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TikTok im geopolitischen Konflikt zwischen China und dem Westen

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TikTok war lange vor allem eines: Unterhaltung für die Generation Z. Heute ist die chinesische Video-App Teil eines geopolitischen Machtkampfs – zwischen China und dem Westen, zwischen Demokratie und staatlich gesteuerter Meinungsmacht. Spätestens seit der US-Kongress im Frühjahr 2025 die Entflechtung von TikTok und seinem chinesischen Mutterkonzern ByteDance beschlossen hat, steht die Plattform unter internationalem Druck. In Europa läuft parallel ein Verfahren der EU-Kommission wegen mutmaßlicher Wahlbeeinflussung in Rumänien. Kritiker warnen: Der Einfluss von TikTok auf die politische Meinungsbildung ist – gerade bei jungen Menschen – größer als bisher angenommen.

Im Dezember 2024 sorgte die Annullierung der ersten Runde der rumänischen Präsidentschaftswahl für internationale Schlagzeilen. Der rechtsextreme, russlandfreundliche Kandidat Călin Georgescu, zuvor kaum bekannt, hatte unerwartet den ersten Platz belegt. Sein Geheimnis? Eine massive TikTok-Kampagne, die ultrarechte Parolen verbreitete und ein Ende der Hilfen für die Ukraine forderte. Der rumänische Geheimdienst berichtete von Einmischung aus Russland und Tausenden zuvor inaktiven TikTok-Konten, die kurz vor der Wahl plötzlich massenhaft Georgescus Inhalte verbreiteten. Ursprünglich hatte sein Kanal nur 120 Follower, inzwischen sind es rund eine halbe Million.

 

Verdeckte Wahlmanipulationen

Mittlerweile zeigen Auswertungen eines im Frühjahr 2025 veröffentlichten Transparenzberichts von TikTok selbst: Bei der Wahl verbreiteten mehr als 27.000 gefälschte Profile gezielt Kommentare zugunsten Georgescus. Zunächst hatte TikTok Vorwürfe einer Einflussnahme noch als „irreführend“ zurückgewiesen; inzwischen räumt das Unternehmen verdeckte Einflussoperationen in großem Maßstab ein. Ein Großteil dieser Accounts stammte offenbar von einem türkischen Anbieter für Fake-Engagement. Die Fake-Profile zählten über 70.000 Follower und waren hauptsächlich dazu eingesetzt worden, mit Kommentaren unter echten Videos den Algorithmus zu beeinflussen. Beobachter sprechen von einer „Schwarmtaktik“, die so subtil war, dass sie zunächst kaum auffiel. Rumäniens oberstes Gericht hatte nach Einsicht in Geheimdienstinformationen die Wahl für ungültig erklärt. Der zweite Wahlgang wurde abgesagt, Georgescu durfte bei der Wiederholung der Wahl im Mai 2025 nicht mehr antreten.

Es gebe „ernsthafte Hinweise darauf, dass sich ausländische Akteure mithilfe von TikTok in die rumänischen Präsidentschaftswahlen eingemischt haben“, so EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Brüssel prüft derzeit, ob die Videoplattform gegen EU-Gesetze verstoßen hat. Insbesondere geht es um ein Verbot, bezahlte Werbefunktionen für politische Inhalte zu nutzen – also Wahlkampfgelder auf TikTok auszugeben. Zudem soll geklärt werden, ob Georgescu durch die Algorithmen, die Nutzern Videos und Profile empfehlen, einen unrechtmäßigen Vorteil hatte. Bestätigen sich die Vorwürfe, drohen TikTok hohe Geldstrafen. Auch andere osteuropäische Länder wie Polen und Ungarn haben angekündigt, ähnliche Manipulationsmuster bei künftigen Wahlen im Auge zu behalten.

TikToks Transparenzbericht belegt nicht nur in Rumänien problematische Aktivitäten. In Deutschland hat TikTok erst mit erheblicher Verzögerung ein Netzwerk aus 42 AfD-nahen Konten gesperrt, das sich zunächst als „TikTok-Guerilla“ auf Telegram organisiert hatte. Ziel der Gruppe war die Einflussnahme auf den politischen Diskurs durch koordinierte Uploads und Kommentarfunktionen. TikTok wies die Vorwürfe zunächst zurück, arbeitet inzwischen jedoch mit der Europäischen Union zusammen, um die Vorgänge aufzuklären.

Von Wahlmanipulationen bis hin zur Frage, ob TikTok antiwestliche Narrative fördert, ist die Video-App damit endgültig zu einem zentralen Schauplatz im geopolitischen Konflikt zwischen China und dem Westen geworden. Mit über 1,7 Milliarden Nutzern gehört die App zu den erfolgreichsten Social-Media-Plattformen der Welt. Vor allem die Generation Z schätzt TikTok als Informationsquelle. Laut Reuters Institute nutzen 44 Prozent der 18- bis 24-Jährigen soziale Netzwerke und Video-Plattformen – darunter stark wachsende Dienste wie TikTok – als Hauptnachrichtenquelle.

 

Was China anders macht

Was kaum jemand im Westen weiß: TikTok gibt es in zwei Versionen: Während die chinesische Variante, bekannt als Douyin, auf Bildung, Wissenschaft und patriotische Inhalte setzt und ihre Nutzungsdauer streng reglementiert ist, zeigt sich die internationale Version mit Tanzvideos und Challenges deutlich unregulierter – und wird beschuldigt, politische Manipulation und Desinformation zu ermöglichen. Tristan Harris, ein ehemaliger Google-Mitarbeiter, ist der Ansicht, dass China die westliche Jugend mithilfe von TikTok „verdummt“, während es den eigenen Nachwuchs mit einer eingeschränkten Version fördert.

Eine Analyse von Citizen Lab zeigt: Douyin enthält Funktionen wie dynamisches Code-Loading und serverseitige Suchzensur, die mit Blick auf Sicherheit und Privatsphäre problematisch sind. TikTok hingegen wies diese Funktionen im Test nicht auf. Allerdings zweifeln Kritiker daran, dass TikTok wirklich frei von politischer Einflussnahme ist. In den USA und Europa werfen Politiker und Aktivisten der Plattform vor, „sensitive“ Inhalte wie Berichte über die Proteste in Hongkong, die Uiguren oder Tibet zu benachteiligen oder zu verstecken. Konkrete technische Beweise dafür gibt es bislang nicht – doch die gemeinsame Codebasis von TikTok und Douyin sowie serverseitig gesteuerte Konfigurationen nähren die Sorge, dass politische Zensur potenziell jederzeit aktiviert werden könnte.

In den USA bleibt TikTok ein politischer Zankapfel. Ein 2024 vom Kongress verabschiedetes Gesetz zwingt die chinesische Muttergesellschaft ByteDance zum Verkauf der App – andernfalls droht ein Verbot in den USA. Nachdem TikTok im Januar 2025 für einen Tag aus den US-amerikanischen App-Stores verschwunden war, griff Präsident Donald Trump ein. Er erließ zwei aufeinanderfolgende 75-Tage-Aufschübe und kürzlich eine weitere Verlängerung um neunzig Tage. Damit hatte TikTok bis Mitte September Zeit, eine Lösung zu finden.

Trump, der TikTok während seiner ersten Amtszeit noch verbieten wollte, hat seine Haltung inzwischen geändert – nicht zuletzt wegen des wachsenden Einflusses der Plattform auf die junge Wählerschaft. „Ich habe einen Platz in meinem Herzen für TikTok, weil ich die Jugend mit 34 Punkten Vorsprung gewonnen habe“, so Trump im Dezember 2024. Dennoch bleibt die nationale Sicherheitslage angespannt. Senator Mark Warner von den Demokraten wirft dem Weißen Haus vor, durch die ständigen Fristverlängerungen die eigenen Sicherheitswarnungen zu ignorieren.

 

Showdown in den USA?

Sollte bis zum 17. September keine Einigung über einen Verkauf erzielt werden, droht TikTok weiterhin ein Verbot in den USA. Der Supreme Court hatte das Gesetz zuvor bestätigt. Mehrere Investoren haben Interesse an einer Übernahme bekundet, darunter Amazon, Oracle-Mitgründer Larry Ellison, Reddit-Mitgründer Alexis Ohanian und der YouTuber MrBeast. Auch Private-Equity-Firmen wie Blackstone und Risikokapitalgeber wie Andreessen Horowitz werden als potenzielle Käufer genannt. Berichten zufolge erwägt das Weiße Haus sogar eine Lösung, bei der ByteDance zwar Eigentümer des Algorithmus bleibt, ihn jedoch an ein US-Unternehmen lizenziert.

In Europa stehen bisher insbesondere strengere Regulierungen und Bußgelder im Raum. Ursula von der Leyen betonte, dass alle Online-Plattformen inklusive TikTok zur Rechenschaft gezogen werden müssen, um die Demokratie vor ausländischer Einmischung zu schützen. Der Digital Services Act verpflichtet Social-Media-Plattformen, gegen rechtswidrige Inhalte vorzugehen. Zudem soll er Nutzer vor Risiken wie wahlbezogenen Fehlinformationen schützen. Durchgesetzt wird er von der EU-Kommission, die TikTok Anfang Dezember 2024 verpflichtet hatte, alle Informationen im Zusammenhang mit der Rumänien-Wahl zu sichern. Auch Frankreich und Belgien haben Initiativen gestartet, um die Plattform strenger zu überwachen. In Paris laufen Gespräche über eine verpflichtende Altersverifikation und eine „Transparenzpflicht“ für politische Werbung auf TikTok.

Trotz der hitzigen Debatten sind viele Fragen offen. Gibt es tatsächlich Beweise für gezielte Wahlmanipulationen durch TikTok? Wie stark ist der Einfluss der chinesischen Regierung auf das Unternehmen? Und welche Konsequenzen würde ein Verbot der Plattform für Millionen von Nutzern bedeuten? Klar ist: TikTok steht nicht nur im Fokus einer technischen, sondern auch einer geopolitischen Auseinandersetzung. Die kommenden Monate werden zeigen, ob und wie die westlichen Staaten auf die Herausforderungen reagieren, die durch eine Plattform entstehen, die mehr als eine Milliarde Menschen weltweit täglich nutzen. Auch innerhalb der Europäischen Union wird der Ruf nach einer gemeinsamen „Digitalen Resilienzstrategie“ lauter, um Plattformen wie TikTok nicht länger zum Risiko für demokratische Institutionen werden zu lassen.

 

Christina zur Nedden, geboren 1985 in Frankfurt am Main, seit 2020 freie Korrespondentin für Asien für „Welt“ und „Welt am Sonntag“.