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Länderberichte

"Wir haben keine Angst – aber wie lange wir noch aushalten, wissen wir nicht!"

von Dr. Hans Maria Heyn, Florian Daull

Ein Bericht zur Lage der Christen im Gazastreifen

Die Lage der Christen im Nahen Osten ist in den Fokus der deutschen Öffentlichkeit geraten. Die Taten der Terrororganisation Islamischer Staat und ihre systematische Verfolgung Andersgläubiger verdeutlichen die ausweglose Situation vieler Christen in der Region. Doch schon weit vor dem Jahr 2014 waren und sind Christen die meistverfolgte Religion weltweit.

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Die Eskalation der Gewalt im Nahen Osten hat vielfach nur zur weiteren Verschlechterung ihrer Lage geführt. Gleichwohl betreffen die gegenwärtigen Entwicklungen die Christen auf unterschiedliche Weise. So ist die Situation religiöser Minderheiten in Syrien oder dem Irak nicht vergleichbar mit der in Jordanien oder den Palästinensischen Gebieten.

Werden allgemein die Christen im Heili-gen Land thematisiert, so reduziert sich die Debatte oftmals auf das Westjordanland. Bethlehem und die „christlichen Dörfer“ stehen hier regelmäßig im Fokus der Berichterstattung. Dass es auch Christen im Gazastreifen gibt und dass diese christliche Minderheit über eine jahrhundertealte Geschichte verfügt, wird oft außer Acht gelassen. Vergleicht man absolute Zahlen, so sind die Christen in Gaza eine fast verschwindend kleine Minderheit. Dennoch muss dieses Thema ausführlich beleuchtet werden, gerade wenn Gaza wieder in den Brennpunkt des Nahostkonflikts rückt.

Ziel dieses Länderberichts ist es, die lange historische Bedeutung der Christen im Gazastreifens aufzuzeigen, ihre Lage vor Ort zu analysieren und einen Ausblick zu geben, wie ihre Zukunft verbessert werden könnte.

Die christliche Gemeinde im Gazastreifen, ein kurzer historischer Abriss

Die christliche Gemeinde im Gazastreifen hat ihren Ursprung im 3. Jahrhundert. Die in dieser Zeit einsetzende erste Pilgerbewegung führte zum umfänglichen Klosterbau im gut über den Seeweg erreichbaren Küstengebiet. Zwischen dem 4. und 6. Jahrhundert wurden mindestens 15 Klöster rund um die heutige Stadt Gaza gegründet. Nach Jerusalem war dies die größte Ansammlung klösterlichen Lebens in Palästina. Bis weit ins 5. Jahrhundert konnte sich Gaza zu einem wichtigen christlichen Zentrum der Reg gion entwickeln. Die Ernennung des Christentums zur Staatsreligion im Byzantinischen Reich im Jahr 395 führte - auch dank der bereits vorhandenen Präsenz von Klöstern und Kirchen - zu einer Konversionswelle und einem deutlichen Anstieg der christlichen Bevölkerung. In der Folge war ab Mitte des 5. Jahrhunderts die Mehrheit der Bevölkerung in Gaza und dem Rest Palästinas Christen.

Bis heute finden sich Spuren aus jener Zeit im Gazastreifen. So steht die Kirche des heiligen Porphyrios, benannt nach dem im Jahre 430 verstorbenen Bischof von Gaza, in Gaza-Stadt und bietet den orthodoxen Christen einen Ort zum Gebet. Nach der erstmaligen Eroberung Jerusalems durch die Perser im Jahre 614 und dem anschließenden Blutbad an der christlichen Bevölkerung wurde Jerusalem zwischenzeitlich von Byzanz zurückgewonnen. Bis zum muslimischen Eroberung unter Kalif Umar Ibn al-Khattab im Jahr 634 stellen die Christen die größte Bevölkerungsgruppe in Gaza. Vier Jahre später (638 n. Chr.) wurden Gaza und das gesamte Heilige Land endgültig an den Kalifen übergeben. Dies bedeutete einen historischen Bruch für die Christen. Von nun an nahm ihr prozentualer Anteil im Heiligen Land stetig ab und der christliche Glauben wurde zur Minderheitsreligion. Der Gazastreifen stand nun zusammen mit dem Rest Palästinas unter muslimischer Herrschaft (ab 661 herrschte die Dynastie der Umayyaden, gefolgt im Jahr 750 von den Abbasiden). Deren Herrschaftsbereich erstreckte sich in seiner größten Ausdehnung von Spanien im Westen bis nach Afghanistan im Osten.

Ab dem siebten Jahrhundert verliert sich in der Geschichtsschreibung die Unterscheidung zwischen dem Gebiet des heutigen Gazastreifens und dem Rest Palästinas. Gleichwohl dürfte sich die Lage der Christen im Gazastreifen nicht sonderlich von der Lage der Christen im „übrigen“ Heiligen Land unterschieden haben. Nach dem Verbot der Wallfahrt zu den Heiligen Stätten durch Sultan al-Hakim (1009) rief Papst Urban II. im Jahr 1095 zum ersten Kreuzzug. Auch im Gazastreifen und der näheren Umgebung hinterließen die Kreuzritter ihre Spuren. So war Ashkelon, nur 20 Kilometer nördlich von Gaza, vom ersten Kreuzzug an eine wichtige und oft umkämpfte Stadt. Aufgrund seiner strategischen Lage auf der Handelsroute zwischen Ägypten und Syrien sowie seines Zugangs zum Mittelmeer wurde Ashkelon nach der ersten Eroberung durch die Kreuzfahrer sogar zum Bischofsitz erhoben.

Am Ende des Zeitalters der Kreuzzüge, im Jahr 1444, war Palästina und damit auch der Gazastreifen mehrheitlich muslimisch. Zudem hatten sich die Fronten zwischen beiden Glaubensrichtungen verhärtet – und das für Jahrhunderte. In dieser Zeit fiel Gaza zunächst unter die Herrschaft der Mamluken und wurde anschließend Teil des Osmanischen Reiches. Gleichzeitig geriet die christliche „Urbevölkerung“ Palästinas in Europa in Vergessenheit. Erst im 19. Jahrhundert richtete sich der Fokus europäischer Kirchenvertreter wieder auf das Heilige Land. Im Zuge des Jahrhunderts der Mission wurde unter anderem das Lateinische (katholische) Patriarchat von Jerusalem neu gegründet und auch der deutsche Kaiser Wilhelm II. besuchte 1898 das Heilige Land und ließ dort Kirchen und Klöster errichten. Auch in Gaza machte sich diese Entwicklung bemerkbar. Im Jahr 1856 wurde die Kirche des heiligen Porphyrios renoviert. Im 20. Jahrhundert stieg das Interesse an den Christen im Nahen Osten durch das Erstarken der Pilgerströme. Gleichwohl ist deren oftmals äußert bedrängte Lage erst seit der Jahrtausendwende und im Rahmen der Umbrüche des „arabischen Frühlings“ wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gelangt.

Nur noch 0,07 % der Einwohner im Gazastreifen sind Christen

Vor der israelischen Besetzung 1967 lebten im Gazastreifen ca. 10.000 Christen. Bis ins Jahr 2007 verlor die Gemeinde die Hälfte ihrer Mitglieder und schrumpfte auf 5000 Personen. Dieser Rückgang dauert bis heute an. Aktuell leben im Gazastreifen nur noch 1350 Christen. Zu 89 % gehören sie der griechisch-orthodoxen und zu 9,3 % der lateinischen (römisch-katholischen) Kirche an. Der kleine Rest verteilt sich auf andere (vielfach protestantische) Gemeinschaften. Bei einer Bevölkerungszahl von ca. 1,82 Millionen Menschen liegt damit der prozentuale Anteil der Christen im Gazastreifen bei nur noch 0,07 %.

Gründe für diesen deutlichen prozentualen Rückgang der Christen in Gaza sind die überdurchschnittlich hohe Auswanderungsrate und das allgemein rasante Bevölkerungswachstum der muslimischen Mehrheit. In der Flüchtlingswelle von 1948 flohen hunderttausende Palästinenser; die meisten entweder in Richtung Westjordanland und weiter in die ost- und nordwärts angrenzenden Länder oder in Richtung des Gazastreifens. Nach Angaben der United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA) leben im Gazastreifen zurzeit 1.240.082 registrierte Flüchtlinge. Dies ist nach Jordanien mit knapp über zwei Millionen registrierten palästinensischen Flüchtlingen, die zweithöchste Zahl, mit deutlichem Abstand vor dem Westjordanland, Syrien oder dem Libanon.

Verdeutlicht man sich die geringe Fläche des Gazastreifens, so wird schnell klar, welch enorme Herausforderungen sich für die Bevölkerung ergeben. Bei einer Fläche von ca. 360km² und mehr als 1,82 Millionen Einwohnern leben durchschnittlich 5045 Menschen auf einem Quadratkilometer. Deutschland hat im Vergleich hierzu nur ca. 227 Einwohner pro km2. Hinzu kommt die extrem hohe Geburtenrate von durchschnittlich 5,2 Kindern pro Frau in Gaza. Da die christliche Minderheit eine deutlich niedrigere Geburtenrate aufweist und in höherem Maße ins Exil strebt, schrumpft sie von Jahr zu Jahr.

Den kompletten Länderbericht samt Tabellen, Grafiken und Links finden Sie oben als PDF-Datei zum Download.

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9. Dezember 2014
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