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von Heike Schmoll

Zur Zukunft des Religionsunterrichts

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Längst ist der konfessionelle Religionsunterricht nach Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes in eine Legitimitätskrise geraten. Die demographische Entwicklung nach der Wiedervereinigung sowie eine immer stärkere Entkirchlichung nicht nur in den östlichen Ländern haben Fakten geschaffen. Der Rückhalt in der Bevölkerung für den konfessionellen Religionsunterricht schwindet. Zugleich erlebt er in der öffentlichen Diskussion eine Renaissance, wenn es um den islamischen Religionsunterricht geht. Denn eines ist klar: Ein islamischer Religionsunterricht ist ohne einen konfessionellen christlichen Religionsunterricht nicht denkbar – und umgekehrt. Wenn sich die beiden großen Kirchen hierzulande also für den islamischen Religionsunterricht einsetzen, ist das nicht in bloßem Altruismus begründet.

Während die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) schon 1994 in ihrer bisher einzigen Denkschrift zum Religionsunterricht Identität und Verständigung darauf hingewiesen hat, dass kirchliche Erwartungen an eine Mission im Unterricht nicht mit den leitenden bildungstheoretischen Kriterien des Religionsunterrichts vereinbar seien, denkt die Katholische Kirche darüber noch anders. Der Grund dafür liegt in einem unterschiedlichen Kirchenverständnis. Während die katholische Kirche sich als Heilsinstitution versteht, gibt es diese Mittlerfunktion der Institution für Protestanten seit der Reformation nicht mehr. Hinzu kommt, dass der Vatikan die EKD oder die protestantischen Landeskirchen nur als kirchliche Gemeinschaften, nicht jedoch als Kirche anerkennt. In den Empfehlungen der Deutschen Bischofskonferenz „Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts“ heißt es, ein von beiden Kirchen gemeinsam verantworteter christlicher Religionsunterricht sei deshalb noch nicht möglich. Allerdings könne es eine „erweiterte Kooperation“ im Sinne einer „Konfessionalität im ökumenischen Geist“ geben. Das heißt in der Praxis zumeist, dass der Unterricht im Wechsel von einem katholischen und einem evangelischen Lehrer erteilt wird, aber auch konfessionslosen und andersreligiösen Schüler offensteht. Der Unterricht in gemischtkonfessionellen Lerngruppen bedarf aus katholischer Sicht der ausdrücklichen Zustimmung der Diözesen.

Bildungsziel Pluralitätsfragen

Angesichts der jüngsten Entwicklungen sprechen Religionspädagogen an Universitäten wie Friedrich Schweitzer vom Bildungsziel der Pluralitätsfähigkeit. Das spiegelt sich auch in den Thesen der EKD aus dem Jahr 2006 wider, in denen es vor allem darum geht, die Extreme von Fundamentalismus und Relativismus zu vermeiden. „Evangelische Identität bewährt sich in der Verständigung mit anderen, gerade auch angesichts bleibender Differenz“ (Friedrich Schweitzer). Deshalb gibt es immer mehr Kooperationsmodelle – nicht nur mit dem katholischen Religionsunterricht, sondern auch mit Muslimen, möglicherweise in Zukunft auch mit jüdischem oder orthodoxem Religionsunterricht.

Schon jetzt werden solche kooperativen Modelle in Baden-Württemberg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen praktiziert. Das Hamburger Modell eines Religionsunterrichts für alle findet – was oft vergessen wird – in evangelischer Verantwortung statt. Aus mehreren neuen Untersuchungen zum konfessionell-kooperativen Unterricht aus den Jahren 2016/17 geht eindeutig hervor, dass die meisten Lehrer ihren Unterricht nicht mehr als konfessionell geprägt sehen. Ein religionskundlicher Unterricht indessen wird von der Mehrheit nicht gewünscht. Auch die Religionswissenschaftler an Universitäten reißen sich nicht darum, Religionslehrer auszubilden, ganz im Gegenteil.

Der evangelische Religionsunterricht war immer als ein prinzipiell für alle offener Unterricht gedacht. In der Praxis hat das allerdings auch oft dazu geführt, dass er sich bis zur Selbstverleugnung an lebensweltlichen Fragen orientiert hat und insofern auch nicht mehr als konfessioneller Unterricht erkennbar war. Schon in den 1970er-Jahren gab es solche Ausreißer. Sie dürften eher zugenommen haben. Religionslehrer tragen deshalb nicht selten in bester Absicht zu einer völligen Leugnung der Differenzen bei. Sollte der konfessionell-kooperative Unterricht institutionell etabliert werden, stellt sich die Frage der Lehrerbildung. Wo sollten diese Lehrer ausgebildet werden?

Ein prinzipiell kooperativer konfessioneller Religionsunterricht aus einer spezifisch konfessionellen Perspektive hat sich als Bildungsangebot im Sinne der Auseinandersetzung mit einer bestimmten Welt- und Lebensdeutung durchaus bewährt, wenn er sich nicht in inhaltlicher Beliebigkeit erschöpft. Nur bei einem entsprechenden Bildungsanspruch wäre der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach mit Versetzungsrelevanz in den meisten Bundesländern zu rechtfertigen.

Die grundsätzlichen Zweifel daran haben schon im 19. und frühen 20. Jahrhundert begonnen, als Ernst Troeltsch kritisch anmerkte, „Staatsschule und religiöse Gewissensfreiheit, einheitliche Schulerziehung und -bildung und religiöse Individualkultur scheinen sich gegenseitig auszuschließen“.

In seinem entscheidenden Urteil vom 25. Februar 1987 hat das Bundesverfassungsgericht festgehalten, der Religionsunterricht sei „keine überkonfessionelle vergleichende Betrachtung religiöser Lehren, nicht bloß Morallehre, Sittenunterricht, historisierende und relativierende Religionskunde, Religions- oder Bibelgeschichte“. Sein Gegenstand sei vielmehr der Bekenntnisinhalt, die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Ob Religionsunterricht diesem Anspruch immer gerecht wird, ist durchaus fraglich.

Bei der augenblicklichen Verfassungslage wäre also ein neutraler Unterricht in einem Fach Religionskunde nur dann zu verwirklichen, wenn das Grundgesetz mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit geändert würde. Ohne Verfassungsänderung ließe sich indessen die gegenwärtige Praxis der konfessionellen Kooperation verwirklichen. Für die Schulleitungen wäre ein solcher Religionsunterricht durchaus mit einer organisatorischen Erleichterung verbunden. Troeltschs Plädoyer für eine Periode des Experiments scheint unter diesen Voraussetzungen durchaus aktuell. Das ändert nichts daran, dass es langfristig auch Vereinbarungen zu dem Übergangsmodell des konfessionell-kooperativen Unterrichts geben muss.

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Heike Schmoll, geboren 1962 in Villingen, Korrespondentin der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ in Berlin, verantwortlich für die Seite „Bildungswelten“.

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