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Die AfD im Blick des Verfassungsschutzes

Berichterstattung über die mögliche Einschätzung des Verfassungsschutzes als "gesichert rechtsextremistisch"

Der Verfassungsschutz steht kurz davor, die AfD bundesweit als "gesichert extremistisch" einzustufen, verlautet es aus der Presse. Wie kommt eine solche Einstufung zustande, und was folgt daraus?

Die Debatte um rechte Tendenzen und Strömungen innerhalb der Alternative für Deutschland (AfD) begleitet die Partei inzwischen wie ein Grundrauschen. Stand ab Juli 2015 lange die Metadiskussion um die Verschiebung der Grenzen des Sagbaren im Mittelpunkt des Interesses, geht es 2024 sehr viel handfester zur Sache. Gleich drei AfD-Landesverbände, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, wurden durch Berichte der untergeordneten Landesbehörden des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft.[1] Gleiches gilt bundesweit auch für den Jugendverband der AfD, die Junge Alternative (JA).[2] Die Bundespartei wird seit dem Februar 2021 als Verdachtsfall geführt.[3]

 

1. Was bedeutet „gesichert rechtsextremistisch“?

​​​​Als "extremistische Bestrebung" definiert das BfV auf Grundlage des Verfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) „Aktivitäten mit der Zielrichtung, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen“.[4] Unterschieden wird zwischen Bestrebungen gegen Bestand und/oder Sicherheit des Bundes oder eines Landes sowie gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.[5] Im Arbeitsalltag befasst sich das BfV vornehmlich mit linkem, rechtem und islamistischem Extremismus.[6]

Das BfV unterteilt die oben genannten Bestrebungen in drei Kategorien: Zunächst liegt ein sogenannter Prüffall vor, führt eine solche Prüfung zu verfassungsfeindlichen Erkenntnissen, wird daraus ein Verdachtsfall, der in die Feststellung einer gesichert extremistischen Bestrebung münden kann. In hinreichend konkreten Verdachtsfällen oder einer Einstufung als „gesichert extremistisch“ ist das BfV verpflichtet, die Öffentlichkeit zu informieren.[7] Zugleich erhält das BfV die Befugnis, nachrichtendienstliche Mittel einzusetzen und personenbezogene Daten zeitlich unbegrenzt zu speichern.

Screenshot aus Verfassungsschutzbericht 2022

Neben einer Reihe anderer Einordnungskriterien definiert man Rechtsextremisten als Personen, die „unterstellen, dass die Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder Nation über den tatsächlichen Wert eines Menschen entscheide“. Ihre gesellschaftliche Agitation sei durch „Nationalismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wie Rassismus und Antisemitismus“ geprägt.[8]
 

2. Was muss beachtet werden?

Die Einschätzung "gesichert extremistisch" kann das BfV also nicht ohne weiteres treffen. Sie ist – auch wegen der Veröffentlichungspflicht im Verfassungsschutzbericht –,die schärfste verfügbare Beobachtungsstufe. Die Behörde muss die Höherstufung vom Verdachtsfall zu „gesichert extremistisch“ mit einer Verdichtung der festgestellten Verdachtsmomente nachweisen. Das Überspringen der mittleren Einordnungsstufe Verdachtsfall ist nicht vorgesehen, durch das Gesetz jedoch wiederum auch nicht explizit ausgeschlossen.

Auf die Teilnahme an Wahlen auf Bundes-, Landes- oder Kommunalwahlen wirkt sich die Einstufung „gesichert extremistisch“ nicht aus. Zudem werden Beobachtungsfälle im Rahmen der Parteienfinanzierung nicht finanziell sanktioniert. Neben größerer öffentlicher Aufmerksamkeit bewirkt eine höhere Einstufung vor allem eine Ausweitung der Befugnisse des BfV (bspw. Anwerbung von Informanten, Überwachung der Kommunikation und Finanzen, Personenobservation). Für die Beobachtung von gewählten Mandatsträgern gelten gesonderte – schärfere – Bedingungen.
Die Einschätzungen des Verfassungsschutzes sind kein juristisch bindendes Urteil, können Gerichten allerdings als Informationsbasis dienen.

 

3. Wer sagt was?

Anfang des Jahres nahm die Debatte um ein Parteiverbotsverfahren der AfD erneut Fahrt auf. Politiker wie der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) oder die SPD-Co-Bundesvorsitzende Saskia Essen sprachen sich für eine Prüfung aus. Zuvor war die Teilnahme von AfD-Politikern am berühmt-berüchtigten Treffen im Potsdamer Landhaus Adlon bekannt geworden.[9] Ein Parteienverbot wird vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ausgesprochen.[10] Voraussetzung für das Verfahren ist eine Einstufung als "gesichert extremistisch". Aufgrund der Konstitution der JA als Verein wäre ein gesondertes, wiederum im Innenministerium angesiedeltes Vereinsverbotsverfahren nötig.[11] Ein FAZ-Kommentar plädierte nach dem verlorenen Eilverfahren (Berufung gegen die BfV-Einschätzung als Verdachtsfall) von AfD und JA vor dem Verwaltungsgericht (VG) Köln, die Union (und Teile der FDP) solle sich aus dem Grundgesetz ergebende Positionen („Schutz von Ehe und Familie, der Freiheit und des eigenen Landes“) nicht im vorauseilenden Gehorsam im Kampf gegen rechts räumen: „Das nationale Dasein und Handeln einer vielfältigen Demokratie sollte man sich weder von Rassisten kaputtmachen lassen noch von denen, die alles Konservative für extremistisch halten.“ Die Richter des VG hatten geurteilt, die AfD habe kein Interesse, ihrem Ruf als u.a. völkisch korrigierend entgegenzutreten. [12]

Eine Partei wurde in Deutschland bislang erst einmal verboten – die KPD, im Jahr 1956. Das 2017 gescheiterte Verbotsverfahren gegen die NPD mahnt zur Vorsicht, wenngleich die damalige Ablehnung durch das BVG mit einer mangelnden Durchsetzung der verfassungsfeindlichen Ziele der NPD begründet wurde.[13] Dies könnte sich in einem hypothetischen AfD-Verfahren angesichts der flächendeckenden Vertretung der Partei in Bundes-, Landes- und Kommunalparlamenten anders darstellen.

AFD-Vertreter halten naturgemäß wenig von einem solchen Vorhaben. Die Süddeutsche Zeitung zitiert die Parteivorsitzende Alice Weidel mit der Aussage, ein Verbotsverfahren sei "völlig abwegig und Ausdruck einer antidemokratischen Haltung". Das Verfahren sei eine angenehme Methode, sich der inhaltlichen Auseinandersetzung mit ihrer Partei zu verweigern.[14]

Justizminister Marco Buschmann (FDP) rief dazu auf, die notwendigen Schritte sorgsam abzuwägen, die zuständigen Stellen müssten sich zweifelsfrei sicher sein, bevor sie ein Verbotsverfahren anstrengten. Ein Scheitern des Verfahrens wäre für die AFD ein großer öffentlichkeitswirksamer Sieg.[15] CDU-Parteichef Friedrich Merz sprach sich dafür aus, sich mit der AfD politisch inhaltlich auseinanderzusetzen statt mit juristischen Mitteln. Ein Verbotsverfahren ermögliche der Partei, sich wieder einmal als Opfer zu gerieren, und es sei zu befürchten, dass sie daraus gestärkt hervorginge.[16]

ARD-DeutschlandTREND Februar 2024

Im ARD-DeutschlandTREND für den Monat Februar haben sich 37 Prozent der Befragten für ein Verbotsverfahren gegen die AfD ausgesprochen, 51 Prozent hielten es hingegen für nicht angemessen. Die Streichung der staatlichen Parteienfinanzierung würden 48 Prozent befürworten und 41 Prozent ablehnen.[17]

Ende Februar berichtete die Süddeutsche Zeitung, dass das BfV eine neue Einstufung der AfD vorbereite.[18] Die Bewertung der Bundespartei als "gesichert rechtsextremistisch" stünde bevor – die vor dem Oberverwaltungsgericht Münster anhängige Berufung der Partei gegen die Entscheidung des VG Köln verzögere die Veröffentlichung allerdings noch. Das wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem etwaigen Verbotsverfahren. Doch bis es so weit ist, sollte es je dazu kommen, geht sicher noch einige Zeit ins Land.​​​​

 

Stefan Gronimus, geboren 1993 in Bonn, ist studierter Historiker. Er arbeitet als Referent Medienanalyse und -archiv bei der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 

[1] Vgl. Nachfrage des MDR beim Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt vom 07.12.2023, Pressemitteilung des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen vom 08.12.2023 sowie Verfassungsschutzbericht 2022 Freistaat Thüringen, S. 16ff.
[2] Vgl. Verfassungsschutzbericht 2022, S. 91ff.
[3] Vgl. Verfassungsschutzbericht 2021, S. 89. Zuvor war die Partei 2019 erstmals als ‚Prüffall‘ eingeordnet worden.
[4] URL: https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/glosaareintraege/DE/B/bestrebungen-extremistische.html, letzter Abruf: 27.02.2024.
[5] Vgl. BVerfSchG § 4 Art. 1.
[6] Die Behörde ist in diesem Sinne für die Informationssammlung über in Frage kommende Personen wie Organisationen sowie die Koordinierung der ihr unterstellten Landesverfassungsschutzbehörden zuständig (vgl. BVerfSchG § 5).
[7] Vgl. BVerfSchG § 16.
[8] URL: https://www.verfassungsschutz.de/DE/themen/rechtsextremismus/begriff-und-erscheinungsformen/begriff-und-erscheinungsformen_node.html, letzter Abruf: 27.02.2024.
[9] Geheimplan gegen Deutschland, correctiv, URL: https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen/, letzter Abruf: 29.02.2024.
[10] Das BVerfG wird dabei auf Antrag von Bundestag, Bundesregierung oder Bundesrat tätig. Für ein Verbot muss ein aktiver Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung nachgewiesen werden.
[11] Besagtes Verfahren würde nach Grundgesetz (GG) Art. 9 Abs. 2 vollzogen, welches „Vereinigungen, […] die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten“ sanktioniert.
[12] Reinhard Müller: Konservativ ist nicht extremistisch, FAZ, 07.02.2024.
[13] BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13 -, Rn. 1-1010, URL: https://www.bverfg.de/e/bs20170117_2bvb000113.html, letzter Abruf: 29.02.2024.
[14] Markus Balser et al.: Die große Koalition der Zweifler, Süddeutsche Zeitung, 18.01.2024.
[15] Dietmar Neuerer, Thomas Sigmund: AfD-Treffen mit Neonazis sorgt für Entsetzen, Handelsblatt, 12.01.2024.
[16] Treffen radikaler Rechter: Wie umgehen mit der AfD?, Rhein-Neckar-Zeitung, 12.01.2024.
[17] ARD-DeutschlandTREND Februar 2024, URL: https://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/ard-deutschlandtrend/2024/februar/, letzter Abruf: 29.02.2024.
[18] Ronen Steinke: Verfassungsschutz begutachtet AfD neu, Süddeutsche Zeitung, 26.02.2024 oder nachfolgender Bericht bei Welt online.

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