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Absetzung Konrad Adenauers als Kölner Oberbürgermeister durch die Nationalsozialisten

von Judith Michel
Am 13. März 1933 fand Konrad Adenauers bemerkenswerte Karriere als Kölner Oberbürgermeister ein abruptes vorläufiges Ende. Er musste aus dem Kölner Rathaus vor dem nationalsozialistischen Mob fliehen und blieb bis zum Ende des „Dritten Reichs“ ein Verfolgter des NS-Regimes.

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Ablehnung und Unterschätzung des Nationalsozialismus

1917 wurde Konrad Adenauer zum Oberbürgermeister von Köln gewählt. In den Jahren seiner Amtszeit setzte sich das Zentrumsmitglied für die Modernisierung der Großstadt ein. Seit 1921 war er zudem Präsident des Preußischen Staatsrats. Mit seinem Bekenntnis zur Weimarer Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, seinem Einsatz für die Freiheit des Einzelnen und die Würde des Menschen, seinen engen und vorurteilsfreien Beziehungen zu Juden sowie seinen ersten Überlegungen zu einer europapolitischen Einigung vertrat Adenauer politische Ziele und moralische Überzeugungen, die der nationalsozialistischen Weltanschauung diametral entgegenstanden. Dennoch betrachtete er die NSDAP ebenso wie die KPD trotz ihrer systemüberwindenden Ausrichtung als „legale“ Parteien, wie es dem Recht und Rechtsverständnis der Zeit entsprach.

Obwohl die vier seit 1930 der Kölner Stadtverordnetenversammlung angehörenden NSDAP-Mitglieder überaus provokant auftraten, behandelte Adenauer die NSDAP auch als Oberbürgermeister wie jede andere Partei. So lehnte er einen Erlass des preußischen Innenministers Carl Severing vom 27. Dezember 1930 ab, nach dem städtische Sportplätze und Turnhallen nicht an staatsfeindliche Organisationen wie die NSDAP oder die KPD vermietet werden sollten.

Nach der Reichstagswahl vom 31. Juli 1932 sprach sich Adenauer gar zunächst für eine Regierung unter Beteiligung der NSDAP mit Adolf Hitler als Reichskanzler aus. So schrieb er am 6. August 1932 an Paul Graf Wolff-Metternich zur Gracht: „Die Zentrumspartei verlangt dringend den Eintritt der Nationalsozialisten in die Reichsregierung. Sie wird bereit sein, alsdann diese Regierung zu tolerieren.“ Adenauers von führenden Zentrumspolitikern geteiltes Ziel war es, so einerseits die Präsidialkabinette abzulösen, andererseits die Nationalsozialisten durch Einbindung zu „zähmen“. Diese Haltung wurde innerhalb des Bürgertums von vielen geteilt, so dass Adenauers Fehleinschätzung für diese Zeit nicht außergewöhnlich war. Später schlug er eine Regierungsbeteiligung der NSDAP auch auf preußischer Ebene vor. All diese Vorschläge erledigten sich mit der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933.

Nun merkte Adenauer gegenüber seiner Verwandten Ella Schmittmann allerdings gravierende Bedenken an: „Wir sind mitten in einem regelrechten Umsturz, Recht und Verfassung gelten nicht mehr, es ist wie 1918, nur auf andere Weise. Wohin das führt? Ich weiß es nicht, aber man kann sehr besorgt sein.“ In der Zeit bis zu den Wahlen des Reichstags am 5. März bzw. des Preußischen Landtags sowie der Stadtverordnetenversammlung in Köln am 12. März 1933 ging Adenauer nun mehrfach auf Konfrontationskurs mit den Nationalsozialisten, sobald er ihnen einen Rechtsbruch vorwerfen konnte.

So war Adenauer als Staatsratspräsident Mitglied des Dreimännerkollegiums, das über die Auflösung des Preußischen Landtags bestimmen konnte. Am 6. Februar 1933 trat das Dreimännerkollegium mit Landtagspräsident Hanns Kerrl, Adenauer und Franz von Papen zusammen, um über die Auflösung zu verhandeln. Adenauer hielt von Papens Teilnahme, der als „Reichskommissar für Preußen“ anstelle des durch den „Preußenschlag“ entmachteten Ministerpräsidenten Otto Braun im Kollegium vertreten war, für nicht verfassungskonform und nahm daher an der Abstimmung nicht teil. Kerrl und von Papen lösten daraufhin den Landtag ohne Adenauers Beteiligung auf.

 

Durch eine Notverordnung setzte Reichspräsident Paul von Hindenburg am 20. Juli 1932 mit dem sogenannten Preußenschlag die preußische Regierung ab, die seit den Landtagswahlen im April 1932 über keine parlamentarische Mehrheit mehr verfügte und nur noch geschäftsführend im Amt war. Zum „Reichskommissar für Preußen“ wurde Reichskanzler Franz von Papen ernannt.

 

Als der frisch zum Reichskanzler ernannte Adolf Hitler am 17. Februar 1933 für eine große Wahlkampfveranstaltung nach Köln reiste, empfing ihn Adenauer nicht persönlich am Flughafen und lehnte eine Rheinbeleuchtung zu seinen Ehren ab. Adenauer argumentierte, Hitler sei als Parteiführer und nicht als Reichskanzler in Köln. Zudem ließ der Oberbürgermeister Hakenkreuzfahnen, die auf der Deutzer Hängebrücke – und damit auf städtischem Eigentum – angebracht worden waren, wieder entfernen.

Wenige Tage später wurde Adenauer vom Preußischen Staatsrat beauftragt, beim Staatspräsidenten Einspruch gegen die unrechtmäßige Besetzung des Dreimännerkollegiums und gegen verschiedene Verordnungen einzulegen. Adenauer mahnte insbesondere an, Einschränkungen der Presse-, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit zurückzunehmen, und beanstandete den sogenannten Schießerlass des Reichskommissars für das preußische Innenministerium, Hermann Göring, durch den Übergriffe der preußischen Polizei gegenüber Bürgern gerechtfertigt werden konnten. Die am 25. Februar 1933 mit Göring und Vizekanzler von Papen darüber geführte Unterredung blieb ebenso ergebnislos wie Adenauers Appell vom 1. März an von Papen, die einschüchternde Anwesenheit von SA- und SS-Mitgliedern bei der Kommunalwahl am 12. März zu unterbinden.

Im Wahlkampf lief die NS-Propaganda zu Hochtouren auf und griff ältere Vorwürfe gegen Adenauers vermeintlichen „kölschen Klüngel“, angebliche Misswirtschaft und unterstellten Separatismus auf. Korruption und Misswirtschaft waren gängige Vorwürfe, mit denen auch andere missliebige Politiker durch die Nationalsozialisten konfrontiert und diskreditiert wurden. Maßgebliche Kräfte bei dieser Hetze waren der nationalsozialistische „Westdeutsche Beobachter“ und die rheinische NSDAP-Größe Josef Grohé, von denen Adenauer als „Judenknecht“, „Blutjude“ und jüdischer „Großprotz von Köln“ bezeichnet wurde. Diese bösartigen und rassistischen Vorwürfe spielten auf Adenauers gute Beziehungen zu Juden wie dem Unternehmer Dannie Heineman und zur jüdischen Gemeinde sowie zur zionistischen Bewegung Kölns an.

 

Vertreibung aus Köln

Bei der Reichstagswahl erreichte die NSDAP in Köln ein Drittel der Stimmen – dies war zwar weniger als auf der Reichsebene, aber dennoch ein beachtlicher Erfolg. Die Woche zwischen Reichstags- und Kommunalwahl erlebte Adenauer als Hetzjagd, in der er zahlreiche Warnungen und Drohungen erhielt. Vor dem Rathaus wurde „Fort mit Adenauer“ und „Adenauer an die Mauer“ skandiert. Zu seinem vermeintlichen „Schutz“ wurden SA-Wachen in sein Haus geschickt. Gleichzeitig jedoch zogen SA-Mitglieder durch die Stadt und sammelte Geld unter der Parole: „Jeder Groschen ein Schuß gegen Adenauer!“

Adenauer traf nun Vorbereitungen und brachte seine Familie ins Caritas-Krankenhaus Hohenlind. Am 12. März erhielt er vom zur NSDAP tendierenden Beigeordneten Eberhard Bönner die Warnung, dass die SA ihn am folgenden Tag aus dem Rathausfenster werfen oder ihn auf dem Neumarkt einer Art Lynchjustiz ausliefern wollte. So kehrte er an diesem Tag ein letztes Mal in sein Amtszimmer zurück, schloss das Rathaus hinter sich ab und steckte den Rathausschlüssel ein, den er bis zu seinem Tod behielt.

Nach den Kommunalwahlen hätte Adenauer keine Basis mehr für die Fortsetzung seiner politischen Arbeit gehabt, da die NSDAP und die Kampffront Schwarz-Weiß-Rot aus DNVP und Stahlhelm mit Hilfe eines Überläufers in der Stadtverordnetenversammlung die absolute Mehrheit erhielten. Am 13. März näherten sich morgens NSDAP-Gruppierungen in militärischer Formation dem Kölner Rathaus und forderten mit Sprechchören „Adenauer an die Mauer“. Grohé, ein NSDAP-Parteiführer ohne staatliches Amt, erklärte Adenauer ohne rechtliche Grundlage für abgesetzt und ernannte Günter Riesen zum kommissarischen Oberbürgermeister. Zu diesem Zeitpunkt hatte Adenauer sein Kölner Haus an den SA-Wachen vorbei bereits verlassen und war von seinem Freund, dem Bankier Robert Pferdmenges, nach Dortmund gebracht worden, wo er den Zug nach Berlin bestieg.

In Berlin konnte Adenauer bis zur Neuwahl des Staatsratspräsidenten Ende April 1933 in seiner Dienstwohnung als Staatsratspräsident in der Wilhelmstraße wohnen. Aus heutiger Sicht erscheint die Situation absurd, dass Adenauer auf der Flucht vor dem Kölner Mob in Berlin nur zwei Häuser von Hermann Göring entfernt unter Polizeischutz Zuflucht finden konnte. Mit Göring traf er wenige Tage später für ein Gespräch zusammen, um sich über die Vorfälle in Köln zu beschweren. Noch immer hoffte er auf einen letzten Rest von Bewusstsein für Rechtsstaatlichkeit bei den Nationalsozialisten. Bei Göring fand Adenauer keine Unterstützung, sondern sah sich vielmehr den Vorwürfen ausgesetzt, 5 Millionen Reichsmark aus der Kölner Stadtkasse mitgenommen und Hitler im Februar in Köln nicht gebührend empfangen zu haben. Das Gespräch endete mit dem Hinweis Görings, er habe gegen Adenauer eine dienstrechtliche Untersuchung angeordnet.

 

Finanzielle Lage und juristische Auseinandersetzungen mit den Nationalsozialisten

Angesichts der Verleumdungen, die über ihn in die Welt gesetzt wurden, beantragte Adenauer schließlich ein Dienststrafverfahren gegen sich selbst, um seine Unschuld zu beweisen. Dieses Verfahren wurde am 4. April 1933 vom Kölner Regierungspräsidenten „mit dem Ziel der Dienstentlassung“ eingeleitet. Zudem wurde Adenauer sofort vorläufig des Dienstes enthoben, was mit einer Halbierung seiner Bezüge einherging. Durch seine Absetzung als Kölner Oberbürgermeister verlor Adenauer seine kommunalen Ämter und musste den Vorsitz, den er bei mehreren Aktiengesellschaften und GmbHs innehatte, niederlegen. Zudem verzichtete er auf die Nominierung für die Neuwahlen zum Provinzialausschuss und zum Preußischen Staatsratspräsidenten.

Die Kürzung seiner Bezüge sowie die Aufforderung, Teile seines Gehalts von 1932 zurückzuzahlen, betrachtete Adenauer als „geeignet, die wirtschaftliche Existenz (s)einer Familie zu zerstören“. Sein Vermögen bestand zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich aus dem repräsentativen Haus in der Max-Bruch-Straße 6 in Köln, für das er Steuern und Hypothekenzinsen weiterzahlen musste, ohne es nutzen, verkaufen oder vermieten zu können. Vermutlich empfand Adenauer seine finanzielle Situation schlimmer als sie tatsächlich war, zumal er von seinem Freund Dannie Heineman mit größeren Geldbeträgen unterstützt wurde. Dennoch stand Adenauer vor dem Scherbenhaufen seiner bürgerlichen Existenz. Nicht einmal seine treuen Freunde Heineman und Robert Pferdmenges sahen sich in der Lage, dem politisch und sozial Geächteten in dieser Situation eine Anstellung mit angemessenem Einkommen zu vermitteln.

Adenauer nahm daher den juristischen Kampf mit den Nationalsozialisten auf. Neben einer zufriedenstellenden finanziellen Lösung erhoffte er sich davon vor allem die Wiederherstellung seiner Ehre. Hier kamen Adenauer seine juristische Ausbildung, seine Verwaltungserfahrung und seine Hartnäckigkeit zu Gute. Akribisch nahm er Stellung zu den im Dienststrafverfahren erhobenen Vorwürfen, die sich insbesondere um Misswirtschaft, Nepotismus und Korruption drehten. Ein herber Schlag für den inzwischen im Kloster Maria Laach untergeschlüpften Adenauer war zunächst seine offizielle Dienstentlassung vom 17. Juli 1933 durch den Innenminister auf Grundlage des § 4 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. Während die meisten anderen Oberbürgermeister und Kölner Beigeordneten nach § 6 „zur Vereinfachung der Verwaltung“ ohne Angabe von Gründen in den Ruhestand versetzt worden waren, bedeutete eine Entlassung nach § 4, der Betreffende sei als „national nicht zuverlässig“ einzustufen, was mit einer Kürzung der Pension einherging. Letztlich konnten die Nationalsozialisten für keinen der Vorwürfe stichhaltige Beweise vorlegen. Am 4. Juni 1934 wurde das Verfahren gegen Adenauer schließlich eingestellt, allerdings mit der Erläuterung, dass damit seine Unschuld keinesfalls erwiesen sei.

Die Forschung ist sich weitgehend einig, dass sich Adenauer am 30. Juni 1934, dem Tag des sogenannten Röhm-Putsches, schließlich der wahre Charakter des NS-Terroregimes offenbarte: Er wurde in Neubabelsberg verhaftet, wo er inzwischen mit seiner Familie wohnte. In einer leerstehenden Potsdamer Villa wurde Adenauer für zwei Tage festgehalten, wo er stets mit der sofortigen Erschießung rechnen musste, bis er schließlich doch freigelassen wurde.

Auch nachdem er mit seiner Familie im April 1935 in ein Mietshaus nach Rhöndorf gezogen war, hatte er sich mit den Schikanen des Regimes auseinanderzusetzen. So wurde er unter einem Vorwand für einige Monate aus dem Regierungsbezirk Köln ausgewiesen, was zur Folge hatte, dass er nicht mehr bei seiner Familie in Rhöndorf wohnen durfte und Zuflucht in einen Erholungsheim für katholische Priester im nicht weit entfernten Unkel suchen musste.

In all dieser Zeit lag Adenauer noch im juristischen Streit mit der Stadt Köln um seine finanziellen Forderungen, die auch nach Einstellung des Dienststrafverfahrens im Sommer 1934 nicht erfüllt worden waren. Am 28. August 1937 konnte er schließlich nach Flucht des Oberbürgermeisters Riesen mit dessen Nachfolger einen Vergleich erzielen. Die Stadt Köln übernahm Adenauers Haus in der Max-Bruch-Straße zum Schleuderpreis und zahlte ihm nach Abzug der Schulden und aufgelaufenen Steuern insgesamt 153.886 Reichsmark. Seine Pension sollte ab sofort 15.000 RM jährlich betragen. Erst nach dem Ende des „Dritten Reichs“ wurden Adenauer als durch das NS-Regime Verfolgtem auch die nach diesem Vergleich einbehaltenen Dienstbezüge ausgezahlt. Mit dem durch den Vergleich erhaltenen Geld konnte Adenauer im Winter 1937 den Bau seines Hauses auf dem Grundstück Zenningsweg 8 in Rhöndorf fertigstellen. Dort konnte er zunächst weitgehend ungestört als Pensionär leben.

Nach dem gescheiterten Attentatsversuch gegen Hitler am 20. Juli 1944 geriet Adenauer, obwohl er nicht direkt in die Umsturzpläne involviert gewesen war, jedoch erneut ins Visier der Gestapo, die ihn am 23. August in das Internierungslager auf dem Deutzer Messegelände brachte. Nachdem ihm von dort die Flucht gelungen war, wurde seine Frau Gussie in Köln-Brauweiler inhaftiert und dort derartig unter Druck gesetzt, dass sie aus Angst um ihre Kinder den Aufenthaltsort ihres Mannes verriet. Sie unternahm daraufhin einen Selbstmordversuch, dessen Spätfolgen vermutlich zu ihrem Tod am 3. März 1948 mit nur 52 Jahren führten. Nachdem Adenauers Aufenthaltsort bekannt war, wurde er nun ebenfalls in Brauweiler inhaftiert, wo er zwei Monate unter ständiger Todesangst verbrachte. Auf Intervention seines Sohnes Max beim Reichssicherheitshauptamt hin wurde er schließlich am 25. November 1944 entlassen.

 

Glimpflich davongekommen?

Der Adenauer-Biograph Henning Köhler stellt die These auf, Adenauer habe nach der Machtergreifung nur einige „Unsicherheiten und Härten“ zu ertragen gehabt, ansonsten sei ihm der NS-Staat als „weitgehend normales Gemeinwesen“ begegnet, mit dem er „zähe verwaltungsrechtliche Auseinandersetzungen“ habe führen können. Selbst wenn man die Gestapo-Haft der Eheleute Adenauer von 1944 nicht mitberücksichtigt, wird dieses Urteil der Verfolgung, den Schikanen und der Todesgefahr, die für Adenauer vom NS-Regime ausgingen, in keiner Weise gerecht. Obgleich Adenauer im Vergleich zu den Ermordeten und Gefolterten glimpflich davongekommen ist, ist sich die Forschung ansonsten einig, dass seine Verfolgung keineswegs harmlos gewesen ist.

Der einst geachtete und wohlsituierte Oberbürgermeister sah sich schon in den Wochen vor seinem Sturz permanenter Bedrohung und gesellschaftlicher Ächtung ausgesetzt. Nach seiner Absetzung erhielt Adenauer keinerlei Unterstützung durch die Kölner Zentrumsfraktion und bis auf wenige Ausnahmen wandte sich das Bürgertum von ihm ab. Zuflucht fand er nun hingegen in den Klöstern, Krankenhäusern und Kurheimen der katholischen Kirche und bei seiner Familie, von der er jedoch häufig für längere Zeit getrennt leben musste. Neben finanziellen Schwierigkeiten und dem Ehrverlust machte es ihm zu schaffen, dass es ihm nicht gelang, Arbeit zu finden, durch die er sich Zeit seines Lebens definierte. Mehrmals war zudem sein Leben bedroht – in Köln durch den Mob, in Neubabelsberg während der Inhaftierung im Zuge der Röhm-Affäre. Dieser „Sturz ins Nichts“ führte dazu, dass Adenauer seinem Freund Heineman am 14. Oktober 1933 anvertraute: „wenn nicht meine Familie und meine religiösen Grundsätze wären, hätte ich lange meinem Leben ein Ende gemacht, es ist so wirklich nicht lebenswert.“

Adenauer unterlag wie viele Deutsche in den ersten Monaten nach der „Machtergreifung“ der politischen Fehleinschätzung, Hitler könne eingehegt werden. „Die allgemeine Verwirrung der Geister im Frühjahr und Sommer 1933 geht“, so kommentiert sein Biograph Hans-Peter Schwarz, ging „also auch an dem doch so eindeutig anti-nazistischen Adenauer nicht spurlos vorüber.“ In der Tat standen seine politischen und moralischen Überzeugungen in diametralem Gegensatz zur NS-Ideologie, der auch an seinem vehementen Einsatz für Rechtsstaatlichkeit, Völkerverständigung und individuelle Freiheitsrechte in der Nachkriegszeit abzulesen ist. Von Anfang an legte Adenauer Widerspruch gegen die Rechtsbrüche der neuen Machthaber ein. Sein Vertrauen in den Rechtsstaat war so unerschütterlich, dass er daraus die Kraft zog, sich auf einen langwierigen Rechtsstreit mit den Nationalsozialisten einzulassen, der in der Frühphase des NS-Systems erstaunlicherweise zu seinen Gunsten ausging. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass Adenauer für die Nationalsozialisten ein Vertreter des von ihnen verabscheuten Weimarer Systems war, der – wenn auch nicht physisch – so doch politisch und gesellschaftlich ausgeschaltet werden musste.

 

Quellen:

  • Adenauer im Dritten Reich, bearb. von Hans Peter Mensing (Rhöndorfer Ausgabe). Berlin 1991.
  • Freundschaft in schwerer Zeit. Die Briefe Konrad Adenauers an Dora Pferdmenges 1933–1949, bearb. von Hans Peter Mensing und Ursula Raths. Bonn 2007.

 

Literatur:

  • Biermann, Werner: Konrad Adenauer. Ein Jahrhundertleben. Berlin 2017.
  • Köhler, Henning: Adenauer. Eine politische Biographie. Berlin 1994.
  • Mensing, Hans Peter: Konrad Adenauer (1876-1967). In: Günter Buchstab/Brigitte Kaff/Hans-Otto Kleinmann (Hg.): Christliche Demokraten gegen Hitler. Aus Verfolgung und Widerstand zur Union. Freiburg im Breisgau 2004. S. 62-70.
  • Morsey, Rudolf: Adenauer und der Nationalsozialismus. In: Hugo Stehkämper (Hg.): Konrad Adenauer. Oberbürgermeister von Köln. Festgabe der Stadt Köln zum 100. Geburtstag ihres Ehrenbürgers am 5. Januar 1976. Köln 1976. S. 447–497.
  • Morsey, Rudolf: Leben und Überleben. Konrad Adenauer im Dritten Reich. In: Geschichte im Westen 7 (1992), Heft 2. S.135–142.
  • Schwarz, Hans-Peter: Adenauer. Der Aufstieg: 1876–1952. Stuttgart 1986.

 

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