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Neue Lösungen für gesellschaftliche Probleme

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Der Begriff „Innovation“ assoziiert technische Neuerungen: verbrauchsärmere Autos, energiesparende Haushaltsgeräte, größere Flachbildschirme, mobile Technologien wie Smartphone und Apps. Weniger im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert ist eine andere Form der Erneuerung: die soziale Innovation. Soziale Innovationen spielen eine wichtige Rolle bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme und erfüllen diese Aufgabe bereits erfolgreich: Man denke an Mikrokredite und Mikroversicherungen zur Reduzierung von Armut, Mehrgenerationenhäuser, Bürgerwindparkprojekte, landwirtschaftliche Nutzung städtischer Flächen (Urban Gardening) oder Sharing Economy, die Wohlstandsmehrung durch Teilen verspricht, egal ob Autos, Musik oder Werkzeug. Die Beispiele belegen den großen Lösungsraum sozialer Innovationen.

Grundlage für eine soziale Innovation kann eine neue Form der Interaktion oder des Zusammenlebens sein, ein neues Geschäftsmodell, ein neues Gesetz, ein neues Programm zur Prävention gegen Krankheiten oder eine Schule mit einem neuen pädagogischen Ansatz. Einige soziale Innovationen nutzen oder beruhen auf (neuen) Technologien, andere nicht.

Eine neue Lösung ist dann eine soziale Innovation, wenn die Wirkung der Innovation positiv ist und hauptsächlich der Gesellschaft zugutekommt – anstatt privaten Investoren oder Unternehmen. Um eine Innovation handelt es sich, wenn die Lösung für den jeweiligen Kontext neu ist und sie bereits implementiert ist, das heißt „funktioniert“. Soziale Innovationen sind demnach neue soziale Praktiken, die gesellschaftliche Herausforderungen kontextbezogen, zielgerichtet und das Gemeinwohl fördernd adressieren. Sie lösen ein gesellschaftliches Problem besser als vorherige Angebote. „Besser“ meint effizienter, effektiver, nachhaltiger, fairer.

 

Gesellschaftlicher Nutzen

Soziale Innovationen können in jedem gesellschaftlichen Sektor entstehen und in verschiedenen Formen auftreten: im öffentlichen Bereich als Gesetze oder Projekte öffentlicher Einrichtungen, im privatwirtschaftlichen Bereich als Geschäftsmodelle, die von Sozialunternehmen umgesetzt werden, im zivilgesellschaftlichen Bereich als soziale Bewegungen. Sie entstehen häufig und besonders erfolgreich an den Schnittstellen in sektorübergreifenden Kooperationen.

Der Nutzen sozialer Innovationen kann sowohl auf individueller als auch gesellschaftlicher Ebene erfasst werden. Ersteres könnten bessere Arbeitsplätze für eine bestimmte Gruppe sein, Beispiel für eine gesamtgesellschaftliche Wirkungsweise wäre politische Stabilität. Wirkt die soziale Innovation primär für eine bestimmte Gruppe, ist diese häufig von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen oder mit Blick auf die Verteilung des gesellschaftlichen Wohlstandes benachteiligt. Die soziale Innovation will dann die aktuellen Benachteiligungen mindern und gleichzeitig für bessere Ausgangsvoraussetzungen in der Zukunft sorgen.

Wirkt die soziale Innovation gesamtgesellschaftlich, wird der der­ zeitige Lebensstil radikal infrage gestellt (siehe die aktuell intensiv geführte Klimadiskussion). So entstehen neue Lösungen für neue gesellschaftliche Herausforderungen (zum Beispiel Carsharing und ressourcenschonende Mobilitätskonzepte), die die immer lauter eingeforderten Bedürfnisse künftiger Generationen immer stärker berücksichtigen (siehe Fridays for Future).

In Deutschland gibt es immer mehr soziale Innovationen, die von immer engagierteren Menschen ins Leben gerufen werden. Noch mehr als bei technischen Innovationen spielen die Persönlichkeit und der soziale Hintergrund der Gründer eine entscheidende Rolle. Wie wird die Idee gefunden und welche Rolle spielen dabei Netzwerke und Unterstützer? Deshalb fokussiert der Artikel auf fünf idealtypische Gründungssituationen anhand von konkreten Beispielen nachhaltig erfolgreicher sozialer Innovationen.

Erstens: die strukturierte Gründung. Bei diesem Typus gehen die Initiatoren sehr strukturiert und businessorientiert vor: Ein zu erreichendes Ziel wird definiert, systematisch recherchiert und professionelles Feedback zur Ideenentwicklung eingeholt. Häufig sind es große Non-Profit-Organisationen oder Zusammenschlüsse mehrerer Organisationen aus verschiedenen Sektoren. Ein Beispiel sind die JOBLINGE (www.joblinge.de). Diese Initiative zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit bündelt Kompetenzen aus Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft.

Zweitens: die Gemeinschaftsgründung. Sie zeichnet sich durch hohe Gemeinschaftsorientierung im Gründungsprozess aus. Die Sozialinnovatoren benötigen keinen professionellen Hintergrund im jeweiligen Themenbereich, sie eignen sich das Wissen im Laufe der Zeit durch Nutzen ihres Netzwerks oder in Kooperation an. Die Initiatoren der „Stromrebellen“ der Elektrizitätswerke Schönau (www.ews­schoenau.de) hatten keine Expertise in Energieversorgung, sie holten sich Wissen von der Anti-Atom-Lobby in Deutschland. Als die regionale Übernahme des Stromnetzes erfolgte, arbeitete der Ökostromanbieter zunächst mit einem lokalen Stadtwerksbetreiber zusammen, um die Regularien eines Versorgers erfüllen zu können.

Drittens: die Gründung aufgrund eines persönlichen Erlebnisses. Diesen Gründungstyp zeichnet die persönliche Konfrontation mit einem Problem aus, wogegen er oder sie etwas selbst unternehmen will. Sophie Rosentreter von „Ilses weite Welt“ (www.ilsesweitewelt.de) ist Enkelin einer demenziell veränderten Frau. Aufgrund von Schlüsselerlebnissen, die ihr den Alltag von Demenzkranken in Pflegeheimen näherbrachten, entwickelte Rosentreter die Idee, unter anderem Filme für Demenzkranke zu drehen. Auch bei dieser Art Gründung verfügt der Sozialinnovator nicht unbedingt über Wissen im jeweiligen Bereich. Netzwerke und Partner sind viel relevanter, um sich fehlen­ des Wissen anzueignen.

Viertens: die chancengetriebene Gründung. Sozialinnovatoren chancengetriebener Gründungen nutzen eine günstige Gelegenheit. Paul Cvilak gründete die Organisation „Arbeit für Menschen mit Behinderung“ (www.afb­ group.de), nachdem er als „normaler“ IT-Unternehmer auf das Problem sicherer Datenlöschung stieß. Ein Kunde wollte den Service in Anspruch nehmen, aber weniger bezahlen, auch sollten keine Arbeitskräfte aus dem Ausland eingesetzt werden. Durch die benachbarte Caritas kam Paul Cvilak auf die Idee, mit den Behindertenwerkstätten der Caritas ein Pilotprojekt durch­ zuführen. Daraus entstand ein eigenes Unternehmen, in dem Behinderte einer „normalen“ bezahlten Arbeit nachgehen können.

Fünftens: die Expertengründung. Der fünfte Gründungstyp startet aus dem eigenen Beruf oder aufgrund besonderer Expertise. Auf eine neue Idee zur Lösung eines Problems stößt der Gründer/ die Gründerin im Arbeitsalltag. So war Norbert Kunz, der die Beratungsagentur für Sozialinnovatoren „Social Impact“ (www.socialimpact.eu) ins Leben rief, mehrfacher Gründer und vereinte als Lehrer der Wirtschaftswissenschaften betriebswissenschaftliches und pädagogisches Wissen. Durch langjährige Arbeit in der politischen Bildungsarbeit verfügte er über umfassendes Expertenwissen, das er und seine Mitarbeitenden jetzt an andere weitergeben.

 

Mobilisierung gesellschaftlichen Innovationspotenzials

Die vorgestellten sozialen Innovationen ermutigten den Autor des Artikels im mehrjährigen Forschungsprojekt „Soziale Innovationen in Deutschland“ und haben Hoffnung geweckt: ermutigt, da die Analyse der Mechanismen und Funktionsweisen die Erfolgsfaktoren ermitteln konnte, die aus einer bloßen Idee ein Erfolgsmodell mit gesellschaftlicher Wirkung machen. Die Erkenntnisse wecken berechtigte Hoffnungen, dass soziale Innovationen messbar nachhaltige Lösungen für gesellschaftlich komplexe Herausforderungen wie Bildungsgerechtigkeit, Fachkräftemangel, Langzeitarbeitslosigkeit, Zivilisationskrankheiten und hohen Ressourcenverbrauch darstellen.

Dennoch werden technische Innovationen nach wie vor als einzige Garanten für Fortschritt und Wohlstand erachtet. Trotz nachweislich wachsen­ der Bedeutung werden soziale Innovationen unterschätzt und in der Bildung, der Forschungsförderung oder der Gründungsförderung vernachlässigt. Gerade Probleme, wie die fortschreitende Umweltzerstörung und hoher Ressourcenverbrauch, die durch Technologie oftmals verschärft werden, benötigen zur Lösung veränderte Lebensstile und veränderte soziale Praktiken. Zur nachhaltigen Entwicklung und breiten Durchsetzung sozialer Innovationen sind eine systematische Stärkung sektorübergreifender Kooperationen und der weitere Ausbau von unterstützenden intermediären Institutionen, kreativen, aber auch politischen Initiativen und Infrastrukturen erforderlich.

 

Hartmut Kopf, geboren 1960 in Karlsruhe, Honorarprofessor, Institut für Soziale Innovationen (ISI) der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Sankt Augustin, 2011 bis 2014 Verantwortlicher der World Vision Stiftung für das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Grundlagenprojekt „Soziale Innovationen in Deutschland“.

 

Literatur

 

Hochschule Bonn-Rhein-Sieg: BMBF-Forschungsprojekt „Soziale Innovationen in Deutschland“, siehe www.h-brs.de/de/isi/bmbf-forschungsprojekt-soziale-innovationen-deutschland [letzter Abruf: 30.09.2019].

Kopf, Hartmut / Müller, Susan / Rüede, Dominik / Lurtz, Kathrin / Russo, Peter: Soziale Innovationen in Deutschland. Von der Idee zur gesellschaftlichen Wirkung, Springer VS Verlag, Wiesbaden 2015.

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