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Ein Blick auf unsere Welt, der uns abhandengekommen ist

Die Industriefotografien von Alastair Philip Wiper

Inspiriert von Industriefotografen wie Wolfgang Sievers und Maurice Broomfield, dokumentiert Alastair Philip Wiper die Beziehung von Mensch und Maschine in einer globalisierten Industrie.

Alastair Philip Wiper ist ein in Dänemark lebender Fotograf. 1980 in Hamburg geboren und in England aufgewachsen, arbeitet er heute nicht nur in seiner Wahlheimat Dänemark, sondern auf der ganzen Welt. Er hat Philosophie und Politikwissenschaft studiert und danach als Grafikdesigner für eine Modemarke gearbeitet. Zur Fotografie kam er durch Zufall: Es wurde kurzfristig jemand gebraucht, um ein Lookbook zu shooten. Er nutzte die Gelegenheit zu volontieren und entdeckte dabei seine Leidenschaft für das Fotografieren. Nach einer privaten Weiterbildung spezialisierte er sich auf Aufnahmen von Maschinen in Industrie und Wissenschaft. Seine Fotografien von Industriegebäuden und Technik bestechen durch ihre scharfen Linien, die das gezeigte in seinen Details wiedergeben und gleichzeitig durch die Komplexität eine Form von Lebendigkeit und Vibration schaffen. Seine Bilder sind technisch und geben den Gegenstand exakt wieder, aber sie ermöglichen auch den vertieften Blick, der den Betrachter, wenn nicht staunen, doch mindestens innehalten lässt.

Inspiration findet er in den Bildern von Wolfgang Sievers (1913–2007). Der Fotograf deutscher Herkunft lebte und arbeitete in Melbourne. Er schuf mit seinen Darstellungen von Industrie und Werksprozessen vor allem in den 1950ern und 60ern ein Stück australische Kulturgeschichte. Seine Bilder bestechen durch ihre scharfe, einheitliche und strukturierte Erzählweise. Das macht sie zu einem Spiegel der damals modernen Welt, die sich selbst in Maßstäben von Wirtschaftlichkeit und Effizienz beschreibt. Der wirtschaftliche Aufschwung nach Ende des zweiten Weltkrieges war begleitet von einer Dynamisierung und Rationalisierung industrieller Arbeitsprozesse. Gleichzeitig war es ein Erbe des Bauhauses, dessen Anhänger Sievers war, den Arbeiter innerhalb dieser Prozesse als Menschen wertzuschätzen. Diese beiden Komponenten finden sich immer wieder in Sievers Werk, gezeigt werden Menschen in ihrer Beziehung zu Maschinen oder der von ihnen genutzten Technologie.

Während Sievers Werk für Wiper eine profunde visuelle Dokumentation der australischen Industrie und Architektur der goldenen 50er und 60er Jahre ist, inspiriert ihn das Werk von Maurice Broomfield (1916–2010) in Fragen der Umsetzung. Der Fotograf, der laut dem Victoria & Albert Museum, das ihm 2022 eine Ausstellung widmete, einer der wichtigsten Industriefotografen Englands war, dokumentierte Englands industrielle Blütezeit in den 1950ern und 60ern und auch deren Niedergang in den 1980er Jahren. Er wollte zeigen, dass Industriebauten und technische Abläufe genauso viel Hochglanzpotenzial haben wie die Modefotografie.

Wie seine Vorbilder Sievers und Broomfield setzt sich Wiper mit der industriellen Fertigung und dem Platz, den der Mensch in ihr hat, auseinander. Er möchte neben dem technischen Aspekt auch die spezifische Ästhetik industrieller Anlagen vermitteln.

Anders als Sievers und Broomfield zeichnen Wipers Bilder eine Welt, in der Mensch und Maschine sowohl interagieren als auch voneinander unabhängig, völlig autonom nebeneinander agieren. Wipers Fotografien dokumentieren, zwar jeweils aus der nationalen Perspektive, aber immer eine globalisierte Industrie. Damit wird er unserer Gegenwart genauso gerecht, wie Sievers und Broomfield der ihren.  Wenn die Anlagen ganz ohne Personen gezeigt werden, könnte jedes Werk, jede Maschine, überall auf der Welt stehen. Wipers Bilder gehen einen Schritt zurück: Sie haben einen rein dokumentierenden Blick, so wie er vor Sievers Zeit üblich war. Eben hier entdeckt man den künstlerischen Aspekt. Wipers Fotografien sind eine Referenz auf sich selbst und gerade dadurch laden sie den Betrachter dazu ein sich selbst in der Ansicht zu positionieren. Wir suchen nach unserer Beziehung zur Welt, und Wirtschaft und Technik gehören dazu. Einerseits brauchen wir mehr denn je Menschen, die Dinge schaffen. Andererseits wurde der Verwirklichung des Menschen als Individuum wohl noch nie mehr Bedeutung beigemessen als heute.

Wipers Fotografien führen uns die komplexen Prozesse vor Augen, durch die die Güter unseres täglichen Lebens entstehen. Die Faszination seiner Bilder liegt in seiner Fähigkeit, Maschinen in ihrer Komplexität, bei gleichzeitiger Genauigkeit im Detail wie lebendig wirken zu lassen. Der geometrische Aufbau, Symmetrien, Formen und Farben, die wir in dieser gedrängten Anhäufung nicht oft in der Natur beobachten können, die dennoch ihren Ursprung genau dort haben und uns, vermutlich aufgrund dieser Nachahmung, gleichzeitig vertraut vorkommen und uns überraschen.

Wie Wiper im Wired-Interview mit Laura Mellonee sagte: „Menschen haben Fragen und sie bauen Maschinen, um diese zu beantworten – sei es wie man Wurst herstellt oder was das Universum für uns bereithält.“

Es ist eine zufällige Ästhetik, die seine Bilder in Industrie und Wissenschaft einfangen. Sie ist zu finden in der Symmetrie und den kontrastreichen Farben des größten Schiffes der Welt, der „Maersk Triple E“. In der geradezu hypnotisch verschlungenen Wiederholung der Windungen der Absolut Vodka-Destillerie in Skåne (Schweden) oder des ITER (Kernfusions-Forschungsprojekt) in Frankreich. Unerwartet trifft die, technisch gesprochen, systematische Infrastruktur auf das rosa Fleisch, in den Bildern von Europas größtem Schlachthof Danish Crown in Horsens. (Die genannten Bilder sind zu sehen in der aktuellen Ausgabe der Politischen Meinung. Industrie. Ein Abgesang? PoM Nr. 591.)

Wenn Wipers Bilder die technischen Errungenschaften und das menschliche Genie dahinter feiern, ist er sich angesichts der weltweiten Probleme, die fortschreitende Industrialisierung und Überproduktion hervorrufen, der Dichotomie bewusst. Der visuelle Bruch, den die Bilder im Betrachter hervorrufen, ist ein gewollter Verweis auf die Komplexität dieser Probleme und auch des Lebens selbst.

privat

Antonella Schuster, geboren in Augsburg, aufgewachsen im Allgäu. Sie studierte Kunstgeschichte, Alte Geschichte (griechisch./römisch), Mittelalterliche Geschichte, Historische Hilfswissenschaften und Bayerische Landesgeschichte an der Universität Regensburg. 
Promotionsstudium an der Ludwig-Maximilians-Universität München zum Thema „Neue Allegorien im 14. Jahrhundert“ bei Prof. Dr. Ulrich Pfisterer. Parallel Tätigkeit für den Forschungsverbund Provenienzforschung Bayern von 2018 bis 2022. 2023 Mitarbeit in der Direktion des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München.

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