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Houthi, die USA und der Gazakrieg

Hintergründe der Raketenangriffe auf den Jemen

Warum die Angriffe der Vereinigten Staaten und Großbritanniens auf die Houthi nicht nur Schiffe schützen sollten. Und wer sind die Houthi eigentlich?

Als am 12. Januar 2024 die ersten Raketenangriffe der USA und Großbritanniens auf jemenitisches Staatsgebiet bekannt wurden, vernahm man aus Deutschland die Sorge, der Gazakrieg könne auf weitere Teile des Nahen Ostens übergreifen. Neben dem Südlibanon, dem Westjordanland und Syrien könnten auch Teile des Jemen in den Konflikt einbezogen werden. Ein Konflikt, der die Welt in Atem hält. Sollte man annehmen.

Doch wer beschießt hier wen? Und vor allem warum? Beginnen wir mit den Houthi (ausgesprochen wie das englische th in „think“): Die von Deutschland als Terrororganisation eingestufte Gruppierung ist eine der Konfliktparteien im jemenitischen Bürgerkrieg, der das Land seit 2014 zerreißt. Sie kontrollieren den Westen des Landes und haben in den letzten zehn Jahren ihre Herrschaft über dieses Gebiet konsolidiert. Die Houthi verstehen sich nicht nur als Bürgerkriegspartei gegen eine schwächelnde Regierung, sondern auch als Gegenspieler der USA und Israels. Antiamerikanismus und eine israelfeindliche Haltung sind Grundpfeiler der Ideologie der Houthi.

Aus der Ablehnung des israelischen Staates lässt sich herleiten, was schlussendlich zu den Raketenangriffen der USA und Großbritanniens geführt hat: Die Houthi solidarisierten sich – im Zuge der Vergeltung Israels nach dem Massaker des 7. Oktobers – mit der Hamas und attackierten zunächst Handelsschiffe, die israelische Häfen anliefen. Das änderte sich im Dezember 2023: Nun wurden zunehmend auch Schiffe beschossen, die keine offenkundigen Verbindungen zu Israel hatten.

Ein Angriff auf Handelsschiffe gilt als Kriegsverbrechen, wie das Seerechtsübereinkommen der UN von 1982 regelt. Auf Hoher See (alle Teile der Meere, die nicht zu einer ausschließlichen Wirtschaftszone, zum Küstenmeer oder Archipelen gehören) gilt die sogenannte unbeschränkte Schifffahrtsfreiheit: Jedes Schiff genießt freie Durchfahrt. Dieses Recht wurde mit den Angriffen der Houthi gebrochen.

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Situation im jemenitischen Bürgerkrieg (Houthis dunkelrot, Zentralregierung hellrot)

Erschwerend kommt hinzu, dass etwa 10 Prozent des Welthandels über das Rote Meer und den Suezkanal abgewickelt werden. Die Alternativroute um das Kap der Guten Hoffnung (Südafrika) dauert zehn Tage länger.

Zu den Sorgen vor einer Beeinträchtigung des internationalen Handels gesellte sich die ohnehin bestehende Feindschaft zwischen Houthi und den Vereinigten Staaten. Während Erstere den USA offen den Tod wünschen – was auch in ihrer Losung verankert ist – unterstützen die Vereinigten Staaten Saudi-Arabien bei seinen Bemühungen, die Houthi zu zerstören. Zumindest indirekt waren beide Akteure schon vor den kürzlichen Attacken Feinde.

Es ist also nicht verwunderlich, dass die Vereinigten Staaten tätig wurden, als sich ihnen die Möglichkeit eröffnete, die Houthi zu schwächen. Am 3. Januar stellten sie im Verbund mit einigen anderen Ländern den Houthi ein Ultimatum, nach dessen Ablauf man militärisch eingreifen würde. Die USA sahen die Chance, den internationalen Schiffsverkehr zu schützen, ihren strategischen Partner Israel zu unterstützen und gleichzeitig die Rebellen zu bekämpfen, die aus ihrer Feindschaft zu den USA keinen Hehl machen. Am 10. Januar wurden der Beschuss und die Geiselnahme einer Schiffsbesatzung durch die Houthi im UN-Sicherheitsrat in der Resolution 2722 verurteilt. Die Abstimmung war einstimmig, es gab vier Enthaltungen (Algerien, China, Mosambik, Russland).

Am 12. Januar begannen also die Angriffe der US-britischen Allianz. Innerhalb von zwei Stunden wurden mehr als siebzig Ziele getroffen. Alle lagen auf von Houthi kontrolliertem Gebiet. Die Zahl der durch die Bombardements getöteten Personen differiert. Während die Houthi sie mit 24 angeben, spricht Sky News Arabia von 124 Toten. Der arabische Nachrichtensender Al-Jazeera meldete 34 getötete Mitglieder der Houthi.

„Ob die Anti-Houthi-Allianz ihre Ziele – die Verhinderung weiterer Angriffe auf Handelsrouten und -schiffe – erreichen kann, bleibt abzuwarten.“

Jona Thiel

Ob die Anti-Houthi-Allianz ihre Ziele – die Verhinderung weiterer Angriffe auf Handelsrouten und -schiffe – erreichen kann, bleibt abzuwarten. Bisher wurden immer wieder Schiffe attackiert, die die jemenitische Küste passierten. Stimmen aus US-Militärkreisen äußerten sich allerdings zufrieden mit den anfänglichen Resultaten. Auch Deutschland beteiligt sich mit der Fregatte „Hessen“ an der Sicherung des Schiffshandelsverkehrs. Bisher wurde diese dreimal tätig, wobei auf zwei erfolgreiche Flugkörperabschüsse und eine technische Fehlfunktion zurückgeblickt werden kann. Letztere kann durchaus als glückliche Fügung bezeichnet werden, da es sich um eine US-amerikanische Drohne handelte – was sich erst später herausstellte.

Völlig offen ist auch, ob eine Schwächung der Houthi die Allianz veranlassen wird, auf weitere Angriffe zu verzichten. Völkerrechtlich und auch operativ würde es sich allerdings als ausgesprochen schwierig erweisen, die Houthi mittels einer militärischen Intervention zu stürzen. Das US-britische Bündnis liefe Gefahr, indirekt Teil des jemenitischen Bürgerkriegs zu werden. Gleichzeitig wäre das Ignorieren der Angriffe auf den Schiffshandel in der Region ein Signal gewesen, das die Houthi als Schwäche ausgelegt hätten.

Hinzu kommt die Präsenz iranischer Staatsbürger in den von den Houthi kontrollierten Gebieten. Ihre genaue Rolle bei den Angriffen ist nicht abschließend geklärt. Die Vermutungen reichen jedoch von der Bereitstellung im Iran gefertigter Technologien wie Drohnen und Mittelstreckenraketen bis zur operativen Unterstützung beim Beschuss von Handelsschiffen. Sicher ist allerdings, dass die Rebellen über moderne Drohnen und Raketen verfügen. Laut dem Thinktank Council of Foreign Relations wurden jedoch schon mehrfach iranische Lieferungen an die Houthi abgefangen. Ohne eine Unterstützung durch Iran könnten sie nicht in diesem Maße operieren, sowohl im Bürgerkrieg als auch beim Beschuss der Schiffe.

Auch wenn die Beweislage hinsichtlich der iranischen Rolle bei der Aufrüstung der Houthi dünn ist, kann man die Rebellen sehr wohl in das iranische Netzwerk im Nahen Osten einordnen: ein über viele Jahre vorsichtig aufgebautes Konstrukt pro-iranischer Gruppierungen, mit deren Hilfe Iran seinen Einfluss in den jeweiligen Regionen verstärkt. Dazu gehören die Hisbollah im Libanon, schiitische Milizen im Irak, die syrische Regierung unter al-Assad – und eben auch die Houthi im Jemen. Diese Bündnisse können durchaus als Gegengewicht zum strategischen Zusammenschluss der USA und Saudi-Arabiens verstanden werden. Allerdings gilt es auch festzustellen, dass der Grad der Einflussnahme aus Teheran auf die Houthi geringer ausfällt, als es beispielsweise bei der Hisbollah der Fall ist.

„Der Konflikt im Roten Meer und am Golf von Aden ist deshalb so kompliziert, weil hier sehr unterschiedliche Kriege, Konflikte und Bündnisse aufeinandertreffen.“

Jona Thiel

Der Konflikt im Roten Meer und am Golf von Aden ist deshalb so kompliziert, weil hier sehr unterschiedliche Kriege, Konflikte und Bündnisse aufeinandertreffen. So befinden sich die Houthi in einem Bürgerkrieg gegen die Zentralregierung Jemens, gleichzeitig positionieren sie sich im Gazakrieg an der Seite der Hamas und sind zudem Teil des sogenannten Kalten Krieges zwischen Iran und Saudi-Arabien.

Der Beschuss der Schiffe im Roten Meer ist also nicht nur als ein Akt der Unterstützung für die Hamas und gegen die israelischen Offensiven zu verstehen. Er muss auch immer in die geopolitischen Realitäten des Nahen und Mittleren Ostens eingebettet werden.

 

Jona Thiel, geboren 1999 in Troisdorf (Nordrhein-Westfalen), ist studierter Geschichts- und Politikwissenschaftler. Er publiziert als freier Journalist und fungiert als Sprecher, sowie Autor der Forschungsgruppe "Afrika" des Think Tanks "Kölner Forum für Internationale Beziehungen und Sicherheitspolitik". Zudem ist der Historiker als Autor für die Forschungsgruppe "Friedens- und Konfliktforschung" tätig,  seit 2024 ist er stellvertretender Vorstand des BSH Trier (Bundesverbandes Sicherheitspolitik an Hochschulen. Thiel führt einen Blog, welcher sich primär historischen und außenpolitischen Themen zuwendet (Instagram: @gepo.global).

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