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Über die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der digitalen Zukunft

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Die Digitalisierung der Medien hat dem Fernsehzuschauer neue Macht verliehen. Unabhängig von Zeit und Ort kann er heute die Programmangebote über das Internet abrufen. Besonders die öffentlich-rechtlichen Sender fürchten diesen „Kontrollverlust“, denn die neuen Smart-TV-Systeme reduzieren das bisher übliche Fernsehen zu einer von mehreren Optionen. Einige Fachleute sagen sogar voraus, dass der Rundfunk, wie wir ihn heute kennen, künftig ganz verschwinden werde. Weltweit abrufbare Bewegtbild-Angebote würden ihn nach und nach ablösen.

Selbst wenn diese Prognose überzogen, mindestens aber vorschnell erscheint, stellt sich die Frage, welche Rolle der öffentlich-rechtliche Rundfunk unter den neuen Bedingungen spielen kann. Bleibt ihm nur noch eine Nebenrolle oder kann er seine starke Stellung bewahren? Dabei kommt es entscheidend darauf an, welchen Stellenwert er für die gesellschaftliche Kommunikation im Zeitalter der Digitalisierung entwickeln kann.

Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk muss der Anspruch bleiben, im „Relevant Set“ zu bestehen. Viele fordern vom Gesetzgeber vor allem mehr Regulierung, doch die Vergangenheit hat gezeigt: Qualitätssicherung entsteht nicht allein durch Regulierung, sondern auch durch Qualitätswettbewerb.

 

Ein „Urknall“ muss nicht schädlich sein

Nach der sogenannten Entwicklungsgarantie des Bundesverfassungsgerichts hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk unter anderem die Aufgabe, sich den veränderten Sehgewohnheiten der Nutzer anzupassen. Dass das durchaus gelingen kann, hat die deutsche Rundfunkgeschichte erwiesen. Bereits der erste mediale „Urknall“ vor dreißig Jahren hat den Öffentlich-Rechtlichen mit der Einführung des dualen Rundfunksystems – also des Nebeneinanders von öffentlich-rechtlichen und privaten Anbietern – einen grundlegenden Umbruch beschert, doch hat ihm das – wenn man sich die deutsche TV-Landschaft im internationalen Vergleich ansieht – bei Weitem nicht geschadet! Warum sollte also der zweite große mediale „Urknall“ in Gestalt der medialen Digitalisierung für ARD und ZDF nicht ähnlich günstige Folgen haben? Eine Voraussetzung dafür ist, dass die regulierende Medienpolitik die Weiterentwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht behindert, sondern sich im Gegenteil ausdrücklich zur verfassungsrechtlichen Bestands- und Entwicklungsgarantie bekennt und Reformen der Rundfunkanstalten einfordert und fördert.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 25. März 2014 zum ZDF-Staatsvertrag erneut die besondere Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die Gesellschaft deutlich formuliert: Er bedarf einer finanziellen Absicherung, die zuletzt durch die Verfassungsgerichtshöfe von Bayern und Rheinland-Pfalz bestätigt worden ist. Langfristig ist für den Fortbestand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aber eine Sache noch wichtiger: die Akzeptanz der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. Um seine abgesicherte finanzielle Unabhängigkeit zu begründen, hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk deshalb geradezu die Pflicht, sein Profil weiter zu schärfen und sich noch deutlicher von den privaten Anbietern abzuheben.

 

Eroberungen im Bewegtbildmarkt

Selbstkritisch wurde seitens der Anstalten konstatiert, dass gerade in den Bereichen von Information und Unterhaltung der Zuspruch bei den jüngeren Beitragszahlern zurückgeht und so auch die Legitimationsgrundlage der Sender Risse bekommt. Globale Netzangebote wie YouTube oder Netflix sind dabei, auch den deutschen Bewegtbildmarkt zu erobern; die große Mehrheit der unter 20-Jährigen schaut kein lineares Fernsehen mehr, in der Altersgruppe U-35 nutzen bereits mehr das YouTube-Angebot als das klassische Fernsehangebot. Experten sind sich sicher: Die nächste TV-Generation findet im Internet statt. Inzwischen werden Konsequenzen aus dieser Entwicklung gezogen.

So haben die Ministerpräsidenten der Länder auf ihrer jüngsten Konferenz in Brandenburg einstimmig beschlossen, dass der geplante Jugendkanal von ARD und ZDF ausschließlich im Internet stattfinden wird. Dieses neue Angebot soll auf Smartphone, Tablet und PC abrufbar sein.

Das lange Zeit umstrittene Projekt des Jugendkanals darf aber nicht darauf verkürzt werden, wo das Angebot stattfindet. Vor allem kommt es darauf an, Inhalte zu produzieren, die originär auf eine jüngere Zielgruppe zugeschnitten sind. Um das leisten zu können, müssen die Redaktionen entsprechend ausgestattet sein: „Junge Inhalte“ brauchen eine gut funktionierende „junge Struktur“. Das Potenzial junger, multimedial ausgebildeter Nachwuchsjournalisten ist bei den Öffentlich-Rechtlichen vorhanden; es bleibt zu hoffen, dass dies nun bei den Produktionen des Jugendangebots genutzt wird.

 

„Generation Kopf unten“

ARD und ZDF sollten mutig experimentieren dürfen – Beitragsstabilität vorausgesetzt! Schlaue Medienmacher haben erkannt: Interessant ist, was die „Generation Kopf unten“ sieht, wenn diese ihren Blick auf das Smartphone richtet. Sieht sie Facebook, YouTube oder Tagesschau24? Am Ende ist es unerheblich, ob es Fernsehen, Radio oder ein Internetbeitrag ist. Aus Sicht der Öffentlich-Rechtlichen ist es aber wichtig, dass ihre entsprechenden Inhalte auf der Plattform vertreten sind und ein chancengleicher Zugang sowie eine entsprechende Auffindbarkeit gewährleistet sind.

Zu begrüßen ist, dass die Ministerpräsidenten bei ihrem Treffen im Oktober die „Sieben-Tage-Regelung“, die es dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbietet, Sendeinhalte länger als sieben Tage im Internet vorzuhalten, für das Jugendangebot aufgehoben haben. In der Sache war diese Entscheidung längst überfällig. Mit Einführung der Mediatheken hat der Zuschauer die Möglichkeit, sich Sendungen zeitversetzt im Internet anzuschauen. Die „Sieben-Tage-Regelung“ beschränkt diese Möglichkeit unnötig. Gerade aus Sicht der jüngeren Beitragszahler besteht darin eine nicht verständliche Regel, deren Zweck es einst war, die unterschiedlichen Interessen des Printmarktes und der privaten Medienunternehmen zu unterstützen, die aber inzwischen die Dynamik der Digitalisierung ignoriert. Denn die Nutzer wollen jederzeit und auch jenseits der sieben Tage das Programm online abrufen können. Konsequent ist, dass an einer kompletten Aufhebung dieser Regelung für das gesamte Programmangebot gearbeitet wird.

 

„Tatorte“ im Dritten

Unabhängig von politischen Entscheidungen gibt es besonders in den sogenannten dritten Programmen Reformbedarf: Die Tendenz bei den Dritten geht viel zu sehr dahin, dass sie sich gegenseitig wiederholen und eher viele kleine Hauptprogramme darstellen. So vergeht beispielsweise kaum ein Tag, an dem nicht ein „Tatort“ in einem oder mehreren Dritten Programmen läuft. Dabei liegt in der regionalen Verankerung das eigentliche Potenzial – besonders in der digitalen Welt, die überall regionaler, lokaler zu werden versucht und dadurch gezielter die Nutzer erreicht. Was liegt da näher, als in den Dritten Programmen den länderspezifischen Auftrag in den Fokus rücken? Ist nicht die Abbildung der föderalen und regionalen Eigenheiten Deutschlands eine Kernkompetenz und damit ein wichtiger Auftrag der ARD?

Die gründliche Evaluierung des Genre-Mix im Hauptprogramm, wie es bereits jüngst Rundfunk- und Verwaltungsräte angekündigt haben, ist dringend erforderlich. Dabei ist vor Übertreibungen zu warnen. Dem Hype um Verjüngung und Digitalisierung steht die Tatsache gegenüber, dass sich gerade im Nachrichten- und Informationsbereich das Vertrauen in die öffentlich-rechtlichen Angebote auch in der Internetnutzung zeigt. Hier greifen die Nutzer bewusst auf die traditionellen Medienangebote zurück. Im Zeitalter der unüberschaubaren Online-Angebote, deren Informationsinhalte hinsichtlich Herkunft, Authentizität und Professionalität kaum überprüfbar sind, ist es wichtig, Medienangebote zu haben, die vertrauenswürdig sind.

Zu Recht gibt es Zweifel daran, ob die Vervielfachung der Angebote im Netz automatisch die Meinungsvielfalt erhöht. So haben im politischen Informations- und Nachrichtengeschäft – etablierte Verlagshäuser einmal ausgenommen – privatwirtschaftlich finanzierte Medienunternehmen nicht entscheidend zu einem Qualitätsanstieg der Informationsinhalte im Netz beigetragen. Insofern sollten sich die Öffentlich-Rechtlichen ihren gesellschaftspolitischen Mehrwert viel offensiver zunutze machen. Hier gilt es auch, die oft zitierte Sicherung der Meinungsvielfalt durch Regulierung zu erhalten. Diese Möglichkeiten dürfen aber auch nicht unnötig erschwert werden. Gerade im Hinblick auf die Konkurrenz zu global agierenden Konzernen sind einheitliche wettbewerbliche Rahmenbedingungen notwendig.

 

Weniger Werbung

Auch eine moderate Reduktion von Werbung und Sponsoring wäre ein Faktor, der einen Qualitätsanstieg fördern könnte. Bei einer verminderten Werbefinanzierung besteht die Chance, das Programm unabhängig von kommerziellen Interessen und Quotendruck zu entwickeln. So könnte zum Beispiel die oft salopp als „60plus“ bezeichnete Zuschauergruppe ungezwungener berücksichtigt werden. ARD und ZDF sollten diese nicht bei ihrer Programmierung vernachlässigen und monothematisch mit Sportberichterstattung und Volksmusik abspeisen, nur weil sie nicht mehr zu der begehrten Zielgruppe „14–49“ gehört. Auch bei den älteren Rezipienten stehen aktuelle Politiksendungen, Satire und hochwertige TV- und Kinoproduktionen bei der Nachfrage ganz oben.

Die wachsende Bevölkerungsgruppe der geburtenstarken Jahrgänge orientiert sich immer mehr in Richtung der digitalen Möglichkeiten. Die „Best Ager“ wollen ebenso ein gutes Internetangebot von ARD und ZDF, um dort die nachgefragten Sendungen anzusehen, wann und wo sie wollen.

 

Abschied von der Quote

An dieser Stelle sei angedacht: Wie entscheidend ist eigentlich die Quotenmessung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Die Folgeerscheinungen heute sind ein stetiger Wettlauf mit den Privaten, ängstliche Programmierungen hochwertiger Reportagen im Nachtprogramm und Rechtfertigungen, wenn das Programm nicht die entsprechende Zuschauerzahl erbracht hat. Natürlich sollten die Inhalte die Akzeptanz der Beitragszahler haben, darauf ist der öffentliche Rundfunk angewiesen. Aber nicht das Interesse der Sendeanstalten, sondern vielmehr das Interesse der Öffentlichkeit muss im Mittelpunkt stehen. Ebenso sollte gelten, dass ein Rundfunk, der von der Allgemeinheit finanziert wird, nicht nur mit Unabhängigkeit, Vielfalt und Qualität überzeugen, sondern alle Bevölkerungsschichten erreichen muss.

Das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum ZDF-Staatsvertrag hat gezeigt, dass nicht nur in der inhaltlichen Programmgestaltung ein Umdenken erforderlich ist. So wie das Programm vielfältig und staatsfern gestaltet sein muss, müssen auch die Gremien staatsunabhängig und binnenplural sein. Die Regierungschefinnen und -chefs haben beschlossen, dass sowohl der Fernseh- als auch der Verwaltungsrat des ZDF verkleinert werden sollen. Die Länder sind dazu verpflichtet, bis spätestens zum 30. Juni 2015 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen.

Ein Fazit: Letztendlich kommt es auf die Inhalte an, genau genommen auf einen hochwertigen öffentlich-rechtlichen Inhalt. Eine Profilschärfung sowie die Fokussierung auf den Grundversorgungsauftrag und die Kernkompetenzen sind überlebenswichtig für die Zukunftsfähigkeit und Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Das genau muss das Alleinstellungsmerkmal sein, mit dem er sich aus der Vielfalt der Angebote und Anreize in der digitalen Welt hervorheben kann. Nur so rechtfertigt sich die finanzielle Ausstattung, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zur Verfügung steht. Alle Altersgruppen der Beitragszahler sollten etwas von den angebotenen Inhalten haben, unabhängig davon, auf welchem Endgerät, über welche Plattform und zu welcher Zeit die Menschen diese konsumieren. Dann stehen auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Chancen gut, sich zukunftssicher aufzustellen. Dies wird nicht ohne Kritik am öffentlich-rechtlichen System passieren, aber das ist – auch hinsichtlich des Meinungspluralismus, der ja auch von einer demokratischen Gesellschaft gewollt ist – nur konsequent.

 

Daphne Wolter, geboren 1972 in Werneck, Referentin in der Stabsstelle Medienpolitik der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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