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Jörg Möller | Pixabay

Für einen Fortschritt in der Gesetzgebung: weniger und besser!

Über das Problem der Komplexität der Gesetze und die Akzeptanz des Rechts

Gesetze sind wichtig - gute Gesetze noch viel wichtiger. Dafür setzt sich der Verein "Deutsche Gesellschaft für Gesetzgebung" ein. Ihr Vorstandsvorsitzender Prof. Günter Krings, MdB zeigt in seinem Beitrag den Zusammenhang zwischen guter Gesetzgebung und Akzeptanz der Gesetze durch unsere Bürgerinnen und Bürger.

Niklas Luhmanns Analyse, dass Verfahrensregeln Legitimation schaffen (N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 1969), bedeutet für den Rechts- und Gesetzgebungsstaat, dass die Qualität der Gesetzgebung eine entscheidende Rolle für die Akzeptanz des Rechts spielt. Eine Akzeptanz des Rechts durch die Bürgerinnen und Bürger ist grundlegend, damit der Rechtsstaat funktioniert. Nur wenn Konsens darüber besteht, dass das, was gilt, auch beachtet werden muss, kann unser Zusammenleben funktionieren.

„Damit das Recht von den Menschen akzeptiert wird, muss es zunächst verstanden werden – nicht in jedem Detail, aber von seinen Prinzipien her.“

Prof. Dr. Günter Krings

Damit das Recht von den Menschen akzeptiert wird, muss es zunächst verstanden werden – nicht in jedem Detail, aber von seinen Prinzipien her. Gleichzeitig beobachten wir eine zunehmende Komplexität unserer Lebensumstände: sei es durch die Globalisierung, die Digitalisierung oder auch nur durch sich verändernde gesellschaftliche Verhältnisse. Verbunden mit dem recht deutschen Bedürfnis, für Gerechtigkeit bis in den letzten Winkel eines Sachverhalts zu sorgen, führt dies zu einer laufend wachsenden Regelungsflut und Regelungsdichte. So steigerte sich der Textumfang des Bürgerlichen Gesetzbuchs – das Herzstück des deutschen Privatrechts – in den vergangenen 20 Jahren um über fünfzig Prozent; auch durch die Aufnahme von Spezialgesetzen, die auf wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen antworteten (Verbraucherkredit, Allgemeine Geschäftsbedingungen). Selbst das aufgrund seiner Bedeutung für unsere Rechtsordnung schwerer zu ändernde Grundgesetz hat sich in seiner über siebzigjährigen Geltungszeit in etwa verdoppelt – sowohl im Umfang der Artikel als auch im Gesamtumfang.

Das Recht in seinen vielen Auffächerungen wird längst nicht mehr von allen Juristinnen und Juristen verstanden. Es bildet sich immer mehr ein Spezialistentum heraus. Wenn aber selbst Fachleute, noch dazu hochqualifizierte Richterinnen und Richter, bei der Anwendung des Gesetzes an ihre Grenzen stoßen und Schwierigkeiten haben, Urteile verständlich zu erklären, muss gegengesteuert werden.

Als problematisch erweist sich auch, dass nicht nur bei der Rechtsanwendung, sondern auch im Rahmen der Gesetzgebung die zunehmende Komplexität der Lebensverhältnisse ihre Spuren hinterlässt. Bundestag und Bundesregierung werden in beinahe jedem Politikbereich von einer mittlerweile kaum noch zu überblickenden Zahl von mit Sachverständigen besetzten Gremien und Kommissionen unterstützt. Das mag mitunter zu einer höheren fachlichen Qualität der Gesetze führen, in der Regel aber nicht zu einfacheren oder weniger Gesetzen.

Welche Maßnahmen braucht es nun, um der Flut und Komplexität der Gesetze entgegenzuwirken?

 

Lösungsvorschlag eins: „One in, one out“

Zugegebenermaßen etwas holzschnittartig kommt hier die „One-in, one-out“-Regel daher. Diese Gesetzgebungsregel, nach der auch in anderen Staaten in unterschiedlicher Art und Weise verfahren wird, besagt, dass für jedes neue Gesetz ein altes abgeschafft werden muss. In Deutschland gilt die Regel seit Einführung der Bürokratiebremse Ende 2014 allein für Regelungsvorhaben der Bundesregierung und nur mit dem Ziel, Belastungen für die Wirtschaft zu begrenzen. In einem Zwischenfazit für die Jahre 2015 bis 2017 kam die Bundesregierung hierbei aber zu einem „sehr positiven“ Ergebnis hinsichtlich der Beachtung der Regel. Nun muss nicht alles, was Bürokratie bremst, auch zu besserer Gesetzgebung führen. Dennoch sollten wir auch zum Zwecke der Verbesserung unserer Gesetzgebungskultur diese selbstbeschränkende Regel einüben, wenn wir den voranschreitenden Verlust der Überschaubarkeit unserer Rechtsordnung nicht resignierend hinnehmen wollen. Die Regel könnte im Falle der Eröffnung eines breiteren Anwendungsbereichs dazu beitragen, eine unregulierte „Normenflut“ einzudämmen.

 

Lösungsvorschlag zwei: Bestehende Kompetenzen ausbauen und bündeln

Synergien zwischen Bürokratieabbau, Deregulierung und besserer Gesetzgebungsqualität durch die Komplexitätsreduzierung von Normtexten sehe ich noch stärker darin, die Stellen zu ertüchtigen, in deren Kompetenzbereich diese Aufgabe bereits fällt. Hier ist zum einen der 2006 eingerichtete Normenkontrollrat (NKR) zu benennen. Er ist unter anderem damit betraut, die Bundesregierung auf dem Gebiet der besseren Rechtssetzung zu unterstützen. Hierzu gehört es, Gesetzesentwürfe daraufhin zu überprüfen, ob sie eine verständliche Darstellung ihres Ziels enthalten und Möglichkeiten der Rechtsvereinfachung zu ermitteln. Um diese Einrichtung aber als wirksames Instrument der Rechtsvereinfachung zu etablieren, bedarf es nicht nur einer Aufstockung des Personals (aktuell 10 Mitglieder und 14 Sekretariatskräfte), sondern auch einer breiteren Einbindung in das Gesetzgebungsverfahren.

Stärker verknüpft werden sollte die Arbeit des NKR daher mit den Einrichtungen, die sich seit 2009 beim Bundesministerium für Justiz (BMJ) der Gesetzesredaktion widmen. Hierzu gehören das „Sprachbüro“, das die Gesetzesentwürfe des BMJ prüft, und der „Redaktionsstab Rechtssprache“, der die Prüfung von Gesetzesentwürfen der übrigen Ministerien verantwortet. Obligatorisch ist die Prüfung durch die Gesetzesredaktion allerdings erst, wenn der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Beschluss vorgelegt werden soll, also zu einem sehr späten Zeitpunkt während der ministeriellen Phase des Rechtssetzungsverfahrens.

Hinzu kommt, wie eine Forschungsgruppe im Sommer 2022 ermittelte, dass enge Fristen, Personalmangel und politische Vorgaben die Arbeit der Gesetzesredaktion deutlich erschweren. Es ist insofern zwar zu begrüßen, dass die Bundesregierung die Gründung eines Zentrums für Legistik in Angriff genommen hat, das das Recht „praxistauglicher, wirksamer und nutzerorientierter“ gestalten soll. Doch ist über diesen guten Vorsatz hinaus praktisch nichts über die organisatorische Einbindung, die Kompetenzen, personelle Ausstattung oder genauen Aufgaben bekannt. So sollte etwa geprüft werden, ob und wie das Zentrum in die Strukturen der bestehenden Gesetzesredaktion eingebunden werden kann, um Doppelkompetenzen zu vermeiden. Nicht in der wohlmeinenden Vermehrung von Institutionen, sondern in ihrer wirksamen und verbindlichen Verfahrensbeteiligung kann ein Schlüssel zur Hebung der Gesetzgebungsqualität liegen.

 

Lösungsvorschlag drei: Zeit besser nutzen

Knappe, durchdachte Sprache braucht Zeit. Dies gilt in der Literatur, aber genauso in der Gesetzgebung. Die atemberaubende Geschwindigkeit, mit der heutzutage selbst umfangreichste Gesetzgebungsvorhaben in manchen Fällen erstellt und durch das Gesetzgebungsverfahren gepeitscht werden, ist erschreckend. Dies führt zu vielen Fehlern, die später mit mehr oder weniger Aufwand korrigiert werden müssen.

Oftmals ist das Problem aber gar nicht eine insgesamt zu schnelle Gesetzgebung, sondern die Frage, für welche Phase der Gesetzesdiskussion wieviel Zeit aufgewandt wird. Hier beansprucht „die Politik“ zu viel Zeit für sich und setzt so die Fachleute, die sich oft auf der wichtigen Schnittstelle von Ministerialbürokratien und politischen/parlamentarischen Gremien bewegen, unter unverhältnismäßigen Zeitdruck.

Symptomatisch für hausgemachte Vollzugsprobleme sind zu kurze Fristen zwischen Verabschiedung und Inkrafttreten eines Gesetzes. Steueränderungsgesetze etwa werden oft erst spät im Dezember verabschiedet, treten aber bereits am 1. Januar in Kraft. Für Anwender und Betroffene bleibt keine Zeit, sich auf Änderungen umzustellen.

„Der politische Betrieb braucht regelmäßig zu lange, bis sich verschiedene Ministerien und Bundestagsfraktionen auf einen Gesetzbeschluss geeinigt haben.“

Prof. Dr. Günter Krings

Der Faktor Zeit hat noch in anderer Hinsicht Auswirkungen auf die Qualität der Gesetzgebung. Der politische Betrieb braucht regelmäßig zu lange, bis sich verschiedene Ministerien und Bundestagsfraktionen auf einen Gesetzbeschluss geeinigt haben. Politische, aber auch ministerielle Akteure verhaken sich an bestimmten (oft symbolträchtigen) Fragen, feilen mitunter mehr an konfrontativen Argumenten als am Gesetzestext selbst, verschieben Entscheidungen zwischen verschiedenen Hierarchieebenen oder erlauben sich längere Perioden des „Leerlaufs“. Dieser Zeitverlust wird kompensiert, indem man Ministerien nach der politischen Einigung für Textänderungen weniger Zeit lässt.

Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags sieht seit 1949 drei Lesungen für Gesetze vor. Tatsächlich werden aber die zweite und die dritte Lesung im Plenum regelmäßig zusammengefasst. Die drei Lesungen sind ein Relikt aus „langsameren Zeiten“. Sie haben sich jedoch bewährt und helfen bei einer guten Gesetzgebung. Leider lässt sich die Bundesregierung eben nicht genug Zeit bei der Erarbeitung ihrer Gesetzentwürfe. Oftmals wird die Zeit für die eigentliche Ausschussberatung nach der ersten Lesung im Parlament äußerst knapp bemessen. Auch verkommt die Länder- und Verbändeanhörung häufig zu einer Farce, wenn sie – auch außerhalb einer Notfallgesetzgebung – nur Fristen von wenigen Stunden einräumt. Diese gesetzgeberische Unsitte ist nicht neu, hat aber in der aktuellen Wahlperiode einen traurigen Tiefpunkt erreicht. Solange Gesetzgebung den Anspruch hat, die Lebenswirklichkeit zu beeinflussen, kann dies am ehesten im Dialog und in Kenntnis der Argumente der Betroffenen gelingen. Ein Gesetzgebungsverfahren, das die Anhörung der Betroffenen aber zur bloßen Formalie degradiert, lässt nur selten effektive oder gute Gesetze entstehen.

Ein Akteur, der sich seit über drei Jahrzehnten für eine bessere Gesetzgebungsqualität einsetzt, ist die Deutsche Gesellschaft für Gesetzgebung. Das tut die Gesellschaft bewusst nicht nur, indem sie Missstände anprangert, sondern u.a. auch über ihren „Preis für gute Gesetzgebung“. Nicht immer ist es aber einfach, die gewünschten positiven Beispiele zu finden – mitunter möchte ich gar mit Erich Kästner sagen: „Und immer wieder schickt ihr mir Briefe, in denen ihr, dick unterstrichen, schreibt: „Herr Kästner: Wo bleibt das Positive?“ Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt.“ (E. Kästner, „Und wo bleibt das Positive, Herr Kästner?“).

Tobias Koch

Prof. Dr. Günter Krings, MdB, seit 2021 Rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. 2013 - 2021 Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Inneren, für Bau und Heimat. Seit 2007 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Gesetzgebung (DGG) und seit 2010 Honorarprofessur für Staatsrecht an der Universität zu Köln (Rechtswissenschaftliche Fakultät).
 

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