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Wie baut man Hürden für die Erwerbstätigkeit von Frauen mit Migrationshintergrund ab?

Interview mit Vanessa Ahuja, Bundesagentur für Arbeit & Christina Ramb, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)

Die Flüchtlinge aus der Ukraine – vornehmlich Frauen und Kinder – haben ein Schlaglicht auf eine Gruppe auf dem deutschen Arbeitsmarkt geworfen, die bisher wenig Beachtung fand: Frauen mit Migrationshintergrund.

Die Erwerbsbeteiligung von Frauen mit Migrationshintergrund liegt nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bis zu 20 Prozentpunkte unter der von Frauen ohne Migrationshintergrund. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Sie reichen von geringen Sprachkenntnissen über den Mangel an Kinderbetreuung bis hin zu geringerer (formaler) Qualifikation. Mit Vanessa Ahuja, Vorständin bei der Bundesagentur für Arbeit (BA), und Christina Ramb, Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), sprechen wir über bestehende Hürden und wie man sie überwindet.

 

Die Arbeitsagenturen und Jobcenter versuchen, Menschen in Arbeit zu bringen, die Arbeitgeber stellen ein. Was ist die größte Herausforderung für die Erwerbstätigkeit von Frauen mit Migrationshintergrund?

 

Vanessa Ahuja: Familie und Beruf sind oft schwer zu vereinbaren. Das betrifft nicht nur Frauen mit Migrationshintergrund. Kommen Migrationserfahrungen dazu, sind drei Faktoren ausschlaggebend: Zum einen bestimmt das traditionelle kulturelle Rollenbild, ob Erwerbstätigkeit für Frauen selbstverständlich ist. Zum anderen hängt es davon ab, welchen Zugang zu Bildungsmöglichkeiten Frauen im Herkunftsland haben. Hinzu kommen die deutschen Sprachkenntnisse, die für die Teilhabe am Arbeitsmarkt und am gesellschaftlichen Leben essenziell sind. Und dann ist da noch das fehlende Angebot an Kinderbetreuungsplätzen, aufgrund dessen Frauen nur eingeschränkt oder gar nicht in der Lage sind, arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wahrzunehmen oder eine Tätigkeit aufzunehmen. Daher ist ein Ausbau der Betreuungsangebote so wichtig.

Christina Ramb: Mich stimmt optimistisch, dass die meisten Frauen sehr gern erwerbstätig wären. Die Arbeits- und Förderbedingungen und ihre Alltagsrealität passen jedoch oft nicht zusammen. Frauen sind durch familiäre Verpflichtungen immer noch eingeschränkter als Männer. Dem wird bei der Ausgestaltung von Sprach- und Integrationsprogrammen zu wenig Rechnung getragen. Kita-Plätze sind – wie schon gesagt – in Deutschland Mangelware. Und die komplexe deutsche Verwaltungsstruktur tut ihr übriges, insbesondere, wenn Sprachbarrieren bestehen oder nicht bekannt ist, wofür welche Behörde verantwortlich zeichnet. Diese Effekte summieren sich. Wir wissen übrigens, dass viele Frauen in Berufen arbeiten möchten, bei denen sie mit Menschen Umgang haben. Und hier sind fehlende Sprachkenntnisse nun mal besonders hinderlich.

 

Welche besonderen Talente und Fähigkeiten bringen Frauen mit Migrationsgeschichte für potenzielle Arbeitgeber mit?

 

Vanessa Ahuja: In der Regel bewegen sich Frauen mit Migrationshintergrund in mindestens zwei kulturellen Kontexten. Sie verfügen also wahrscheinlich über interkulturelle Kompetenz, sind mehrsprachig und anpassungsfähig. In einer globalisierten Ökonomie kann dies von Vorteil sein.

Christina Ramb: Mir fällt in meinen Gesprächen immer wieder auf, dass viele Frauen mit Migrationsgeschichte weniger den üblichen Stereotypen bei der Berufswahl folgen und klassische Männerberufe ergreifen – etwa im MINT-Bereich. Und dann gibt es noch einen indirekt wirkenden Aspekt:

„Frauen haben entscheidenden Einfluss auf die erfolgreiche Integration ihrer Familien.“

Christina Ramb, BDA

Frauen haben entscheidenden Einfluss auf die erfolgreiche Integration ihrer Familien. Sie erziehen die Kinder, sie sind Vorbilder. Und wenn sie ihren Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit sichern, tun sie sehr viel für die Integration der nachkommenden Generationen.

 

Die Arbeitgeber stehen wegen des Fachkräftemangel vor einem strukturellen Risiko für die gesamte Wirtschaft. Was tun sie, um neue Zielgruppen anzusprechen und Potenziale auszuschöpfen? Und woran scheitert es?

 

Christina Ramb: Arbeitgeber müssen sich bei der Personalrekrutierung breiter aufstellen. In den Unternehmen passiert da schon eine ganze Menge. Man konkurriert um qualifizierte Kandidatinnen und Kandidaten. Angeboten werden Programme für Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger, begleitende Sprachkurse, Mentoringprogramme, oder man bildet Tandems mit erfahrenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wichtig ist, dass die Neueinsteigerinnen nicht im Unternehmen alleingelassen werden und immer wissen, an wen sie sich wenden können. Für die Rekrutierung werden verstärkt die privaten Netzwerke der Beschäftigten genutzt. Inzwischen bieten viele Unternehmen Praktika und Einstiegsqualifizierungen an. Wichtig ist, dass vorhandene Arbeitserfahrungen, aber auch informelle Kenntnisse erfragt werden und in die Entscheidungen miteinbezogen werden. Die formale Anerkennung von ausländischen Qualifikationen ist bei reglementierten Berufen im Lehr- oder Gesundheitsbereich häufig ein großes Thema. Diese Anerkennungsverfahren sind zu komplex und dauern zu lange.

 

Oft fehlt es Frauen mit Migrationshintergrund an formalen Qualifikationen oder Sprachkenntnissen. Was gelingt gut, wo braucht es neue Initiativen?

 

Vanessa Ahuja: Dass es Frauen mit Migrationshintergrund oft an formalen Qualifikationen und Sprachkenntnissen fehle, kann aus Sicht der Bundesagentur für Arbeit so pauschal nicht bestätigt werden. Die formale Qualifizierung variiert sehr, abhängig vom Herkunftsland und der persönlichen Biografie: Frauen mit Migrationshintergrund haben überproportional häufig keinen Schulabschluss. Gleichzeitig ist der Anteil der Frauen mit Hochschulreife höher als bei Frauen ohne Migrationshintergrund. Bei den beruflichen Abschlüssen zeigt sich ein ähnliches Bild.

„Der Anteil an Hochschulabsolventinnen liegt unter Frauen mit Migrationshintergrund höher als unter Frauen ohne Migrationshintergrund.“

Vanessa Ahuja, Bundesagentur für Arbeit

Der Anteil an Hochschulabsolventinnen liegt unter Frauen mit Migrationshintergrund höher als unter Frauen ohne Migrationshintergrund. Fehlt es an formalen Qualifikationen und Sprachkenntnissen, sollten zunächst die Sprachkenntnisse verbessert werden. Denn erst mit ausreichenden Sprachkenntnissen können auch fachliche Qualifizierungen wahrgenommen werden. Aktuelle Studien haben gezeigt, dass das bestehende arbeitsmarktpolitische Förderinstrumentarium sehr ausdifferenziert und gut geeignet ist, geflüchtete Menschen auf eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration vorzubereiten.

Bundesagentur für Arbeit

Vanessa Ahuja, geboren 1968, Studium der Volkswirtschaftslehre in Frankfurt am Main. Seit 01. Mai 2022 Vorständin Leistungen und Internationales der Bundesagentur für Arbeit.

BDA | Michael Hübner

Christina Ramb, geboren 1973, zweites Juristisches Staatsexamen 1999 in München. Seit 2020 Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) in Berlin.

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