Mit dem Slogan „It’s the economy, stupid!“, gewann Bill Clinton die Präsidentschaftswahlen 1992. Amtsinhaber George H. W. Bush hatte dem wenig entgegenzusetzen, waren die Republikaner zu diesem Zeitpunkt zwölf Jahre Teil der US-Administration und damit für die wirtschaftliche Entwicklung im Land mitverantwortlich.
Auch im US-Präsidentschaftswahlkampf 2024 war die von den Wählern als prekär empfundene wirtschaftliche Lage das am Ende entscheidende Thema. Doch mindestens genauso wichtig: die Migrationspolitik. Unter Präsident Biden war es nicht gelungen, die illegale Migration einzudämmen. Beides wurde den Demokraten zum Verhängnis: die Wirtschaft und die Migration.
Wirtschafts- und Migrationspolitik – wahlentscheidende Themen in den USA und in Deutschland
Auch das Scheitern der Ampel-Koalition in Deutschland ist an den beiden Themen festzumachen. Nach zahlreichen Anschlägen im vergangenen Winter waren die deutsche Gesellschaft, aber auch die Politik gespalten. Die CDU/CSU-Fraktion brachte das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz in den Deutschen Bundestag ein. Und auch hier: Die Reaktionen polarisierten. So kritisierten die Vertreter der beiden großen Konfessionen in einer gemeinsamen Stellungnahme das Vorhaben. Die Reaktion des christdemokratischen Bundestagsabgeordneten Steffen Bilger auf X: „Überrascht nicht, interessiert nicht.“
Rückgang der Religiosität
Beides, die Stellungnahme und Bilgers Reaktion, sind Sinnbild für den Stand der Kirchen in Deutschland: Die Stellungnahme dokumentiert – ein weiteres Mal – die linksliberale Position der Kirchen in Sachen Migration. Und Bilgers flapsiger Kommentar steht für den schwindenden gesellschaftlichen Einfluss der Kirchen.
Die Religion ist in allen westlichen Gesellschaften auf dem Rückzug. So auch in den USA – wenngleich nicht so dramatisch wie in Westeuropa. Im Jahr 1972, so das Pew Research Center, verstanden sich 90 Prozent der US-Amerikaner als Christen. Heute sind es noch knapp zwei Drittel. Dagegen stieg der Anteil derer, die sich religiös ungebunden bezeichnen, von fünf auf 29 Prozent. Menschen, die anderen – nichtchristlichen – Religionen angehören machen 7 Prozent der Bevölkerung aus.
Trump gegen Harris war auch (k)eine Glaubensfrage
Während seiner mehr als fünf Jahrzehnte andauernden politischen Karriere warb Biden immer offensiv mit seinem katholischen Glauben. Sein einfühlsamer Katholizismus hat ihm – als erstem Katholiken im Weißen Haus nach Kennedy – über Parteigrenzen hinweg große Anerkennung eingebracht. Die Kandidaten für seine Nachfolge behandelten ihre Religiosität hingegen weitestgehend als Privatsache.
Kamala Harris' religiöser Hintergrund spiegelt die kulturelle Vielfalt der USA wider. Die Familie des Vaters stammt aus Jamaika und hat vermutlich christliche Wurzeln, ihre Mutter, bei der sie aufwuchs, war Hinduistin. Ihr Ehemann Doug Emhoff ist jüdischen Glaubens. Sie selbst ist bekennende Baptistin. Als Lieblingsstelle aus der Heiligen Schrift nennt sie das Gleichnis des Barmherzigen Samariters, mit dem sie auch ihren Einsatz für Minderheiten begründet.
Mit einem solchen Appell der Nächstenliebe kann Trump, der nach den christlichen Auslegungen der Presbyterianischen Kirche erzogen wurde und sich mittlerweile als „konfessionsloser Christ“ bezeichnet, wenig anfangen. In seinem Handeln scheint er sich eher an einem alttestamentlichen Verständnis von Macht zu orientieren. Um sich als unangefochtene Führungsfigur der MAGA-Bewegung und eines christlichen Nationalismus in den USA zu positionieren, greift Trump auch schon einmal zu einer messianisch anmutenden Wortwahl. So auch nach dem gescheiterten Attentat vom Juli 2024, als er davon sprach, Gott habe ihn gerettet - und nur er allein könne nun Amerika retten.
Laut einer Nachwahlbefragung der Washington Post hat Donald Trump 2024 seinen Stimmanteil bei Protestanten, der größten Glaubensgruppe in den USA, um zwei Prozentpunkte auf insgesamt 63 Prozent gesteigert. Bei den Katholiken legte er sogar um neun Prozentpunkte zu und erreichte in dieser Gruppe einen Anteil von 56 Prozent. Kamala Harris punktete dagegen deutlich bei jüdischen und konfessionslosen Amerikanern.
Katholische Kirche als „Opposition“ zur Trump-Administration
Schon in den ersten Wochen seiner zweiten Amtszeit stellte Präsident Trump in der Außen- und Sicherheitspolitik bewährte Allianzen sowie die regelbasierte internationale Ordnung in Frage. Auch innenpolitisch agiert er radikal, baut den Staatsapparat per Erlass um, entlässt Staatsbedienstete, stoppt Programme. Die Demokratische Partei, noch gelähmt von den Niederlagen bei den Präsidentschafts- und Kongresswahlen, scheint in Schockstarre verfallen zu sein. Einzig die Katholische Kirche und einige andere Glaubensgemeinschaften – so der Eindruck – opponieren gegen die Trump-Administration.
Papst Franziskus hat dafür die Weichen gestellt. Noch vor der Amtseinführung von Donald Trump ernannte er am 6. Januar 2025 den Bischof von San Diego Robert Kardinal McElroy zum neuen Leiter der Erzdiözese der Hauptstadt Washington. Der 71-Jährige gilt in der von Konservativen dominierten US-amerikanischen Bischofskonferenz als liberal. In der Vergangenheit setzte er sich für sexuelle Minderheiten und Migranten ein und fiel als Kritiker der ersten Regierung Trump auf.
Katholische Kirche zieht gegen die Regierung Trump vor Gericht
Die Katholische Bischofskonferenz hat Klage gegen die Regierung Trump eingereicht. Das U.S. District Court for the District of Columbia soll entscheiden, ob der Finanzierungsstopp von Programmen zur Ansiedlung von Flüchtlingen rechtmäßig ist. Die Bischofskonferenz begründet ihre Klage vornehmlich damit, dass die Finanzierung der von ihnen koordinierten Programme dem U.S. Kongress unterliege, der hierfür schon eine Genehmigung erteilt habe. Es sei also unzulässig, dass die Exekutive die Finanzierung zurückziehe. Mehreren Mitarbeitern der katholischen Flüchtlingshilfe sei daher schon gekündigt worden.
Auch andere Religionsgemeinschaften haben Klage gegen eine Entscheidung von Präsident Trump eingereicht, dass Beamte der Einwanderungspolizei künftig ohne Sondergenehmigung Krankenhäuser, Kirchen und Schulen durchsuchen dürfen. Darüber hinaus haben religiöse Migrantenorganisationen, die sich gegen Trumps Anordnung zur Einschränkung des Kirchenasyls stellen, die Judikative angerufen.
Papst stellt sich gegen Trumps restriktive Migrationspolitik
Schon bevor die Bischofskonferenz ihre Klage einreichte, distanzierte sich Papst Franziskus von der Migrationspolitik der Trump-Administration. In einem Brief an die Bischöfe der USA wies der Heilige Vater die Stigmatisierung von Migranten durch die Regierung zurück, die diese pauschal als kriminell bezeichnete. Papst Franziskus betonte, jeder Mensch habe eine unantastbare Würde. Zudem korrigierte er in dem Schreiben die Äußerungen von Vizepräsident J.D. Vance, einem konvertierten Katholiken, der die strikte Migrationspolitik mit dem christlichen Konzept des ‚Ordo amoris‘ – der Ordnung der Liebe, vom Nahen zum Fernen – verteidigte.
Gleichwohl der Heilige Vater die Notwendigkeit einer regulierten und geordneten Migrationspolitik anerkennt, warnte er in seinen Ausführungen auch vor der Gefahr, neue Ideologien zu etablieren. : „Sich um die nationale oder persönliche Identität zu sorgen, ohne die Würde aller zu achten, führt leicht zu einer Ideologie, die das gesellschaftliche Leben verzerrt und die Herrschaft des Stärkeren zum Maßstab der Wahrheit macht.“
Von Papst Franziskus Worten sollten sich alle Kräfte der politischen Mitte leiten lassen – ungeachtet von Differenzen in Detailfragen. Und trotz des schwindenden Einflusses der Religion, ob in den USA oder in Deutschland.
Kai-Uwe Hülss ist Politikwissenschaftler und Soziologe mit den Schwerpunkten in politischer und gesellschaftlicher Kultur, Demokratieforschung sowie der Ökonomie. Studium an der Georg-August-Universität Göttingen, Universität Rostock und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Mit den Blog "1600 Pennsylvania“ versucht er in polarisierenden Zeiten tiefgehend, unaufgeregt und differenziert über US-Politik zu informieren und diese zu analysieren.
Zur besseren Lesbarkeit von Personenbezeichnungen und personenbezogenen Wörtern wird in der Regel die männliche Form genutzt. Diese Begriffe gelten für alle Geschlechter.