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Venezuela und das "Nördliche Dreieck"

Migrationskrisen in Lateinamerika

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Auch in Lateinamerika sind Migrationskrisen zu einem entscheidenden Thema geworden. Von besonderer Bedeutung ist einerseits die Transmigration aus dem sogenannten „Nördlichen Dreieck“ Zentralamerikas durch Mexiko mit dem Ziel USA und andererseits die Flüchtlingsbewegung aus Venezuela.

Während die Migration in die USA bereits seit den 1980er-Jahren stetig wächst und vor allem durch die große öffentliche Wahrnehmung der „Migrantenkarawanen“ sowie den US-amerikanischen Streit über Grenzschutzmaßnahmen der Trump-Administration im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, handelt es sich im Fall Venezuelas um eine vergleichsweise neue und kaum beachtete Krise. Venezuela war traditionell Einwanderungsland; noch 2005 lebten weniger als eine halbe Million Venezolaner im Ausland. Die seit dem Machtwechsel 2013 zunehmend katastrophale Versorgungslage hat rund dreieinhalb Millionen Venezolaner dazu gezwungen, das Land zu verlassen; die meisten von ihnen finden Zuflucht in Kolumbien und Peru.

In den USA stehen Migrationspolitik und Grenzsicherung nicht erst seit dem jüngsten und bisher längsten „Government Shutdown“ vom 22. Dezember 2018 bis 25. Januar 2019 im Zentrum der politischen und öffentlichen Wahrnehmung. Zum „Shutdown“ kam es vor allem aufgrund von Präsident Donald Trumps Forderung nach Bundesmitteln in Höhe von 5,7 Milliarden US-Dollar für den Bau der von ihm propagierten Grenzmauer, der sich die Demokraten und das von ihnen kontrollierte Abgeordnetenhaus vehement widersetzen. In Mexiko hingegen war das Thema viele Jahre lang nur eine Randnotiz; erst die resolute Rhetorik Trumps, beispielsweise bezogen auf die „Migrantenkarawane“ aus Zentralamerika, und seine Verquickung des Themas mit anderen Feldern der bilateralen Beziehungen haben es ganz oben auf die politische Tagesordnung gebracht; auch für den neu gewählten Präsidenten Andrés Manuel López Obrador.

Obwohl Trumps größtes migrationspolitisches Anliegen, der Bau der Grenzmauer, weit von einer Umsetzung entfernt ist, hat seine Administration andere umfassende Änderungen in der Migrationspolitik vorgenommen: Unter anderem wurde der Umfang des humanitären Umsiedlungsprogramms von Flüchtlingen mehr als halbiert, die Ausweisung von illegal in den USA lebenden Migranten im ersten Jahr unter Trump um fast vierzig Prozent erhöht sowie das Prüfungsverfahren für Asylanträge verlangsamt oder erschwert. Auch das DACA-Programm der Obama-Administration (Deferred Action for Childhood Arrivals), das illegale Einwanderer, die bereits als Minderjährige in die USA gekommen sind, temporär vor einer Abschiebung schützt und eine Arbeitserlaubnis ermöglicht, ist ausgesetzt worden. Die Familientrennungen an der Grenze, die auch in den USA für mediale Empörung sorgten, und die „Remain in Mexico“-Richtlinie, nach der Asylsuchende in Mexiko ausharren müssen, während sie auf die Bearbeitung ihrer Anträge in den Staaten warten, sind weitere Schritte. Obwohl viele dieser Maßnahmen durch Gerichtsverfahren, politischen und gesellschaftlichen Widerstand weiterhin verzögert oder verhindert werden, stellen sie dennoch einen Paradigmenwechsel in der amerikanischen Migrationspolitik dar.

Mexiko: Zentralamerikanische (Trans-)Migration

Den Konsequenzen kann sich auch Mexiko nicht entziehen, das zwar traditionell den eigenen Bürgern in den USA immer große Aufmerksamkeit eingeräumt, jedoch das Phänomen der Transmigration von Zentralamerikanern durch Mexiko in die USA bisher nicht als eigenes Problem erachtet hat. Die etwa zwölf Millionen in den USA lebenden Mexikaner spielen für den mexikanischen Staat nicht zuletzt aufgrund der Rücküberweisungen von jährlich mehr als 25 Milliarden US-Dollar eine wichtige Rolle. So unterhält Mexiko fünfzig Konsulate in den USA. Die Einwanderung von Mexikanern ist jedoch in den letzten zehn Jahren stark rückläufig. Seit 2016 kehrten jährlich mehr Mexikaner aus den USA zurück als umgekehrt. Die Migration aus dem „Nördlichen Dreieck“ Zentralamerikas – Guatemala, Honduras und El Salvador – gen Norden steigt dagegen deutlich an. Die ersten „Migrantenkarawanen“ erhielten breite Unterstützung durch die mexikanische Zivilbevölkerung, und der mexikanische Staat vergab 13.000 einjährige humanitäre Visa sowie Arbeitserlaubnisse in den südlichen Bundesstaaten, um den Migrationsdruck an der US-mexikanischen Grenze zu lindern. Dieses Visaprogramm musste jedoch kurzfristig eingestellt werden, da es das mexikanische Migrationssystem lahmzulegen drohte. Außerdem nahm die zivilgesellschaftliche Unterstützung für Migranten stark ab. In den mexikanischen Grenzstädten zu den USA, in denen Tausende zentralamerikanische Migranten gestrandet sind, kommt es bereits zu sozialen Spannungen und Gewalt gegen Migranten.

López Obrador möchte die Migrationskrise durch einen Entwicklungsplan für die südlichen Bundesstaaten Mexikos, zu denen auch sein Heimatstaat Tabasco gehört, und einen „Marshallplan“ mit einem finanziellen Umfang von dreißig Milliarden US-Dollar für die drei Länder des „Nördlichen Dreiecks“ lösen. Die USA sollen sich laut Obrador an beiden Plänen beteiligen. Tatsächlich haben sie bereits 5,8 Milliarden US-Dollar für den „Marshallplan“ zugesichert. Diese mögliche Kooperation der USA und Mexikos in der Migrationspolitik scheint jedoch zum Scheitern verurteilt, da ähnliche durch die USA gesponserte Programme wie die Alliance for Prosperity („Bündnis für Wohlstand“) in der Region keine erkennbaren Verbesserungen bewirkt haben. Zudem werden die entscheidenden Bedingungen für eine langfristig positive wirtschaftliche und sicherheitspolitische Entwicklung im „Nördlichen Dreieck“, nämlich der Aufbau unabhängiger demokratischer und rechtsstaatlicher Institutionen, einerseits kaum von einem Präsident López Obrador, der in Mexiko etwa unabhängigen staatlichen Stellen, die seine Macht einschränken könnten, die Budgets kürzt, und einem Präsident Trump, der Richter aufgrund ihm missfallender Rechtsprechung persönlich angeht, umgesetzt werden. Andererseits stehen López Obrador und Trump die Präsidenten von Guatemala, Honduras und El Salvador gegenüber, denen massive Korruption und umfangreicher Demokratieabbau vorgeworfen werden.

Venezuela: Eskalation einer Krise

Hyperinflation, Stromausfälle, Nahrungsmittelknappheit, fehlende Medikamente, ausufernde Kriminalität und Gewalt – dies sind nur einige Konsequenzen der inzwischen katastrophalen Lage im Land. Die von Nicolás Maduro und durch mafiös durchsetzte staatliche Strukturen zugrunde gerichtete Volkswirtschaft vermag die Venezolaner nicht einmal mehr mit dem Nötigsten zum Leben zu versorgen: Über die Hälfte der Krankenhäuser musste geschlossen werden, es mangelt zu achtzig Prozent an Medikamenten, und allein 2017 verloren über zwei Drittel der Venezolaner durchschnittlich mehr als elf Kilo Körpergewicht durch Mangelernährung. Währenddessen weist Maduro jegliche persönliche und politische Schuld von sich; er begründet die zuletzt wöchentlich vorkommenden Stromausfälle mit vermeintlichen Hacking-Angriffen aus den USA.

Aufgrund dieser eskalierten Versorgungskrise verließen 2018 im Schnitt täglich 5.000 Menschen das Land, über 1.825.000 Menschen im Jahr. Während in der ersten Migrationswelle vor allem die Wohlhabenden das Land mit dem Flugzeug in Richtung USA und Spanien verließen, flüchten jetzt auch die Ärmsten, meist zu Fuß. Kolumbien beherbergt mit über 1,3 Millionen die meisten Venezolaner, doch auch Peru (506.000), Chile (288.000), Ecuador (221.000), Argentinien (130.000) und Brasilien (96.000) tragen eine große Last. Während der Machtkampf zwischen Übergangspräsident Juan Guaidó und De-facto-Präsident Maduro die internationale Aufmerksamkeit auf sich zieht, haben diese Länder fast unbemerkt über zwei Millionen venezolanische Migranten aufgenommen.

Überforderte Nachbarländer

Trotz mehrheitlicher Solidarisierung der lateinamerikanischen Nachbarländer mit den venezolanischen Migranten stellen sie eine große Belastung dar, die auch durch den immensen Einsatz zahlreicher Freiwilliger, kirchlicher und zivilgesellschaftlicher Organisationen und des UN-Flüchtlingshilfswerks nicht aufgefangen werden kann. Der 2018 extrem gestiegene Migrantenstrom hat vor allem strukturschwache Grenzregionen in Brasilien, Peru und Kolumbien getroffen. In Brasiliens nördlichem Bundesstaat Roraima kam es zu Ausschreitungen gegen Migranten, und auch das „Bruderland“ Kolumbien scheint allmählich überfordert zu sein. Das besondere Verhältnis zwischen Kolumbien und Venezuela ist vor allem der Migrationserfahrung von Hunderttausenden Kolumbianern in Venezuela während des fünfzigjährigen bewaffneten Konflikts von 1966 bis 2016 geschuldet. Doch auch hier beginnt die Stimmung zu kippen: In dem noch fragilen Land reichen die Arbeitsplätze für die venezolanischen Migranten ohne negative Konsequenzen für Kolumbianer, vor allem im Niedriglohnsektor, nicht aus.

Während Kolumbiens Präsident, Iván Duque Márquez, die Weltgemeinschaft zu stärkerer Unterstützung der Nachbarstaaten Venezuelas aufruft, kann nur die Ablösung Maduros und der Wiederaufbau der venezolanischen Wirtschaft nach der Abhaltung freier Wahlen zu einer Lösung der Migrationskrise führen. Wie lange sich Maduro an die Macht klammern kann und die venezolanische Bevölkerung leiden muss, ist zu diesem Zeitpunkt nicht abzusehen.

Christian Bilfinger, geboren 1990 in São Paulo (Brasilien), Referent für Flüchtlings- und Migrationspolitik, Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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