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Rita Süssmuth wird zur Präsidentin des Deutschen Bundestags gewählt

von Christine Bach
Rita Süssmuth ist die erste Präsidentin des gesamtdeutschen Parlaments nach der Wiedervereinigung. In ihrer zehnjährigen Amtszeit setzt sie sich dafür ein, demokratische Entscheidungsprozesse für die Bürger transparent zu gestalten. Mit ihrer offenen und dialogbereiten Haltung und als erst zweite Frau und erste CDU-Politikerin in dieser Position trägt sie zu einer Modernisierung des öffentlichen Bildes vom Amt des Bundestagspräsidenten bei.

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Rita Süssmuth und Richard von Weizäcker nach der Wahl Süssmuths zur Bundestagspräsidentin am 25. November 1988 picture alliance/ dpa
Rita Süssmuth und Richard von Weizäcker nach der Wahl Süssmuths zur Bundestagspräsidentin am 25. November 1988
Politische Seiteneinsteigerin

 

Rita Kickuth, so Süssmuths Mädchenname, wird am 17. Februar 1937 in Wuppertal geboren. Nach dem Abitur studiert sie Romanistik, Geschichte und Pädagogik in Münster, Paris und Tübingen. Von 1961 bis 1964  absolviert sie ein Postgraduiertenstudium der Erziehungswissenschaft, Soziologie und Psychologie, das sie mit der Promotion zum Dr. phil. abschließt. Bis zu ihrem Wechsel in die Bundesregierung 1985 ist sie als Hochschullehrerin tätig, erst als Dozentin, dann als Professorin für Erziehungswissenschaft in Bochum und Dortmund. Von 1982 bis 1985 leitet sie in Hannover das Forschungszentrum „Frau und Gesellschaft“.

Weil es sie drängte, ihre „über Jahre gewonnenen Erkenntnisse in der Familien-, Frauen- und Kinderforschung politisch umzusetzen“, habe sie sich, so Süssmuth im Rückblick, für den Wechsel von der Hochschule in die aktive Politik entschieden. Bereits seit 1971 gehört sie dem  Wissenschaftlichen Beirat für Familienfragen des Bundesfamilienministeriums an. 1981 tritt sie in die CDU ein und engagiert sich im Bundesfachausschuss Familienpolitik der Partei. Als Heiner Geißler  sein Amt als Bundesfamilienminister aufgibt, um sich seiner Aufgabe als Generalsekretär der CDU zu widmen, schlägt er Bundeskanzler Helmut Kohl Rita Süssmuth als seine Nachfolgerin vor.  Der Anruf aus dem Bundeskanzleramt, mit dem sie zu einem ersten Gespräch mit Helmut Kohl nach Bonn gebeten wird, kommt für Süssmuth völlig überraschend. Weil sie die Chance sieht, gesellschaftspolitische Fragen, die ihr am Herzen liegen, mitzugestalten, nimmt Süssmuth bei einem zweiten Treffen mit Kohl das Angebot an. Am 26. September 1985 wird sie als Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit in Bonn vereidigt.

In ihrem neuen Amt tritt Süssmuth für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein. 1987 erreicht sie, dass ihr Ministerium offiziell um den Zuständigkeitsbereich „Frauen“ erweitert wird. Sie setzt die Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung durch und eine Erhöhung des Kinderfreibetrags im Steuerrecht. Im Zuge der Ausbreitung der Immunschwächekrankheit AIDS leitet Süssmuth Schritte zur umfassenden Aufklärung ein.

Von 1986 bis  2001 ist Süssmuth Vorsitzende der Frauen-Union. Bei der Bundestagswahl am 25. Januar 1987 kandidiert sie erstmals für den Deutschen Bundestag und gewinnt das Direktmandat im Wahlkreis Göttingen. Dem Präsidium der CDU gehört sie von 1987 bis 1998 an.

Erste Bundestagspräsidentin  nach der Wiedervereinigung
 

„Alle Beteiligten wussten, dass mir diese Entscheidung schwerfiel, dass ich dieses Amt nicht aus Neigung, sondern aus Verpflichtung übernahm“, so kommentierte Süssmuth ihren Wechsel vom Familienministerium ins Amt des Bundestagspräsidenten im Nachhinein. Die Neubesetzung des Postens war nötig geworden, weil der bisherige Präsident Philipp Jenninger nach einer missverstandenen Rede zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht seinen Rücktritt erklärt hatte.  

Für Süssmuth selbst kommt der Vorschlag, sie solle für das Amt des Bundestagspräsidenten kandidieren, erneut völlig überraschend. Erst nach Gesprächen mit Bundeskanzler Helmut Kohl und dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Alfred Dregger, erklärt sie, dass sie für die Position zur Verfügung steht. Ihre Nominierung erfolgt durch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Gewählt wird sie von den Abgeordneten des Bundestags am 25. November 1988 mit 380 von 473 gültigen Stimmen. Nach dem Wahlgang sagt sie, sie hoffe, dass ihr Beispiel anderen Frauen Mut macht, politische Verantwortung zu übernehmen.

Bereits an ihrem ersten Arbeitstag repräsentiert Süssmuth den Bundestag bei einer Internationalen Parlamentspräsidentenkonferenz in Warschau. Die Bedeutung der parlamentarischen Außenbeziehungen werde „in der Öffentlichkeit und selbst im politischen Raum nicht selten unterschätzt“, so Süssmuth. Wie wichtig diese Aufgabe ist, zeigt sich gerade in den Jahren 1989 und 1990. Nach der „Friedlichen Revolution“ in der DDR bemüht sich Süssmuth darum, in Ost und West um Verständnis für den Wunsch der Deutschen nach einer Überwindung der Teilung zu werben und Bedenken dagegen auszuräumen. Zusammen mit der ersten demokratisch gewählten Präsidentin der Volkskammer, Sabine Bergmann-Pohl, reist sie  im Juni 1990 nach Israel, um dort die Skepsis gegenüber einem „neuen und größeren Deutschland“ zu mindern. Weil insbesondere in Polen Ängste gegenüber einem wiedererstarkten Deutschland bestehen, tritt sie für die offizielle Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als deutsch-polnische Staatsgrenze ein.

Nach der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl wird Süssmuth  am 20. Dezember 1990 im Amt bestätigt. Ihre erneute Wiederwahl im November 1994 zeigt die große Akzeptanz ihrer Amtsführung. Neue Herausforderungen für das Bundestagspräsidium ergeben sich in dieser Zeit durch die Folgen der Deutschen Einheit. Weil die Zahl der Abgeordneten nach der Wiedervereinigung stark angewachsen ist, beschließt der Bundestag am 29. Juni 1995 eine Verkleinerung des Parlaments ab der  15. Legislaturperiode. Der Verkleinerungsbeschluss ist Teil einer umfassenden Reform der Parlamentsarbeit, die der Bundestag unter der Leitung von Rita Süssmuth auf den Weg bringt. Weitere Aspekte der Reform sind die Einführung von „erweiterten öffentlichen Ausschutzsitzungen“ und die Einführung von Kernzeitdebatten im Plenum. Ziel dieser Neuregelungen ist die Schaffung von mehr Transparenz im Gesetzgebungsprozess. Die Neugestaltung der Plenardebatten ist auch an den Bedürfnissen einer zunehmend durch die mediale Berichterstattung geprägten Öffentlichkeit ausgerichtet. Als dritten Teil der Reform beschließt der Bundestag einer Koppelung der Abgeordnetenbezüge an das Einkommen von obersten Bundesrichtern, ein Vorhaben, das in der Öffentlichkeit hoch umstritten ist. Im Bundesrat, der dem Vorhaben zustimmen muss, scheitert der Beschluss schließlich.

In ihrer dritten Amtszeit als Parlamentspräsidentin ist Süssmuth mit der Vorbereitung des Umzugs der Abgeordneten nach Berlin befasst. Obwohl sie selbst in der Plenardebatte zum Parlaments- und Regierungssitz am 20. Juni 1991 für den Verbleib in Bonn votiert hatte, engagiert sie sich nun für die termingerechte Fertigstellung der Um- und Neubauten in Berlin. An den Plänen zur Gestaltung des Plenarsaals im Berliner Reichstagsgebäude ist sie wesentlich beteiligt. Die Eröffnungssitzung des Parlaments im Reichstagsgebäude am 19. April 1999 erlebt sie dann allerdings, infolge der für die CDU verlorenen Bundestagswahl 1998, als einfache Abgeordnete.

In der Wahrnehmung der vielfältigen Aufgaben an der Spitze des deutschen Parlaments habe sich ihre Auffassung dieser Position „von der Pflicht zur Neigung“ entwickelt, so Süssmuths rückblickende Bewertung. „Meine politischen Überzeugungen, meine Ideale, nahm ich mit in das Parlamentsamt und entdeckte neue Möglichkeiten, öffentlich die Menschen zu erreichen, um die Dinge anzusprechen, die uns betreffen, uns verpflichten.“ Da sie nach eigener Aussage auch als Bundestagspräsidentin kein „politisches Neutrum“ sein wollte, nahm sie dabei auch weiter engagiert insbesondere zu frauenpolitischen Themen Stellung. Als oberste Repräsentantin des deutschen Parlamentarismus über zehn Jahre hat sie selbst entscheidend zu einer veränderten öffentlichen Wahrnehmung von Geschlechterrollen mit beigetragen.

 

Literatur:

  • Rita Süssmuth, Wenn die Zeit den Rhythmus ändert. Persönliche und politische Erfahrungen im Amt der Bundestagspräsidentin. Bonn 1991.
  • Rita Süssmuth, Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Meine Erfahrungen in der Politik. München 2002.
  • Rupert Schick (Hg.), Der Bundestagspräsident, die Bundestagspräsidentin. Amt, Funktionen, Personen. München 1999.
  • Stefan Marschall, Die Reform des Bundestages 1995: Inhalte, Hintergründe, Konsequenzen, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, Heft 3 (1996), S. 365-376.

 

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