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Lothar Köthe

„Mein Vater war ein Kind seiner Zeit“

Michael Kleeberg über sein neues Buch

Am 20. August 2020 hat der Literaturpreisträger der Konrad-Adenauer-Stiftung – Michael Kleeberg – sein neues Buch „Glücksritter. Recherche über meinen Vater“ veröffentlicht. Laut Verlag ist Kleebergs Recherche eine „ebenso schonungslose Analyse wie zärtliche Annäherung. Eine Reise durch die Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert. Und eine schmerzhafte Selbstbefragung: Wieviel des Vaters steckt in mir, wieviel der Einstellungen seiner Generation prägten die Republik?“

In der Audio-Datei ist ein Auszug zu hören, der die propagandistische Einflussnahme der NS-Diktatur auf die Heranwachsenden und deren Folgen beschreibt.

Warum der Titel „Glücksritter“?

Michael Kleeberg: Der Arbeitstitel war „Hans im Glück“. Ich wollte etwas mit der Glückssuche drin haben und die leeren Hände, mit denen Hans am Ende dasteht.

Der Verlag war damit aber nicht glücklich. Mit „Glücksritter“, das zusätzlich den Aspekt des fahrenden Ritters bringt, als den man meinen Vater auch sehen kann, waren dann alle glücklich – ein Kompromiss zwischen den Marketingerwägungen des Verlages und den Intentionen des Autors.

Mit dem Vaterthema haben Sie sich in „Vaterjahre“ bereits auseinandergesetzt, was ist beim „Glücksritter“ anders?

Michael Kleeberg: Der Unterschied zu „Vaterjahre“ ist ganz simpel: Das eine Buch ist Fiktion, das andere Biographie, ohne Erfindung – die Arbeit an dem neuen Buch war somit auch eine völlig andere.

Ist das autobiographische „Glücksritter“ Ihr persönlichstes Buch?

Michael Kleeberg: In gewisser Hinsicht ja und nein: Ja, weil ich wahre Geschichten aus meinem Leben berichte, nein, denn, wenn man das Wort „persönlich“ als „intim“ definiert, kann man in einem Roman, hinter dem Schutzwall des Fiktionalen, viel leichter Intimes über sich ausplaudern. So gesehen war mein persönlichstes Buch der im 18. Jahrhundert spielende „König von Korsika“.

Ist „Glücksritter“ eher eine historisierende Familiengeschichte oder ein autobiographisches Geschichtsbuch?

Michael Kleeberg: Ein autobiographisches Geschichtsbuch! Es stellt tatsächlich Zeitgeschichte durch den Filter des persönlichen Schicksals dar. Ich hätte es auch nicht veröffentlicht, wenn es nichts Anderes als privat wäre. Es ist aber nicht nur biographische Geschichte, sondern vor allem biographische Soziologie. Es beschreibt ein Leben im Brennglas der historischen und der sozialen Konstellationen, die es geprägt haben.

Das Buch ist mit zahlreichen humorvollen Anekdoten angereichert. So beschreibt es anschaulich, wie der Bauch des Vaters in Folge der „Fresswelle der 1960er Jahre“ wächst. Und die Eltern haben 1972 als traditionelle SPD-Stammwähler überraschend Rainer Barzel statt Willy Brandt gewählt – was waren die Motive hierfür?

Michael Kleeberg: Meine Eltern haben, als ich noch klein war, gesagt: „Leute wie wir wählen SPD“ – damals war ihre politische Ausrichtung noch von der „Klassenzugehörigkeit“ geprägt. Der Wechsel zur CDU 1972 war insofern eine erste politische Individualisation. Nicht mehr soziale Schicht, sondern „Ich“.
Das hatte auch praktische Gründe: Die SPD-Regierung hat nach 1969 eine Schuldenpolitik gemacht, und nach 1970 ist die Inflation und sind die Steuern angestiegen. Mein Vater ist plötzlich in eine höhere Steuerklasse gerutscht und hatte den Eindruck: „die SPD nimmt mir mein schwer verdientes Geld weg“. Wegen ein paar tausend Mark mehr hat er sich plötzlich für einen Besitzenden gehalten, dem die „Roten“ ans Portemonnaie wollen. Das ist er natürlich nie gewesen, aber bestimmt hat er es sich erträumt.

In diesem Jahr feiern wir 30 Jahre deutsche Einheit – im Buch spielt die Familie im Osten Deutschlands zwischen 1945 und 1989 eigentlich keine große Rolle – ich zitiere mal aus dem Buch: „Wir kamen vor der Wende nie auf den Gedanken, nach Sachsen zu fahren, und nach der Wende waren es die Ostdeutschen, die zu uns reisten.“

Michael Kleeberg: Das Verhältnis zur deutschen Teilung: jemand meines Jahrgangs hat, wenn er kein überzeugter Kommunist war, die DDR gehasst. Das war nicht die Erziehung meiner Eltern, das war der Zeitgeist. Ich bin ein typisches Kind des Kalten Krieges, d.h. für mich als Kind begann Sibirien an der Elbe. Was davon familiäres Milieu war, ist, dass meine Eltern Gegenden wie Thüringen oder Sachsen, und meinetwegen darüber hinaus Schlesien nie als „deutsche Kernlande“ dargestellt haben. Das war DDR oder besser „Soffjetzone“ – und wurde unter den Tisch gekehrt wie ein peinlicher Verwandter, den man totschweigt.

Wir hatten Besuch einer Tante aus Teltow in den späten 1960ern. Der Gedanke, Gegenbesuche zu machen, ist meinen Eltern erst in den 1990ern gekommen, bis dahin war die DDR wie im Märchen „mit Brettern zugenagelt". Was meine Eltern mir zur Teilung Deutschlands vermittelten, war die Überzeugung, dass sie nicht die tragische Folge unserer Politik war, sondern die Rache der „bösen Russen“ an den „unschuldigen Deutschen“.

Breiten Raum nimmt im Buch auch die deutsche Geschichte der Kriegsjahre ein und die Unterschiede in der Sichtweise zwischen einem Kriegskind und einem nachgeborenen Intellektuellen. Wie hat diese Auseinandersetzung Ihr Verhältnis geprägt?

Michael Kleeberg: Das Faszinierende ist die Diskrepanz zwischen einem naiven Zeitzeugen wie ihm, der ja seine kindlichen Prägungen in der Nazizeit erfahren hatte und dem theoretischen postfaktischen Bücherwissen von jemandem wie mir. Wenn er mir zum Beispiel erzählte, die Polen hätten am „Bromberger Blutsonntag“ die deutsche Minderheit der Stadt massakriert, und die Historiker sagen mir, die Nazis haben die Polen dort massakriert –  wem glaube ich? Mein Vater würde bewusst keine Lügen erzählen. Sage ich ihm aber: Deine Sicht war eingeschränkt, die Wissenschaft hat einen anderen Blick darauf, nennt er mich einen Theoretiker und naiven Bücherwurm und sagt: „Wem glaubst du mehr? Ich war dabei!“

Sie haben Ihrem Vater das Buch „Deutsche Geschichte“ von Golo Mann geschenkt. Warum hat er Golo Mann, der als eher konservativer Historiker gilt, nicht lesen wollen?

Michael Kleeberg: Weil mein Vater ein Mensch war, der Schweißausbrüche bekam, wenn Du ihm ein 1000seitiges Buch hingelegt hast. Und er hat gefragt: „Warum soll ich das lesen? Ich war ja dabei!“ Dabei war er bei Golo Manns „Deutscher Geschichte“ nur auf drei Seiten dabei.

Ihr Vater hat mit neun bis 14 Jahren das Elend des Krieges erlebt, wurde „kinderlandverschickt“, ausgebombt und hatte kein Dach mehr über dem Kopf. Auch in den Nachkriegsjahren hat er Hunger und Armut durchlitten. Vor diesem tragischen Hintergrund einer im Grunde verlorenen Jugendzeit ist aus ihm aber kein „politisch aktiver Mensch“ geworden – was könnte der Grund hierfür sein?

Michael Kleeberg: Zum einen: die meisten Leute aus seiner „sozialen Klasse“ – sagen wir das ruhig so – aus dem bindungslosen Kleinbürgertum und aus dem Bildungsumfeld meines Vaters, sind in den Jahren nach der Gründung der Bundesrepublik zu Individualisten und Einzelkämpfern geworden.

Meinem Vater haben einfach die Referenzen für politisches oder gesellschaftliches Engagement gefehlt. Er kam weder aus einem gewerkschaftlich organisierten Milieu noch aus einem kirchlich geprägten, sondern aus einer fast asozialen Kindheit, wo es darum ging sich durchzuschlagen. Er kannte politisches Engagement nur als Mitmachen in einer der NS-Kinder- und Jugendorganisationen. Davon hatte er nach 1945 verständlicherweise genug.  Er hat sich später aber doch politisch und gesellschaftlich engagiert, aber erst in den 1990er Jahren, als er für die CDU im Gemeinderat seines Wohnortes saß.

Das Interview führte Oliver Ernst, Referent Demokratie und Menschenrechte in der Konrad-Adenauer-Stiftung, für den Blog der Zeitschrift „Die Politische Meinung“.

Das Buch ist bei Galiani Berlin erschienen, hat 233 Seiten und kostet 20 Euro.

In der Audio-Datei ist ein Auszug zu hören, der die propagandistische Einflussnahme der NS-Diktatur auf die Heranwachsenden und deren Folgen beschreibt.

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