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Spotlights: Innovation global - Teil I

von Matthias Schäfer

China

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China: Das „Reich der Mitte“ ist längst nicht mehr die Werkbank der Welt, sondern hat in einigen Bereichen Technologieführerschaft erreicht. So ist in der chinesischen Industrie für Informationstechnologie (IT) eine Vielzahl herausragender Unternehmen entstanden, die die gesamte Bandbreite der digitalen Wertschöpfung abbilden. Letztlich gibt es zu jedem, auch dem größten, amerikanischen Wettbewerber, ein chinesisches Pendant, das im Hinblick auf Marktdurchdringung, Umsatz oder Forschungsaktivitäten bis hin zu Marktkapitalisierung mithalten kann. Die chinesische Kompetenz geht hinsichtlich zukunftsweisender Technologien teils schon über die amerikanischen Fähigkeiten hinaus: Stichworte sind 5G­Architektur, Sensorik, Cloud­ und Nanocomputing, das Internet der Dinge, aber auch die Gaming-Industrie, Biotechnologie, elektronische Bezahlsysteme oder Krypto-Anlageformen.

Chinas Entwicklung ist nicht nur auf die IT-Industrie beschränkt – auch auf dem Gebiet der Natur­ und Ingenieurwissenschaften hat China in den letzten Jahren weltweit Aufmerksamkeit erregt. Die Pharmakologin und Nobelpreisträgerin Tu Youyou wurde für ihre Forschungen in der Malaria-Therapie ausgezeichnet; ebenso zu nennen sind der Durchbruch des Mathematikers Yitang Zhang in der Zahlentheorie sowie die Entwicklung des mit einem Hauptspiegel von rund 520 Meter Durchmesser weltweit größten Radioteleskops FAST (Five-hundred-meter Aperture Spherical radio Telescope) oder des Beidou-Satellitennavigationssystems, das die chinesische Abhängigkeit vom US-amerikanischen Global Positioning System (GPS) verringern soll. Die Frage nach den Gründen dieses enormen Auf­ und Überholprozesses drängt sich damit auf. Drei Merkmale lassen sich skizzieren, die das chinesische Innovationssystem auszeichnen.

Zum einen ist die chinesische IT-Industrie in einem Umfeld entstanden, in dem das Wachstum eines Unternehmens auch die Möglichkeiten anderer Unternehmen fördert. So hat das massenhafte Aufkommen günstiger chinesischer Smartphones die Notwendigkeit einer schnellen Datenverbindung sowohl erfordert als auch begünstigt, sodass seit 2013 die heutige mobile 4G­Infrastruktur entstehen konnte. Diese ist wiederum die beste Voraussetzung für alles, was sich künftig 5G nennt. Positiv beeinflusste der Mix aus einer mobilen Datenübertragungsinfrastruktur und erschwinglichen Smartphones auch die Herausbildung einer enormen Zahl exzellenter Nutzeranwendungen, seien es mobile Bezahlsysteme, Spielapplikationen, Mobilitätsdienste oder Essenslieferungen. Und die Popularität von 4G und die Entstehung einer großen Anzahl von Apps stimulieren die Innovation von Chinas Smartphone-Anbietern, wie Huawei, Xiaomi oder OnePlus weiter. Zweifellos hat die Abschottung des eigenen Markts das Entstehen dieser großen IT-Unternehmen begünstigt. Die enge Verwobenheit des Innovationssystems ist auch auf den starken Einfluss des Staates zurückzuführen: die Risikooffenheit der chinesischen Verwaltung bis auf die Ebene der Distrikte für eine als zukunftsfähig angesehene Technologie, die dazu führte, IT-Unternehmen schnell und unbürokratisch jedwede Unterstützung für ihre unternehmerische Entwicklung zu geben.

Das zweite Merkmal ist der enge Zusammenhang zwischen den Innovationen der chinesischen IT-Industrie und dem Leben und der Arbeit der Menschen, die ähnlich nutzer- und anwendungsgetrieben sind wie die große Konkurrenz aus dem Silicon Valley. Laut dem China Internet Network Development Status Report vom Februar 2019 belief sich die Zahl der mobilen Internetnutzer in China auf 871 Millionen. In den letzten acht Jahren wurden mehr als 500 Millionen Menschen, was nahezu der Bevölkerung der Europäischen Union entspricht, in das mobile Internet einbezogen. Diese Menschen haben die Möglichkeit, die grundlegenden Dienste der Informationsgesellschaft in Anspruch zu nehmen. Sie profitieren davon sowohl als Verbraucher, aber auch als (kleine) Unternehmer. Damit werden die Potenziale der IT-Unternehmen breit gestreut und erzeugen die Grundlage neuer Wohlstandsgewinne. Die in der IT­Industrie Beschäftigten sind auch die Basis der heutigen sehr gut ausgebildeten Fachkräftegeneration. Von ihr profitieren alle Wirtschaftssektoren in China. Aus der Werkbank der Welt wurde, verstärkt seit dem Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) 2001, ein Land, das den Schritt zur eigenständigen Wertschöpfung mit Hoch­ und Spitzentechnologien gemeistert hat.

Das dritte Merkmal ist der enorme Aufstiegs­ und Bildungsehrgeiz. Er ist eng verbunden mit den Entscheidungen Deng Xiaopings, der nach dem Tod Mao Zedongs (1977) China als Bildungs- und Forschungsnation modernisierte. Er stärkte die Qualität und Bedeutung des Bildungs- und Hochschulwesens und führte zum Beispiel das „Gao Kao“, die landesweit einheitliche Aufnahmeprüfung für allgemeine Universitäten, wieder ein. Grundlage des Aufstiegs war damit auch eine politische Grundentscheidung, wonach die Kommunistische Partei Chinas den Klassenkampf nicht mehr als das zentrale politische Ziel ihres Handelns sah, sondern sich auf den wirtschaftlichen und vor allem technologiegetriebenen Aufbau des Landes (Deng Xiaopings Stichwort lautete: „Technologie ist die primäre Produktivkraft“) bis an die Spitze konzentriert, die zum 100. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China im Jahr 2049 er­ reicht sein soll.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Welt mit der Ernsthaftigkeit und dem Ehrgeiz der chinesischen Aufbauambitionen ebenso rechnen müssen wie mit der Erfahrung, dass China auf der internationalen Bühne eigene Regeln und Ansprüche definiert. Obwohl aus westlicher Sicht Offenheit ein wesentlicher Bestandteil des Innovationssystems ist, wird sich China dafür Zeit nehmen. Dies muss nicht bedeuten, dass China sich nicht schrittweise öffnen wird. Denn trotz seiner starken Binnenorientierung verfügt es über immenses Wissen über den Westen und seine Institutionen, und daran lässt sich im gegenseitigen Austausch anknüpfen. Eine vergleichbar breite Kompetenz über China ist in unseren europäischen Gesellschaften nicht zu finden. Auch diese „Kenntnis des anderen“ ist ein Erfolgsfaktor des chinesischen Innovationsmodells.

 

Matthias Schäfer, Chengzhan Zhuang
Auslandsbüro China der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Shanghai

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