Asset-Herausgeber

Kurzberichte aus vier Weltregionen

Asset-Herausgeber

Indien

Die Transformation Indiens vom Entwicklungsland zur selbstbewussten Globalmacht erfolgte nicht ohne Widersprüche. Indiens demografische Dividende, das heißt ein Überschuss an jungen Menschen, der sich in den kommenden Jahrzehnten in einen wirtschaftlich vorteilhaften Überschuss an Arbeitskräften übersetzt, gilt gemeinhin als größte Stärke des Landes und als Garant für Wachstum und Wohlstand. Doch ohne praxisbezogene Ausbildungssysteme und eine am Arbeitsmarkt orientierte Bildungspolitik droht Indien mittelfristig ein demografischer Albtraum. Laut indischem Zensus von 2011 sind 54 Prozent der insgesamt 1,2 Milliarden Menschen zählenden Bevölkerung unter 25 Jahre alt. Es besteht ein eklatanter Mangel, die Möglichkeiten dieses Bevölkerungsreichtums auszuschöpfen; er ist der indischen Gesellschaft immanent aufgrund mangelhafter Bildungssysteme, volatiler Arbeitsmärkte, starker Beharrungskräfte und ausgeprägten Hierarchiedenkens. Weder staatliche und private Bildungssysteme noch der indische Arbeitsmarkt sind gegenwärtig dafür gerüstet, selbst Hochschulabsolventen zu absorbieren. Die steigende Arbeitslosigkeit unter Akademikern bringt gerade in einer Region, in der Bildung ein hoch angesehener Statuswert ist, gravierende soziale Folgen mit sich. Die breite Kritik an der jüngsten Kabinettsumbildung der Regierung angesichts eines Altersdurchschnitts der neuen Minister von 65 Jahren hat in überraschender Deutlichkeit gezeigt, dass das Thema Jugend längst zum Politikum geworden ist, an dem Regierung und Opposition im Vorwahlkampf für 2014 gemessen werden. Insgesamt haben alle politischen Kräfte eine starke Wähler- und Nachwuchsbasis, die jedoch nach wie vor kaum Zugang zu gehobenen Positionen der Parteienhierarchie erhält.

Dennoch steigen unter Indiens junger Bevölkerung kontinuierlich das Interesse an Politik und der Wunsch, später selbst im Staatsdienst oder in der Politik zu arbeiten. Ebenso geht der Ruf nach Wahlreformen zunehmend von Jung- und Erstwählern aus. Der Wechsel von der amtierenden alten Garde zur jungen Generation wird in den kommenden Jahren abrupt verlaufen und kann für das politische System sowohl den Verlust von Amtserfahrung als auch die Chance auf neue Impulse bedeuten. Noch ist die demografische Entwicklung eine Dividende und noch besteht Spielraum, diese auch abzuschöpfen. Was fehlt, sind konkrete Schritte, um den schon deutlich sichtbaren Herausforderungen im Bildungssektor und auf dem Arbeitsmarkt entgegenzutreten, sodass Indien die sich bietende demografische Chance wirklich nutzen kann.

Ende 2012 sorgte der Fall der 23-jährigen Studentin, die in einem öffentlichen Bus in Neu-Delhi Opfer einer Massenvergewaltigung durch zum Teil minderjährige Täter geworden war und an den Folgen der Tat starb, für einen Aufschrei der Empörung. Das Verbrechen, das sich in eine erschreckend lange Reihe früherer Fälle von Gewalt gegen Frauen, zum Teil unter den Augen der Polizei und der Medienvertreter, einreiht, führte zu Massenprotesten und erhöhte den Druck auf die Regierung, das Strafmaß für Jugendstrafdelikte – insbesondere bei Sexualstraftaten – drastisch zu verschärfen. Die furchtbare Tat hat für viele Inder die zentralen sozialen Konfliktherde schlaglichtartig ins Blickfeld gerückt, mit denen sich die liberale und emanzipierte Jugend Indiens, insbesondere junge und aufstrebende Frauen, in einer weiterhin überwiegend traditionell geprägten Gesellschaft auseinandersetzen muss, ohne dass die Politik bisher gangbare Lösungswege aufgezeigt hätte.

Tomislav Delinic und Malte Gaier, Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Neu-Delhi

 

Griechenland

Perspektivlosigkeit charakterisiert zu Beginn des Jahres 2013 die Situation der Jugend in Griechenland. In einer komplexen Gemengelage aus wirtschaftlicher Krise im fünften Jahr der Rezession, fehlenden Chancen für Berufseinsteiger in einem rigiden Arbeitsmarkt sowie einem nicht anders als marode zu bezeichnenden Bildungssystem ist der Ausblick für die Jugend düster. Und dies nicht nur in einer Momentaufnahme, sondern aufgrund der strukturellen Probleme mit einer mittel- bis langfristigen Perspektive: Im „Mutterland der Krise“ droht das Heranwachsen einer verlorenen Generation. Die Arbeitslosenquote für die unter 24-Jährigen liegt derzeit bei knapp 57 Prozent – Tendenz steigend.

Sowohl in der öffentlichen Verwaltung als auch im Privatsektor haben junge Arbeitnehmer mit befristeten Verträgen als Erste ihre Stellen verloren. Gewerkschaftlich organisierte Festangestellte dominieren das System.

Problematischer Ausgangspunkt ist der griechische Bildungssektor. Qualitativer Höhepunkt ist die Phase der Vorbereitung auf die panhellenischen Prüfungen, die über die Vergabe der Studienplätze entscheiden. Da die Schulen zur Vorbereitung auf diese Prüfung nicht in der Lage sind, investieren griechische Familien – auch in Zeiten größter finanzieller Not – durchschnittlich 6.000 Euro in den erforderlichen Privatunterricht, das Frontistirio. Einmal an der Universität angekommen, setzen sich die Schwierigkeiten fort: Durch die panhellenischen Prüfungsergebnisse nicht zum Wunschstudienfach zugelassen, studieren viele griechische Jugendliche in langen Studienzeiten am Arbeitsmarkt vorbei. Vier von zehn Absolventen sind in Berufen tätig, die nichts mit ihrer Ausbildung zu tun haben. Der aufgeblähte öffentliche Dienst mit seinen Strukturen der Vorteilsnahme hat zahlreiche dieser Berufseinsteiger aufgefangen. Das ist nun vorbei. Viele junge Leute sind zu ihren Eltern zurückgekehrt und wohnen wieder zu Hause. Selbst wenn die Familie als Pol starker Solidarität wahrgenommen wird, so birgt diese doch erheblichen psychologischen Sprengstoff: von der ökonomischen Situation bis zur eigenen Lebens. und Familienplanung.

Trotz aller Protestaktionen nimmt die Jugend ihr Land als politisch und zivilgesellschaftlich gelähmt wahr. Vor allem die jungen Leute warten auf einen politischen Neuanfang, damit Griechenland den Ausweg aus der Krise schaffen kann. Mit Blick auf die beiden vormals großen Parteien, PASOK und Nea Dimokratia (ND), könnte die Frustration kaum größer sein, stehen sie doch für die verantwortungslose Politik der vergangenen Jahrzehnte, deren Folgen die jüngere Generation nun zu tragen hat. Eine Vielzahl von Jüngeren hat sich aus Protest dem Linksbündnis Syriza des jungen populistischen Charismatikers Alexis Tsipras zugewandt. Auch die rechte Partei Chrysi Avgi („Goldene Morgendämmerung“) bekam Zulauf. Doch ahnen die meisten Jugendlichen, dass von den Rändern nichts Konstruktives zu erwarten ist. Und so charakterisiert vorerst auch die griechische Jugend, was für die gesamte Gesellschaft kennzeichnend zu sein scheint: Lähmung!

Susanna Vogt, Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Athen

 

Uganda

Die Zahlen sprechen für sich – nach Niger hat Uganda die jüngste Bevölkerung der Welt: 78 Prozent sind unter dreißig und 65 Prozent unter achtzehn Jahre alt. Mit einer Geburtenrate von durchschnittlich 6,2 Kindern pro Frau und einer Wachstumsrate von 3,3 Prozent ist die ugandische Bevölkerung eine der am schnellsten wachsenden überhaupt. Das Land folgt damit dem allgemeinen Trend auf dem Kontinent: Subsahara-Afrika ist der jüngste Erdteil der Welt.

Diese demografische Entwicklung ist besorgniserregend – sie bringt Herausforderungen mit sich, denen man begegnen muss. Schon heute finden folgenreiche Vorgänge statt. So führt eine massive Landflucht dazu, dass eine immer größere Zahl junger, ungelernter Arbeitskräfte aus den ländlichen Gebieten in die urbanen Zentren strömt, auf der Suche nach Bildungs- und Erwerbsmöglichkeiten, Sozialleistungen und Infrastruktur. In den Städten wächst die Zahl der Arbeitslosen, Slumbildung und Kriminalität nehmen zu. In Uganda liegt die Jugendarbeitslosigkeit zwischen siebzig und 83 Prozent, unter den Hochschulabsolventen ist die Quote besonders hoch. „Jung, männlich – arbeitslos“, die Sprengkraft dieser Mischung ist nicht zu unterschätzen. Dabei bietet der Arbeitsmarkt durchaus Chancen, etwa in den Bereichen Landwirtschaft, Telekommunikation und IT sowie im Tourismus. Doch überall fehlen Fachkräfte, Ausbildungsangebote sind – wo überhaupt vorhanden – zu wenig praxis- und marktorientiert.

Die Regierung hat die Lage erkannt und eine Reihe von Programmen aufgelegt, um den Herausforderungen zu begegnen. Doch Nepotismus, eine ausufernde Bürokratie und Korruption verhindern eine effektive Umsetzung. In der Jugend macht sich Unmut breit. Sie wird sich ihrer Mehrheit – und damit ihrer potenziellen Macht – zunehmend bewusst. Sie will mehr Beteiligung und klagt dies auch immer vehementer ein.

Die afrikanische Jugend muss als entwicklungsrelevanter und politischer Faktor ernst genommen werden. Abgesehen von ihrem enormen Wählerpotenzial – während der letzten Wahlen in Uganda 2011 machten Jugendliche unter dreißig mehr als die Hälfte der Wähler aus – ist ihr Veränderungspotenzial erheblich. Dieses muss genutzt und kanalisiert werden, wenn es sich nicht von selbst und ungeordnet Bahn brechen soll. Die jungen Menschen in politische und gesellschaftliche Entscheidungsprozesse einzubinden ist wichtiger, politische Bildung dringlicher denn je. Die Entwicklungspolitik wird sich hierauf einstellen müssen.

Angelika Klein, Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kampala

 

Tunesien

Da stehen sie uns wieder vor Augen, jene Bilder, die sich in den Tagen nach dem 17. Dezember 2010, der Selbstverbrennung des jungen Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi in Sidi Bouzid, ins kollektive Gedächtnis der Tunesier gebrannt haben. Nicht lang war von da aus der Weg, der am 14. Januar 2011 zum dekretierten Rücktritt des Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali führte. Was viele als „Revolution der Jugend“ oder auch der Twitter- und-Facebook-Generation bezeichneten, lässt gut zwei Jahre danach die Frage berechtigt erscheinen, was sich für diejenigen der Altersgruppe zwischen 17 und 24 Jahren geändert hat, die maßgeblich die Proteste auf die Avenue Bourguiba getragen haben. Sie waren es, die in Tunesiens Hauptstadt nach „Freiheit“, „Würde“ und vor allem auch „Brot“ – sprich Arbeit – riefen. Die Jugendarbeitslosigkeit in den Ländern Nordafrikas ist seit Jahrzehnten extrem hoch: Nach Ägypten führte Tunesien die Reihenfolge mit 31 Prozent an.

Analysten weisen bereits seit Jahren darauf hin, dass die Gemengelage einer großen Jugendbevölkerung, zusammengenommen mit in Aussicht gestelltem Wohlstand sowie einem relativ hohen Bildungsniveau zu erheblichen gesellschaftlichen Konflikten führen würden. Dann kam die Revolution, die Erwartungen waren hoch, naturgemäß zu hoch, und der politische Transformationsprozess scheint auch im Land des Jasmins die Kräfte so sehr zu absorbieren, dass die ursächlichen wirtschaftlichen und sozialen Fragen kaum angegangen werden.

 

Dennoch: selbst geschaffenes Luxusproblem

Obwohl Tunesien zeitweise über ein Wirtschaftswachstum von über fünf bis sieben Prozent verfügte, mit dem es in der Lage gewesen wäre, entsprechende Reformen im beruflichen wie universitären Ausbildungsbereich zu meistern, strebte man weiterhin das Ziel eines nahezu staatsmonopolistisch regulierten Arbeitsmarktes an: Mit dem kostenfreien Zugang zu den Universitäten gab es quasi die Aussicht auf eine staatliche Anstellung gleich mitgeliefert. Eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst kam daher den meisten wie ein goldener Handschlag vor, Pension inklusive. Der staatliche Sektor, der bereits zuvor seine eigentlichen Absorptionskapazitäten weit überschritten hatte, wurde weiter überdehnt. Der Vernachlässigung des Privatsektors ist es zudem zu verdanken, dass nicht ausreichend Arbeitsplätze geschaffen wurden. Die eigentliche Misere vermittelt jedoch der Blick auf die dadurch bedingt völlig asymmetrische Struktur des Arbeitsmarktes: Knapp 35 Prozent der Hochschulabgänger sind derzeit arbeitslos, wobei sich die generelle Arbeitslosenquote bei rund 18 Prozent bewegt. Tunesien hat zudem ein selbst geschaffenes Luxusproblem zu lösen: Mit Blick auf die insgesamt vorhandenen Bildungsmöglichkeiten entfallen immer noch nur zehn Prozent auf den Bereich der beruflichen Bildung, neunzig Prozent auf den universitären Bereich. Und dies, obwohl die Nachfrage genau umgekehrt ist. Gut 120.000 Arbeitsplätze im handwerklichen Bereich können derzeit in Tunesien nicht besetzt werden, weil die Betriebe Schwierigkeiten haben, entsprechend qualifiziertes Personal zu finden. Schon wird über die Anwerbung von Arbeitsmigranten gesprochen, was nur zynisch stimmen kann.
 

Druck aus dem Kessel nehmen

Die Regierung hat mit der Privatwirtschaft versucht, auf diese Entwicklungen zu reagieren, jedoch überlappen die nahezu täglichen politischen Spannungen im Land eine Konzentration auf die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Deutschland und Europa haben Ausbildungspartnerschaften ins Leben gerufen, mit denen man über eine weitere Professionalisierung von Arbeitslosen den Druck aus dem Kessel nehmen will. Zahlreiche Maßnahmen bleiben aber an der Oberfläche, da sie nur kurzfristig die Symptome beheben. Zudem belasten sie zusätzlich die Staatsbudgets, deren Abhängigkeit von ausländischer Unterstützung wächst. Maßnahmen wie die Mikrokreditvergabe an Jungunternehmer, wie sie derzeit verstärkt praktiziert werden, sind demgegenüber nachhaltiger. Selbst wenn nur ein Teil derjenigen, die motiviert sind, ihr Schicksal selber in die Hand zu nehmen, erfolgreich ist, ist dies wirtschaftspolitisch sinnvoller, als weiterhin auf staatliche Intervention zu hoffen.

 

Verantwortung im Kleinen und Großen

Die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Tunesien ist damit nicht allein eine wirtschaftliche, sondern eine eminent politische und soziale Frage, deren Lösung über Erfolg oder Misserfolg der Transformation entscheidet. Arbeit zu haben, entscheidet im kulturellen Kontext Tunesiens darüber, überhaupt Perspektiven und Zukunft zu haben. Schon heute führt die hohe Jugendarbeitslosigkeit zu einem „Zwangszölibat“, da an Heirat ohne eine feste Anstellung nicht zu denken ist. Es bedarf erst gar keiner salbungsvollen Reden über politische Freiheiten und Demokratie, wenn jungen Menschen, die zudem das Potenzial haben, nicht einmal die grundlegendste Form gesellschaftlicher Partizipation möglich ist, nämlich eine Familie zu gründen, Verantwortung zu übernehmen, im Kleinen wie im Großen. Genau hier zeigt sich die grundlegende Herausforderung für den Erfolg der – gleichwohl – immer noch jungen Revolution.

Hardy Ostry, Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tunis

comment-portlet