„Ich werde niemals zulassen, dass Ihr und unser Land, Gabun, zu Geiseln von Destabilisierungsversuchen werdet. Niemals[1]."
So Präsident Ali-Ben Bongo Ondimba am 17. August 2023 in einer öffentlichen Rede zum Unabhängigkeitstag Gabuns. Dreizehn Tage später steht er unter Hausarrest und versucht mit einer heimlich aufgenommenen Videobotschaft, die Bevölkerung für sich zu mobilisieren. Der Langzeitherrscher, dessen Familie das zentralafrikanische Land seit 1967 regiert, wirkt in dem Video verwirrt. Seine rechte Hand zittert, die Gerüchte über eine Parkinson Erkrankung haben wieder Auftrieb. Stärke und Kontrolle strahlt der abgesetzte Präsident nicht aus.
Das unterscheidet ihn von seinem Vater Omar Bongo. Der hatte während seiner Präsidentschaft die Zügel stets fest in der Hand. 41 Jahre hielt er sich, auch durch französische Hilfe, an der Macht. Ein Putsch gegen sein autoritäres Regime konnte mit militärischer Unterstützung Frankreichs vereitelt werden. Seit 55 Jahren bestimmen Vater und Sohn Bongo die Geschicke Gabuns. Man kann also mit Fug und Recht von einer Familiendynastie sprechen.
Wie schon während der Amtszeit seines Vaters wurde das Wahlsystem unter Ali-Ben Bongo Ondimba weiter ausgehöhlt. Spätestens nachdem er die zweite Wahl im Jahr 2005 mit 79,2 Prozent gewonnen hatte, drängte sich der Eindruck auf, dass der Präsident seine Regierungszeit nach Belieben ausdehnt. Die Wahlen im August, die zu dem Putsch führten, waren noch fragwürdiger: So wurde internationalen Wahlbeobachtern und Journalisten der Zugang zu den Wahlen untersagt. Noch gravierender war allerdings eine Wahlrechtsänderung: Jede Stimme für Bongo Ondimba wurde automatisch den Vertretern seiner Partei auf kommunaler und legislativer Ebene zugesprochen. Zuvor hatte man alle drei Stimmen getrennt abgegeben.
Die Bevölkerung beäugte die Wahlen ohnehin kritisch. Bongo Ondimba ist weder in der Bevölkerung noch bei den Militärs besonders beliebt. Schon 2019 hatte das Militär versucht, gegen die Regierung ihres Dauerherrschers zu putschen. Es scheiterte, weil man schlecht organisiert war und an den unausgereiften Umsturzplänen. Und doch zeigte der Putschversuch, dass die Herrschaft der Bongos zu bröckeln und die Unzufriedenheit in der gabunischen Militärelite zu steigen begann.
Der August-Putsch unterschied sich vom ersten Umsturzversuch: Der Kreis der Beteiligten war offensichtlich sehr viel größer. So erkennt man in dem Video, in dem die Putschisten ihre Machtübernahme verkünden, zwei Oberste, aber auch Vertreter der polizeilichen Sicherheitskräfte. Die Unterstützung der Putschisten durch das Militärs, aber auch die Bevölkerung scheint gewachsen zu sein. Darauf verweist auch der Umstand, dass der Umsturz, bis auf kurze Meldungen schweren Artilleriefeuers in der Hauptstadt Libreville, unblutig verlief. Ben-Ali Bongo Ondimba konnte oder wollte keine militärische Auseinandersetzung mit den Militärs riskieren. Wobei man nicht weiß, ob er überhaupt noch über die Mittel verfügt hätte, zum Gegenschlag auszuholen. Dass die Zustimmung auf Seiten der Putschisten ist, dokumentieren zahlreiche Videos und Augenzeugenberichte –gabunische Soldaten werden von der Bevölkerung beklatscht und gefeiert.
Gabun ist Mitglied der OPEC und fünftgrößter Ölproduzent Afrikas. Das Land fördert 211.00 Barrel Öl pro Tag[2]. Im vergangenen Jahr exportierte es Öl im Wert von 6 Milliarden US-Dollar, vorzugsweise in den indo-pazifischen Raum[3]. Neben den reichen Ölvorkommen ist Gabun ein wichtiger Produzent von Mangan und Uranium. Trotz der vielen Bodenschätze ist die gabunische Wirtschaft in einem desolaten Zustand. Besonders die hohe Arbeitslosigkeit befeuert seit Jahren den Unmut der Bevölkerung. Auch die allgegenwärtige Korruption des Bongo-Regimes mag dazu geführt haben, dass es dem Langzeitherrscher nicht gelang, Teile seiner Landsleute für sich zu mobilisieren. Dass sich die politische Elite an den Rohstoffen des Landes bereichert hat und dass die staatlichen Institutionen käuflich sind, ist ein offenes Geheimnis in Gabun.
Nachdem der Sturz des langjährigen Herrschers als das Ende der Bongo-Dynastie deklariert wurde, löste sich eine Schlüsselfigur aus den Reihen des putschenden Militärs: der Cousin des entmachteten Präsidenten, Brice Clotaire Oligui Nguema. Bis zum Putsch war er Oberbefehlshaber der republikanischen Garde gewesen und gehörte zum Kreis der korrupten Bongo-Administration. Dennoch schlug dem Brigadegeneral, der zum Interimspräsident ernannt wurde, eine Welle der Begeisterung entgegen – so zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung.
Gabun ist der erste zentralafrikanische Staat, der sich in Riege der afrikanischen Militärputsche der 2020er Jahre einreiht. Waren es bisher ausschließlich westafrikanische Staaten, wie Mali, Burkina Faso und Niger, liegt die Vermutung nahe, dass nun weitere Regionen Zentralafrikas betroffen sein könnten. Doch die Lage in Zentralafrika ist eine völlig andere als im westlichen Teil des riesigen Kontinents. An Gabun grenzende Staaten wie die Republik Kongo und Äquatorialguinea werden zwar auch autoritär regiert, sind aber wesentlich stabiler als Gabun. Anders sieht es in Kamerun und Senegal aus. Auch in Senegal vermutet man Wahlmanipulationen, und die Herrscher sitzen nicht so fest im Sattel wie in Äquatorialguinea oder der Republik Kongo.
Für Frankreich sind die Putsche in West- und Zentralafrika eine Bedrohung der eigenen Interessen. Gleichwohl geht es inzwischen mit dieser Art Umbrüche in seinen ehemaligen Kolonien deutlich anders um. Hat man in den vergangenen Jahrzehnten oft direkt militärisch eingegriffen, um die eigenen Interessen zu schützen, übt sich die Regierung Macron in Zurückhaltung. Paris muss in seinen Beziehungen zu den west- und zentralafrikanischen Staaten, in denen pro-französische Regierungschefs vom Militär entmachtet wurden, ein neues Kapitel aufschlagen: Man kehrt sich ab von der ehemaligen Kolonialmacht und dem daraus resultierenden engen Verhältnis, haben doch davon nur die politischen Machthaber profitiert und nicht das Volk.
In den Bevölkerungen und den neuen politischen – nun militärischen – Führungen herrschen starke antifranzösische Ressentiments. Während junge Afrikaner in diesen Umstürzen den Beginn einer neuen Epoche und die Loslösung von der ehemaligen Kolonialmacht sehen, fürchten weite Teile des politischen Westens eine Annäherung an Russland und das Aussetzen demokratischer Standards. Doch klar ist auch: Die kolonialen Verbrechen Frankreichs haben transgenerationale Traumata hinterlassen, die weder mit Entwicklungshilfen, demokratischen Bemühungen oder gar Militärinterventionen geheilt werden können.
Jona Thiel, geboren 1999 in Troisdorf (Nordrhein-Westfalen), ist studierter Geschichts- und Politikwissenschaftler. Er publiziert als freier Journalist und fungiert als Sprecher, sowie Autor der Forschungsgruppe "Afrika" des Think Tanks "Kölner Forum für Internationale Beziehungen und Sicherheitspolitik". Zudem ist der Historiker ebenfalls als Autor für die Forschungsgruppe "Friedens- und Konfliktforschung" tätig. Thiel führt einen Blog, welcher sich primär historischen und außenpolitischen Themen zuwendet (Instagram: @gepo.global).
[1] Africanews, Zugriff am 30.08.2023, unter: https://www.africanews.com/2023/08/30/gabon-military-takeover-how-did-events-unfold/.
[2] CEIC Data, Gabon Crude Oil: Production 2016 - 2023 | MONTHLY | BARREL/DAY TH | ORGANIZATION OF THE PETROLEUM EXPORTING COUNTRIES, Zugriff am 04.09.2023, unter: https://www.ceicdata.com/en/indicator/gabon/crude-oil-production.
[3] Goma, Yves Laurent/Mednick, Sam, Gabon's Military Leader Sworn in as Head of State After Ousting President, Zugriff am 04.09.2023, unter: https://time.com/6310538/gabon-coup-new-leader/.