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Die Linke nach der Spaltung – zwei Momentaufnahmen

“Wir haben Großes vor für unser Land“

Die Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 2024. Traditionelles Begängnis der Linken - der parteipolitisch gebundenen und der Gefühlslinken. Große Frage: Wird sie kommen? Sie kam nicht. Stattdessen dreizehn Tage später: der Gründungsparteitag. Einer Partei ihres Namens. Von den Schatten einer einst vereinten Ideologie und dem Aufbruch in eine ungewisse Zukunft.

I.

Die Demo. Eine graue Riege trauriger Gestalten, die linke Restpartei in unfroh gestimmter Phalanx: Bartsch und Pau, Schirdewan und Wissler schritten zum Kranzabwurf unterlegt von Chopins Trauermarsch. Es wirkte eher, als gingen sie zu ihrer eigenen Beerdigung. Vor der Liebknecht-Luxemburg-Demo im Januar schienen nur wenige noch gespannt zu sein, ob die Spalterin Wagenknecht sich auf dem Friedhof der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde blicken lassen würde, um auch künftig an einem Anspruch auf das Erbe der beiden Märtyrer festzuhalten. Vielmehr interessierten sich einige Getreue für die protokollarische Petitesse, in welcher Eigenschaft der blasse Ex-Fraktionschef Dietmar Bartsch wohl den Kranz ablegen würde.

Sie war nicht zu sehen. Dafür aber die Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen , deutsch-türkischer Zögling aus der antiamerikanischen Kaderschmiede von Lafontaine und Wagenknecht. Noch wenige Tage vor Putins Überfall auf die Ukraine hatte sie die Unverfrorenheit besessen, einen Stand auf dem Pariser Platz am Brandenburger Tor aufzubauen, um für die legitimen „Sicherheitsinteressen“ Russlands und gegen die Waffen liefernde NATO Partei zu ergreifen.

 

Betteln um Mitgliedschaft

Ebenso nur noch als Einzelgänger zu sehen war Paradiesvogel Diether Dehm, der gerade, nach etlichen postkommunistischen Eskapaden, um seine Aufnahme in Wagenknechts Bündnis bettelt. Der einstige Denunziant Wolf Biermanns ist offenkundig unerwünscht, nachdem er von seinen früheren Spezis mit einem Parteiordnungsverfahren bedacht worden war. Der Grund: Der ehemals erfolgreiche Musikmanager hatte 2022 im AfD-nahen Magazin „Compact“ des ideologisch konvertierten Jürgen Elsässer mit den Worten - „demokratische Linke und Rechte sollten sich annähern“1 erstmals unverhohlen für eine Querfront plädiert. Daraufhin wurde er von Antifa-Traditionalisten seiner Partei für nicht mehr stubenrein erklärt.

In Wahrheit aber hatte der vormalige SPD-Kulturpolitiker nur offen ausgesprochen, was Wagenknecht längst im Schilde führte. Weshalb sich Dehm in seinem Klagelied über die verweigerte Aufnahme wohl um seine „visionären“ Verdienste für die Gründung von Wagenknechts „linkskonservativem“ Bündnis geprellt sieht. Der heillos gekränkte Ex-Liedermacher dürfte sich seinem Ausgestoßenen-Schicksal so leicht nicht ergeben. Hier droht erneut sektiererischer Ärger.

„Nach dem üblichen Nelkenmeer der Verlassenen und Beleidigten folgte der aggressive Aufmarsch der wild Entschlossenen und völlig Verblendeten.“

Norbert Seitz

Renaissance des Antikolonialismus

 

Nach dem üblichen Nelkenmeer der Verlassenen und Beleidigten folgte der aggressive Aufmarsch der wild Entschlossenen und völlig Verblendeten. Autonome Linksextremisten demonstrierten für die Hamas und „free Palestine“, die russische Aggression und die Huthi-Terroristen am Roten Meer. Hardcore-Momente einer Renaissance des Antikolonialismus und des weltweiten Klassenkampfes. Zu seinem 100. Todestag kehrte mit Lenin auch der Gründer des gewalttätigen Weltkommunismus wieder auf Transparenten in die Liebknecht-Luxemburg-Reihe zurück. Die Polizei musste gegen die verbotene antisemitische Vernichtungsparole „From the river to the sea“ einschreiten. Der „zionistische Staat“ gehöre „aufgelöst“, am 7. Oktober seien in Kibbutzim in Israel keine Babies enthauptet worden, beschworen fanatisierte Agitatoren.

Treffend der Kommentar von Anna Kaminsky, Leiterin der Bundesstiftung „Aufarbeitung der SED-Diktatur“, die vor der LL-Demo in kleinem Kreis an dem von ihr vormals mitinitiierten Gedenkstein für die „Opfer des Stalinismus“ ausharrte: “Man mag zum Luxemburg-Liebknecht-Gedenken stehen, wie man will. In diesem Jahr war der Karneval der Linksextremisten, der alljährlich auf das ‘stille Gedenken‘ folgt, besonders unappetitlich. Unter roten Fahnen solidarisierten sich die dort allgegenwärtigen Stalinisten, Maoisten, Putinisten und anderen Sektierer mit den Hamas-Apologeten, die die Mörderbande als Freiheitskämpfer feierten.“2

II.

 

Der Kongress. “Wir sind die Partei, auf die Deutschland so lange gewartet hat“, tremolierte die Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali, offenbar befallen von einer Art Erlösungswahn, wie man ihn peinlicherweise nur aus dunklen Weimarer Zeiten kennt. Sahras Fankurve feiert Auferstehung in der Berliner Eventlocation Kosmos. „Wir haben Großes vor für unser Land“, schlüpfte die knallrot kostümierte Vorsitzende in die Pose der nationalen Retterin. Als „Anlaufstelle der Zuversicht“ und herbeigesehnte Botschafterin von „Deutschland kann – dank Euch!“, lobte Bundesschatzmeister Ralph Suikat seine selig gestimmte Spaltertruppe. Der erfolgreiche Unternehmer wurde als Aushängeschild für die eigens hochgepriesene „Fachkompetenz“ herumgereicht, im Kampf gegen „die dümmste Regierung in Europa“.

Das angestrebte Bündnis kämpft derweil in drei von vier Gerechtigkeitsfeldern auf ressentimentverseuchtem rechten Terrain – in Migrations- und Ökologiefragen sowie auf kulturellem Sektor bei Diversity-Themen. Nur auf dem klassisch linken Feld der Umverteilung und Besteuerung wagt die abtrünnige linke Truppe noch eine kesse antikapitalistische Lippe, gemäß der von Daniela Dahn in ihrem Eröffnungsstatement ausgegebenen Parole „Prekarier aller Länder, vereinigt Euch!“

So geißelte auch Generalsekretär Christian Leye eine „Politik für Banken und Konzerne“, die zusehe, wie „die Reichen sich die Taschen vollstopften“. Dagegen sei eine Partei vonnöten, „die sich mit den Mächtigen“ anlege und „Konzerne in die Pflicht“ nehme.  

 

Kapitulationsfrieden vor Armutsbekämpfung

 

Doch solche Kampfadressen dienten nur als altideologische Pflichtübungen. Denn statt der Armutsbekämpfung im Lande besteht der eigentliche Daseinszweck des BSW darin, einen putingerechten Kapitulationsfrieden in der Ukraine zu befördern, was bereits an der jäh ansteigenden Phonzahl des Applauses im Saal zu erkennen war, wenn es um das Thema Russland ging: “Wir sind die einzige Friedenspartei im Deutschen Bundestag.“

Die thematische Präferenz drückte sich auch in der Personalentscheidung aus, den abgewählten Düsseldorfer SPD-OB Thomas Geisel zum Co-Spitzenkandidaten für die Europawahl zu berufen. Dieser war einst im Schröder-Apparat ein neoliberaler Vordenker der von ihm immer noch verteidigten Agenda 2010, aus Sicht von Lafontaines linker Partei wohl eher eine absolute Hassfigur. Es muss andere Gründe gegeben haben für Geisels überraschende Wahl, zum Beispiel die skandalösen historischen Vergleiche, mit denen er die russischen Verbrechen von Butscha zu relativieren versucht hatte.

Schon in ihrer Eröffnungsrede zollte Daniela Dahn der Roten Armee „ewigen Dank für die Befreiung“ – mit dem Zusatz „wie immer sich die Weltlage verändert hat.“ Doch den Satz – “Wir fordern Russland auf, den Krieg gegen die Ukraine zu beenden“ – bekam man auf diesem Gründungskongress nicht zu hören, wie Phoenix-Moderator Erhard Scherfer treffend feststellte. Im Gegenteil. Wagenknecht unterstellte Selenskys Wunsch nach Taurus-Langstreckenwaffen, er wolle damit Moskau bombardieren.

„Über die russische Rückkehr in die stalinistische Barbarei fiel dagegen auf dem Gründungskongress kein einziges Wort des Bedauerns oder der Kritik.“

Norbert Seitz

Kein Wort über Putins neostalinistische Barbarei

 

Über die russische Rückkehr in die stalinistische Barbarei fiel dagegen auf dem Gründungskongress kein einziges Wort des Bedauerns oder der Kritik. Zumindest erlaubte sich EU-Spitzenkandidat Fabio di Masi, das verpönte Wort vom „Angriffskrieg“ Russlands gegen die Ukraine in den Mund zu nehmen, freilich mit dem relativierenden Zusatz, dieser reihe sich in die Kriege des Westens ein. An Putin keine Kritik. Lieber sollte man billiges russisches Gas von ihm kaufen. Und „totalitär“ zu nennen waren nach Daniela Dahn eher die hiesigen Praktiken bei der Corona-Bekämpfung.

Sahra Wagenknecht hat den Verlust ihrer ideologischen Heimat DDR und den Sieg des kapitalistischen Westens nie verkraftet, sondern als persönliche, ja narzisstische Kränkung empfunden. Nachdem sie sich in den 1990er Jahren als verbohrte Jungorthodoxe in der Kommunistischen Plattform in ihrem totalitären Trotz völlig verrannt hatte, versucht sie nunmehr ihre Art von professionell betriebener Vergeltung im Schlepptau der imperialistischen Wiedererstarkung Russlands, ohne die marxistische Ideologie als Rechtfertigungsrahmen noch in Anspruch nehmen zu müssen.

Die positiven Resonanzen aus der Umgebung des Kremls ließen nicht lange auf sich warten. Russische Agenturen wie TASS oder RIA Novosti stürzten sich vor allem auf zwei Behauptungen Wagenknechts, mit denen sie das Narrativ des Kremls von der „Spezialoperation“ bediente: „Selbst ukrainische Generäle“ würden nicht mehr an einen Sieg der Ukraine glauben. Außerdem bestärkte sie Putins Verschwörungsideologie von den „Nazis in der Ukraine“. Es sei „Doppelmoral“ und „Heuchelei“ ein Land zu unterstützen, in dem der Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera verehrt werde.

Daneben feierte der russische Faschist Alexej Dugin, das „dämonische Aushängeschild von Wladimir Putin“, wie die NZZ ihn einmal apostrophierte, auf seinem Telegram-Kanal und in einem Gastbeitrag für RIA „die Rote Sahra“ als Symbol einer „illiberalen Linken“ in Europa, die „Feinde des globalen Kapitals“ seien und sich endlich von jenen „Pseudolinken“ distanzierten, die sich für LGBTQ-Rechte, eine „unkontrollierte Migration“ und gegen den „russischen Einfluss“ engagierten.3

„Lasst uns pfleglich miteinander umgehen“, beschwor am Ende ihrer Rede die langjährige Spalterin Wagenknecht ihre ihr restlos ergebenen Ovationschöre, in Erinnerung an die – maßgeblich von ihr provozierten – Kämpfe in der PDS und der Linken. Und Bundesschatzmeister Suikat forderte – reichlich naiv – seine Neumitglieder auf, „Liebe über den Hass zu stellen, so schwer es auch manchen fallen mag.“ Von innerparteilichem Hass war angesichts des Führerinkultes um Sahra Wagenknecht auf der Gründungsversammlung noch nichts zu spüren. Und den kollektiven Hass spart man sich zunächst einmal für USA, NATO, EU, Ampel und die Grünen auf.

 

Norbert Seitz, geboren in Wiesbaden, Soziologe, Buchautor und freier Mitarbeiter des Deutschlandfunk.

 

Quellen:

(1) Compact-Magazin, 3/2023, „Silbereisens goldene Spange“, Interview Diether Dehm mit Oxana Simonova

(2) Statement von Anna Kaminsky, Direktorin der Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur.

(3) David Schmitz: Großes Echo für „rote Sahra“: Putin-Medien und Top-Faschist stürzen sich auf Wagenknecht-Partei, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 30.01.24.

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