Die Gewalt, die derzeit in Ost-Jerusalem und dem Westjordanland zu beobachten ist, nahm am 14. Juli ihren Anfang, als drei Palästinenser zwei Grenzpolizisten am Zugang des Jerusalemer Tempelbergs/al-Haram ash-Sharif erschossen. Sowohl die Täter als auch die Opfer waren israelische Staatsbürger und gehörten der arabischen Minderheit in Israel an. Die Attentäter waren muslimische Palästinenser aus der Stadt Umm al-Fahm im Norden Israels. Die Polizisten wiederum waren Drusen, von denen etwa 130.000 in Israel leben.
Um weitere Gewalttaten dieser Art zu verhindern, ordnete Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu an, Metalldetektoren an den Zugängen zum Tempelberg zu installieren. Außerdem blieb das Areal im Zuge der Ermittlungen für 24 Stunden geschlossen, sodass das Freitagsgebet erstmals seit 1969 dort nicht abgehalten werden konnte. Religiöse Führer, wie der Jerusalemer Großmufti Muhammad Ahmad Hussein und die überwältigende Mehrheit der Muslime reagierten ablehnend auf die Maßnahmen. Sie boykottierten die Sicherheitsvorkehrungen, indem sie im Laufe der Woche auf Straßen und Plätze außerhalb des Tempelbergs ihre Gebete verrichteten.
Am Vorabend des darauffolgenden Freitagsgebets (20. Juli) nahmen Zusammenstöße zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften zu. Das Freitagsgebet (21. Juli) war zu Beginn des Tages von vielen friedlichen Demonstrationen in Form erneut öffentlicher Gebete geprägt, bevor es im Nachklang zu heftigen Ausschreitungen zwischen Demonstranten und den israelischen Sicherheitskräften kam. Dabei wurden vier Palästinenser in Ost-Jerusalem getötet. Am Abend griff ein palästinensischer Attentäter in der illegalen jüdischen Siedlung Halamish im Westjordanland drei Siedler mit einem Messer an und verletzte sie tödlich. Der Angreifer wurde von einem Nachbarn der Opferfamilie angeschossen und in Gewahrsam genommen.
Am Sonntag (23. Juli) weitete Israel die Kontrolle am Tempelberg zunächst aus und ließ zusätzliche Überwachungskameras an den Zugängen zum Tempelberg installieren. In Reaktion auf eine drohende diplomatische Krise mit Jordanien wurden die Metalldetektoren jedoch am Dienstag (25. Juli) wieder entfernt. Sie sollen in naher Zukunft durch andere Überwachungstechnik ersetzt werden.
Religiöse Bedeutung des Tempelbergs
In der religiösen Welttopographie spielt der Jerusalemer Tempelberg für alle monotheistischen Weltreligionen, insbesondere aber für das Judentum und den Islam, eine entscheidende Rolle. Hier wollte Abraham seinen erstgeborenen Sohn Isaak opfern, wie ihm laut Genesis von Gott aufgetragen wurde. Für Muslime ist das Tempelbergplateau, der al-Haram ash-Sharif, auf dem sich der Felsendom und die al-Aqsa-Moschee befinden, eines der bedeutendsten Heiligtümer. Die al-Aqsa Moschee ist nach Mekka und Medina die drittwichtigste Moschee im Islam. Von der Stelle, an dem heute der Felsendom steht, soll der Prophet Mohammed seine berühmte Nachtreise angetreten haben. Laut Judentum wurde auf demselben Gebiet der erste Tempel errichtet, in dessen Inneren sich das Allerheiligste mit der Bundeslade befand. Vom zweiten jüdischen Tempel (Herodes-Tempel) wiederum, der 70 nach Christus von den Römern zerstört wurde, blieb nach jüdischer Überlieferung lediglich die Westmauer („Klagemauer“) erhalten, an der Juden bis heute ihre Gebete verrichten.
Was ist der „Status quo“?
Nach dem israelisch-arabischen Krieg von 1948 geriet Jerusalems Ostteil - inklusive der Altstadt und ihrer heiligen Stätten - unter jordanische Herrschaft, bis Israel diesen 1967 im Sechs-Tage-Krieg eroberte und später annektierte. Seitdem kontrolliert Israel den Zugang zum Tempelberg, während die Verwaltung des Areals und seiner heiligen Stätten in der Verantwortung der Jerusalemer Waqf-Behörde belassen wurde. Die Behörde selbst wird wiederum von Jordanien finanziert. Nach der Eroberung Ost-Jerusalems ordnete der damalige israelische Verteidigungsminister Mosche Dayan zudem an, dass Juden den Tempelberg zwar betreten, jedoch dort nicht beten dürfen. Dayan wollte damit verhindern, dass der Nahost-Konflikt zu einem religiösen Konflikt wird. Seine Entscheidung erhielt die Rückendeckung des Oberrabbinats. Aus Sicht der orthodoxen Rabbiner wollte man damit verhindern, dass jüdische Besucher aus Versehen das Allerheiligste betreten. Dieser Status quo aus dem Jahr 1967 fand auch Ausdruck in dem israelisch-jordanischen Friedensvertrag von 1994 und gilt bis heute als Referenz, wenn es um Veränderungen – z.B. Zuständigkeiten oder Besuchsrechte – am Tempelberg geht.
Rütteln am Status quo?
Der Unmut auf palästinensischer und muslimischer Seite über die israelische Entscheidung, Metalldetektoren zu errichten, war groß. Dies hat vor allem drei Gründe: Erstens wurde die Entscheidung einseitig durch die israelische Regierung gefällt, ohne mit der jordanischen Regierung, der Palästinensischen Autonomiebehörde oder der Jerusalemer Waqf-Behörde Rücksprache zu halten. Zweitens steht nicht nur auf palästinensischer, sondern auch auf arabischer Seite die Befürchtung im Raum, Israel wolle mit derlei Schritten den Status quo (siehe oben) sukzessive aufweichen. In diesem Zusammenhang wird auf palästinensischer Seite auch die steigende Besucherzahl national-religiöser Juden, die mit dem Gebetsverbot brechen, mit Sorge betrachtet. Israelische Behörden schickten sich entsprechend an, den temporären Charakter dieser Maßnahmen zu betonen. Drittens lehnen die Palästinenser den Vergleich zur jüdischen Klagemauer ab, deren Zugang ebenfalls mit Metalldetektoren gesichert ist. Vielmehr sehen sie in den Sicherheitsvorkehrungen eine Vorstufe zu jenen Checkpoints, die den Alltag der Palästinenser im besetzten Westjordanland und Ost-Jerusalem beeinträchtigen.
Zugleich weiß man auch in Israel, welchen Flächenbrand Ereignisse auf und um den Tempelberg entfachen können: Ministerpräsident Netanjahu ist bereits erfahren, wenn es um Maßnahmen am Tempelberg geht. Als er 1996 während seiner ersten Amtszeit die Klagemauertunnel entlang des Tempelbergs eröffnete, führte dies innerhalb von drei Tagen zu landesweiten Ausschreitungen und zahlreichen Toten. Der Besuch des damaligen Oppositionsführers Ariel Sharon im September 2000 auf dem Tempelberg war der letzte Mosaikstein, den es für den Ausbruch der zweiten Intifada („Al-Aqsa-Intifada“) brauchte. Den palästinensischen Messerangriffen vom Herbst 2015 ging ebenfalls der Besuch eines israelischen Politikers (Landwirtschaftsminister Uri Ariel) voraus.
Der Tempelberg steht zum wiederholten Male in kurzer Zeit im Fokus gewaltsamer Ausschreitungen. Es besteht die Gefahr, dass Religion zunehmend die nationalistische Dimension des israelisch-palästinensischen Konflikts verdrängt. Davon profitieren in erster Linie radikale Kräfte auf beiden Seiten. Es wundert daher nicht, dass auf palästinensischer Seite die Hamas-Bewegung die Attentäter huldigten.
Warum Abbas und die PA nicht von den Unruhen profitieren
Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) unter Präsident Mahmud Abbas hat den Anschlag vom 14. Juli umgehend verurteilt. Er telefonierte mit Premierminister Netanjahu, sodass kurzfristig gar der Eindruck entstehen konnte, beide Seiten könnten über diese Gewalttat wieder zusammenfinden. Das Gespräch indes fand noch vor den technischen Aufbauten statt.
Für Abbas steht viel auf dem Spiel, denn er genießt keine Unterstützung bei seinem Volk, und gerade in Jerusalem ist die palästinensische Bevölkerung enttäuscht darüber, dass die Autonomiebehörde ihr Schicksal nicht prononcierter auf der Agenda hat. Die Palästinenser sehen sich, trotz der formalen Zuständigkeit der Jordanier, als eigentliche Hüter der heiligen Stätten Jerusalems. Und das, obwohl die Mehrheit der Palästinenser keinen Zugang zu der Stadt hat.
Schon in der Vergangenheit distanzierte sich Mahmud Abbas vehement von gewaltsamem Widerstand. Mit dieser Position widerspricht er jenen Teilen der Gesellschaft, die ihren Unmut gegenüber der anhaltenden Besatzung und die Tatenlosigkeit der eigenen Führung nicht länger zurückhalten wollen.
Um dieser Stimmung der palästinensischen Bevölkerung zu begegnen, kündigte der Palästinenserpräsident ein Ende der höchst umstrittenen Sicherheitskooperation an. Sie wurde 2005, nach seinem Sieg bei den Präsidentschaftswahlen, im Rahmen einer umfassenden Sicherheitssektorreform wieder eingeführt. Die Kooperation basiert im Wesentlichen darauf, dass die palästinensischen Sicherheitskräfte und die israelische Armee in Sicherheitsfragen kooperieren. Es ist auch der Verdienst dieser Sicherheitskooperation, dass nach 2005 palästinensische Gewalttaten in Israel zurückgingen. In der palästinensischen Gesellschaft indes hat sich der Eindruck gefestigt, dass mit der Sicherheitskooperation mehr für die Sicherheit der rund 600.000 Siedler geleistet wird als für die Sicherheit der Palästinenser; 25 Prozent der Palästinenser gaben in einer repräsentativen Umfrage an, dass die Aufkündigung der Sicherheitskooperation das beste Mittel sei, um der anhaltenden Besatzung zu begegnen. Wie ernst Abbas seine Ankündigung meint, werden die nächsten Tage zeigen. Im vergangenen Jahr drangen israelische Soldaten etwa 1.000 Mal in palästinensische Städte des Westjordanlands ein, die unter voller Kontrolle der PA stehen (sog. „A-Gebiete“). Ob diese Soldaten nun auf Gegenwehr der palästinensischen Polizei stoßen, ist mehr als fraglich: mit der Aufrechterhaltung der Sicherheitskooperation sichert sich Präsident Abbas seine Unterstützung durch den Westen und Israel, da er dort als verlässlicher Partner gilt.
Beziehung zu Jordanien angespannt
Jede Eskalation am Tempelberg ist zugleich ein Prüfstein für die jordanisch-israelischen Beziehungen. Als Hüter der heiligen islamischen Stätten in Jerusalem steht das haschemitische Königshaus immer häufiger in der Verantwortung, die Aufrechterhaltung des Status quo bei der israelischen Regierung einzufordern. Im Laufe der Woche kam es auf dem israelischen Botschaftsgelände in Amman zu einem tödlichen Zwischenfall, bei dem zwei Jordanier getötet wurden. Die jordanische Regierung verlangte von Israel, den beteiligten Sicherheitsbeamten der Botschaft zu verhören, bevor dieser das Land verlassen könne. Die israelische Regierung verweigerte sich dieser Forderung. Letztendlich einigten man sich darauf, dass Israel seinen Beamten ungehindert abziehen kann, wenn man dafür die Metalldetektoren am Tempelberg entfernt.
Warum die Unruhen für die palästinensische Politik zur Unzeit kommen
Die palästinensischen politischen Parteien haben gewiss nicht auf eine neuerliche Zuspitzung der Beziehungen mit Israel gewartet. Zu beschäftigt sind sie derzeit mit ihren eigenen Baustellen.
Präsident Abbas und seine Fatah-Bewegung stehen vor einer schwierigen Bewehrungsprobe, da die Führung von einem parteiinternen Widersacher herausgefordert wird: Mohammed Dahlan, ehemaliger Fatah-Sicherheitschef des Gazastreifens und 2011 von Abbas ins Exil verbannt, strebt ein politisches Comeback an. Im Gepäck hat er einen umfassenden Deal mit der Hamas, mit der gemeinsam er die politische und humanitäre Krise in Gaza lösen will. Ägypten scheint diese Entwicklung wohlwollend zu begleiten; Kairo soll signalisiert haben, die Energieversorgung zu verbessern und die Grenze zum Sinai zu öffnen.
Zugleich steht die Hamas selbst mit dem Rücken zur Wand: Präsident Abbas hatte die zehnjährige Spaltung zwischen seiner säkularen Fatah und der islamistischen Hamas verschärft, indem er sich weigerte, für israelische Energielieferungen in den von der Hamas kontrollierten Gazastreifen zu zahlen; gleichzeitig drosselte er die Gehälter für PA-Angestellte vor Ort. Neben der innenpolitischen Zuspitzung geriet die Hamas darüber hinaus in den Sog der Katarkrise: Doha, derzeit Sitz des Hamas-Politbüros, wird von Saudi-Arabien und weiteren Verbündeten aufgefordert, seine Beziehungen mit Terrororganisationen einzustellen. Die Hamas könnte Leidtragende eines künftigen Deals am Golf werden – mit potentiell fatalen Folgen für die zwei Millionen Palästinenser in Gaza, da Katar ein Hauptakteur beim Wiederaufbau des kriegsgeschüttelten Küstenstreifens ist.
Unklar ist dabei, wer letztlich die Entscheidungsgewalt in der Hamas in Händen hält: nach dem Abschluss der parteiinternen Wahlen wurde zwar der als gemäßigt geltende Ismael Haniyeh zum neuen Chef des Politbüros – das formal höchste Amt in der Bewegung – befördert. Indes gilt als neuer starker Mann in Gaza der dortige Chef Jahia Sinwar, der selbst innerhalb der Hamas als radikal gilt. Als Verzweiflungsakt kann in diesem Zusammenhang die Veröffentlichung eines politischen Dokuments gewertet werden, mit der die Bewegung scheinbar moderatere Töne einschlägt. Indes distanziert man sich weder von der israelfeindlichen Charter von 1988, noch gibt es ein klares Bekenntnis zum Existenzrecht Israels in den Grenzen von 1967.
Den Kontext nicht aus dem Blick lassen
Widerstand, Protest und Gewalt sind Folgen eines jahrzehntealten Konflikts, den Israelis und Palästinenser auch im 50. Jahr der israelischen Besatzung weder bilateral, noch unter Vermittlung externer Akteure lösen konnten. Aus palästinensischer Perspektive gibt es keinen Glauben mehr daran, dass sich Israel an die Osloer Friedensverträge der 1990er Jahre gebunden fühlt. Zugleich findet auf palästinensischer Seite keine politische Erneuerung statt, um der Führung ein Verhandlungsmandat für Friedensgespräche mit den Israelis zu verleihen. Die letzten nationalen Wahlen liegen inzwischen elf Jahre zurück.
Die Realität in den Palästinensischen Gebieten ist so vor allem durch Siedlungsaktivitäten, Straßenblockaden und eine am Boden liegende Wirtschaft geprägt. In Gaza spitzt sich zudem die humanitäre Lage weiter zu, weil es hier in erster Linie an Strom und sauberem Trinkwasser fehlt. Der VN-Sondergesandte für den Nahost-Friedensprozess, Nikolay Mladenov, sagte hierzu auf einer Konferenz der KAS im Mai: „Wenn ein Volk isoliert, unterdrückt und seiner Würde beraubt wird, wird es wütend (…) Indes braucht es eine Konfliktlösung, kein weiteres Chaos.“
Insbesondere in Jerusalem, dessen Ostteil 1967 von Israel zunächst besetzt und später annektiert wurde, hat sich die Stimmung in den letzten Jahren dramatisch verändert: während die Stadt früher für einen offenen Austausch stand, weil sich Israelis und Palästinenser im Alltag und abseits des Besatzungsregimes begegneten, ist sie heute ein Ausga
ngspunkt von Gewalt und Radikalisierungstendenzen. In Ost-Jerusalem leben circa 315.000 Palästinenser, die meisten unterhalb der Armutsgrenze, und 200.000 jüdische Siedler. Die Spannungen nahmen insbesondere seit den Messerangriffen im Herbst 2015 zu, als die meisten Attentäter aus den palästinensischen Stadtteilen Jerusalems kamen.
Ein Ende der Krise?
Beide Seiten haben die Eskalationsleiter in großer Eile erklommen. Und beide Seiten stehen gleichermaßen – vor allem aus innenpolitischen Gründen – unter Druck, ihre jeweilige Drohkulisse aufrechtzuerhalten.
Ministerpräsident Netanjahu wäre der Kritik des rechten Lagers ausgesetzt, würde er die getroffenen Maßnahmen einseitig und ohne Zugeständnisse der Palästinenser wieder rückgängig machen. Darüber hinaus kann Israel kein Interesse daran haben, dass der Konflikt auf angespannter Ebene fortbesteht: breitet sich in der arabischen und muslimischen Welt das Narrativ aus, dass Premierminister Netanjahu den sensiblen Status Quo verletzt habe, setzt er damit Israels Beziehungen zu seinen Nachbarn unnötig aufs Spiel. Die diplomatische Krise mit Jordanien kam ihm folglich nicht ungelegen, da sie ihm ein Ausweg eröffnete, die von den Palästinensern kritisierten Metalldetektoren wieder abzubauen.
Präsident Abbas wiederum muss deutlich machen, dass er über Ankündigungen und Androhungen hinaus in der Lage ist, die Interessen der Palästinenser zu vertreten, will er sich nicht von der Straße und den radikalen Kräften des Gazastreifens weiter delegitimieren lassen.
Ein Ausweg kann nur in einem direkten Dialog zwischen Israelis und Palästinensern gefunden werden. So Konsens darüber herrscht, dass Muslime weiterhin ungehinderten Zutritt zum Tempelberg behalten, bedarf es einer Regelung, die die Status Quo-Übereinkunft nicht verletzt und in Absprache mit der Waqf-Behörde realisiert wird.
Um dem religiösen Wetteifern entgegenzutreten, bedarf es zudem einer politischen Vertretung der Palästinenser in Ost-Jerusalem: der Status der Stadt, deren Ostteil die Palästinenser als künftige Hauptstadt für sich reklamieren, wurde bei den Osloer Friedensgesprächen ausgeklammert. Seit der zweiten Intifada, als das „Orient-Haus“ als Vertretung der PLO in der Stadt geschlossen wurde, gibt es zudem keine Adresse der palästinensischen Führung mehr. So wird es alternativen und vermeintlichen Autoritäten in der Stadt besonders leicht gemacht, eigene Positionen in die Debatten einzupflegen. In dieser Gemengelage nimmt Religion einen einerseits verbindenden Charakter ein (erkenntlich daran, dass sich auch Christen mit den betenden Muslimen solidarisierten und bei den öffentlichen Gebeten erschienen), andererseits wird die politische Führung weiter disqualifiziert: der Autonomiebehörde von Präsident Abbas ist es per se nicht möglich, anders als durch mahnende Worte, auf die Palästinenser Ost-Jerusalems einzuwirken. Da sie von nationalen Wahlen ausgeschlossen sind, ist ihre Beziehung zum PA-Apparat ohnehin von Distanz geprägt.
Zugleich muss deutlich sein: eine Krise, wie man sie derzeit beobachtet, kann durch angemessenes Krisenmanagement kurzfristig gelöst werden. Ansonsten droht eine Rückkehr der Gewaltspirale. Viel wichtiger jedoch ist es, sich den eigentlichen Konfliktthemen – Sicherheit, Grenzen, Siedlungen, Flüchtlinge, Wasserrechte und nicht zuletzt der Status von Jerusalem – zu widmen.