzungen zufolge ein Drittel) der EEF-Mittel fließt in die Unterstützung verschiedener Aspekte der guten Regierungsführung. Die Prioritäten werden zusammen mit den Regierungen der Partnerländer durch nationale Richtprogramme festgelegt.

Die AU ging im Juli 2002 aus der Organisation Afrikanischer Einheit (OAE) mit dem Ziel hervor, eine neue Qualität der kontinentalen Kooperation zwischen den aktuell 55 Mitgliedstaaten zu erreichen. Das Panafrikanische Programm der EU wurde 2013 mit der Absicht etabliert, erstmalig direkt die Afrika-EU-Partnerschaft und Projekte auf dem gesamten Kontinent zu finanzieren. Im ersten Laufzeitraum wurden 6,8 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Dabei wurden besonders die regionale Wirtschaftsintegration, der politische Dialog des Kontinents und die panafrikanische Struktur der Afrikanischen Union (AU) gefördert.

Auf dem Afrika-EU-Gipfel in Abidjan (Elfenbeinküste) 2017 strafften die Staatsund Regierungschefs und die Europäische Kommission die gemeinsame Afrika-EU-Strategie. Darin wurden nur noch vier Prioritäten identifiziert: wirtschaftliche Chancen für junge Menschen, Frieden und Sicherheit, Mobilität und Migration sowie Zusammenarbeit im Bereich der guten Regierungsführung.

Als Reaktion auf die Flüchtlingskrise etablierte die EU 2018 einen neuen „Afrika-Europa-Pakt für nachhaltiges Wachstum und Jobs“. Geplant ist, ab 2021 bis 2027 vierzig Milliarden Euro für Afrika zur Verfügung zu stellen. Der Pakt setzt darauf, private Investoren für Afrika mit besseren Risikogarantien zu motivieren. Um eine Antwort auf die drängende Nachfrage nach Arbeitsplätzen zu formulieren, bietet die EU an, in den nächsten fünf Jahren zehn Millionen Menschen in die Berufstätigkeit zu bringen, für 24 Millionen Menschen die Transportinfrastruktur zu verbessern sowie 750.000 Menschen eine duale Ausbildung und 105.000 Studierenden sowie Lehrenden Austauschprogramme zu ermöglichen.

 

Abbau von Migrationsdruck

 

Darüber hinaus hat die EU den sogenannten EU Emergency Trust Fund for Africa auf den Weg gebracht. Dieses Finanzierungsinstrument dient dazu, Migrationsdruck durch Zusammenarbeit und Hilfe vor Ort abzubauen. Für die Staaten Afrikas wurden 4,6 Milliarden Euro bereitgestellt. Programmbeispiele, die unter anderem von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) umgesetzt werden, sind Libyen – Schutz und Hilfe für Flüchtlinge – und Ägypten – Stärkung der ägyptischen Strukturen, um Flüchtlinge im Land zu betreuen.

In den letzten Jahren hat die EU die Zusammenarbeit besonders mit den Sahel-Ländern in Migrationsfragen erheblich intensiviert. Im Rahmen des Emergency Trust Fund für Stabilität und die Bekämpfung der Ursachen irregulärer Migration und Vertriebener in Afrika haben die G5-Sahel-Länder (Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger und Tschad) Anspruch auf zusätzliche Mittel. Die EU unterhält mit jedem der fünf Sahelländer eine enge und umfassende Zusammenarbeit. Die Kooperation erfolgt im Rahmen nationaler und regionaler Programme, von humanitärer Hilfe, von dem Instrument für Entwicklungszusammenarbeit sowie von dem Instrument für Stabilität und Frieden. Die für die fünf Sahel-Länder von der EU und ihren Mitgliedstaaten für den Zeitraum 2014 bis 2020 zur Verfügung gestellten und zugesagten Mittel belaufen sich auf rund acht Milliarden Euro.

Ferner hat die EU 2018 den externen Investmentplan aufgelegt, der auch im südlichen Nachbarschaftsraum eingesetzt wird. Der Plan besteht aus drei Säulen: der Finanzsäule mit ihrem Europäischen Fonds für nachhaltige Entwicklung in Höhe von 4,1 Milliarden Euro, der technischen Hilfe zur Unterstützung der Begünstigten bei der Entwicklung finanziell attraktiver und tragfähiger Projekte sowie aus einem politischen Dialog zur Verbesserung des Investitionsklimas und des Geschäftsumfelds in unseren Partnerländern.

Eines der neuen Projekte wird beispielsweise Menschen zugutekommen, die derzeit Schwierigkeiten haben, Geld zu erschwinglichen Konditionen zu leihen, wie Binnenvertriebene, Flüchtlinge oder Rückkehrer. Ein weiteres Projekt ermöglicht mehr als 25.000 kleinen Unternehmen den Zugang zu mobilen Konten und langfristigen Krediten, um die finanzielle Inklusion von Diaspora, Migrantenfamilien und Rückkehrern zu unterstützen.

 

Eine Vorausschau

 

In den laufenden Verhandlungen für den mehrjährigen Finanzrahmen der EU, der ab Januar 2021 startet, setzt sich das Europäische Parlament dafür ein, die Finanzinstrumente für den afrikanischen Kontinent innerhalb und außerhalb des EU-Haushalts kohärenter auszurichten. Das Europäische Parlament fordert schließlich mehr Mittel für den EU-Investmentplan für Afrika.

Das Europäische Parlament unterstützt die Europäische Kommission darin, faire Handelsabkommen mit den Partnern in Afrika abzuschließen. In Westafrika gelang es 2019, die wirtschaftlichen Partnerschaftsabkommen mit der Elfenbeinküste und Ghana vorläufig in Kraft zu setzen. Bislang bleibt in Westafrika nur Nigeria, das noch kein Partnerschaftsabkommen mit der EU unterzeichnet hat. In Zentralafrika hat nur Kamerun das wirtschaftliche Partnerschaftsabkommen zwischen der EU und Zentralafrika unterzeichnet. Die Verhandlungen dauern an, um das Abkommen zu vertiefen. Die Handelsbeziehungen zwischen der EU und den Ländern Ost- und Südafrikas entwickeln sich sehr gut. Im Januar 2019 wurde vereinbart, ein umfassendes Abkommen anzustreben. Das regionale Handelsabkommen zwischen der Ostafrikanischen Gemeinschaft und der EU wird vertieft. Beim regionalen Handelsabkommen zwischen der EU und der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (Southern African Development Community, SADC) wurde das bestehende Abkommen verstärkt. Im Februar 2019 gelang die Etablierung eines institutionellen Rahmens zur Streitbeilegung.

Das Europäische Parlament tritt für die laufenden Verhandlungen zwischen den Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks mit der EU ein, um ab 2020 eine neue Partnerschaft zwischen dieser Staatengruppe und der EU zu erreichen. Am 3. Mai 2019 traf sich Neven Mimica, damaliger EU-Verhandlungsführer und Kommissar für die europäische Entwicklungszusammenarbeit, mit afrikanischen Ministern. Ziel war es, die spezifischen Bedürfnisse und Prioritäten der Regionen Afrikas zu erörtern und gleichzeitig zu untersuchen, wie sie im künftigen AKP-EU-Abkommen am besten angegangen werden können. Es wird erwartet, dass die Diskussion von Mai 2019 die maßgeschneiderte afrikanische Säule bereichern wird, die im Rahmen des künftigen AKP-EU-Abkommens, auch bekannt als Post-Cotonou-Abkommen, geschaffen werden soll.

 

Michael Gahler, geboren 1960 in Frankfurt am Main, Vizepräsident der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung AKP-EU (Afrika-Karibik-Pazifik), Außenpolitischer Sprecher der EVP- Fraktion im Europäischen Parlament.

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