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Veranstaltungsberichte

„Viele Eltern verhalten sich wie die Einsatztruppe der GSG-9“

von Julian Höhl

Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung!

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (DLV) Josef Kraus referierte im Hubschraubermuseum in Bückeburg zum Phänomen der Helikopter-Eltern, das in jüngster Zeit immer häufiger auch in Deutschland zu beobachten ist. Als Helikopter-Eltern bezeichnet man jene Eltern, die ihre Kinder rund um die Uhr verwöhnen und die versuchen, sie mit allen Mitteln zu fördern, um damit die vermeintlich bestmögliche Erziehung für ihr Kind zu erreichen.

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Zu Beginn der Veranstaltung begrüßte der ehemalige Landtagsabgeordnete Friedrich Pörtner die knapp 100 Gäste, stellte den Referenten vor und führte kurz in das Thema ein. „Die Verwöhnung in der Erziehung ist ein Problem, welches in Deutschland zurzeit kontrovers diskutiert wird“, stellte der 64-Jährige fest.

Kraus, dessen Buch mit dem passenden Titel „Helikopter-Eltern - Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung“ sogar ins Koreanische übersetzt wurde, unterschied zu Beginn seines Vortrages zwei extreme Elterntypen. Die einen kümmerten sich so gut wie gar nicht um ihren Nachwuchs, die anderen hingegen übertrieben es in gegenteiliger Richtung. Beide Gruppen machten zusammen rund ein Drittel der Elternschaft aus. Zum Glück sei die große Mehrheit „ganz normale“ Eltern, die ein ausgewogenes Verhältnis von Fördern und Fordern praktizierten.

In seinen Ausführungen konzentrierte sich der erfahrene Pädagoge auf acht Thesen, die er mit anschaulichen Anekdoten aus seinen schulischen Erlebnissen anreicherte. Eine Pädagogik der totalen Kontrolle greife um sich, so lautete eine dieser Thesen. „Eltern verhalten sich oft wie eine Einsatzgruppe der GSG 9“. Nachhilfe rund um die Uhr oder aufgeregte Eltern-Anwälte bei Elternabenden seien nur zwei Beispiele für das Verhalten einiger Eltern, wenn es um ihre Schützlinge gehe, so Kraus.

Helikopter-Eltern tendierten zudem dazu, ihre Schutzbefohlenen überaus stark zu verwöhnen. „Kinder im Alter zwischen sechs und dreizehn Jahren erhalten in Deutschland zusammengerechnet 6 Mrd. € pro Jahr von ihren Eltern. Das entspricht in etwa dem Etat eines kleinen Bundeslandes für denselben Zeitraum“, kommentierte Kraus die Verwöhnung der Kinder- und Jugendlichen. Auch der Förderwahn nehme in Deutschland zu. „Die Eltern wollen heutzutage ihr perfektes Designerkind haben. Das beginnt bereits mit Mozart im Mutterleib und gipfelt in der täglichen Betreuung durch Nachhilfelehrer oder Nannys“, beschrieb der 65-Jährige ein weiteres Merkmal der Helikopter-Eltern.

Im Allgemeinen unterschied Kraus drei verschiedene Typen dieser Eltern-Gattung. Der „Transport“helikopter symbolisiere die Eltern, die ihre Kinder überall mit dem Auto hinfahren. Die „Hilfs“hubschrauber-Eltern böten ihren Kindern im Überfluss ihre Hilfe bei allen möglichen Lebenssituationen an, selbst bei Vorstellungsgesprächen oder beim Suchen geeigneter Jobs. „Der dritte Typ seien die „Kampf“hubschrauber, die „Black Hawks“ unter den „Helikopter-Eltern“: „Sie schweben ständig wie Beobachtungsdrohnen über den Kindern, leiten sie an der elektronischen Nabelschnur des Mobiltelefons durch das Leben um beim kleinsten Wehwehchen zu landen und wirbeln dabei – wie die „richtigen Hubschrauber“ – enorm viel Staub auf“, so Kraus.

„Warum verhalten sich Eltern derartig unpädagogisch?“ Einen der Hauptgründe dafür machte der Josef in tiefenpsychologischen Traumata der Eltern aus, die sie in der eigenen Vergangenheit erfahren hätten und versuchten ihren Nachwuchs diese Erfahrungen zu ersparen. Dieses Verhalten sei allerdings kontraproduktiv. Kinder müssten am eigenen Leib erlernen, wie sie mit Enttäuschungen, Frustrationen oder gar Traumata umzugehen hätten. Ansonsten entwickelten sie keine Selbstständigkeit. Kraus: „Die Eltern sollten erst dann eingreifen und behutsam eingreifen, wenn ihre Kinder zunächst alle eigenen Kräfte mobilisiert haben und trotzdem das Problem allein nicht lösen konnten.“

„Manchmal kommt die Verwöhnung aber auch „von ganz oben““, stellte Kraus, selber Vater eines Sohnes, fest im Hinblick auf einige aktuelle Entwicklungen der Schul- und Bildungspolitik in Deutschland. Die Anzahl der sehr guten Abiturdurchschnittsnoten werde heute inflationär vergeben, so dass sie kaum mehr gute Leistungen widerspiegele, sagte Kraus. In Berlin und Nordrhein-Westfalen sei die Anzahl der Durchschnittsnote unter 2,0 im Abitur in den vergangenen Jahren sehr stark angestiegen. Trotzdem verweise eine sehr gute Schulendnote nicht gleich auf eine starke und unabhängige Persönlichkeit. Ganz im Gegenteil meint Kraus: „Mit dieser Politik ziehen wir verweichlichte und unselbstständige Kinder heran, denen es an Unternehmergeist und Selbständigkeit mangelt.“

Zum Schluss seines Vortrages formulierte Josef Kraus drei Ratschläge, die seiner Meinung nach bei der Erziehung von Kindern stärker beachtet werden sollten. „Wir müssen den Eltern einprägen, dass Erziehen heißt mit Intuition und Bauchgefühl auf die Kinder zu zugehen“. Außerdem forderte er, dass die Eltern und Schulen ihre Kinder stärker fordern sollten. Und: „Die Kinder müssen die Chance haben sich selbst zu erproben und ihnen mehr zutraut.“ Seinen Vortrag beendete Kraus mit dem Wunsch, in Fragen der Bildung und Erziehung mehr Leichtigkeit und Humor an den Tag zu legen als das ewige Schielen auf fragwürdige Leistungsvergleiche, wie etwa dem PISA-Test.

Die anschließende Diskussion wurde von Friedrich Pörtner geleitet. Das Publikum interessierte sich vor allem für den Vergleich der eigenen Jugend mit der Erziehung heute. Ein weiteres Gesprächsthema war, inwiefern man die Appelle, die Kraus am Ende seines Vortrages ausführte, umsetzen könne. Dabei fand die Auffassung, dass eine Abschaffung des Abiturs nach zwölf Jahren ein Schritt in die richtige Richtung sei, den größten Beifall. „Wir brauchen eine Renaissance des Leistungsbewußtseins, um die Erziehung in Deutschland grundlegend zu ändern“, schloss Kraus die Diskussion.

Der Vortrag von Josef Kraus basiert auf seinem aktuellen Buch (Erscheinungsdatum: August 2013) mit dem Titel: "Helikopter-Eltern - Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung".

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