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"Fusionsvertrag"

von Ralf Thomas Baus
Der Vertrag über die Fusion der Exekutivorgane der drei Gemeinschaften (EGKS, EWG, EURATOM) wird in Brüssel unterzeichnet. Er tritt am 1. Juli 1967 in Kraft.

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Der am 8. April 1965 in Brüssel unterzeichnete und am 1. Juli 1967 in Kraft getretene Fusionsvertrag für die Europäischen Gemeinschaften sah die Einsetzung einer gemeinsamen Kommission und eines gemeinsamen Rates für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) und die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) vor. Sein offizieller Titel lautete daher auch „Vertrag zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften“. Der Fusionsvertrag führte zu einer vollständigen Zusammenlegung der Organe der drei Gemeinschaften, ohne ihre rechtliche Selbständigkeit anzutasten. Er war ein wichtiger Schritt auf dem langen Weg der europäischen Integrationsgeschichte, die in ihrer institutionellen Verfasstheit – sieht man von der sicherheitspolitischen Ebene und dem am 17. März 1948 geschlossenen Brüsseler Pakt ab – vom Anfang der 1950er Jahre bis zum Vertrag von Lissabon im Jahre 2009 reicht.

Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) als Ausgangspunkt institutioneller Integration

Ausgangspunkt war die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) durch den Vertrag von Paris am 18. April 1951. Die sogenannte Montanunion war ein europäischer Wirtschaftsverband und die erste supranationale europäische Organisation überhaupt. Sie gilt als Vorläufer der Europäischen Gemeinschaft. Die Gründerstaaten – Belgien, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande – erhielten durch den Vertrag Zugang zu Kohle und Stahl, ohne hierfür Zölle entrichten zu müssen. Der am 23. Juli 1952 in Kraft getretene und für die Dauer von 50 Jahren geschlossene EGKS-Vertrag lief am 23. Juli 2002 aus.

Die Montanunion ging auf eine Idee von Jean Monnet und eine daraus entwickelte Initiative des französischen Außenministers Robert Schuman zurück, der dem deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer den Vorschlag einer gemeinsamen Kontrolle der Montanindustrie der Mitgliedstaaten unterbreitete. Hauptziel des Vertrages waren nicht wirtschaftliche Ziele, sondern die Sicherung des europäischen Friedens durch „Vergemeinschaftung“. Kohle und Stahl galten nach wie vor als kriegswichtige Güter, wobei dem Ruhrgebiet innerhalb der Gründerstaaten eine herausgehobene Bedeutung zukam.

Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl war gleichsam der Ursprung eines Prozesses des europäischen Zusammenwachsens. Von ihr gingen „entscheidende Impulse zur Fortsetzung der europäischen Integration“ (Ludolf Herbst) aus. Wichtig hierfür war ihre institutionelle Konstruktion, die später zum Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung der europäischen Institutionen – auch durch den Fusionsvertrag vom 8. April 1965 wurde.

Neu war zunächst die Gründung einer Hohen Behörde, die für den Bereich der Montanindustrie gemeinsame verbindliche Regelungen für alle Mitgliedstaaten treffen konnte. Die Hohe Behörde stellte damit die exekutive Gewalt dar; sie ging 1967 durch den Fusionsvertrag in der Europäischen Kommission auf. Der Hohen Behörde war ein Beratender Ausschuss zur Seite gestellt, der als Interessenvertretung von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Verbraucherorganisationen fungierte und im heutigen Wirtschafts- und Sozialausschuss seinen Nachfolger fand. Zu den Institutionen gehörte auch ein Besonderer Ministerrat („Rat“), der die Ressortminister der einzelnen Länder versammelte und als Vorläufer des Rats der Europäischen Union angesehen werden kann. Hinzu kam eine Gemeinsame Versammlung aus 78 Mitgliedern – Vorläufer des Europäischen Parlaments –, der die Kontrolle der Hohen Behörde oblag. Der EGKS-Vertrag sah auch die Errichtung eines Gerichtshofes aus sieben Mitgliedern – hieraus ging später der Europäische Gerichtshof hervor – mit supranationaler Rechtsprechung und eines Rechnungshofes vor.

Mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl war im Rückblick somit das institutionelle Fundament der Europäischen Union gelegt worden.

Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) durch die Römischen Verträge 1957

Mit der Montanunion war der Gemeinschaft der Sechs ein erfolgreicher gemeinsamer Markt gelungen, der den Wiederaufbau und wirtschaftlichen Aufschwung maßgeblich mit antrieb. Die Außenminister der sechs Gründerstaaten beschlossen daher am 2. Juni 1955 in Messina, weitere Möglichkeiten einer wirtschaftlichen Integration zu prüfen. Unter Vorsitz des Belgiers Paul Henri Spaak sollte ein Regierungsausschuss „über die Möglichkeiten einer allgemeinen Wirtschaftsunion sowie über eine Union im Bereich der Kernenergie“ berichten. Der sogenannte „Spaak-Bericht“ wurde am 29. Mai 1956 von den Außenministern der EGKS mit dem Ziel zwischenstaatlicher Verhandlungen genehmigt. Diese führten schließlich zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) sowie zur Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) die in den Römischen Verträgen vom 25. März 1957 – Inkrafttreten am 1. Januar 1958 – rechtlich verankert wurden. Erster Präsident der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wurde der Staatssekretär im Auswärtigen Amt und enge Vertraute Adenauers Walter Hallstein.

Ziel der EURATOM ist es laut Artikel 1 „durch die Schaffung der für die schnelle Bildung und Entwicklung von Kernindustrien erforderlichen Voraussetzungen zur Hebung der Lebenshaltung in den Mitgliedstaaten und zur Entwicklung der Beziehungen mit den anderen Ländern beizutragen.“ Die EURATOM ist bis heute eine eigenständige internationale Organisation; sie teilt allerdings mit der Europäischen Union (EU) sämtliche Organe. Bis zum Inkrafttreten des Fusionsvertrages am 1. Juli 1967 hatte die EURATOM eine eigene Kommission und einen eigenen Rat.

Abkommen über gemeinsame Organe der Europäischen Gemeinschaften im Rahmen der Römischen Verträge 1957

Wichtiger als die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Kernenergie waren die Vereinbarungen zur Vereinheitlichung des Gemeinsamen Marktes mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG): Abschaffung von Kontingentierungen und Zollschranken; freien Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehr; eine gemeinsame Handelspolitik gegenüber Drittstaaten und die Schaffung europäischer Institutionen.

Mit Blick auf den Fusionsvertrag ist vor allem letzterer Punkt von Bedeutung. Denn mit der Gründung von EWG und EURATOM 1957 entstand eine institutionelle Dreifachstruktur, da die neuen Institutionen ebenfalls über je vier Organe – Kommission, Rat, Versammlung/Parlament und Gerichtshof – verfügten. Die Römischen Verträge sahen daher ein Abkommen über gemeinsame Organe der Europäischen Gemeinschaften vor, demzufolge sich die neu gegründete EWG und EURATOM die Parlamentarische Versammlung – hieraus ging später das Europäische Parlament hervor –, den Europäischen Gerichtshof und einen gemeinsamen Wirtschafts- und Sozialausschuss mit der bereits seit 1952 existierenden EGKS teilen mussten. Das Abkommen führte also zu einer partiellen institutionellen Integration und der von den sechs europäischen Staats- und Regierungschefs proklamierten „Schaffung europäischer Institutionen“. Die Exekutivorgane waren in dem Abkommen über gemeinsame Organe vom 25. März 1957 bewusst ausgeklammert worden.

Vertrag zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 8. April 1965

Erst mit dem Fusionsvertrag vom 8. April 1965 wurden die Exekutivorgane – gemeinsamer Rat und gemeinsame Kommission – der drei Europäischen Gemeinschaften (EGKS, EWG, EURATOM) zusammengelegt. Seit Inkrafttreten am 1. Juli 1967 bestanden somit eine gemeinsame Europäische Kommission und ein gemeinsamer Ministerrat, seit 1975 durch eigenen Vertrag auch ein gemeinsamer Rechnungshof. Der Fusionsvertrag sah zudem die Zusammenführung der Beamten und Bediensteten in einer einzigen Verwaltung vor. Zwar war auch eine Verschmelzung der drei Gemeinschaften durch eine Fusion der Verträge zu einem einheitlichen Vertragswerk im Fusionsvertrag enthalten, doch konnte das Ziel einer einzigen Europäischen Gemeinschaft aus politischen Gründen nicht umgesetzt werden. Hintergrund war de Gaulles Politik eines „Europas der Vaterländer“. Mit den sogenannten Fouchetplänen wollte der französische Staatspräsident die Kommission dem Ministerrat vollständig unterordnen, während Walter Hallstein eine Stärkung der Kommission durch Einführung finanzieller Eigenmittel anstrebte.

Ungeachtet dessen führte der Fusionsvertrag zu einer erheblichen Stärkung der supranational angelegten europäischen Institutionen. Mit ihm wurde ein weiterer wichtiger Baustein auf dem Weg der europäischen Integration gesetzt.

Weiterentwicklung durch den Vertrag von Maastricht

Im Vertrag von Maastricht wurde 1992 die EWG – bis dahin eine der drei Europäischen Gemeinschaften – in Europäische Gemeinschaft (EG) umbenannt. Mit der Umbenennung sollte die qualitative Veränderung von einer reinen Wirtschaftsgemeinschaft hin zu einer umfassenden politischen Organisation zum Ausdruck gebracht werden. Die EG wurde damit zu einer der drei Säulen der Europäischen Union (EU), bestehend aus der Europäischen Gemeinschaft (EG), der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) und der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). Der Rechtskörper der Europäischen Gemeinschaft (EG) wurde schließlich zum Kernstück der Europäischen Union (EU). Durch den am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon wurde auch die Europäische Gemeinschaft aufgelöst und ging in der Europäischen Union als Rechtsnachfolgerin auf.

Der Fusionsvertrag vom 8. April 1965 war bereits 1997 durch den Vertrag von Amsterdam (Artikel 9 Absatz 1) unter Beibehaltung seiner wesentlichen Elemente in dem konsolidierten Vertragswerk aufgehoben worden. Auf dem Weg der europäischen Integration war er letztlich nur eine wenn auch wichtige Wegmarke.

Ralf Thomas Baus

Literatur (Auswahl):

  • Abkommen über gemeinsame Organe für die Europäischen Gemeinschaften (http://www.politische-union.de/abkommen.htm) vom 25. März 1957.
  • Vertrag zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 8. April 1965.
  • Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM), in: Bundesgesetzblatt 1957 II, 19.08.1957, Nr. 23, S. 1014-1223.
  • Bieber, Roland/Epiney, Astrid/Haag, Marcel: Die Europäische Union. Europarecht und Politik, 9. Auflage, Baden-Baden 2011.
  • Gehler, Michael: Europa – Von der Utopie zur Realität, überarbeitete Neuauflage, Innsbruck-Wien 2014.
  • Gehler, Michael (Hrsg.): Vom Gemeinsamen Markt zur Europäischen Unionsbildung. 50 Jahre Römische Verträge 1957-2007, Wien, Köln, Weimar 2009.
  • Handlexikon der Europäischen Union, hg. von Jan Bergmann, 5. Auflage, Baden-Baden 2015.

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