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Zeichen der Zeit 😈 oder frohe Botschafter 😇 ?

Emojis im Drei-Generationen-Gespräch

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„… Was sind eigentlich diese gelben Gesichtlein, die ihr mir immer wieder schickt?“ fragte meine Mutter.
„Emojis natürlich!“ sagte meine Tochter.
„E- was? Noch nie gehört …“

 

Aus dem Japanischen übersetzt, bedeutet das Wort „Emoji“ so viel wie „Bildschriftzeichen“. Die kleinen Gesichter und andere bunte Bildchen sind aus dem digitalen Alltag zwar kaum mehr wegzudenken, die Häufigkeit ihrer Nutzung hängt jedoch auch vom Alter ab: Bei den Umfragen gaben etwa achtzig Prozent der Menschen unter 25 Jahren und lediglich 35 Prozent der über 55-Jährigen an, Emojis (fast) immer beziehungsweise häufig zu verwenden.

 

„Also etwas Neumodisches aus Japan“, resümierte die Mutter.
„Nein, die gab es schon immer!“ lachte ihre Enkelin.

 

Obwohl man bei Emojis unmittelbar an die neuen Kommunikationstechnologien denkt, trifft es tatsächlich zu, dass weder das Wort noch die Idee selbst eine ultramoderne Erfindung sind. In der Edo-Zeit (1603–1868) verbreiteten sich in gelehrten Kreisen Japans unter diesem Namen Bilderrätsel, die auf die bildlichen Ursprünge des traditionellen ideographischen Schriftsystems Kanji („chinesische Zeichen“) anspielten. Auch im Westen kennt man in Bildern chiffrierte Botschaften seit der Antike. Im heutigen Sinne wurden Emojis allerdings erst in den späten 1990er-Jahren für die internetfähigen japanischen Feature Phones entwickelt, um auf deren relativ kleinen Displays einige wiederkehrende Ausdrücke platzsparend darzustellen. Diese „Ur-Emojis“ entstanden auf einem 12 × 12 Pixel großen Raster und waren graphisch noch unterkomplex. Ihr modernes Erscheinungsbild sowie die sonnige Gesichtsfarbe verlieh ihnen erst der Konzern Apple, der 2008 auf seinen in Japan ver- triebenen iPhones eine eigene Emoji-Tastatur einführte. Zwei Jahre später nahm der Unicode – das internationale System digitaler Codierung von Schriftelementen – 722 Emojis in sein Register auf, sodass sie nun auf den meisten Endgeräten verwendet und zwischen verschiedenen Online-Plattformen übertragen werden konnten. Während die Bildzeichen von Apple der kulturspezifischen kawaii-Niedlichkeitsästhetik (kawaii: ursprünglich japanischer Ausdruck für „liebenswert“, „süß“, „niedlich“, „kindlich“ oder „attraktiv“) sowie ihrem primären Ursprungssinn als Kommunikationsmittel eher wenig entsprachen, was zu ihrer allmählichen Popularitätseinbuße in Japan führte, verbreiteten sich Emojis in anderen Teilen der Welt jedoch wie ein Lauffeuer. 2015 kürten Oxford Dictionaries das Emoji mit Lachtränen sogar zum „Wort des Jahres“.

           

„LOL!“ rief meine Tochter aus. „Das wusste ich nicht. Wie cool!“
„Ich finde es bedenklich“, schüttelte ihre Großmutter dagegen den Kopf. „Erst die ganzen englischen Wörter, dann diese komische Jugendsprache – was ist übrigens LOL? – und jetzt auch noch Hieroglyphen statt normale Schrift. Bald befinden wir uns ja wieder im Steinzeitalter!“

 

In der Tat rief jener Beschluss von Oxford Dictionaries sehr unterschiedliche Reaktionen hervor. Die offizielle Würdigung des Laughing Out Loud-Emojis 😂 und damit die Anerkennung von den Bildzeichen als Teil der Schriftsprache schürte bei einigen die Angst vor einem beschleunigten Sprachverfall, der sich unter anderem auf allgemeine kognitive Fähigkeiten negativ auswirken würde und sodann einen zivilisatorischen Rückschritt zur Folge hätte. Andere feierten dagegen das Aufkommen eines neuen Schriftsystems, mit dessen Hilfe man sich grenzüberschreitend verständigen könne. Die meisten Sprachwissenschaftler nehmen in dieser Debatte wiederum eine mittlere Position ein: Emojis seien kein Sprachersatz, sondern bloß eine zeitgemäße Bereicherung schriftlicher Kommunikation, indem sie den sonst wegfallenden Tonfall, Mimik und Gestik auffingen und wiedergäben. Versieht man ein und dieselbe Kurznachricht – beispielsweise „Wir müssen reden!“ – mit 😎, 😥 oder 😡, kommt ihre hintergründige Absicht weitaus unmissverständlicher herüber.

 

„Das kann man doch alles ausschreiben“, meinte meine Mutter. „Wir müssen reden, weil ich etwas Spannendes berichten will oder traurig bin oder es Ärger gibt …“
„Aber es würde ewig dauern!“ entgegnete die Enkelin. „Und so hast auch du es sofort verstanden. Außerdem gibt es immer wieder Dinge, die man nicht direkt benennen mag oder kann …“

 

In Schweden werden zum Beispiel speziell entwickelte „Missbrauch-Emojis“ für die Erleichterung der Kommunikation zwischen Sozialarbeitern und Kindern, die unter häuslicher Gewalt leiden, eingesetzt. Strenggenommen sind es allerdings keine Emojis, sondern sogenannte Sticker. Diese sind im Unicode nicht verzeichnet. Um sie nutzen zu können, muss man die entsprechenden Sets aus dem Netz beziehen.

 

„Na, in diesem Spezialfall sind Emojis kindergerecht – aber sie sonst zu verwenden, ist einfach infantil!“ beharrte meine Mutter.
„Die nutzen sogar Politiker! Ist die finnische Regierung etwa kindisch?!“ konterte meine Tochter hitzig.

 

2018 hat Finnland im Rahmen einer nationalen Markenführung-Kampagne 56 „finnische Emojis“ – wiederum extra entwickelte Sticker – umgesetzt, die ein positives Image des Landes nach innen und außen stärken sollten. Neben einigen berühmten Persönlichkeiten wie den Künstler Tom of Finland feier- ten sie landestypische Phänomene und Erlebnisse wie Aurora Borealis und die weißen Nächte, die Sauna oder auch das Kalsarikännit: ein kulturspezifisches Entspannungsformat, bei dem man sich zu Hause und nur mit Unterwäsche bekleidet gemütlich betrinkt. Auch in anderen Ländern stehen Emojis im Dienst der zeitgemäßen (kultur)politischen Online-Kommunikation: Zum Beispiel postete die deutsche Bundesregierung in Vorbereitung des G20-Gipfels 2017 in Hamburg auf ihrer Facebook-Seite ein Quiz, in dem die vertretenen Länder durch jeweils vier Emojis dargestellt wurden. Selbst einige Parteien zeichnen sich durch Emojis aus. Die britische Labour Party bleibt ihrem roten Rosensymbol 🌹 auch im Emoji-Code treu, die US-amerikanische Green Party tritt auf Twitter mit einer Sonnenblume 🌻 auf, und die Republikaner geben sich weiterhin mit dem auf politische Karikaturen des 19. Jahrhunderts zurückgehenden Elefanten 🐘 zu erkennen. Demokraten mussten dagegen kreativ werden: Da es das Esel-Emoji erst seit 2021 gibt, wurde für ihre Netzauftritte das Pferd 🐎 ins Rennen geschickt.

 

„Aha!“ sagten die Enkelin und die Oma gleichzeitig mit Triumph und sahen sich daraufhin verdutzt an.
Meine Mutter ergriff als Erste das Wort: „Genau mein Punkt: So viele Emojis es geben mag, werden sie immer zu wenige bleiben,
um alles ausdrücken zu können.“

 

Der Unicode verzeichnet inzwischen über 3.500 Emojis, und es werden jährlich viele weitere hinzugefügt – sowohl auf Initiative großer Technologiekonzerne als auch auf Vorschlag von Privatpersonen. Teilweise werden damit alte Lücken im „Emoji-Vokabular“ geschlossen, teilweise werden neue Emojis in Reaktion auf aktuelle gesellschaftliche Diskurse entworfen. Seit 2015 unterstützt der Unicode neben dem sonnengelben auch fünf realitätsnahe Emoji-Hauttöne und führt auch Darstellungen von gleichgeschlechtlichen Paar- und Familienkonstellationen an. 2019 kamen Emoji-Abbildungen von Menschen mit Behinderungen hinzu, 2020 folgten Transgender-Emojis, und das neueste Set 2021 beinhaltet unter anderem das Emoji einer genderneutralen Person sowie eines schwangeren Manns. Trotz des kontinuierlichen Wachstums des Emoji-Repertoires gibt es aber natürlich nicht für jeden Sachverhalt ein eigenes Bildzeichen; an dieser Stelle ist auch die Phantasie der Nutzer stark gefragt. Beispielsweise werden beim sogenannten Sexting – dem Versenden erotischer Nachrichten – einige Obst- und Gemüsesymbole wie der Pfirsich 🍑oder die Aubergine 🍆 entsprechend umgewidmet.

 

Meine Tochter kicherte. Meine Mutter war sichtbar geschockt:
„Nun hoffe ich aber wirklich, dass Ihr mit Emojis vorsichtig seid! Stellt Euch vor, Ihr berichtet von einer Mahlzeit,
und jemand fasst es als Belästigung auf. Das könnte ja sogar rechtliche Konsequenzen haben!“

 

Tatsächlich gibt es inzwischen etliche Gerichtsfälle, bei denen Emojis als Belastungsmaterial dienen. 2015 sorgte die Festnahme des New Yorker Jugendlichen Osiris Aristy weltweit für Schlagzeilen. Drei seiner Facebook-Posts, in denen sich die Zeichen-Kombination  👮🔫                                       mehrmals wiederholte, hatte die Staatsanwaltschaft zunächst als öffentlichen Aufruf zur Waffengewalt gegen die Polizei interpretiert. Die Terrorismus-Anklage gegen Aristy wurde schlussendlich fallen gelassen; in Deutschland wurde ein Mann, der zwei seiner Kollegen auf Facebook als „Das Fette 🐷“ und „der 🐻kopf“ (wo statt eines Affen- irrtümlich ein Bär-Emoji verwendet wurde) bezeichnet hatte, wegen grober Beleidigung dagegen für schuldig erklärt.

 

„Dass Emojis wirklich wie Sprache funktionieren können, hätte ich nicht gedacht, und doch …“, murmelte meine Mutter verwundert.
„Jetzt bin ich mir aber weniger sicher …“, überlegte dagegen ihre Enkelin. „Weil, wenn man den Polizisten im Fall Aristys durch … durch
eine Schnecke ersetzt – 🐌🔫, würde keiner als Erstes an Massaker denken. Das Bild wirkte dann einfach nur lustig: Ein tapferes Weichtier
erkundet eine Gartenparty-Szene oder so. Die normale Sprache funktioniert ja anders …“

 

Ein gewichtiges Argument gegen das Potenzial von Emojis als alternativer Schriftsprache stellt in der Tat die von den meisten Linguistinnen und Linguisten bemängelte Abwesenheit jeglicher grammatischer Strukturen dar. Der „Emoji-Code“ ist spontan entstanden und hat sich überwiegend planlos entwickelt; ihm fehlen auch viele zentrale Wortklassen. Zusammen mit teilweise beträchtlichen Unterschieden zwischen den plattformspezifischen Darstellungsvarianten sowie kulturabhängigen (ferner auch individuellen) Auslegungen einzelner Bildzeichen führt dies dazu, dass man anscheinend keine universell verständlichen und komplexeren Texte mittels Emojis ver- schriftlichen kann. So ist die vom Softwareentwickler Fred Benenson 2009 gewagte Übersetzung von Moby Dick in Emojis an sich ein spektakulärer Flop. Allerdings beruhte sein Versuch – wie viele ähnlich gelagerte Experimente – auf dem westlich geprägten Verständnis von Schriftsprache, während Bilder Sinn anders als Worte generieren. Statt abstrakten externen Regeln zu folgen, geben sie vielmehr einer unmittelbaren, subjektiven und emotiv-leiblichen Wahrnehmung Raum. Dies ist möglicherweise auch einer der Gründe für die Emojis oftmals entgegengebrachte Skepsis, denn in der westlichen Zivilisa- tionsgeschichte werden Körper und Geist, Gefühl und Verstand, Bild und Schrift traditionell voneinander getrennt, wobei der Logos – das vernunft- basierte geschriebene Wort – als primäres Erkenntnisinstrument gilt. Mit der Verbreitung neuer Medien wird unsere Alltagskommunikation jedoch stets visueller, emotionaler und unmittelbarer, was wiederum neue Ausdrucks- möglichkeiten erfordert. Selbst wenn Emojis aktuell noch kein reifes eigenständiges Kommunikationsmittel sind, werden sie eines Tages vielleicht doch dem Traum einer universellen Schriftsprache gerecht – und dabei wird sich auch unser herkömmlicher Welt- und Selbstzugriff verändern.

 

„Wäre es gut oder schlecht? …“
„Es wäre … einfach anders.“

 

​​​​​​​Gala Rebane, Kulturwissenschaftlerin und Philologin. 2021 erschien beim Verlag Klaus Wagenbach in der Reihe „Digitale Bildkulturen“ ihr Buch über Emojis.

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