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Günter Hentschel

Was kann Deutschland heute daraus lernen?

1948 wurde die D-Mark eingeführt. Die Amerikaner legten die Grundzüge fest, Ludwig Erhard führte parallel dazu entscheidende wirtschaftliche Reformen durch, gegen enorme Widerstände. Doch das erwies sich als richtig. Um ein Land nach vorne zu bringen, braucht es in Krisenzeiten umfassende und mutige Entscheidungen, und es braucht Männer und Frauen, die nicht auf der Welle des Zeitgeistes reiten, sondern einen klaren Kompass haben und gewillt sind, das durchzusetzen. Das galt damals, und es gilt heute.

Sie fuhren Karussell. Nicht ein Mal. Nicht zwei Mal. 25 Mal zahlten drei Mädchen in Frankfurt für die Fahrt – bis ihnen schlecht wurde und sie in ärztliche Behandlung mussten. Doch ihr Ziel hatten sie erreicht: Ihr altes Geld war aufgebraucht.

So wie sie versuchten am Samstag, dem 19. Juni 1948, Millionen Deutsche in den westlichen Besatzungszonen ihre Mark für irgendetwas mehr oder weniger Sinnvolles auszugeben. Das war schwierig, denn das Warenangebot war bescheiden, manche Geschäfte hatten sogar geschlossen, angeblich wegen Inventur. Und selbst auf dem Schwarzmarkt nahmen die Händler das Geld nur noch widerwillig.

Am Abend zuvor hatten die westlichen Alliierten das neue Währungsgesetz verkündet. Darin hieß es im ersten Absatz: „Mit Wirkung vom 21. Juni gilt die Deutsche-Mark-Währung.“ Die Währungsreform, die in den Monaten zuvor in Grundzügen von den Amerikanern geplant und im Detail von einer Gruppe deutscher Geldexperten ausgearbeitet worden war, sollte nun Wirklichkeit werden. Lange war sie erwartet worden, herbeigesehnt. Doch nun erfasste viele auch Angst. Denn was würde übrig bleiben von den Ersparnissen?

Am Sonntag, dem 20. Juni, durfte jeder 40 Reichsmark eins zu eins in die neue D-Mark tauschen, vier Wochen später weitere 20 Mark. Alle restlichen Guthaben mussten auf Bankkonten eingezahlt werden, für die der Umtauschkurs später bekanntgegeben werden sollte. Das geschah schließlich im September, und von 100 alten Reichsmark blieben am Ende nur 6,50 D-Mark übrig. Für viele war das ein Schock.

Dennoch ging die Einführung der D-Mark vor 75 Jahren als großer Erfolg in die Geschichte ein. Jeder kennt die Bilder von Geschäften, die über Nacht plötzlich wieder gefüllt waren, mit Waren, die wie aus dem Nichts wieder auftauchten, und von Menschen, die sie begierig kauften.

Dieser Erfolg wäre nicht möglich gewesen ohne eine wagemutige Reform, die parallel zur Einführung der D-Mark stattfand, und maßgeblich von einem Politiker betrieben wurde: Ludwig Erhard. Er war damals Wirtschaftsminister der Bi-Zone, den vereinigten britischen und amerikanischen Besatzungszonen. Die politische Macht hatten hier zwar die alliierten Behörden, doch sie hatten in Frankfurt einen Wirtschaftsrat installiert, der mit Vertretern der Bundesländer besetzt war und in gewissem Umfang eigene Gesetze verabschieden konnte.

Am 18. Juni, parallel zur Verkündung der Währungsreform, hatte der Rat einen folgenschweren Beschluss gefasst, mit 52 Stimmen von CDU, CSU und FDP und gegen 37 Nein-Stimmen von SPD und KPD: Das „Gesetz über Leitsätze für die Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Geldreform.“ Gleich im ersten Satz hieß es darin „Der Freigabe aus der Bewirtschaftung ist vor ihrer Beibehaltung der Vorzug zu geben.“

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte in den westlichen Besatzungszonen das Wirtschaftssystem der Kriegszeit fortbestanden: Bauern mussten ihre Erzeugnisse bei den Ernährungsämtern abgeben, diese gaben Lebensmittelkarten an die Bevölkerung aus und verteilten die Erzeugnisse. Ähnliches galt für fast alle anderen Produkte, und auch die Unternehmen unterstanden einer zentralen Planbehörde, die Rohstoffe und Vorprodukte zuteilte.

Da diese Kommandowirtschaft mehr schlecht als recht funktionierte, blühte überall der Schwarzmarkt, nicht nur unter Privatpersonen, sondern auch unter Unternehmen. Er war jedoch illegal, immer wieder kam es zu Razzien. So konnte kein Aufschwung der Wirtschaft gelingen, konnte es keine Investitionen und Produktionsausweitungen geben. Die Kommandowirtschaft erstickte jede Initiative.

Erhard wollte die Wirtschaft befreien und die Preiskontrollen aufheben. Der Preis sollte wieder als Lenkungsinstrument der Wirtschaft wirken, die Marktkräfte sollten walten. Schon früh hatte er sich dafür ausgesprochen, etwa in seinen Aufsätzen, die er von September 1946 bis März 1948 in der „Neuen Zeitung“ veröffentlichte.

Damals war er noch ein einsamer Rufer. Denn der Zeitgeist setzte in den ersten Nachkriegsjahren ganz klar auf staatliche Lenkung der Wirtschaft, nicht nur in der sowjetischen Einflusszone, auch im Westen. Selbst die CDU hielt noch in ihrem Ahlener Programm vom Februar 1947 fest, das kapitalistische Wirtschaftssystem sei „den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden“ und es brauche daher „eine gemeinwirtschaftliche Ordnung.“

Doch Erhard kämpfte unermüdlich für seine Überzeugungen, und es gelang ihm nach und nach sein Umfeld für seine Ideen zu gewinnen, zunächst die Mitglieder der „Sonderstelle Geld und Kredit“, einer Fachgruppe des Wirtschaftsrats der Bizone. Schließlich konnte er auch eine Mehrheit im Wirtschaftsrat selbst von seinem Plan der Preisfreigaben überzeugen. Das Gesetz wurde von ihm beschlossen.

Noch nicht überzeugt hatte er allerdings die Alliierten, mehr noch, er hatte sie schlicht überrumpelt. Sie meinten, die Preisfestsetzung falle in ihren Machtbereich, und das Gesetz bedürfte daher ihrer Zustimmung. Doch die wartete Erhard nicht ab. Vielmehr ließ er seinen Pressesprecher Kuno Ockhardt noch am Tag des Geldumtauschs, dem 20. Juni 1948, verkünden, die Preiskontrolle sei weitgehend aufgehoben und würde nur für die wichtigsten Lebensmittel und Rohstoffe beibehalten.

Die Menschen hörten das – und handelten entsprechend. Die Händler stellten am Montag wieder ihre Waren in die Geschäfte, die Produzenten lieferten aus, und die Menschen kauften. Das war der entscheidende Coup, der den Erfolg der Währungsreform besiegelte. Und mit diesem Erfolg vor Augen, konnten die Alliierten nun kein Veto mehr gegen die Preisfreigabe einlegen.

Doch war es überhaupt ein Erfolg? Die erste Freude wandelte sich bei vielen Deutschen sehr schnell in Enttäuschung um. Denn die Preise waren nun nicht nur frei, sie stiegen auch rasant. Schon in den ersten drei Wochen verteuerten sich Schuhe um 50 bis 120 Prozent, Gemüse ebenfalls um 120, Obst um 200 und Eier sogar um 200 bis 500 Prozent. Gleichzeitig durften die Gehälter nicht erhöht werden – der von den Nazis verordnete Gehaltsstopp galt weiter.

Die Stimmung kippte schnell. Im Herbst gab es überall Protestaktionen, die sich immer weiter hochschaukelten, bis die Gewerkschaften für den 12. November 1948 schließlich zu einem Generalstreik aufriefen – dem ersten und einzigen in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Rund 80 Prozent der Arbeitnehmer beteiligten sich nach Angaben der Gewerkschaften daran, und ihre Forderungen fassten sie ihn zehn Punkten zusammen. So sollten die Preise wieder staatlich fixiert und durch Preisbeauftragte kontrolliert werden, der gewerblich-industrielle Sektor sollte wieder gelenkt, Grundstoffindustrien und Banken verstaatlicht werden. Kurz: Das Rad sollte zurückgedreht werden.

Erhard stand in jenen Tagen mit dem Rücken zur Wand. Selbst der CDU-Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, Karl Arnold, forderte vor dem Länderrat der Bizone die Schaffung eines Preis- und Lohnamtes. Der fasste daraufhin einen Beschluss, in dem Erhards Politik als „mehr oder weniger gescheitert“ bezeichnet wurde, mit Zustimmung der CDU.

Doch Erhard ließ sich nicht beirren. Er wiederholte unablässig, die Preissteigerungen seien vorübergehend, erst müsse der Wettbewerb wieder in Gang kommen. Und dann würden die Preise auch wieder sinken. Und tatsächlich: Wenige Wochen nach dem Generalstreik drehte der Trend. Die Phase der rasanten Preissteigerungen endete, viele Preise gingen sogar wieder zurück. Inzwischen hatte Erhard auch den Lohnstopp aufgehoben. Die Gewerkschaften konnten mit den Arbeitgebern über höhere Löhne verhandeln und taten dies erfolgreich. Die Wirtschaftsleistung wuchs rasant, eine lange Zeit des Aufschwungs, das Wirtschaftswunder, begann.

Erhard war als Sieger aus der Auseinandersetzung hervorgegangen. Es hatte sich gezeigt, dass sein Rezept das richtige war, um in Westdeutschland den Wirtschaftsmotor wieder in Gang zu bringen. Nach der Gründung der Bundesrepublik am 23. Mai 1949 zog die CDU mit dem Slogan „Marktwirtschaft statt Planwirtschaft“ in den Wahlkampf – und gewann.

Die Ereignisse rund um die Währungsreform sind nicht nur ein eindrucksvolles Kapitel der Nachkriegsgeschichte. Sie beinhalten auch Lehren, die bis in die Gegenwart wirken.

Erstens machen sie die Überlegenheit des Konzepts der Marktwirtschaft gegenüber planwirtschaftlichen Modellen überdeutlich. Seit Mitte 1945 stagnierte die westdeutsche Wirtschaftsleistung auf einem Niveau von etwa 50 Prozent des Standes von 1936. Schon im vierten Quartal 1948 kletterte sie auf 75 Prozent, Ende 1949 überstieg sie diese Marke.

Zweitens wird durch die Entwicklung der folgenden Jahre auch klar, dass die Marktwirtschaft nur in Verbindung mit einer umfassenden Sozialpolitik nachhaltige Unterstützung breiter Bevölkerungsschichten finden kann – erst der Lastenausgleich und viele weitere Sozialgesetze versöhnten in den kommenden Jahren die Gewerkschaften mit Erhards Reformen und führten schließlich rund zehn Jahre später im Godesberger Programm zum Bekenntnis der SPD zur Marktwirtschaft.

Drittens aber, und das ist vielleicht die wichtigste Lehre für die Gegenwart, zeigt die Währungsreform, dass nur mutige und große Reformen ein Land entscheidend voranbringen. Eine Nation, die große Herausforderungen meistern und aktiv gestalten will, braucht Männer und Frauen die eine Idee davon haben, wie das gelingen kann und die diese auch aktiv und unbeirrbar verfechten.

Ludwig Erhard tat genau dies. Er richtete seine Haltung nicht an der Windrichtung der öffentlichen Meinung aus, sondern folgte einer tiefen Überzeugung. Er kämpfte für sie, auch gegen harten Widerstand und knickte nicht ein, selbst als sein engeres Umfeld zu zweifeln begann. Die Währungsreform von 1948 zeigt: Langfristig erfolgreiche Politik basiert auf festen Überzeugungen und Standhaftigkeit. Das galt 1948. Und das gilt heute.anj

privat

Frank Stocker ist Wirtschaftsexperte und Historiker. Er hat Politik und Geschichte in Freiburg und Heidelberg studiert und arbeitet seit 20 Jahren als Wirtschafts- und Finanzredakteur bei »WELT« und »WELT AM SONNTAG«. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet, u. a. 2012 mit dem Deutschen Journalistenpreis. Im August 2022 erschien sein Buch "Die Inflation von 1923 - Wie es zur größten deutschen Geldkatastrophe kam". Mit "Die Deutsche Mark - Wie aus einer Währung ein Mythos wurde. Zum 75. Geburtstag der D-Mark" ist nun sein zweites Buch im FinanzBuch Verlag.

FBV

Die Deutsche Mark
Wie aus einer Währung ein Mythos wurde. Zum 75. Geburtstag der D-Mark
Frank Stocker
FinanzBuch Verlag
ET 25.4.23
ISBN: 978-3-95972-617-7
Preis: 27,00 Euro (D), 27,80 Euro (AT)

www.m-vg.de/finanzbuchverlag/shop/article/24235-die-deutsche-mark/

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