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Eine Würdigung hundert Jahre nach seinem Tod

Über Kafka lachen? Schwer vorstellbar, doch seine Werke enthalten humorvolle und groteske Elemente. Filmische Aufarbeitungen und literarische Analysen enthüllen Kafkas tiefgründigen Humor und seine ironische Sicht auf die Absurditäten des Lebens.

Über Kafka lachen? Oder gar mit ihm? Das ist schwer vorstellbar angesichts der Flut an Deutungen, die seit seinem Tod 1924 über uns hereingebrochen ist. Von den Zeitgenossen wurde Kafka eher als Geheimtipp gehandelt. Dann verwandelte ihn sein Freund Max Brod in einen verkappten religiösen Dichter. Jede Epoche hat fortan ihren eigenen Kafka entdeckt: die Existentialisten den Kämpfer gegen das Nichts, die Psychoanalyse den ewigen Sohn, die Surrealisten einen grotesken Metaphysiker, der Strukturalismus den Meister der Bruchstücke. Seit 1938 lauert das Wort „kafkaesk“ in vielen Sprachen der Welt. Aber wofür steht das Ungeheuerliche, Rätselhafte, Unverständliche, das in dem Wort steckt? Fest steht immerhin: Kafka ist nicht unbedingt kafkaesk. Kafkaesk: das ist zuallererst ein Phänomen der Wirkung, die Kafkas Erzählen auslöst. Und das gilt womöglich auch für ihn selbst, wenn er in Tagebuchnotizen und Briefen davon schreibt, was Lesungen seiner Geschichten ausgelöst haben: Ohnmachten (bei der „Verwandlung“) und Lachanfälle.

 

Lachen mit Kafka?

Deshalb hat Kafka komische Seiten. Zuletzt hat der amerikanische Autor David Foster Wallace sich darauf berufen. Er hat 1998 in seinem New Yorker Vortrag „Laughing with Kafka“ für einen ironischen Kafka geworben. Der Postmoderne, die sich zu Tode amüsiere, sei Kafka mit seinen grotesken Erzählungen vorweggekommen. Denn wie komisch ist es, wenn sich statt des fürsorglichen Sohnes auf einmal der altersschwache Vater aufrafft, um jenem „Das Urteil“ zu sprechen? Spielt dem Handlungsreisenden Gregor Samsa sein Unbewusstes einen Streich, wenn er am eigenen Körper „Die Verwandlung“ in einen Käfer erfährt? Was hat es mit dem Hungerkünstler auf sich, der seinen Job so gut macht, dass ihn am Ende keiner mehr bemerkt? Und was ist mit dem maritim überforderten Poseidon, der seinen Burnout bejammert?

Kafka hat offenbar gerne gelacht. Als er 1910 zum Konzipisten der Prager Arbeiter-Unfall-Versicherung befördert wurde, hat er seinem Vorgesetzten ins Gesicht gelacht. Seiner zweimaligen Verlobten Felice Bauer bekannte er, er lese „höllisch“ gerne vor und sei „als großer Lacher“ bekannt. Die fand das womöglich nicht lustig, weil ihr Kafka ellenlange, gedankenverhedderte Liebesbriefe mit Schreibmaschine und auf dem Briefpapier seiner Firma schrieb. Der österreichische Zeichner Nicolas Mahler hat das in seiner Comic-Biographie „Komplett Kafka“ illustriert. Wir sehen da eine Figur mit schwarzem Mantel, die sich zu einer erschrockenen Figur hinabbeugt: „Ich kann auch lachen, Felice, zweifle nicht daran.“

Kafkas Humor ist ein „unbehagliches Lachen“ (Max Brod). Es kann uns ertappen bei den Absurditäten des Lebens. Ob es uns dadurch hilft? Der Theologe Karl-Josef Kuschel lässt Kafka in seiner kleinen Studie „Auf dem Seil“ tanzen. Der Autor lässt seine Figuren ins Leere baumeln: Väter und Söhne, Märtyrer und Beter, und allen fehlt eine Bindung in religiös geprägten Milieus. So der Beter, der zwar kniet, aber in die Kirche nur gekommen ist, um ein Mädchen zu stalken, in das er sich verliebt hat.

Der Nobelpreisträger Jon Fosse hat in der Anthologie „Kafka gelesen“ einen tragikomischen Kafka vorgestellt. Als Fosse Kafkas Erzählungen auf Hörbüchern lauschte, um sie – erstmalig übrigens – ins Neunorwegische zu übersetzen, fielen ihm die fließende Sprache und die Musikalität von Kafkas „Schriftstimme“ auf: Das Schlimmtragische schmiegt sich nah ans Komische.

 

Lachen und die Wut des Verstehens

Am Rande der Verzweiflung ist das Lachen derer, die in der Wut des Verstehens mit Kafkas Geschichten hadern. Der Autor scheint diese Wirkung seines Storytellings wohlbedacht zu haben. Der Münchner Literaturwissenschaftler Oliver Jahraus hat (in seinem praktischen Büchlein „Kafka“ auf 100 Seiten) das an der kleinen Erzählung „Gibs auf“ illustriert. Ein Mann geht da zum Bahnhof, es ist frühmorgens, und offenbar ist er deutlich zu spät dran. Unsicher fragt er einen Schutzmann nach dem Weg. Der sagt aber bloß „Gibs auf“ und dreht sich weg, „so wie Leute, die mit ihrem Lachen allein bleiben wollen“. Eine Erzählung über verlorene Ordnung und Lebenswege? Kafka lässt uns am Ende der Erzählung allein: wie den Hüter der Ordnung, dessen Reaktion wir nicht sehen; uns bleibt ein vielleicht tröstlicher Hinweis auf ein einsames Lachen.

Kafkas Leben ist Stoff auch für zwei filmische Präsentationen über den Prager Autor. Das Regie-Duo Georg Maas und Judith Kaufmann widmet sich in ihrem von Michael Kumpfmüllers gleichnamigem Roman inspirierten Film „Die Herrlichkeit des Lebens“ dem letzten Lebensjahr Kafkas und seiner Beziehung zu Dora Diamant. Kafka lebte da in Berlin, schwer lungenkrank, aber produktiv und auf die Widersprüche zwischen Leben, Lieben und Schreiben versessen. Die Geliebte feierte den Realitätssinn, er verstrickte sich in Möglichkeitsformen. Ein Autor, der nicht von der Literatur leben wollte, sondern für sie – ja: als geradezu als Literatur leben wollte: „Ich bestehe aus Literatur, ich bin nichts anderes“, schreibt er einmal. Kein Zufall, dass seine Romanfiguren K. heißen.

 

Geschriebene Küsse und Handschriften vor Gericht

Ein Biopic ist auch die von ARD und ORF produzierte Fernsehserie „Kafka“, die ebenfalls im März startet. David Schalko führt Regie, Daniel Kehlmann hat das Drehbuch geschrieben und sagt zur Aktualität des Autors: „Franz Kafkas Alpträume sind unsere tägliche Realität: In seinen dunklen und doch komischen Visionen hat er die Welt erahnt, in der wir alle jetzt leben.“ Die sechs Folgen der Serien stellen Episoden aus Kafkas Leben vor: das Abhängigkeitsverhältnis zu seinem Vater, von dem er Anerkennung erhoffte und Ablehnung bekam, zu seinen Frauen, Felice Bauer, Milena Jesenská und Dora Diamant, denen er „geschriebene Küsse“ zuhauchte, und zu Max Brod, dem wir die Überlieferung von Kafkas Werken verdankten.

Denn Brod war es, der Kafkas Manuskripte mit dem letzten Zug 1939 im berühmtesten Koffer der Literaturgeschichte aus Prag nach Palästina rettete. In Jerusalem stand dieser Nachlass im Juni 2016 vor Gericht: „Kafkas letzter Prozess“. Die Tochter von Max Brods Sekretärin, Eva Hoffe, war zugegen. Hinter diesem Prozess stehen andere Fragen: Ist Kafka ein jüdischer Autor? Wem gehört sein Werk? Und wie hätte sein bester Freund und größter Promotor mit seinem letzten Willen, die unpublizierten Texte zu vernichten, umgehen sollen?

So heiter das Schreiben Kafkas sein mag, so ernst war es doch um sein Leben bestellt. Rüdiger Safranski hat dafür in seinem Buch die schöne Formel „um sein Leben schreiben“ gefunden. Es ging Kafka um die Beschreibung des Kampfes, den er gegen die Anforderungen des Lebens führte: amtliche Bürokratie und väterliche Bevormundung, Einsamkeit und Familie, die Doppelbindung an Schrift und Geliebte, Glauben und Zweifel. Zeitweise wohnte und schrieb Kafka in einem Durchgangszimmer im Elternhaus, zeitlebens kam er nur selten aus Prag heraus. Sein Erzählen ist glasklar, die Deutung aber unabsehbar. Deshalb lohnt es immer wieder ihn zu lesen, auch mit Hilfe der jüngsten Kafka-Bücher. Beispielsweise dem von Astrid Dehe und Achim Engstler: „Lachen befreit. Kafka nicht.“

 

Michael Braun, geboren 1964 in Simmerath, Literaturreferent der Konrad-Adenauer-Stiftung, außerplanmäßiger Professor für Neuere Deutsche Literatur und ihre Didaktik, Universität zu Köln.

 

Neue Kafka-Bücher:

 

Benjamin Balint: „Kafkas letzter Prozess. Ein Nachlass und seine Geschichte“ (S. Fischer)

Astrid Dehe und Achim Engstler: „Kafkas komische Seiten“ (Steidl)

„Kafka gelesen“. Hrsg. von Sebastian Guggolz (S. Fischer)

Oliver Jahraus: „Franz Kafka. 100 Seiten“ (Reclam)

Karl-Josef Kuschel: „Auf dem Seil: Franz Kafka“ (Patmos)

Mahler: „Komplett Kafka“, „Kafka für Boshafte“ (Suhrkamp)

Rüdiger Safranski: „Franz Kafka. Um sein Leben schreiben“ (Hanser)

Marcus Steinweg und Sonja Dierks: „Kafka“ (Matthes&Seitz)            

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