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Länderberichte

Die aktuelle politische Lage in Kroatien

Außenpolitische Herausforderungen, Parteienlandschaft und innere Reformen

Eineinhalb Jahre vor der nächsten Wahl zum Sabor, dem kroatischen Parlament, sitzt die Regierung von Ministerpräsident Ivo Sanader trotz hauchdünner parlamentarischer Mehrheit recht fest im Sattel. Formelle und informelle Bündnisse sichern die Macht der regierenden HDZ (Kroatische Demokratische Union), die aus derzeitiger Sicht bei den nächsten Wahlen die meisten Koalitionsoptionen haben wird. Der innere Reformprozess hat nach dem Beginn der Verhandlungen mit der EU an Fahrt gewonnen, doch die Krise der EU und die „türkische Frage“ werfen Schatten auf die kroatische Politik.

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Außenpolitisches Lobbying und regionale Mission

Die feste Überzeugung, dass sich schwierige Reformprozesse in seinem Land ohne den Druck des Anpassungszwanges an das Normen- und Regelwerk der EU nicht werden gestalten lassen, ist der Dreh- und Angelpunkt in der Politik des kroatischen Regierungschefs.

Vor diesem Hintergrund beunruhigt die anhaltende Diskussion um die Grenzen der EU-Erweiterungsfähigkeit die kroatische Regierung zutiefst. Natürlich könnte man kroatischen Bedenkenträgern entgegenhalten, ihre ständige Sorge, bei der EU-Erweiterung doch noch außen vor zu bleiben, sei notorisch, und man solle statt dessen in Ruhe die Hausaufgaben der Reformagenda abarbeiten. Doch angesichts der Tatsache, dass die EU die Verhandlungen mit Kroatien und der Türkei verknüpft führt, erscheint die kroatische Besorgnis verständlich: schon jetzt zeigt sich, dass die Verknüpfung der Verhandlungen mit der Türkei Kroatien viel Zeit kostet. Darüber hinaus wird die Gleichbehandlung mit der Türkei in der kroatischen Öffentlichkeit mehr und mehr als ein gewolltes politisches Signal der EU gewertet, den kroatischen Beitritt auf den St. Nimmerleinstag zu verschieben. Dabei ist die Frage, ob mit Kroatien und der Türkei getrennt oder gemeinsam verhandelt werden soll, bisher auf keinem EU-Gipfel diskutiert worden. Es war einfach so, dass die EU-Bürokratie dem Usus der bisherigen Praxis von Erweiterungsverhandlungen folgte und kein Mitgliedsland auf dem entscheidenden Gipfel Anfang Oktober 2005 dem widersprach.

Die kroatische Diplomatie ringt vor diesem Hintergrund bei den einzelnen EU-Ländern derzeit um Verständnis für die berechtigte Forderung, mit der Türkei getrennt zu verhandeln. Es bleibt zu hoffen, dass auf die Bitte der einen Seite die Einsicht der anderen folgen wird: schließlich ist es für alle politischen Beobachter offenkundig, daß Kroatien und die Türkei weder politisch, wirtschaftlich noch in anderer Hinsicht in Bezug auf die Beitrittsfähigkeit zur EU vergleichbar sind.

Die Anstrengungen der kroatischen Diplomatie konzentrieren sich keinesfalls nur auf die eigene Sache. Ministerpräsident Sanader hatte schon in seiner Regierungserklärung im Dezember 2003 darauf hingewiesen, dass Kroatien sich auf seinem Weg in die EU nicht „aus der Region herausstehlen“ wolle. Im Gegenteil: der kroatische Ministerpräsident betont seither stets, dass sein Land gegenüber den südosteuropäischen Nachbarn und ehemaligen Teilrepubliken Ex-Jugoslawiens eine Brückenfunktion einnehmen wolle. Er unterstreicht dies im Rahmen einer intensiven regionalen Reisediplomatie und wirbt in der Region für die europäische Perspektive. Darüber hinaus versucht die kroatische Regierung auf regionale Konfliktparteien mäßigend einzuwirken. So zeigt sie Verständnis für die montenegrinischen Unabhängigkeitsbestrebungen gegenüber Serbien, warnt aber davor, dass eine de jure - Abspaltung des Kosovo von Belgrad die gemäßigten Kräfte in Serbien dramatisch destabilisieren könnte. Insgesamt hat die Regierung Sanader sichtbar und konsequent den Weg beschritten, zu einem Stabilitätsanker in einer Region zu werden, deren Probleme – etwa im Kosovo oder in Bosnien und Herzegowina- noch lange nicht gelöst sind. Die kroatische Diplomatie hat zu diesen Problemen einen authentischeren Zugang als die meisten Staaten in der EU, deren Ostgrenze bald vom Baltikum bis nach Griechenland geschlossen sein und die Problemregionen Ex-Jugoslawiens einfassen wird.

Kroatiens Parteienlandschaft im Wandel

Sieben Monate nach dem Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der EU hat sich der innenpolitische Druck für Ministerpräsident Ivo Sanader und die regierende HDZ gegenüber dem Vorjahr deutlich entspannt. Noch im September 2005 hatten Medien und politische Gegner gerne das Bild eines Regierungschefs gezeichnet, der, erfolglos um die Gunst der EU buhlend, über permanentes internationales Lobbying die Regelung der inneren Angelegenheiten vernachlässigt. Angesichts deutlicher Stimmenverluste für seine Partei bei den Kommunalwahlen im vergangenen Frühjahr, des Absinkens der HDZ in den Umfragewerten (streckenweise bis auf 15% , von knapp 30% bei den letzten Parlamentswahlen), wachsender innerparteilicher Widerstände und drastisch sinkender Zustimmung zur EU in der Bevölkerung war der baldige Beginn der Beitrittsverhandlungen schließlich für Ivo Sanader zu einer Frage des politischen Überlebens geworden. Eben wegen der starken Fokussierung der kroatischen Öffentlichkeit auf Qualität und Geschwindigkeit des Verhandlungsprozesses werden Erfolge in diesem Zusammenhang neben einer spürbaren Erreichung verbesserter Lebensverältnisse eine entscheidende Rolle bei den Wahlen im Herbst 2007 spielen. Das Ringen um einen schnellen EU-Beitritt, Motor der Innen- und Außenpolitik Ivo Sanaders führt damit quasi zwangsläufig zu einer logischen Alternative: läuft es gut mit den Verhandlungen, dann wird dies den Regierungschef und seine Partei bei den nächsten Wahlen stützen, läuft es schlecht, dann werden er und seine HDZ darüber womöglich die Macht verlieren. Sanader selbst hat übrigens die Latte für den persönlichen Erfolg sehr hoch gehängt, indem er stets vom Frühjahr 2009 als erreichbaren Beitrittstermin spricht.

Ungeachtet dieser Risiken kann die Regierungspartei HDZ (assoziiertes EVP-Mitglied) derzeit einigermaßen beruhigt in die Zukunft schauen. Die Untersuchungen der Demoskopen sehen sie zwar seit einigen Monaten überwiegend knapp hinter den oppositionellen Sozialdemokraten (im Verhältnis 27 % zu 25 %), doch es gibt auch Analysen mit umgekehrtem Ergebnis. Darüber hinaus verfügt die HDZ inzwischen über die besten Koalitionsoptionen. Ausschlaggebend hierfür sind Entwicklungen in anderen Parteien:

Die ehemals rechtsnationale HSP (Partei des Rechts, derzeit bei etwa 8% der Stimmen) befindet sich auf innerparteilichem Reformkurs und wird damit als potentieller Koalitionspartner für die HDZ langsam akzeptabel. Der prodemokratische und proeuropäische Reformkurs des Parteichefs Đapić haben zwar noch nicht zur Aufnahme in die EVP geführt, doch diese hat der HSP eine gute Entwicklung bescheinigt, was zu einer Aufnahme in den nächsten Jahren führen kann und internationale Vorbehalte gegenüber einem offiziellen Zusammengehen mit der HDZ erheblich mindert. Inoffiziell sprechen viele Beobachter bereits jetzt aufgrund ihres Abstimmungsverhaltens im Parlament von einer stillen Mitregierung der HSP.

Die Bauernpartei HSS (Beobachterstatus bei der EVP, geschätzt bei 5 %) hat sich seit Ende 2005 unter ihrem neugewählten Vorsitzenden Friščić endlich aus dem Oppositionsbündnis mit den Sozialdemokraten befreit und steuert nun einen dezidiert unabhängigen Kurs. De facto bietet sich die HSS damit der HDZ als möglicher Koalitionspartner an.

Theoretisch steht der HDZ auch noch das Demokratische Zentrum DC (EVP-Beobachterstatus) als Koalitionspartner zur Verfügung. Doch die Partei setzt auf Landesebene mit geschätzten 1,5 % möglicher Stimmenanteile ihren Weg in die Bedeutungslosigkeit fort. Viele Mitglieder haben seit der Entlassung der DC – Vorsitzenden Škare Ožbolt aus dem Amt der Justizministerin vor einigen Monaten ihre Partei verlassen und sind der HDZ beigetreten, von der sich die DC in der späten Tuđman-Zeit abgespalten hatte.

Ihre Unabhängigkeit von den Sozialdemokraten betonten in den vergangenen Monaten auch Parteien, die dem sich teilweise zusammenschließenden liberalen Lager zuzurechnen sind ( etwa HNS, HSLS; die liberalen Parteien liegen zusammen etwa bei 11 %).

So ist den Sozialdemokraten SDP peu a peu das Oppositionsbündnis abhanden gekommen, das vor Oktober 2003 auch die Regierung stellte. Ein weiteres Manko der SDP besteht – auch nach Einschätzung sozialdemokratischer Kreise – in ihrem Spitzenkandidaten. Der 2003 abgewählte ehemalige Ministerpräsident Račan gilt nicht mehr als Führungspersönlichkeit und ist im Gegensatz zu den meisten seiner Landsleute monoglott und auch auf Kroatisch wenig kommunikativ.

Insgesamt spricht derzeit vieles dafür, dass die regierende HDZ auch über 2007 hinaus in der Republik Kroatien die Regierung stellen kann. Die Voraussetzungen hierfür sind, dass die Verhandlungen mit der EU zügig voran gehen – und damit verbunden auch die inneren Reformen – sowie dass dieser Prozess den Menschen zumindest sichtbare Perspektiven für die Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse bietet.

Der Stand der inneren Reformen sieben Monate nach Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen

Wie zehn Jahre nach Kriegsende kaum anders zu erwarten, ist die Erfolgsbilanz bisheriger Reformpolitik in Kroatien ziemlich zwiespältig. Die guten Nachrichten zuerst:

Im aktuellen Bertelsmann Transformation Index (BTI), in dem die Entwicklungs- und Transformationsprozesse in 119 Staaten bewertet werden, belegt Kroatien vordere Plätze, sowohl, was den Stand der Entwicklung zu Demokratie und Marktwirtschaft betrifft (11. Platz) wie auch hinsichtlich der politischen Steuerungsleistung (12. Platz, vgl. www.bertelsmann-transformation-index.de). Kroatien rangiert damit in jedem Falle deutlich vor Bulgarien und Rumänien, und zum Teil auch vor Ungarn, Lettland und Polen. Diese Leistung innerhalb von zehn Jahren auf den Ruinen von Sozialismus und einer fast völlig zerstörten Infrastruktur, von bis heute noch nicht ganz beseitigten Kriegsschäden und unter den zusätzlichen Belastungen von Kriegsveteranenversorgung und Vertriebenenrepatriierung erzielt zu haben – dies zeugt von einem gewaltigen Entwicklungspotential des Landes.

Die kroatische Wirtschaft wächst jährlich um etwa 4 %, und mit der Einrichtung von sogenannten „One-Stop-Shops“ schuf die kroatische Regierung für Bürger und Unternehmen die Möglichkeit, Behördengänge auf einen Ort zu konzentrieren.

Leider, und damit beginnt die Negativ-Liste, ist die Wirkungsmacht einer übermächtigen Bürokratie in Kroatien immer noch überall zu spüren. Auch ausländische Investitionen bleiben weit hinter den Erwartungen zurück. Das internationale Lobbying Kroatiens in diesem Bereich wird auch von deutschen Fachleuten immer wieder als katastrophal beschrieben. Weitere ungelöste Probleme sind derzeit neben einer hohen Auslandsverschuldung die mit über 18% immer noch sehr hohe Arbeitslosigkeit, der ins Stocken geratene Privatisierungsprozess und die nur sehr schleppend verlaufende Reform des Justizwesens. Zahlreiche internationale Geberorganisationen versuchen in dem zentralen Feld der Justizreformen Kroatien helfend unter die Arme zu greifen. Dabei sind die Probleme erkannt: Aktenstau, überlange Prozesse, unklare Instanzenwege, defizitäre Prozessverfahrensordnung u.v.m. stehen einer funktionierenden Rechtstaatlichkeit ebenso hinderlich im Wege wie der bisher ineffektive Kampf gegen die Korruption. Insgesamt wird immer deutlicher, dass die Reformprozesse in diesen Bereichen neben dem guten Willen und der Entschlossenheit der politischen Verantwortlichen sowie der internationalen Unterstützung vor allem eines benötigen, nämlich Zeit, welche knapp ist, wenn der Sprung in die EU bis zum Frühjahr 2009, dem voraussichtlichen Termin der nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament, geschafft werden soll.

Ausblick

Der Beitritt der Republik Kroatien zur Europäischen Union ist ungeachtet der anhaltenden Diskussion um ihre Erweiterungsfähigkeit im Frühjahr 2006 greifbarer als ein Jahr zuvor. Natürlich muss das Land die inneren Voraussetzungen für den Beitritt selbst schaffen, und dies ist den allermeisten der tonangebenden politischen Kräfte der jungen Republik auch klar. Auch, ob der Beitritt wirklich 2009, selbst unter günstigsten Rahmenbedingungen geschafft werden kann, ohne die Leistungsfähigkeit des Landes zu überfordern, ist nicht die entscheidende Frage. Es geht vielmehr darum, dass die EU, auch in ihrem eigenen Interesse, Kroatien fair behandelt, wenn es in den nächsten Jahren die Voraussetzungen für die Aufnahme in die Union erfüllt hat. Eine faire Behandlung bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass die EU zu ihren eigenen Beschlüssen steht, die sie 2003 auf dem Gipfel von Thessaloniki gefasst hat: „Der Europäische Rat bekräftigt unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen seiner Tagungen in Kopenhagen (Dezember 2002) und Brüssel (März 2003) seine Entschlossenheit, die europäische Perspektive der westlichen Balkanstaaten, die uneingeschränkt Teil der EU sein werden, sobald sie die festgelegten Kriterien erfüllen, in vollem Umfang und wirksam zu unterstützen.“(http://ue.eu.int).

Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland unterstützt diese Linie ohne wenn und aber. So heißt es im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD unter dem Kapitel Europa: „Wir begrüßen, dass Beitrittsverhandlungen mit Kroatien aufgenommen worden sind. Wir halten fest an der europäischen Perspektive auch für die anderen Staaten des westlichen Balkan, wie sie auf dem Europäischen Rat in Thessaloniki beschlossen wurde.“

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Kontakt

Dr. Michael A. Lange

Dr. Michael A

Kommissarischer Leiter des Rechtsstaatsprogramms Nahost/Nordafrika

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