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Eine Analyse der Corona-Krise

Oberflächlich betrachtet könnte man sagen, dass alles am Finanzmarkt gut gegangen ist. Es gab bisher keine große Welle von Bankenpleiten oder ähnliches. Doch es lohnt ein genauerer Blick...

Laut der amerikanischen Zentralbank Federal Reserve (FED) ist ein Finanzsystem dann als stabil einzustufen, wenn es trotz Schocks seine Kernaufgaben erfüllt: das Zahlungs- und Kreditsystem für Haushalte und Unternehmen zu betreiben. Instabil sind Finanzsysteme hingegen dann, wenn sie Schocks noch verstärken und die Kreditvergabe unterbrechen.​​​​​​​1 Wie schlug sich also unser Finanzsystem mit Blick auf den Corona-Schock?

 

Oberflächlich betrachtet könnte man sagen: Bisher ist es doch alles am Finanzmarkt ganz gut gegangen. Schließlich gab es bisher keine große Welle von Bankenpleiten oder ähnlichem. Doch es lohnt ein genauerer Blick.

 

Corona-Soforthilfen stützen Finanzsystem

 

Schaut man auf den Bankensektor, so ist es bisher tatsächlich nicht zu größeren Problemen gekommen. Die Betonung liegt hier allerdings zum einen auf „bisher“, zum anderen müssen die staatlichen Maßnahmen betrachtet werden, die genau das bisher verhinderten:

 

So stützte die Europäische Zentralbank (EZB) die Banken, indem sie ihre Refinanzierungsgeschäfte neu gestaltete. Durch Zinssenkungen und gelockerte Bedingungen für Sicherheiten erhalten Kreditinstitute bis zu einem Prozent Zinsen geschenkt, wenn sie genau so viel Kreditvolumen ausgeben wie im Vorjahr.2 Die Maßnahme zielt darauf ab, die Kreditvergabe durch die Banken am Laufen zu halten.

 

Zusätzlich profitieren deutsche Banken von den Corona-Soforthilfen der Bundesregierung. Das Ausfallrisiko dieser Schnellkredite sichert der Bund bis zu 100 Prozent. Folglich handelt es sich für Banken um nahezu risikolose Geschäfte, für die sie eine Stückpauschale von 1000 Euro zuzüglich 0,2 Prozent der Kreditsumme jährlich erhalten.3

 

Ganz entscheidend dürfte auch sein, dass die Insolvenzpflicht ausgesetzt ist und somit Unternehmensschieflagen derzeit noch nicht im Bankensektor ankommen können. Außerdem sorgten Erleichterungen in der Bankenregulierung für Entlastung bei den Banken. Allerdings bleibt der Sektor wacklig, die geringe Profitabilität sowie hohe Altlasten fauler Kredite könnten bei einer Insolvenzwelle im Herbst ein Problem werden. Die Insolvenzpflicht sollte Ende September 2020 wieder einsetzen, nun wird bereits diskutiert, diese bis März 2021 zu verlängern. So hätten Unternehmen mehr Zeit, eine drohende Insolvenz abzuwenden; davon würden auch die Banken profitieren.4

 

Die Gefahr im Schatten

 

Anders als bei den Banken sah es bei den sogenannten Schattenbanken und an wichtigen Teilen des Weltfinanzmarkts aus.

 

Seitdem der Bankensektor strenger reguliert wird, hat das sogenannte Schattenbankensystem noch mehr an Bedeutung gewonnen. Mittlerweile werden 48 Prozent der weltweiten Wertpapiere von Schattenbanken gehalten.5 Als Schattenbanken werden Akteure bezeichnet, die bankenähnliche Funktionen, beispielsweise in der Kreditvergabe, übernehmen, selbst jedoch keine Banken sind. Das sind zum Beispiel sämtliche Fondsgesellschaften: Investment-, Pensions-, Hedge- oder Private Equity Fonds. Die Fondsgesellschaft „BlackRock“ kann exemplarisch als eine der prominentesten Vertreterinnen dieser Zunft genannt werden, viele der Gesellschaften sind in der Öffentlichkeit jedoch eher unbekannt.

 

Die Krux: Schattenbanken unterliegen nicht den strengen Regeln, die für Banken gelten. Sie können Kredite genau wie Banken vergeben, können enorme Risiken auftürmen, müssen aber nicht dieselben Sicherheiten vorhalten. Da sie keine klassischen Banken sind, haben Schattenbanken auch selten klassische Einlagen von Sparern.

 

Die Marktteilnehmer schützen sich mangels staatlicher Regeln vor einer möglichen Schieflage ihrer Handelspartner, indem sie sich Sicherheiten stellen lassen. Dafür werden in der Regel Staats- oder Unternehmensanleihen genutzt. Die Idee dahinter: Anleihen gelten als besonders sicher, sind praktisch immer handelbar und deswegen praktisch so gut wie Eigenkapital. Doch genau hier liegt der Fehler im System. In wirtschaftlich guten Zeiten sind Anleihemärkte stabil, doch in Krisenzeiten brechen auch sie zusammen und verstärken den ursprünglichen Schock um ein Vielfaches. Ein weiteres Problem ist die Mehrfachnutzung der gestellten Wertpapiere, welche einen Wertverfall noch dramatischer macht. Ein Schattenbankensystem, welches fast die Hälfte der weltweiten Wertpapiere hält, ist ein Brandbeschleuniger in Krisenmomenten. Genau das ist im März passiert.

 

Die Abwärtsspirale

 

Die Aktienmärkte fielen im März auf ein Rekordtief, und viele Investoren gerieten in Panik. Investoren verkaufen in der Krise risikoreichere Fondsanteile und fliehen in sichere Häfen wie etwa in Bargeld. Wenn zahlreiche Investoren aus einem Fond austeigen wollen, benötigen die Fond-Manager Geld, um diese zu entlohnen, und müssen entscheiden, welche Wertpapiere sie verkaufen.

 

Vielleicht würden sie am liebsten ihre risikoreichsten Wertpapiere verkaufen, allerdings droht hier der größte Verlust. Stattdessen verkaufen Fonds also ihre liquiden und sicheren Anlagen – Staatsanleihen. Durch das erhöhte Angebot von Staatsanleihen fallen aber die Preise ebendieser, und es kommt zu einer Abwärtsspirale. So kam es, dass im März erstmalig nicht nur Aktienpreise, sondern gleichzeitig auch die Preise für deutsche und amerikanische Staatsanleihen fielen. Die einzige Anlage, die Investoren halten wollten, war Cash (US-Dollar).6

 

Dadurch bekamen zahlreiche Fonds ernsthafte Liquiditätsprobleme. Gleichzeitig brach durch den starken Wertverlust der Staatsanleihen die Kreditvergabe der Schattenbanken zusammen. In Krisenzeiten sind Staatsanleihen eben doch nicht gleich Bargeld.

 

Das ist problematisch, denn der Schattenbankmarkt ist eng mit dem Bankenmarkt und der Realwirtschaft verknüpft. Banken und Unternehmen leihen sich von Schattenbanken Geld (und andersherum). Gerät das Schattenbankensystem in eine Krise, ist das Ansteckungsrisiko für Banken und Realwirtschaft groß.

 

Zentralbanken als letzte Rettung

 

Das ist der Moment, in dem Zentralbanken massiv interveniert haben. Sowohl EZB als auch FED legten ähnlich wie 2008 riesige Programme auf, um Staats- und Unternehmensanleihen zu kaufen und den Wertverfall zu stoppen. Vor der globalen Finanzkrise (2008) machte die Zentralbankbilanz 15 Prozent des Bruttoinlandprodukts aus, bis Ende 2019 stieg der Anteil auf 40 Prozent. Durch die bisherigen Corona-Maßnahmen stieg er zum 1. Juli 2020 bereits auf 52 Prozent.7

 

Doch wer profitiert davon? Allen voran die Schattenbanken, die nun Käufer für ihre Staatsanleihen finden. Ihr Marktrisiko wurde verstaatlicht und private Verluste sozialisiert. Gleiches galt für große Konzerne wie beispielsweise Volkswagen, die durch den Kauf ihrer Unternehmensanleihen durch die EZB gestützt wurden.8 Anders als die Rettungsmaßnahmen durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) oder Wirtschaftsstabilisierungsfonds sind diese Rettungen allerdings kaum öffentlich thematisiert worden und waren auch mit keinerlei Auflagen verbunden.

 

Problematisch sind solche Zentralbank-Rettungsaktionen aber auch deshalb, weil sie in ihrer Wirkung nicht neutral sind: Von der Stabilisierung der Aktien und Anleihemärkte profitieren hauptsächlich vermögende Individuen, die selbst Wertpapiere halten. Denn das Geldvermögen ist hoch konzentriert. Auch in Bezug auf die ökologische Wirkung sind Zentralbankinterventionen problematisch: Durch den Kauf der Unternehmensanleihen hat die EZB seit März mindestens 7,6 Milliarden Euro in Unternehmen des fossilen Brennstoffsektors gepumpt.9 Und schließlich besteht die Gefahr, dass alle Marktakteure immer darauf setzen, dass im Zweifelsfall die Notenbanken sie retten werden – eine Einladung zu noch riskanterem Vorgehen.

 

Für ein resilientes Finanzsystem

 

Dass es bisher relativ ruhig ist am Finanzmarkt und keine größeren Pleiten zu beobachten sind, ist deshalb nicht auf die Stabilität des Systems als vielmehr auf gigantische Rettungsmaßnahmen zurückzuführen. Nicht unser internationales Finanzsystem hat den Schock abgedämpft, sondern die staatlichen Maßnahmen. Das Finanzsystem selbst war hingegen krisenverschärfend.

 

Vor diesem Hintergrund ist die Corona-Krise Anlass, grundlegend über Schwachstellen unseres globalen Finanzsystems zu sprechen: die Kurzfristigkeit der Finanzierungsgeschäfte, die Risikoabsicherung von Krediten, globale Währungshierarchien, Eigenkapitalvorschriften und die Regulierung des Schattenbankenmarktes. Damit das Finanzsystem nicht jedes Mal zum Brandbeschleuniger wird, sondern Schocks abfedert und unser System stabilisiert. Denn dafür ist ein Finanzsystem eigentlich da.

 

Dr. Gerhard Schick, geboren 1972, promovierter Volkswirt, ehemaliges Mitglied des Bundestages für die Grünen, Mit-Initiator des Vereins „Finanzwende“ und dessen geschäftsführender Vorstand.

 

[1] https://www.federalreserve.gov/publications/november-2019-financial-stability-report-framework.htm

[2] https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/ezb-geldsalve-banken-sichern-sich-bei-notenbank-rekordsumme-von-1-3-billionen-euro/25928300.html?ticket=ST-7303808-guZvm6JKBgLfboAvdbUN-ap1

[3] https://finanz-szene.de/banking/banken-erhalten-bis-zu-2600-euro-je-kfw-schnellkredit/

[4] https://www.campus.de/buecher-campus-verlag/wirtschaft-gesellschaft/wirtschaft/die_bank_gewinnt_immer-16214.html

[5] https://www.fsb.org/2020/01/global-monitoring-report-on-non-bank-financial-intermediation-2019/

[6] https://www.theguardian.com/business/2020/apr/14/how-coronavirus-almost-brought-down-the-global-financial-system

[7] https://www.omfif.org/policy-tracker/?utm_source=homepagesquare

[8] https://www.reuters.com/article/health-coronavirus-volkswagen-ecb/vw-urges-ecb-to-buy-short-term-debt-to-stabilise-markets-ft-idUSL8N2BK13F

[9] https://www.greenpeace.org/luxembourg/de/presseerklaerungen/9026/europaeische-zentralbank-mehr-als-7-milliarden-euro-fuer-fossile-brennstoffe-seit-beginn-der-covid-19-krise/

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