Asset-Herausgeber

Konstantin Otto | Konrad-Adenauer-Stiftung

Die Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch (DAVA)

Eine neue Partei im Spiegel der Presse

Die neue Partei DAVA vertritt Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland – vornehmlich Muslime. Laut Programm will sie deren Integration fördern, sich für die Anerkennung muslimischer Religionsgemeinschaften einsetzen und Islamfeindlichkeit bekämpfen. Was fehlt: eine klare Abgrenzung zum politischen Islam und zum militanten Islamismus.

Die Wählervereinigung „Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“ (DAVA) wurde im Januar 2024 gegründet. Auf Türkisch bedeutet das Wort „Dava“ "Sache", "Ereignis", "Mission" oder "Verfahren", im juristischen Kontext "Klage". Das Wort erinnert aber auch an den arabischen Begriff Dawa, der "Einladung" und im religiösen Zusammenhang "islamische Missionierung" bedeutet. DAVA sieht sich als Interessensvertretung aller Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland, insbesondere von Muslimen. Ende März wurde sie von der Bundeswahlleiterin zur Europawahl am 9. Juni 2024 zugelassen. Langfristig ist eine Umwandlung in eine politische Partei geplant.

 

Das Programm[1]

Neben vielen zum Teil recht allgemein gehaltenen Forderungen zur Förderung von Integration und Teilhabe hat sich die DAVA die Anerkennung muslimischer Religionsgemeinschaften und die „Bekämpfung von Islamfeindlichkeit“ auf die Fahnen geschrieben. Islamfeindlichkeit wird als „anti-muslimischer Rassismus“ definiert. Der Islam wird als ein integraler Bestandteil Deutschlands bezeichnet. „Hindernisse, die das islamische Leben erschweren, sollen identifiziert und beseitigt werden“. Die Partei will durch Einflussnahme auf Schulen, Medien und öffentliche Verwaltungen „ein realistisches und positiveres Bild des Islams zu fördern“. Unsachgemäße Darstellungen des Islam und der Muslime in den Schul- und Geschichtsbüchern sollen korrigiert und durch korrekte Informationen ersetzt, Gesetze gegen Islamfeindlichkeit verschärft werden. Eine klare Abgrenzung zum politischen Islam und zum militanten Islamismus fehlt.[2] Andere Religionen finden im Programm keine namentliche Erwähnung. Antisemitismus wird nur an einer Stelle im Zusammenhang mit Rassismus und anderen Formen von Ausgrenzung und Diskriminierung genannt. Explizit Stellung bezieht die Partei in ihrem Programm zum Nahost-Konflikt. Die DAVA plädiert für eine Zwei-Staaten-Lösung auf Basis der Grenzen von 1967. In den sozialen Medien ruft die DAVA zum Stopp der israelischen Militäroffensive in Rafah aus. Die israelischen Angriffe werden als „Mittel der ethnischen Unterdrückung und Säuberung“ bezeichnet. Im vergangenen Jahr hat der Gründungsvorsitzende Teyfik Özcan den Gazastreifen zudem als das „aktuell größte KZ der Welt“ charakterisiert. Ferner bekennt sich die DAVA zu konservativen Familienwerten und traditionellen Geschlechterrollen. Sie plädiert für höhere Renten und niedrigere Energiepreise, ohne allerdings die Finanzierbarkeit darzustellen. Thomas Thiel bezeichnet in der FAZ das Programm als „eine in vielen Punkten ausgewogene Mischung aus sozialdemokratischer Wohlfahrtspolitik und konservativer Gesellschaftspolitik, technologisch zukunftsgewandt, naturfreundlich und pro-EU“. Das Provokationspotential liege in der Gesellschafts- und Religionspolitik.[3]

 

Das Spitzenpersonal

Als Vorsitzender fungiert der frühere Sozialdemokrat Teyfik Özcan. Er zeigte sich in der Vergangenheit als Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogan. Den Völkermord an den Armeniern bezeichnete der hessische Unternehmer als „Mythos“.[4] Für die Europawahl sollen Mustafa Yoldas, Ali Ihsan Ünlü und Fatih Zingal als Spitzenkandidaten antreten. Yoldas arbeitet als Arzt in Hamburg und gilt laut einer früheren Auskunft aus dem Bundesinnenministerium als zumindest ehemaliger Unterstützer der Hamas. Bis zu ihrem Verbot 2010 leitete er die „Internationale Humanitäre Hilfsorganisation". Außerdem war er in der Vergangenheit Funktionär der vor Verfassungsschutz beobachteten Gemeinschaft Milli Görüs, einer Organisation des politischen Islams sowie Vorsitzender der Schura Hamburg, einem Zusammenschluss von mehreren Moscheevereinen und weiteren muslimischen Einrichtungen und Bildungsträgern in Hamburg. Ünlü ist ebenfalls Mediziner und kommt aus Bad Eilsen in Niedersachsen. Er war im Vorstand des Islamverbandes DITIB in Niedersachsen aktiv, der der türkischen Religionsbehörde Diyanet unterstellt ist. Der Solinger Zingal ist als Anwalt tätig. 2000 trat er aus Protest gegen Thilo Sarrazin aus der SPD aus. Zingal war lange Vorstandsmitglied in der Union der Internationalen Demokraten (UID), einem Lobbyverband der türkischen AKP.

 

Was sagen die anderen?

„Ich brauche in Deutschland keine Politiker, die kleine Erdogans sind“, schreibt die Chefredakteurin der Bild, Marion Horn. Sie sieht in der neuen Vereinigung einen Ableger der türkischen AKP. Dazu passe auch das Spitzenpersonal der DAVA: „Ein Hamas-Freund, ein Funktionär der DITIB und ein AKP-Lobbyist. Der Vorsitzende ist – wenig überraschend – bekennender Erdogan-Fan.“[5] Deutschland brauche keine Parteien, deren Politiker in Wahrheit Einflussagenten eines autokratischen Herrschers eines anderen Staates seien. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hält es für nicht akzeptabel, „wenn ausländische Regierungen Einfluss auf die Geschicke in unserem Land nehmen wollen“[6]. Der Verfassungsschutz habe laut Reul alle Entwicklungen genau im Blick.

 „Eine solche Partei wird ausschließlich im Sinne ihrer türkischen Mutterpartei agieren und das passt nicht in die deutsche Parteienlandschaft“[7], erklärt Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU). Schon der Name erinnere bewusst an den islamischen Begriff, der für eine Missionierung von Nichtmuslimen stehe.

Der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai warnt ebenfalls vor einem verlängerten Arm der Regierung des türkischen Präsidenten in Deutschland. Auch für die Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, Susanne Schröter, weisen Programmatik wie Personal der DAVA in Richtung Erdogan. Es „wäre absurd, hier die Nähe zu Erdogan zu leugnen“. Der religionspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Castellucci erkennt in der DAVA den Versuch, die Muslime zu einer „Opfergruppe im Land“ zu stilisieren. Die CDU-Politikerin Serap Güler wirft der DAVA ebenfalls vor, „ein Opfernarrativ zu bedienen“[8]. Die CDU betrachte Menschen mit Migrationsgeschichte nicht als Opfer dieser Gesellschaft. „DAVA zieht immer die Rassismus-Karte. Das ist die AfD in Türkisch.“ Auch Ronya Othmann sieht in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in der DAVA eine „Art türkische AfD für diejenigen, denen die AfD zu islamfeindlich ist“.[9]

Der Migrationsforscher Yunus Ulusoy hält Vergleiche von DAVA mit der AfD für falsch. Er sieht jedoch Hinweise für eine besondere Nähe der Gruppierung zur türkischen AKP. So sei das Spitzenpersonal mit AKP-nahen Organisationen als auch mit der DITIB eng verbunden. Auch der Name der Vereinigung spreche für eine besondere Nähe zu Erdogan. Er sei eine Anspielung auf den arabischen Begriff „Da’wa“, den Erdoğan selbst oft verwende. Den Einzug der Wählergruppe in den Bundestag bei der Wahl 2025 hält Ulusoy für unwahrscheinlich. Den Einzug ins Europaparlament hält er angesichts einer fehlenden Sperrklausel jedoch für möglich. DAVA besitze nicht das Zeug als Sammlungsbewegung für Muslime oder für Migranten mit anderen nationalen Wurzeln, da sich ihr Spitzenpersonal ausschließlich aus türkischstämmigen Männern rekrutiere. Das schränke ihr Wählerpotential ein.[10] Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, meint, dass die DAVA vielleicht nicht sofort hohe Wahlergebnisse erzielen wird, „aber die Partei wird sich im öffentlichen Diskurs immer wieder einbringen und ihn beeinflussen“.[11]

Nach Auffassung der Politikwissenschaftlerin Viola Neu von der Konrad-Adenauer-Stiftung könnte der Nahostkonflikt der DAVA zu Erfolg verhelfen, da das Bekenntnis der meisten anderen deutschen Parteien zu Israel viele Muslime, Türken und Araber befremdet.[12]

Die DAVA werde die Ausgrenzung türkeistämmiger Menschen für ihre politischen Zwecke instrumentalisieren, warnt der Leiter des Essener Zentrums für Radikalismusforschung und Prävention, Burak Copur. „Sie wird spalten und Konflikte provozieren"[13]. Die Menschenrechtlerin Seyran Ates sieht die Gefahr, dass die Vereinigung zum Sammelbecken für Salafisten und Extremisten werden könne.[14]

Die Politikwissenschaftlerin Inci Öykü Yener-Roderburg weist darauf hin, dass viele Migranten und türkeistämmige Menschen in Deutschland Rassismus und Isolation erlebten und sich von den Parteien im Bundestag nicht angesprochen fühlten – das verstärke die Sehnsucht nach einer Partei, die diese Gefühle aufgreift.[15]

 

Ähnliche Partei in den Niederlanden

In den Niederlanden existiert mit „Denk“, was auf Türkisch „Gegengewicht“ bedeutet, bereits seit 2015 eine Partei, die vorwiegend türkischstämmige und muslimische Wähler anspricht. Gegründet wurde sie von zwei türkischstämmigen Abgeordneten der sozialdemokratischen Parlamentsfraktion, die aufgrund ihrer mangelnden Distanz zur islamistischen Bewegung Millî Görüs von dieser ausgeschlossen worden waren. Auch „Denk“ steht unter dem Verdacht, lediglich der verlängerte Arm des türkischen Staates und seines Präsidenten Erdogan zu sein. So lehnten Spitzenpolitiker von „Denk“ es in der Vergangenheit ab, Erdogans Umgang mit Oppositionellen verurteilen. Auch verweigerte man sich der Anerkennung des Genozids an den Armeniern. Die Partei erzielte bei der Parlamentswahl 2023 2,4 % und drei Abgeordnetenmandate. Ihr aktueller Vorsitzender, der in Rotterdam geborene Stephan van Baarle, weist jede Nähe zum türkischen Staat zurück. Ihren Wählern verspricht Denk, dass sie sich nicht der Mehrheitskultur anpassen müssen. Dazu gehört für die Partei beispielsweise auch das Recht von Polizistinnen, im Dienst ein Kopftuch tragen zu dürfen. Denk versteht sich auch als Gegenpol zum islamfeindlichen Politiker Geert Wilders, der im vergangenen Wahlkampf gefordert hatte, Islamschulen, Moscheen und den Koran zu verbieten.[16]

 

Ausblick

Auch wenn die Chancen von Dawa bei künftigen Wahlen erfolgreich zu reüssieren als eher gering einzuschätzen sind, sollte ihre Gründung zum Anlass genommen werden, die erfolgreiche Einflussaufnahme des türkischen Präsidenten Erdogan auf die türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland stärker zur Kenntnis zu nehmen und Gegenkonzepte zu entwickeln. Dazu ist nach Auskunft von Experten die Bereitschaft der deutschen Politik erforderlich, die existierenden Ausgrenzungserfahrungen türkischstämmiger Bevölkerungsteile in der deutschen Gesellschaft nicht länger zu ignorieren. Die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler plädiert dafür, ein deutliches Zeichen der Anerkennung an die türkische Gemeinschaft zu senden, zum Beispiel durch eine Würdigung des Beitrages der türkischen Gastarbeiter am deutschen Wirtschaftswunder. Das könne auch von deren Nachfahren als Auszeichnung verstanden werden.[17]

 

David Maaß, geboren 1973 in Rheinbach, ist studierter Historiker. Er arbeitet als Referent Medienanalyse und -archiv bei der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 

[1] Parteiprogramm - Dava (dava-eu.org)

[2] Vgl. Was im Programm von DAVA steht | tagesschau.de

[3] Vgl. Für Allah und Deutschland, FAZ, 14.02.2024

[4] Vgl. Schwilden, Frédéric: Wie viel Erdogan steckt in der Dava?, Welt am Sonntag, 11.02.2024

[5] Horn, Marion: Ich brauche in Deutschland keine Politiker, die kleine Erdogans sind, Bild, 28.01.2024

[6] Reul, Herbert, zitiert nach: Jessen, Jan: Neue Partei alarmiert Verfassungsschutz, WAZ, 24.02.2024

[7] Stübgen, Michael, zitiert nach: Dörner, Jan/Knuf, Thorsten: Das steckt hinter der Erdogan-Partei in Deutschland, Berliner Morgenpost, 31.01.2024

[8] Güler, Serap: „Auch Migranten können viel mit einer Leitkultur anfangen“, Die Welt, 15.03.2024.

[9] Othmann Ronya: Gute und schlechte Nachrichten über DAVA, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 18.02.2024

[10] Vgl. Ist die Dava eine türkische AfD?, Ruhr Nachrichten, 14.03.2024.

[11] Gökay Sofuoglu, Gökay, zitiert nach: ebd.

[12] Vgl. Thiel, Thomas: Für Allah und Deutschland, FAZ, 14.02.2024

[13] Copur, Burak, zitiert nach: Jessen, Jan: Eine Partei von Erdogan-Lobbyisten?, Neue Ruhr Zeitung, 24.02.2024

[14] Vgl. Würzer, Julian: Wie Erdogans Dava-Partei in Berlin Fuß fassen will, Berliner Morgenpost online, 18.02.2024

[15] Vgl. Junack, Jonas: Enttäuschte Muslime als Zielgruppe, Süddeutsche Zeitung, 05.03.2024

[16] Vgl. Gutschker, Thomas: Für Kopftücher, gegen Ausgrenzung, FAZ, 26.03.2024.

[17] Vgl. Burger, Reiner: Erdogans Einfluss auf die Deutschtürken, FAZ, 07.04.2024

comment-portlet

Asset-Herausgeber