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Das aktuelle israelisch-palästinensische Meinungsklima

von Michael Mertes, Felix Dane, Maren Herter

Zwischen Misstrauen und Kompromissbereitschaft

Die Meinung zum Friedensprozess ist auf beiden Seiten weiterhin von Pessimismus und wechselseitigem Misstrauen geprägt. Dies spiegelt sich in den Ansichten der befragten Israelis und Palästinenser bezüglich des festgefahrenen Friedensprozesses und der Aussicht auf eine zeitnahe Lösung des Konflikts wieder. Dennoch ist die Kompromissbereitschaft im Blick auf ein Endstatusabkommen auf beiden Seiten deutlich gestiegen.

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Die gemeinsame israelisch-palästinensische Umfrage vom Dezember 2011 legte den Schwerpunkt auf den eingefrorenen Friedensprozess. Ein aktueller Akzent war der sich zuspitzende Konflikt mit dem Iran.

Die wichtigsten Ergebnisse

Generell herrscht sowohl bei Palästinensern als auch bei Israelis weiterhin Pessimismus vor. An einen Punkt fällt indes eine große Diskrepanz auf: Nur die israelischen Befragten gehen mehrheitlich davon aus, dass die bewaffnete Konfrontation nicht aufhören wird und beide Seiten nicht an den Verhandlungstisch zurückkehren werden. 54,4% aller Israelis glauben das. Im Dezember 2010 waren es lediglich 35,5%. Auf palästinensischer Seite ist man wesentlich weniger pessimistisch. Nur 19,9% glauben an eine Fortsetzung bewaffneter Zusammenstöße ohne Rückkehr an den Verhandlungstisch. Im Dezember 2010 waren es noch 35,1%.

Was könnten die Gründe für diese bemerkenswerte Auseinanderentwicklung sein? Eine mögliche Erklärung ist, dass viele Palästinenser große Hoffnungen auf den gewaltfreien Prozess setzen, den ihre Führung in Ramallah mit dem Antrag auf palästinensische Vollmitgliedschaft in den Vereinten Nationen im Herbst 2011 eingeschlagen hat.

Wiederaufnahme von Verhandlungen und Siedlungspolitik

Erhebliche Meinungsunterschiede gibt es auf beiden Seiten auch im Hinblick auf die Forderung von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas, vor der Wiederaufnahme von Verhandlungen müssten akzeptable Eckpunkte festgelegt oder der israelische Siedlungsbau im Westjordanland gestoppt werden. 69,1% aller Israelis sind mit ihrer Regierung der Auffassung, Israel sollte diesen Vorbedingungen zur Wiederaufnahme von Verhandlungen nicht zustimmen. Hingegen unterstützen 77,6% der Palästinenser diese Haltung ihrer eigenen politischen Führung.

Allerdings ist in Israel die Zustimmung zur Räumung eines Großteils der Siedlungen als Teil eines Friedensabkommens mit den Palästinensern im Vergleich zur Dezemberumfrage 2010 wieder gestiegen: 51,9% der Israelis befürworten dies im Vergleich zu 48,2% im Dezember 2010. Zugleich schätzen sie die Meinung ihrer Landsleute in dieser Frage völlig falsch ein: Nur 25,8% der jüdischen Israelis glauben, dass die Mehrheit der israelischen Bevölkerung einen Abbau der meisten Siedlungen unterstützt, verglichen mit 27,7% im Dezember des letzten Jahres.

Wann gibt es einen souveränen Palästinenserstaat?

Große Übereinstimmung gibt es weiterhin auf beiden Seiten, was die Aussichten auf baldige Entstehung eines souveränen palästinensischen Staates anbetrifft; diese werden als gering eingeschätzt. Zwar sank auf beiden Seiten die Anzahl derer, die die Chancen dafür in den nächsten fünf Jahren als „nicht existent“ bewerten. Zum Vergleich: Im Dezember 2010 waren es noch 31% der Israelis und 32,9% der Palästinenser, während es jetzt nur noch 21,3% der Israelis und 22% der Palästinenser sind. Dennoch spiegelt sich dieser skeptische Blick nach vorn auch in den Antworten auf die Frage nach einer abschließenden Einigung mit den Palästinensern wider: 68,4% der befragten Israelis sehen dies als eine Sache der Un-möglichkeit an. Im Dezember 2010 waren es nur 56,3%.

Sicherheitsvorkehrungen und Demilitarisierung

In Bezug auf Sicherheitsarrangements bei einer Zwei-Staaten-Lösung ist auf beiden Seiten eine Zunahme der Befürworter zu erkennen. Solche Arrangements sind wie die Quadratur des Kreises: Einerseits sehen sie vor, dass der Palästinenserstaat die Souveränität über sein eigenes Territorium (Land, Wasser, Luftraum) erhält; andererseits würden sie eine befriste-te Präsenz israelischer Frühwarnstationen und die unbefristete Anwesenheit einer Friedens-truppe der Vereinten Nationen regeln. Mit 50% Befürwortern ist unter den Palästinensern ein Anstieg von 12% zugunsten dieses Ansatzes zu messen. Unter den Israelis sprechen sich 63% dafür aus, wo es im Vorjahr noch 11% weniger waren.

Die größte Meinungsdifferenz zwischen Israelis und Palästinensern im Hinblick auf künftige Sicherheitsarrangements zeigt sich immer noch bei der vorgeschlagenen Demilitarisierung palästinensischen Gebiete: Dieser Punkt erhält am wenigsten Zustimmung seitens der Palästinenser, obwohl der gegenwärtige Grad der Unterstützung mit 32% der höchste seit 2003 ist.

Wechselseitige Anerkennung des jüdischen und des palästinensischen Staates

Zu den streitigen Themen gehört auch die Frage, ob nach einer abschließenden Friedensregelung Palästina Israel als Staat des jüdischen Volkes und Israel Palästina als Staat des pa-lästinensischen Volkes anerkennen sollte. Auf beiden Seiten würde damit der Abschied von der Vorstellung besiegelt, dass man ältere Rechte auf das Territorium des Anderen habe.

Auf beiden Seiten gibt es dafür eine Mehrheit – eine knappe Zweidrittelmehrheit von 65,8% bei allen Israelis, eine absolute Mehrheit von 52,3% bei den Palästinensern. Unübersehbar ist jedoch die starke Opposition, die auf palästinensischer Seite mit 46,8% wesentlich deutlicher ausfällt als auf der israelischen Seite mit ebenfalls beachtlichen 29,1%. Es drängt sich die Vermutung auf, dass die 13% jüdischer Israelis, die eine Anerkennung Palästinas als Staat des palästinensischen Volkes „definitiv“ ablehnen würden, weitgehend identisch sind mit jenen 12,6%, für die Groß-Israel („Greater Israel“) ein besonders hoher Wert ist.

Im israelisch-palästinensischen Konflikt spielen Fragen der kollektiven Identität und des staatlichen Selbstverständnisses eine Schlüsselrolle. Für seinen „Israeli Democracy Index 2011“ hatte das „Israeli Democracy Institute“ (IDI) israelische Juden gefragt, welches Element in der Selbstdefinition Israels als „jüdischer und demokratischer Staat“ für sie wichtiger sei. Für 22,9% ist es das Element „demokratischer Staat“, 29,5% nannten das Element „jüdischer Staat“, und eine große relative Mehrheit von 46,1% sieht beide Elemente als gleich wichtig an.

Es geht bei diesem Thema nicht allein um Wertvorstellungen, sondern auch um Fragen der Demographie: Die Zukunft Israels als jüdischer Staat hängt nicht zuletzt davon ab, dass die Mehrheit seiner Bevölkerung jüdisch ist. Das erklärt die israelische Opposition gegen die Anerkennung eines Rückkehrrechts der palästinensischen Flüchtlinge von 1948 und ihrer Nachkommen; so wird zugleich verständlich, weshalb unserer eigenen Umfrage zufolge eine relative Mehrheit von 38,4% das Weiterbestehen einer jüdischen Mehrheit auf israelischem Territorium für den wichtigsten politischen Wert hält.

Wechselseitiges Misstrauen

Unsere Meinungsumfrage zeigt erneut, dass das wechselseitige Misstrauen zu den größten Hindernissen auf dem Weg zu einer Annäherung beider Seiden gehört. Deutliche Mehrheiten bei Israelis wie Palästinensern unterstellen der Gegenseite schlimme Absichten. 60,1% der befragten Palästinenser glauben, die Israelis strebten ein Groß-Israel von der Mittelmeerküste bis zum Jordan an, und sie schreckten zu diesem Zweck auch nicht davor zurück, ihre arabischen Mitbürger zu vertreiben. Umgekehrt meint fast die Hälfte der befragten israelischen Juden – 49,1% –, den Palästinensern gehe es darum, Israel zu erobern und einen Großteil der jüdischen Bevölkerung in Israel zu vernichten.

So kann es nicht überraschen, dass auf beiden Seiten die tatsächliche Kompromissbereitschaft auf der Gegenseite von vielen Befragten falsch eingeschätzt wird. 72,1% der israelischen Juden glauben nicht daran, dass gegenwärtig ein abschließender Kompromiss möglich wäre. Die meisten von ihnen (55,1%) und die meisten Palästinenser (60,4%) glauben, dass es auf der jeweils anderen Seite keine mehrheitliche Unterstützung für eine auf den „Clinton-Parametern“ vom Dezember 2000 und der entsprechenden „Genfer Initiative“ von 2003 basierende Konfliktlösung gebe. In Wahrheit sprechen sich 57,5% der befragten Israe-lis für ein solches Kompromisspaket aus; auf palästinensischer Seite ist es eine starke rela-tive Mehrheit von 49,5%.

(K)ein Ende der Gewalt?

In Israel vermuten 47,3% aller Befragten, dass die Palästinenser, sollten die Vereinten Nationen ihr Land als Mitglied aufnehmen oder als „staatliches Nichtmitglied“ anerkennen, mit einer neuen Intifada versuchen werden, Israel aus dem Westjordanland herauszuzwingen; nur jeder vierte rechnet mit gewaltlosem Handeln. Innerhalb der palästinensischen Öffentlichkeit geht jeweils ein Drittel der Befragten davon aus, dass in einem solchen Fall der Abzug Israels durch gewaltfreie Proteste, gewaltsamen Widerstand oder durch Wiederaufnahme von Verhandlungen herbeigeführt werden könne.

Was das allgemeine Sicherheitsgefühl anbetrifft, so machen sich unter den Israelis 50% Sorgen und fast ebenso viele – 48% – keine Sorgen, dass Araber ihnen oder einem ihrer Angehörigen Leid zufügen könnten; im Vergleich dazu waren es im September 2011 noch 58%, die solche Ängste hatten. Unter den Palästinensern fürchten 70% – und damit 5% weniger als im Vorjahr –, Israel könne sie oder ihre Angehörigen verletzen, ihr Land konfiszieren oder ihre Häuser zerstören.

Iran

Ein aktueller Schwerpunkt der Umfrage bezog sich auf den wachsenden Konflikt zwischen Israel und dem Iran wegen des iranischen Atomprogramms. Auf israelischer Seite gibt es keine eindeutige Mehrheit, die einen Angriff auf den Iran unterstützt oder ablehnt. Generell unterstützen aber mehr Israelis (47,1%) einen Angriff, als dass sie ihn ablehnen (40,9%). Allerdings glauben 56,2% aller Israelis, dass die Mehrheit ihrer Landsleute einen Angriff unterstützen würde; nur 18,5% glauben, dass die Mehrheit einem Angriff ablehnend gegenüber stünde.

Jeweils etwas weniger als die Hälfte der Palästinenser glauben, dass Israel den Iran angreifen bzw. von einem Angriff absehen wird.

Auf die Frage danach, ob bei einem Angriff Israels auf den Iran die von Teheran unterstützten palästinensischen (Terror-)Organisationen Hamas und Islamischer Dschihad einen Ver-geltungsschlag gegen Israel ausüben würden, antworteten 75,7% aller Israels mit ja, und nur 17,6% glauben nicht an einen Vergeltungsschlag.

Durchführung der Umfrage

Der palästinensische Umfrageteil umfasste 1270 Erwachsene, die zwischen dem 15. und 17. Dezember 2011 an zufällig ausgewählten Orten im Westjordanland, Ostjerusalem und dem Gazastreifen persönlich befragt wurden. Die Fehlermarge liegt bei 3%. Für den israelischen Umfrageteil wurden 605 erwachsene jüdische Israelis zwischen dem 11. und 14. Dezember 2011 telefonisch auf hebräisch, arabisch oder russisch interviewt. Hier liegt die Fehlermarge bei 4,6%.

In Kooperation mit der Konrad-Adenauer-Stiftung wurde die Umfrage von Dr. Yaacov Shamir vomHarry S. Truman Research Institutean der Hebräischen Universität Jerusalem und Dr. Khalil Shikaki, Direktor desPalestinian Center for Policy and Survey Research(PSR) geplant und betreut.

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