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Wiederwahl von Helmut Kohl zum Bundeskanzler

Am 29. März 1983 wird Helmut Kohl vom Bundestag zum zweiten Mal zum Bundeskanzler gewählt. Der Wahl gehen intensive Diskussionen über den verfassungsrechtlich einwandfreien Weg zu einer Neuwahl noch vor dem Ende der Legislaturperiode voraus. Im Wahlkampf gelingt es Kohl und der Union, eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger für ihre Politik zu gewinnen.

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Regierungswechsel 1982

Am 1. Oktober 1982 wurde Helmut Kohl mit 256 Ja-Stimmen vom Bundestag zum neuen Bundeskanzler gewählt. Es war eine Premiere in der Geschichte der Bundesrepublik, dass eine Kanzlerwahl und ein Regierungswechsel über ein konstruktives Misstrauensvotum nach Artikel 67 des Grundgesetzes stattfindet. Das Ende der sozialliberalen Koalition hatte sich schon wenige Wochen zuvor abgezeichnet und dann seinen Höhepunkt im Austritt der FDP-Minister aus dem Kabinett von Bundeskanzler Helmut Schmidt gefunden. Seit Jahren hatte Kohl beharrlich darauf hingearbeitet, den FDP-Vorsitzenden und Außenminister Hans-Dietrich Genscher davon zu überzeugen, einen Koalitionswechsel zur CDU/CSU vorzubereiten.

Helmut Kohl war gleich nach seiner Wahl sehr daran gelegen, seinen politischen Erfolg durch eine Bundestagswahl zu sichern und noch deutlicher zu legitimieren. In seiner Regierungserklärung am 12. Oktober 1982 kündigte Kohl die Absicht an, binnen sechs Monaten Neuwahlen anzustreben: „Die Koalitionsparteien FDP, CSU und CDU haben vereinbart, sich am 6. März 1983 dem Urteil der Wähler zu stellen. Dies ist auch die Meinung der Bundesregierung“. Tatsächlich war der Wunsch nach Neuwahlen nicht nur der erklärte Wille Kohls, sondern auch aller anderen Parteivorsitzenden und der Wunsch einer großen Bevölkerungsmehrheit, wie aus veröffentlichten Meinungsumfragen hervorgeht. Kohl erklärte daher, er sei „ganz sicher, dass wir gemeinsam einen Weg finden, da wir doch gemeinsam draußen (…) erklären: Wir wollen jetzt wählen. Am 6. März werden wir wählen.“

 

Diskussion um die Auflösung des Bundestages

Dem breiten politischen Willen standen jedoch verfassungsrechtliche Beschränkungen für eine vorzeitige Auflösung des Bundestages gegenüber. Anders als in den Verfassungen vieler demokratischer Staaten verfügt der Bundestag der Bundesrepublik nicht über ein Recht zur Selbstauflösung. Nur dann, wenn es dem Bundestag nicht gelingt, einen Kanzler zu wählen oder wenn eine Mehrheit der Abgeordneten dem amtierenden Kanzler das Vertrauen entzieht, kann der Bundespräsident den Bundestag auflösen und Neuwahlen anberaumen. Die restriktive Regelung zielt darauf ab, häufige Auflösungen des Bundestages und kurze Legislaturperioden zu vermeiden, mithin stabile Rahmenbedingungen für langfristiges Legislativ- und Regierungshandeln zu schaffen.

Die im Bundestag vertretenen Parteien erörterten im Herbst 1982 daher zunächst den Gedanken, das Grundgesetz zu ändern und ein Selbstauflösungsrecht des Bundestages darin zu verankern. Jedoch nahmen sie wegen der möglichen langfristigen Auswirkungen auf die Statik der Verfassung bald Abstand von der Idee. Auch Helmut Kohl war sich der verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten nur zu bewusst. Er vertrat aber zugleich die Auffassung, dass der Weg über Artikel 68 GG, der Auflösung nach einer verlorenen Vertrauensfrage, eine verfassungskonforme Lösung des Problems darstelle.

Bundespräsident Karl Carstens, dem das Recht zur Auflösung des Bundestags oblag, war dennoch skeptisch. Dem Staatsoberhaupt und weithin anerkannten Verfassungsjuristen kam es zuvorderst darauf an, dass seine Entscheidung im Falle einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht einer kritischen Überprüfung des zuständigen Senats standhielt. Seine Skepsis und Vorsicht kam in der Tatsache zum Ausdruck, dass Carstens den Bundeskanzler zu nicht weniger als 17 Gesprächen in die Villa Hammerschmidt, seinem Bonner Amtssitz, einlud. Carstens‘ Bedenken richteten sich vor allem auf die Frage, wie es der Kanzler begründen wolle, dass er eben noch mit der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages ins Amt gewählt wurde, die neue Regierungskoalition bereits mehrere Gesetze verabschiedet habe, dann aber derselbe Bundestag ihm unmittelbar darauf das Vertrauen entziehe. Stellte dies nicht einen Missbrauch des Artikels 68, mithin eine „unechte Vertrauensfrage“ dar?

Kohl argumentierte, die Koalition habe nur den Auftrag zur Verabschiedung der dringlichsten Vorhaben, insbesondere eines Haushaltsgesetzes, verfüge jedoch nicht über ein darüber hinausreichendes Mandat. Dieses könne nur der Wähler erteilen. Die Regierungsfraktionen müssten daher die auch auf die Zukunft gerichtete Vertrauensfrage ablehnend beantworten. Alfred Dregger, seit Kohls Wahl zum Bundeskanzler Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, sekundierte seinem Bundesvorsitzenden und versicherte dem Bundespräsidenten, „dass die Unionsfraktion dieser Bundesregierung nach Annahme des Haushalts und des Sofortprogramms keine weitere Unterstützung geben werde, weil die Fraktion der Öffentlichkeit gegenüber im Wort sei und zu dem Versprechen stehe, das ich in meiner Regierungserklärung gegeben hatte.“

 

Neuwahlen

Wie angekündigt stellte Kohl nach der Verabschiedung des Haushaltsgesetztes für 1983 am 13. Dezember 1982 im Bundestag die Vertrauensfrage. Da sich die Regierungsfraktionen enthielten und die SPD mit „Nein“ stimmte, fiel das Ergebnis wie erwartet negativ aus. Kohl ersuchte daraufhin den Bundespräsidenten, den Bundestag binnen 21 Tagen aufzulösen. Nach intensiven Beratungen und sorgfältiger Prüfung entschied sich Carstens, dem Antrag stattzugeben. Die Folge war die Auflösung des Bundestages und die Ansetzung von Neuwahlen für den 6. März 1983.

Aber auch damit war der „Fall“ noch nicht vollständig erledigt. Es war fast unvermeidlich, dass das Bundesverfassungsgericht in der Folge von einigen Parlamentariern angerufen wurde. Das oberste deutsche Gericht jedoch lehnte die Klagen als unbegründet ab. Der Bundespräsident, so urteilten die Karlsruher Richter, habe bei seiner Entscheidung über die Auflösung des Bundestages die „Einschätzungskompetenz und Beurteilungskompetenz des Bundeskanzlers zu beachten“. Damit stärkten sie die Position des Kanzlers im Verfassungsgefüge bei der Beurteilung der politischen Stabilitäts- und Vertrauensverhältnisse.

Im darauffolgenden Wahlkampf gelang es den Unionsparteien, Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Mit dem Kampagnenslogan „Dieser Kanzler schafft Vertrauen“, der Warnung vor einer Rot-Grünen Bundesregierung, dem Hinweis auf die Erblasten der Vorgängerregierung, der Ankündigung von Reformen zur Ankurbelung der Wirtschaft und dem Einstehen für den NATO-Doppelbeschluss und nicht zuletzt auch der Ankündigung einer geistig-moralischen Wende, erreichten CDU/CSU am Wahlabend das zweitbeste Wahlergebnis ihrer Geschichte: Bei einer aus heutiger Sicht geradezu unglaublich hohen Wahlbeteiligung von 89,1 Prozent erreichte die Union 48,8 Prozent, während die SPD unter die 40-Prozent-Schwelle absackte und die FDP sieben Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte. Die Grünen zogen mit 5,6 Prozent erstmals in den Bundestag ein. Am 29. März 1983 wählte der Bundestag Helmut Kohl mit den Stimmen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion erneut zum Bundeskanzler.

Die Wahl ist in mehrfacher Hinsicht ein Meilenstein. Zum einen festigte Kohl seine Macht, erstens durch das Wahlergebnis selbst und zweitens durch die Koalition mit der FDP, denn so wurde in letzter Konsequenz auch der Einzug seines schärfsten Konkurrenten, des Bayerischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß, in das Bundeskabinett unwahrscheinlich. Schließlich würden die gewichtigsten Ministerien wie das Außen- und Wirtschaftsministerium von der FDP beansprucht oder müssten wie im Falle des Finanzministeriums dem „unentbehrlichen Stoltenberg“ (Hans-Peter Schwarz) vorbehalten bleiben. Drittens zahlte sich Kohls unermüdliche Arbeit für die Reform der CDU aus, die er unter seiner Führung seit 1973 zu einer Mitgliederpartei mit einer schlagkräftigen, kampagnenfähigen Parteizentrale umgeformt hatte. Die Wahl ist damit der offensichtliche eigentliche Beginn der Ära Kohl, die sich schon seit der Übernahme des Bundesvorsitzenden angekündigt hatte und in der es dem Kanzler in drei weiteren Bundestagswahlen gelang, eine Mehrheit für die Unionsparteien zu gewinnen.

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Dr. Jan Philipp Wölbern

Dr. Jan Philipp Wölbern

Stv. Leiter Auslandsbüro Ukraine

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