Die Gefechtslage vor der anstehenden Reform der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern (vertikal!) und unter den Ländern (horizontal!) ist schnell skizziert: Alle gegen einen! Das ist die Kampflinie zwischen allen Bundesländern und dem Bund. Diese Auseinandersetzung manifestiert sich bereits seit Jahren im Bundesrat, in dem die Länder – durchaus erfolgreich – dem Bund immer höhere Finanzierungslasten aufgebürdet haben. Die Länder nutzen ihre Zustimmungskompetenzen in Vermittlungsverfahren machtpolitisch geschickt und über Parteigrenzen hinweg aus und trotzen dem Bund häufig teure Zugeständnisse ab. Heute steht der Bund strukturell schlechter da als viele Länder, eine Einschätzung, die der breiteren Öffentlichkeit überhaupt nicht bewusst ist. Trotzdem spekulieren die Länder parteiübergreifend auf die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag, die bisher allein dem Bund zustehen.
Ran an den Speck
Der „Soli“, der nach der deutschen Wiedervereinigung als „Ergänzungsabgabe“ zur Finanzierung einigungsbedingter Sonderlasten als Zuschlag auf die Einkommen-, Kapitalertrag- und Körperschaftsteuer eingeführt wurde, brachte dem Bundesfinanzminister im vergangenen Jahr mehr als vierzehn Milliarden Euro. An den Speck, der im Jahr 2019 auf rund achtzehn Milliarden Euro Jahresaufkommen angewachsen sein dürfte, wollen die Länder offenbar heran – entweder, indem sie den Bund dazu bringen, daraus einen Teil ihrer Altschuldenzinsen zu bezahlen. Oder durch die dauerhafte Integration in den Einkommensteuertarif, damit die Länder und ihre Kommunen künftig am Aufkommen des Soli anteilig mit 42,5 respektive fünfzehn Prozent partizipieren. Von einer Abschaffung des „Soli“, die rechtlich mit dem Auslaufen des Solidarpakts II Ende dieses Jahrzehnts geboten und dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung wohl auch überfällig erscheint, redet niemand mehr. Dem „Soli“ als ursprünglich zeitlich befristeter Sondersteuer dürfte ein „Ewigkeitsschicksal“ beschert sein, ähnlich der Sektsteuer, die 1902 zur Finanzierung der kaiserlichen Kriegsmarine eingeführt wurde, aber noch heute jährlich rund eine halbe Milliarde Euro in die Staatskasse lenkt. Auf eine Entlastung durch einen ersatzlosen Wegfall des „Soli“ werden die Steuerzahler wohl vergeblich hoffen.
Diktat der Besitzstandswahrer?
Drei gegen dreizehn! So sieht es beim horizontalen Länderfinanzausgleich aus, der die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgleichen soll und im vergangenen Jahr rund 8,5 Milliarden Euro einbrachte. Allein Baden-Württemberg, Bayern und Hessen bezahlten ein, alle anderen Bundesländer empfingen mehr oder weniger große Summen. Wo die Nehmerseite so eindeutig dominiert, da droht das Diktat der Besitzstandswahrer. Angesichts der Übermacht der dreizehn Nehmerländer sind die drei Geberländer mit ihrer Forderung nach einer grundlegenden Reform des Länderfinanzausgleichs recht kleinlaut geworden.
Durchgreifende Reformschritte lesen sich wie ein Forderungskatalog aus einer anderen Welt: mehr Eigenverantwortung der Länder durch eine Stärkung der Steuerautonomie! Eine Abschaffung des horizontalen Länderfinanzausgleichs, der mit seiner Übernivellierung zur Lähmung eigener Anstrengungen in den Ländern beiträgt – bei Nehmer- wie Geberländern! Grundsätzlich mehr Anreizkompatibilität, wie es im ökonomischen Kauderwelsch formuliert wird! Transparenz durch Abschaffung der Mischfinanzierungen, die politische Verantwortlichkeiten nur verschleiern!
Regiert in Fragen des Finanzföderalismus das „kleine Karo“? Für die politische Debatte um die Grundfragen der innerstaatlichen Organisationsstrukturen wären es schlechte Vorzeichen. Denn gerade kluge Anreizstrukturen in den Finanzbeziehungen zwischen den unterschiedlichen Staatsebenen sind eine unabdingbare Voraussetzung für den sparsamen Umgang mit den knappen öffentlichen Ressourcen. Wie will man dauerhaft ausgeglichene öffentliche Budgets erreichen, wenn Einnahmen- und Ausgabenkompetenz nicht auf der jeweils zuständigen staatlichen Ebene gebündelt sind? Wie sollen strenge Schuldenbremsen funktionieren, wenn Landespolitiker auf einen Bailout durch den Bund spekulieren (die Eurozone als Blaupause?) oder auf die breiten Schultern der reichen Geberländer hoffen, statt sich selbst um die Eindämmung ihrer Ausgaben zu bemühen – etwa im Bereich der Landesbeamten?
Wie steht es mit der Haftung?
Ohne Ordnungsprinzipien funktioniert keine Gesellschaft und keine Volkswirtschaft. Das gilt für den Wertekanon und die darauf fußende Rechtsordnung, auf der unser soziales Zusammenleben beruht. Das gilt aber auch für den Ordnungsrahmen der Sozialen Marktwirtschaft, die auf unternehmerischer Freiheit gründet, einer Freiheit, die sich im ständigen Wettbewerb bewähren muss und Leitplanken wie Verantwortung und Haftung kennt. Obwohl dieses Idealbild häufig genug mit der Wirklichkeit kollidiert, ist doch unstrittig, dass verantwortliches Handeln durch das Haftungsprinzip befördert wird. Wer für die Folgen des eigenen Tuns geradezustehen hat, geht Risiken viel bewusster ein, weil er im Fall des Scheiterns die Lasten nicht auf andere abwälzen kann.
In Deutschland existiert eine institutionelle Großbaustelle, auf der „organisierte Verantwortungslosigkeit“ regiert. Gemeint ist das intransparente institutionelle Beziehungsgeflecht zwischen der bundesstaatlichen Ebene und den Bundesländern mit den ihnen zugeordneten kommunalen Gebietskörperschaften. Ausgerechnet auf dem Gebiet der Finanzbeziehungen spottet die Organisation unseres Staates allen Verantwortungs- und Haftungsprinzipien. Das fördert Ineffizienzen, Mitnahmeeffekte und vor allem eine ständige Ausweitung des staatlichen Leistungskatalogs – ohne Rücksicht auf finanzielle Nachhaltigkeit. Höchst selten muss der Gesetzgeber, der neue Leistungen beschließt, dem Bürger dafür auch sofort die Rechnung präsentieren.
So banal es klingt: Politiker wie Bürger werden nur dann umsichtiger und sparsamer mit den finanziellen Ressourcen des Staates umgehen, wenn ihnen bewusst ist: Wer bestellt, der bezahlt! Die Folgekosten werden nur dann ehrlich ermittelt, wenn die Lasten nicht einfach auf andere staatliche Ebenen, oft genug die
Kommunen, oder die Sozialversicherungen abgewälzt werden. Die Steuerhoheit liegt heute fast ausschließlich beim Bund. Länder und Kommunen partizipieren zwar an den großen Gemeinschaftssteuern, haben aber darauf kein eigenes Steuererhebungsrecht. Und der horizontale Finanzausgleich zwischen den Ländern kann im Ergebnis auf die Formel reduziert werden: Leistung lohnt sich kaum! Denn wenn ein wirtschaftsstarkes Geberland seine Steuerkraft durch investitions- und innovationsstarke Wirtschaftspolitik steigert, dann verbleiben ihm oft nur marginale Anteile des zusätzlichen Steueraufkommens, weil der größere Teil über den Länderfinanzausgleich an die Nehmerländer abzuführen ist. Umgekehrt gilt die Regel auch: Ein wirtschaftsschwaches Land, das durch Investitionen seine Wirtschaftsstruktur verbessert und deshalb seine Finanzkraft stärkt, erhält sofort weniger aus dem Ausgleichstopf. Wer nichts tut, stellt sich kaum schlechter. Wer solche fatalen Fehlanreize setzt, braucht sich über das Ergebnis nicht zu wundern. Deutschland verliert durch diesen systemischen Webfehler im Finanzausgleich Jahr für Jahr Wachstumspotenzial!
Zaghafter Beginn
Noch herrscht Verhaltenheit. Die Klage der Geberländer Bayern und Hessen beim Bundesverfassungsgericht, mit der sie eine Reduzierung ihrer Lasten im Länderfinanzausgleich erreichen wollen, bietet den Vorwand, sich in der Reformdiskussion nicht zu bewegen. Obwohl Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag die Einsetzung einer Reformkommission vereinbart haben, die bis 2016 Vorschläge für eine Föderalismusreform III unterbreiten soll, ist von politischem Elan oder gar Reformeifer wenig zu spüren. Immerhin haben sich die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten Mitte Juni zumindest auf einen Fahrplan bis zum Herbst verständigt. Doch dabei stehen wohl der vertikale Ausgleich des Bundes für die Länder, also mehr Geld für die Bundesländer durch Übernahme bisheriger Landesaufgaben durch den Bund, sowie ein höherer Anteil der Länder am Gemeinschaftssteueraufkommen im Vordergrund. Die Forderungen nach einer Beteiligung der Länder am Aufkommen aus dem Solidaritätszuschlag gehören ebenfalls zu diesem Tableau.
Der Länderfinanzausgleich im engeren Sinne oder gar mehr Steuerautonomie der Bundesländer (auch der Kommunen) stehen scheinbar nicht mehr zur Diskussion. Dabei wäre eine grundlegende Strukturreform im innerstaatlichen Finanzausgleich eine echte Herkulesaufgabe für eine Große Koalition. Und die Medien? Journalisten hassen Themen, deren Komplexität sie überfordert. Deshalb findet dieses Thema öffentlich kaum statt. Dabei wäre es so dringlich, eine Kampagne für diese institutionelle Reformagenda zu machen.
Deutschland braucht eine stärkere Entflechtung der staatlichen Ebenen. Einnahmen- und Ausgabenverantwortung gehören gebündelt. Auch Länder und Gemeinden brauchen eigene Steuererhebungsrechte – und sei es als Zuschlagsteuer auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer. Wenn eine Kommune ihren oder ein Land seinen Bürgern überdurchschnittliche Leistungen anbietet, dann müssen die Landes- und die Kommunalparlamente der eigenen Bevölkerung eben die Rechnung in Gestalt höherer Steuern präsentieren. Das bremst übersteigerte Wohlfahrt nach aller Erfahrung am wirkungsvollsten. Durch Wettbewerb ist unsere Marktwirtschaft stark geworden, warum sollten wir Deutschen die Vorteile eines echten föderalen Wettbewerbssystems scheuen?
Altschuldentilgungsfonds nicht ohne Gegenleistung
Der horizontale Finanzausgleich, der die unterschiedliche Steuerkraft der Bundesländer fast einebnet, gehört abgeschafft. Er sorgt mit seiner Übernivellierung für das Diktat der Mittelmäßigkeit. Für den Ausgleich struktureller Ungleichgewichte der Länder hat der Bund durch direkte Finanzhilfen zu sorgen.
Die gigantischen Altschulden mit ihren hohen Zinsbelastungen für eine Reihe von Nehmerländern stellen ein Riesenproblem dar. Doch ohne die Gegenleistung einer strukturellen Reform dürfen weder der Bund noch die Geberländer vorschnell ihr Plazet zu einem Altschuldentilgungsfonds geben, der sich womöglich aus einer Finanzbeteiligung der Länder am „Soli“ speist. Das sollten die derzeit dreizehn Nehmerländer akzeptieren. Denn auf lange Sicht lebt niemand gut auf Kosten anderer. Welche Risiken und Nebenwirkungen die „Vergemeinschaftung“ von Schulden hat, erleben wir gerade in der Eurozone. Die eigene Anstrengung erlahmt im selben Ausmaß, wie andere die Mithaftung übernehmen. Mit der von anderen geforderten Solidarität wird dann Schindluder getrieben.
Oswald Metzger, geboren 1954 in Grabs (Schweiz), freier Publizist und Politikberater, Geschäftsführender Sekretär des Konvents für Deutschland.