Am 6. August 2025 wurde Karol Nawrocki als neuer Präsident der Republik Polen vereidigt. Der 42-Jährige Historiker und ehemalige Leiter des Instituts für Nationales Gedenken (IPN) ist einer der jüngsten Präsidenten in der Geschichte der Dritten Republik. Sein knapper Wahlsieg in der Stichwahl am 1. Juni 2025 gegen den liberalen Kandidaten Rafał Trzaskowski von der Bürgerplattform (PO) markiert eine Zäsur in der polnischen Politik, die die Spannungen zwischen der proeuropäischen Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk und der führenden nationalkonservativen Oppositionspartei der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) weiter verschärfen dürfte.
Nawrocki, der parteilose selbsternannte „Bürgerkandidat“, wurde mal mehr, mal weniger offen von der PiS unterstützt. So hatte ihn der damalige PiS-Kulturminister und Kaczyński-Vertraute Piotr Gliński zum Direktor für das Museum des Zweiten Weltkriegs ernannt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der PiS-Parteivorsitzende und die graue Eminenz der Partei Jarosław Kaczyński seinen politisch unbeschriebenen Wunschkandidaten gegen mehrere profilierte Politiker durchdrückte. Nawrocki steht für einen nationalistischen, nationalkonservativen und europaskeptischen Kurs. Dieses Porträt zeichnet seinen Werdegang nach, seine politischen Positionen, die Kontroversen um seine Person und die möglichen Auswirkungen seiner Präsidentschaft auf Polen und Europa.
Herkunft und Werdegang: Karol Tadeusz Nawrocki wurde 1983 in Danzig geboren. Aus bescheidenen Verhältnissen stammend, wuchs er in einer Arbeitersiedlung auf und finanzierte sich sein Geschichtsstudium an der Universität Danzig unter anderem als Türsteher in einem Luxushotel. Schon in jungen Jahren war Nawrocki ein leidenschaftlicher Sportler: Er spielte für die Fußballmannschaften KKS Gedania und EX Siedlce Gdańsk und war im Juniorenbereich ein erfolgreicher Amateurboxer. Sein Image als „harter Kerl“ wurde im Wahlkampf gezielt in Szene gesetzt, etwa durch öffentliche Auftritte beim Kampftraining oder den Verkauf von T-Shirts mit der Aufschrift „Neuer Rocky“ – eine etwas holprige Anspielung auf den Filmhelden aus einfachen Verhältnissen, der zum Champion wird.
Aufstieg und Kandidatur: Nawrockis Karriere nahm Fahrt auf, als er 2009 beim Institut für Nationales Gedenken (IPN) zu arbeiten begann, einer staatlichen Einrichtung, die sich mit der Aufarbeitung der nationalsozialistischen und kommunistischen Vergangenheit Polens auseinandersetzt. 2017 erhielt er von der damaligen PiS-Regierung den Auftrag, das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig zu leiten. Dieses Museum war ein Zankapfel zwischen der PiS und liberalen Kritikern, da die ursprüngliche Ausstellung das Leid der Zivilbevölkerung in ganz Europa in den Mittelpunkt stellte. Nawrocki setzte die Vorgaben der PiS um, entließ kritische Mitarbeiter und verschob den Fokus auf polnisches Heldentum, was ihm sowohl Lob von konservativen Kreisen als auch Kritik von Historikern einbrachte, die eine Politisierung der Geschichte befürchteten.
2021 wurde Nawrocki Präsident des Instituts für Nationales Gedenken, eine Position, die ihm noch mehr öffentliche Sichtbarkeit verschaffte. Unter seiner Leitung setzte das Institut auf eine patriotische Erinnerungspolitik, die nationale Narrative stärkte. Man baute Bildungsprogramme für Schulen aus, trieb die Digitalisierung von Archiven und die Förderung von Gedenkstätten voran. Doch Nawrockis Ansatz war nicht unumstritten. Kritiker warfen ihm vor, historische Forschung für politische Zwecke zu instrumentalisieren, etwa durch eine einseitige Darstellung sensibler Themen wie polnischer Verstrickungen in Kriegsverbrechen. International sorgte 2024 seine Entscheidung für Aufsehen, ein Denkmal für die Rote Armee in Glubczyce abzubauen. Russland schrieb Karol Nawrocki deshalb sogar zur Fahndung aus. Am 24. November 2024 war es dann schließlich so weit: Die PiS nominierte Karol Nawrocki auf einem Parteitag in Krakau als ihren Präsidentschaftskandidaten.
Kontroversen und Krisen: Nawrockis kometenhafter Aufstieg war von Kontroversen begleitet. Der Oberste Rechnungshofs (NIK) kritisierte 2024 und 2025 die Verwendung öffentlicher Gelder in Höhe von etwa 15,4 Millionen Polnischer Złoty für IPN-Projekte, deren Nutzen nicht klar nachgewiesen werden konnte. Auch die Besetzung von Posten mit politisch nahestehenden Personen und nicht transparente Ausschreibungen wurden bemängelt. Kritiker sahen darin einen Missbrauch staatlicher Mittel für politische Zwecke.
Zudem gab es Medienberichte über Nawrockis Vergangenheit, die seinen Wahlkampf belasteten: so über mutmaßliche Kontakte ins Danziger Rotlichtmilieu und zu Neonazi-Kreisen, dass er als Jugendlicher an Hooligan-Schlägereien beteiligt gewesen sei und über eine Danziger Wohnung, die er unter undurchsichtigen Umständen erworben habe. Er unterschrieb den Kaufvertrag in seinem Namen und im Namen eines „Herrn Jerzy“. Herr Jerzy galt zu der Zeit aufgrund seines hohen Alters als nicht mehr geschäftsfähig. Nawrocki zahlte nur ein Zehntel des Kaufpreises und wurde von Herrn Jerzy als Alleinerbe der Wohnung eingesetzt. Im Gegenzug sollten sich Nawrocki und seine Ehefrau um die Pflege des Herrn kümmern, doch der 80-Jährige ist in einem Pflegeheim untergebracht. Der öffentliche Druck auf Nawrocki wurde so groß, dass er die Wohnung schließlich verkaufte und den Erlös für wohltätige Zwecke spendete.
Präsidentschaftswahl 2025: Im Wahlkampf setzte er auf konservative Themen wie traditionelle Familienwerte, Steuererleichterungen, eine restriktive Migrationspolitik und den Schutz nationaler Souveränität. Der Start in den Wahlkampf gestaltete sich äußerst schwierig für Nawrocki. Zeitweise musste er sogar fürchten, nicht in die Stichwahl zu kommen. Doch sein volksnahes, zuweilen hemdsärmeliges Auftreten machte ihn für viele Wähler greifbarer als den weltgewandten Rafał Trzaskowski, den Kandidaten der proeuropäischen Bürgerplattform (PO). Er holte – gerade in den letzten Wochen – immer stärker auf. Als parteipolitisch unbeschriebenes Blatt sollte er möglichst wenig Angriffsfläche für die Gegner der PiS bieten und dann, im zweiten Wahlgang, für eine Mehrheit der Unterstützer der rechtsextremen Konföderation wählbar sein. Der Plan ging auf.
Im ersten Wahlgang am 18. Mai 2025 lag Nawrocki mit 39 Prozent der Stimmen vorn, verfehlte aber die absolute Mehrheit. In der Stichwahl am 1. Juni setzte er sich mit 50,89 Prozent gegen Trzaskowski (49,11 Prozent) durch – ein hauchdünner Sieg mit einer Differenz von etwa 370.000 Stimmen. Das Ergebnis unterstreicht auch die tiefe Spaltung des Landes: Während Trzaskowski in urbanen Zentren wie Warschau, Danzig, Posen und Krakau gewann, dominierte Nawrocki die ländlichen Gebiete, vor allem in Süd- und Ostpolen.
Herausforderungen und Ausblick: Nawrockis Präsidentschaft beginnt in einer Zeit tiefer politischer Polarisierung. Sein Vetorecht als Präsident gibt ihm die Macht, Gesetze der Regierung Tusk zu blockieren. Und dass er davon Gebrauch machen wird, auch um einer baldigen Regierung aus PiS und der rechtsextremen Konföderation den Weg zu ebnen, daran lässt er keinen Zweifel. Er nutzte es bereits, um Gesetzesvorhaben der Regierung zu blockieren. Nawrockis erklärtes Ziel, die Regierung zu schwächen, kann zu Dauerstreit führen, der Polens Regierung lähmt oder sogar zerbrechen lässt. Es knirscht bereits an allen Ecken. Doch noch hält das liberal-christdemokratische Lager zusammen: Ministerpräsident Donald Tusk (PO) stellte kurz nach dem Wahlausgang die Vertrauensfrage. Und gewann.