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Amerikas „geteilte Regierung“

Die US-Kongresswahlen und ihre Auswirkungen auf Deutschland und Europa

Der USA-Experte und Geo-Ökonomie-Fachmann Josef Braml analysiert die Ergebnisse der US-Zwischenwahlen.

Wer die Ergebnisse der US-Zwischenwahlen mit Erleichterung begrüßt, verkennt die Logik des amerikanischen Regierungssystems und übersieht tieferliegende gesellschaftliche Veränderungen in den USA, die auch Deutschland und Europa betreffen werden.

Bei den US-Zwischenwahlen am 8. November 2022 haben zwar „moral issues“ – wie die nach einem Urteil des Obersten Gerichts heftig umstrittenen Schwangerschaftsabbrüche – eine „rote Welle“ gebremst, doch am Ende waren die Themen Wirtschaft und Inflation für eine republikanische Mehrheit im Abgeordnetenhaus ausschlaggebend – und beinahe auch im Senat.

 

„Geteilte Regierung“

 

Die Mehrheitsverhältnisse im Senat indes sind von untergeordneter Bedeutung. Mit angezogener Handbremse braucht es keine Fußbremse: In einer sogenannten „geteilten Regierung“ kann die legislative Agenda des demokratischen Präsidenten Biden allein von einer der beiden Kongresskammern blockiert werden. Eine republikanische Blockade würde Präsident Biden zwingen, mittels exekutiver Anordnungen in Form von Dekreten – also ohne die längerfristige Verbindlichkeit der Gesetzgebung – zu regieren. Solcherart Vorhaben könnten auch vor Bundesgerichten angefochten werden. Wirtschaftliche Entscheidungsträger schätzen jedoch keine Unwägbarkeiten, sie bevorzugen Berechenbarkeit.

Gut aus Sicht vieler Unternehmer, aber schlecht für die Umweltschützer ist, dass ihre Abgeordnetenhausmehrheit den Republikanern künftig ermöglicht, Regulierungen, etwa im Bereich fossiler Brennstoffe und Umweltvorschriften, sowie eine Erhöhung der Körperschaftssteuer zu verhindern.

Und nicht zuletzt: Die Republikaner können die Anfang kommenden Jahres bevorstehende Abstimmung über die Schuldenobergrenze blockieren, um – mit Verweis auf die durch Bidens Ausgabenpolitik verstärkte Inflation – Ausgabenkürzungen durchzusetzen. Einmal mehr stünden die – auch international – hoch verschuldeten USA im Falle eines sehr wahrscheinlichen Showdowns vor einem „fiskalischen Abgrund“: Es drohen verunsicherte Finanzmärkte und ein Stillstand der US-Regierung.

 

Inflationstreibender Protektionismus

 

Die inflationstreibenden protektionistischen Elemente des von der Biden-Regierung verabschiedeten Inflation Reduction Act (IRA) werden wohl beibehalten, kommen sie doch der Wählerschaft beider Seiten zugute. Auch wenn es um den Schutz amerikanischer Arbeitsplätze und der Industrie geht, sind sich die nach wie vor von Donald Trump dominierten Republikaner und die progressiven Demokraten einig: Beide Seiten lasten die Arbeitsplatz- und Produktionsverluste bisherigen Handelsliberalisierungen an. Trumps „America First“-Politik und Bidens „Handelspolitik für die Mittelschicht“ bedienen sich gleichermaßen industriepolitischer Anreize: So versucht man, mit Rückverlagerung (Reshoring) von Produktionsstätten aus dem Ausland in die USA, Rivalen wie China und Europa auszustechen.

Die Hoffnungen europäischer und asiatischer Partner auf Handelsliberalisierungen – ein erneutes Bemühen um die Transpazifische Partnerschaft (TPP) oder das Transatlantisches Freihandelsabkommen (TTIP) – sind unrealistisch. Amerikanische Angebote in der Handelspolitik gleichen einer „Einladung zum Mittagessen während des Ramadan“ – wie ein ehemaliger US-Handelsbeauftragter jüngst in einer Expertenrunde ironisch einräumte. Mit anderen Worten: Handelsinitiativen der US-Regierung schließen Marktzugangsverhandlungen aus, da sie der wenig aussichtsreichen Zustimmung des Kongresses bedürfen. Man setzt stattdessen auf Maßnahmen zur Angleichung von Regulierungen und der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, etwa im Rahmen des US-EU Trade and Technology Council sowie des Indo-Pacific Economic Framework for Prosperity (IPEF).

 

Sino-amerikanische Rivalität

 

Für die Biden-Regierung hat der Wirtschaftsraum Asien-Pazifik höchste Priorität. Auch um Trumps Fehler zu korrigieren, der sich aus der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) zurückgezogen und so – strategisch kurzsichtig – die wirtschaftliche Zukunftsregion dem Systemrivalen China überlassen hatte.

Angetrieben von einer gemeinsamen Opposition gegen China werden Demokraten und Republikaner auch künftig „Buy American“-Bestimmungen in die laufende Gesetzgebung aufnehmen und nötigenfalls umfassendere Lieferkettenmaßnahmen vereinbaren. Im sich verschärfenden geo-ökonomischen Wettstreit zwischen den Großmächten ist Freihandel nicht mehr das Ziel, sondern Wirtschaft ist das Mittel zum – geostrategischen – Zweck. Wirtschaft wird als Waffe eingesetzt, um Weltmarkt- und Weltmachtdominanz zu erlangen.

 

Wirtschaft als Waffe

 

Es ist derzeit schon absehbar, dass die USA nach den jüngsten Exportbeschränkungen für Halbleiter noch vor Jahresende weitere Maßnahmen auf den Weg bringen: etwa neue Einschränkungen für Produkte im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz und Quantencomputern sowie Vorschriften für amerikanische Auslandsinvestitionen in kritische Technologien. Sehr wahrscheinlich sind auch weitere Exportkontrollen und eine regulatorische Aufsicht über Exportlizenzen und Lieferketten bei Elektrofahrzeugen, Batterien, Wind- und Solartechnologien, Weltraum- und satellitenbezogenen Technologien sowie Cybersicherheitstechnologien.

 

Europa im Hintertreffen

 

Aufgrund der sino-amerikanischen Rivalität und der von Washington behaupteten Führungsrolle im Indopazifik wird Europa noch mehr ins Hintertreffen geraten. Neben dem bereits erwähnten IPEF wird die Biden-Regierung die schon unter Präsident Barack Obama eingeläutete „Hinwendung nach Asien“ forcieren – etwa über den Quadrilateralen Sicherheitsdialog (QUAD) mit den indopazifischen Verbündeten (Australien, Indien und Japan), die AUKUS-Zusammenarbeit mit Australien und Großbritannien und als Gastgeber des Gipfels der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) im kommenden Jahr (2023).

Die Verbündeten in Asien – aber auch in Europa – wird man künftig noch mehr in die Pflicht nehmen, Amerika in seinen Bemühungen zu unterstützen, China wirtschaftlich und militärisch auszubremsen. Gleichwohl sind sich die Alliierten der innenpolitischen Volatilität der US-Regierung bewusst. Die nach den Zwischenwahlergebnissen nicht wirklich gebannte Aussicht, dass Donald Trump und seine Gefolgsleute nach den Wahlen 2024 ins Weiße Haus zurückkehren, unterminiert US-Präsident Bidens Bemühungen um die wirtschaftliche Entkopplung westlicher Staaten in der Systemkonfrontation mit Peking.

 

Dr. Josef Braml ist USA-Experte und Generalsekretär der Deutschen Gruppe der Denkfabrik Trilaterale Kommission. Sein neues Buch „Die transatlantische Illusion. Die neue Weltordnung und wie wir uns darin behaupten können“ ist beim Verlag C.H.Beck erschienen.

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