Vor rund zehn Jahren begann die „Orangene Revolution“ als eine „journalistische Revolution“. In deren Verlauf rebellierten bekannte Journalisten und Medienvertreter gegen die Dominanz der staatlichen Zensurbehörden.
Während des „Euromaidan“ – der Proteste auf dem zentralen Platz in Kiew – 2013/2014 spielte sich etwas Ähnliches ab. Diesmal gingen die Zensurbestrebungen jedoch nicht unmittelbar vom Staat aus, sondern von der dem Staat dienenden Wirtschaft. Der Widerstand gegen diese neue Art der Zensur wird fast noch schwieriger. Hinzu kommt das sich wieder verschärfende Verhalten der Regierung selbst, die die Berichterstattung behindert und Angriffe auf Journalisten begünstigt.
Anfang Dezember 2013 herrschte Verwunderung unter den Zuschauern des größten ukrainischen Fernsehsenders „Inter“: Statt der üblichen, meist positiven Berichterstattung über das Regierungshandeln sahen sie ungeschönte Bilder von der blutigen Auflösung des „Euromaidan“ und hörten Kommentare von Oppositionsführern sowie Erklärungen von Diplomaten und westlichen Politikern, die die von der ukrainischen Regierung ausgeübte Gewalt gegen friedliche Demonstranten verurteilten.
Die monolithische Haltung der Behörden geriet ins Wanken. Die Eigentümer von „Inter“, der Geschäftsmann Dmytro Firtasch und der Leiter der Präsidialverwaltung, Serhij Ljowotschkin, zögerten nicht, sich mit den Menschen der Ukraine solidarisch zu erklären. Wie Interfax-Ukraine, die größte Nachrichtenagentur des Landes, berichtete, reichte Ljowotschkin seinen Rücktritt ein. Dieser Schritt wurde jedoch offiziell nicht bestätigt; anscheinend wurde seinem Wunsch nicht sogleich entsprochen.
Stattdessen wurde die Präsidialverwaltung umgestaltet, wobei dann Ljowotschkin, der inoffiziell für die Informationspolitik bei „Inter“, aber auch bei „First National“ und „1+1“ (letztere versorgt größtenteils das Staatsgebiet der Ukraine und gehört formell dem Oligarchen Igor Kolomojski), seines Amtes enthoben wurde. Seine Funktion bei der Aufsicht über die Informationspolitik übernahm der neue stellvertretende Leiter der Präsidialadministration und der frühere Gouverneur von Sumy, Juri Tschmir.
Damit war es mit der „Pressefreiheit“ bei „Inter“ schon wieder vorbei. Nach nicht einmal zehn Tagen strahlte der Sender in seinen Hauptnachrichten wieder die üblichen Geschichten über Regierungserfolge aus – ungeachtet der Proteste in Kiew und der Provinz. Außerdem ignorierte der Sender viele Informationen im Zusammenhang mit der Verfolgung von Bloggern und Journalisten, die Fakten zu den Protesten enthielten.
Die „Familie“ kauft Medienunternehmen
Unabhängige Informationen jedoch können über das Internet abgerufen werden. Die Aufrufquoten der Online-Medien, die ehrlich und unparteiisch über die Ereignisse des „Euromaidan“ berichten, stiegen inzwischen um das Zweibis Dreifache. Allerdings bedeutet das eine immer noch ungenügende Verbreitung, denn – wie Soziologen ermittelt haben – machen aktive Internetnutzer lediglich 28 bis 30 Prozent der ukrainischen Bevölkerung aus; die meisten von ihnen leben in Großstädten. Erschwerend kommt hinzu, dass die Anzahl der unabhängigen Onlineund Druckmedien in der Ukraine kürzlich abgenommen hat. 2013 erwarb beispielsweise der 28-jährige Millionär Serhij Kurtschenko die „Ukranian Media Holding“, zu der die Lizenzausgaben der populären Zeitschriften Forbes und Correspondent gehören. Kurtschenko soll ein Mitglied der sogenannten „Familie“ sein – das sind Staatsbedienstete und Geschäftsleute, die Präsident Viktor Janukowitsch und seiner unmittelbaren Umgebung nahestehen sollen. Früher konnten Forbes und Correspondent hohe Druckauflagen beziehungsweise Besucherzahlen auf ihren Websites vorweisen. Nach der Übernahme hat sich die Lage geändert. Kurz nach dem Kauf kündigte der Chefredakteur des hiesigen Forbes, Wladimir Fedorin, weil er sich weigerte, unter Zensurbedingungen zu arbeiten. Im Dezember nahmen aus demselben Grund vierzehn weitere Journalisten der Zeitschrift ihren Abschied. Der Correspondent verlor sowohl seinen Chefredakteur, Vitali Sytsch, als auch Julia McGuffey, die Chefredakteurin der Website, und eine Anzahl führender Journalisten.
Darüber hinaus gründete oder erwarb die „Familie“ 2013 verschiedene elektronische und Printmedien oder auch Fernsehsender: „Business“ und „BTB“, das Wirtschaftsmagazin Capital, die Website „Free Press“ und andere. Dies berichtet die unabhängige ukrainische Mediengewerkschaft (http://nmpu. org.ua/2012/12/arbuzov-formuje-vlasnyj-media-holdinh/). Damit wurde der Medienmarkt von den Interessen einer einzigen wirtschaftlich-politischen Gruppierung wesentlich beeinflusst.
Die größten bislang noch unabhängigen Online-Medien – Lb.ua, Ukrains’ka Pravda und das Informationsportal Ukr.net – sahen sich im November und Dezember 2013 massiven Hackerangriffen ausgesetzt. Bemerkenswert ist, dass diese Angriffe jeweils zur selben Zeit und mit derselben Intensität ausgeführt worden sind, was darauf schließen lässt, dass sie ein und dieselbe Stelle zentral koordiniert hat.
Am 8. Dezember 2013 stürmte der ukrainische Sicherheitsdienst mit Unterstützung der militärischen Spezialeinheit „Berkut“ den Sitz der größten Oppositionspartei „Vaterland“. In demselben Gebäude befinden sich die Büros zweier Online-Medien der Opposition, Censor.net und die Fernsehstation „INTV“. Ebenfalls betroffen war die ebenfalls dort untergebrachte Oppositionszeitung Abendnachrichten. Ohne Angabe von Gründen konfiszierten die Einsatzkräfte die Computerserver, wodurch die Arbeit der drei Medienunternehmen vollständig gelähmt wurde. Die Server sind bis heute nicht zurückgegeben worden – sie werden wohl immer noch durch den ukrainischen Sicherheitsdienst untersucht.
Gewalttätige Übergriffe auf Journalisten
In den letzten Monaten ist die Zahl der Übergriffe auf Journalisten in Ausübung ihrer Tätigkeit dramatisch angestiegen. Laut „Institut für Masseninformation“ hat sie 2013 den höchsten Stand seit der Unabhängigkeit der Ukraine erreicht: Registriert wurden 101 gewalttätige Übergriffe. Dabei entfällt der größte Anteil von siebzig Übergriffen auf die Berichterstatter bei den Protesten (http://liga.net/infografica/165400_napadeniya-na-zhurnalistov-v-ukraine-v2013-m-ustanovlen-antirekord.htm). So wurden an einem einzigen Tag, dem 1. Dezember 2013, 48 Medienvertreter auf der Bankova-Straße in der Nähe des Gebäudes der Präsidentenverwaltung tätlich angegriffen. Gehirnerschütterungen, Blutergüsse, Verletzungen durch explodierende Blendgranaten und ähnliches waren die Folgen. Während der Zusammenstöße auf der Bankova-Straße schlugen die Einheiten der Spezialeinheit „Berkut“ brutal auf Fotografen und Kameramänner ein; ihnen war klar, dass sie es mit Journalisten zu tun hatten. Fotos und Videos, die diese Zwischenfälle dokumentieren, wurden weltweit verbreitet.
Die Eskalation wird deutlich, wenn man zum Vergleich die Zahlen aus vorangegangenen Jahren heranzieht. Im Jahr 2012 wurden demnach 65 Übergriffe auf Journalisten registriert. Die Motive waren in den meisten Fällen politischer Natur. Laut Wirtschaftsportal Liga.net ging die Gewalt oft von Sicherheits- und Ordnungskräften bestimmter Personen, Institutionen und Politiker aus.
In der Nacht zum 25. Dezember 2013 wurde Tetjana Schornowil, eine bekannte Journalistin und „Euromaidan“-Aktivistin, brutal verprügelt. Journalistisch konzentrierte sich Tetjana auf Untersuchungen, die Licht in die zahlreichen Korruptionsfälle der höheren Ränge in der ukrainischen Regierung bringen sollten. Die Angreifer hielten Tetjana Schornowils Wagen auf einer Landstraße in der Nähe von Kiew an, schlugen sie auf den Kopf und versuchten bewusst, ihr Gesicht zu entstellen. „Der Schläfenbereich wurde von schweren Schlägen getroffen – ein klares Anzeichen dafür, dass man sie töten wollte“, klagt der Ehemann der Journalistin, Nikolai Berezovij, an.
Für all dies gibt es eine logische Erklärung: Bei der Entwicklung der aktuellen Proteste haben Journalisten eine besondere Rolle gespielt. In den Anfangstagen des „Euromaidan“ nutzten sie soziale Netzwerke und Medien, um die Menschen dazu aufzurufen, auf die Straße zu gehen und die Demokratie in der Ukraine zu verteidigen. Außerdem gaben viele bekannte Journalisten, wie zum Beispiel Jegor Sobolev oder Igor Lutsenko, ihre journalistische Karriere auf, um sich auf ihre Aufgaben als Bürgerrechtler fokussieren zu können. Heute koordinieren sie den Dialog zwischen den Protestierenden und den Oppositionsparteien und führen Informationskampagnen, um die demokratischen Werte in den verschiedenen Regionen des Landes zu stärken.
Sonja Koschkina, geboren 1985 in Kiew (Ukraine), Chefredakteurin der Internetpublikation „Levy Bereg“ (http://lb.ua), Kiew (Ukraine).
Übersetzung aus dem Englischen: Wilfried Becker, Germersheim.