Zur Entstehungszeit der Studie Otmar Issings und Walter Leisners Mitte der 1970er-Jahre war die politische Diskussion, zumindest was die Kritik an größeren Vermögen betrifft, in vielem der jetzigen Situation vergleichbar. Waren damals allerdings vornehmlich von einer linken politischen Position aus die Besitzer von „Produktionsmitteln“ im Visier eines Teils der veröffentlichten Meinung, so sind seit dem Beginn der Finanzkrise 2008 vor allem die Banken als Institutionen und die Bezieher teilweise aberwitziger Boni in die Kritik geraten. Anders als früher reicht die Kritik bis weit in die Union hinein; auch gestandene Befürworter einer freien Marktwirtschaft haben für die Exzesse der Managerbesoldung nur ein Kopfschütteln übrig. Gleichzeitig wird heute intensiv über die Frage diskutiert, wie die starke Konzentration von Vermögen zu bewerten ist, die sich über Generationen anhäufen.
Zwei Grundgedanken ziehen sich durch den Text: Wirtschaftliches Eigentum, so wird argumentiert, ist eine notwendige Bedingung für politische Freiheit. Die wirtschaftliche Freiheit, über das Eigene entscheiden zu dürfen, bedingt erst die politische Freiheit. Gleichzeitig schützt Eigentum den Einzelnen vor zu starkem Zugriff seitens des Staates, indem es seinen Besitzer von diesem ein Stück unabhängig macht. Eigentum hat somit eine „Freiheitsfunktion“, die es für den Fortbestand der Demokratie notwendig macht. Ein einleuchtender, fast banaler Gedanke, der trotzdem in der gegenwärtigen Diskussion fast völlig fehlt. Wichtig wird die Studie aber erst durch den Begriff des „kleineren Eigentums“, den sie hier entwickelt. Darunter wird ein „Bürgereigentum“ von der Größe eines Einfamilienhauses und ergänzenden Aktien- oder Geldvermögens verstanden. Gemeint ist dabei Besitz, der aus Arbeitseinkommen erspart wird und dieses ergänzt, nicht Rentierseigentum, das ein arbeitsloses Leben ermöglicht. Abgegrenzt wird das „kleinere Eigentum“ einerseits vom Großkapital, andererseits von reinen Ansprüchen gegenüber den Sozialkassen. Letztere rechnen die Autoren nicht dazu, da sie de facto der Verfügungsgewalt des Staates unterliegen; gemeint ist nicht der „kleinere Rentenanspruch“.
Das „kleinere Eigentum“, so die Autoren, stellt die Basis der Sozialen Marktwirtschaft dar. Die Schlussfolgerung daraus ist, dass der Staat insbesondere die Bildung dieses „kleineren Eigentums“ zu fördern habe beziehungsweise, negativ gewendet, seine Politik darauf ausrichten soll, alles, was es hindert, zu unterlassen. Gemeint ist dabei neben der Steuerpolitik vor allem eine antiinflationäre Politik, da eine Geldentwertung die Besitzer „kleineren Eigentums“ überproportional treffen würde. Eine etwaige Politik zur Eindämmung der Machtzusammenballung bei Großkapital habe Rücksicht darauf zu nehmen, dass nicht auch „kleineres Eigentum“ getroffen werde. Die Vermögensbildung zur Entstehung dieses „kleineren Eigentums“ dagegen sei zentrale Aufgabe der Politik im Bereich der Wirtschaftspolitik, es stehe „mitten im Zentrum grundgesetzlicher Wertvorstellungen“.
Otmar Issing hat in seiner beeindruckenden Karriere immer wieder die akademische Forschung als Lehrstuhlinhaber unter anderem an den Universitäten Erlangen-Nürnberg und Würzburg mit der Tätigkeit in der Bundesbank und später der Europäischen Zentralbank (EZB) verbunden und ist deshalb der momentan vielleicht profilierteste Geldpolitiker der Bundesrepublik. Leisner, weniger prominent, hat Staatsund Verwaltungsrecht an der Universität Erlangen-Nürnberg gelehrt und dabei unter anderem die Verbindung von Eigentum und Freiheit verfolgt. Der Studie ist in ihrer Entstehungszeit nicht die Wirkung zuteil geworden, die man sich gewünscht hätte. Ihr Wert liegt darin, dass hier ein genuiner Eigentumssektor definiert wird, der passgenau auf die Soziale Marktwirtschaft und die Förderung der politischen Mitte zugeschnitten ist. Für die programmatische Weiterentwicklung der Union könnte das ein erneuter Anknüpfungspunkt sein, nachdem auch unter christlich-demokratischen Regierungen die Instrumente zur Bildung „kleineren Eigentums“ wie die Eigenheimzulage abgebaut worden sind und sich auf die Förderung kapitalgestützter Renten (Riester und Rürup) beschränkt haben. In Zeiten, in denen jetzt im anderen politischen Lager von der „hierarchisierten Marktwirtschaft“ (Hans-Ulrich Wehler) gesprochen wird, scheint es an der Zeit, Issing neu zu rezipieren.
Wolfgang Tischner, geboren 1967 in Berlin, Abteilungsleiter Publikationen/Bibliothek, Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung.