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Im Friedensprozess gibt es kein Zurück

von David Brähler
Es wird ein historischer – von vielen herbeigesehnter – Tag sein, wenn die Tinte unter der Einigung der Konfliktparteien des kolumbianischen Friedensprozesses trocknet. Während einer Expertenrunde zu diesem Thema in den Räumen der Konrad-Adenauer-Stiftung in Montevideo am 29. März 2016 waren die großen Erwartungen und Sorgen rund um diesen langwierigen Einigungsprozess spürbar.

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Die große Aktualität des seit 2012 andauernden Prozesses wurde bereits durch die Einführungsworte von Kristin Wesemann, Leiterin des Regionalprogramms „Parteienförderung und Demokratie in Lateinamerika“ unterstrichen. Sie nahm den Wunsch ihrer kolumbianischen Kollegen gerne auf, das Thema mit Experten auf regionaler Ebene zu analysieren. „Denn“, so Wesemann, „alle auf dem Kontinente interessiert es brennend, was in dieser historischen Stunde passiert“.

Ein Konflikt mit einer langen Geschichte

Die Unterschrift unter einen verbindlichen Vertrag könnte einen der ältesten und gewalttätigsten Konflikte des Lateinamerikas beenden. Mit diesem Statement eröffnete der frühere uruguayische Verteidigungsminister José Bayardi Lozano seine Ausführungen. Bis Dezember 2015 hat er die Unasur bei den Verhandlungen um den Frieden vertreten. Er kennt den Prozess aus erster Hand. Den Zuhörern erklärte er: Der über 50 Jahre schwelende Konflikt habe seinen Ausgangspunkt in einer liberalen Parteiströmung, die politisch gegen das Establishment kämpfte. Aus der zunehmend gewalttätigeren Konfrontation und dem Zusammenschluss mit gewaltbereiten linksgerichteten Gruppen seien schließlich die Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (Farc) entstanden. Bayardi unterstrich, dass der Ausgangspunkt also der Wunsch nach politischer Teilhabe gewesen sei.

Nach Jahrzehnten des Konflikts gelangen im August 2012 erste Schritte in Richtung eines Friedensprozess zwischen der aktuellen Regierung von Präsident Juan Manuel Santos und der Farc. Auf der Agenda der Verhandlungen standen seitdem die fünf großen Themen des Konflikts. Erstens das Thema Landreform und die zukünftige Nutzung von Flächen, die aktuell die Guerilla dominiert, sowie die Rückkehr von mehr als fünf Millionen durch den Konflikt vertriebener Kolumbianer in ihre Heimatregionen. An zweiter Stelle die zukünftigen Rechte der politischen Opposition. Bayardi verwies auf tausende ermordete Politiker vergangener Friedensbemühungen und hielt fest, dass man in Kolumbien mutig sein müsse, wenn man die Waffen gegen die Politik eintausche. Aus diesem Grund habe die Suche nach Garantien für Leib und Leben derer, die der Gewalt abschwören, oberste Priorität. In einem dritten Schritt verhandelten die Konfliktparteien über konkrete Schritte der Niederlegung der Waffen und der Rückkehr in die Gesellschaft der Guerillakämpfer. Der Aspekt der Strafverfolgung für begangene Verbrechen werde dabei nicht ausgespart, so der Ex-Minister. An vierter Stelle der Gespräche ständen der Anbau und das Geschäft mit den illegalen Drogen, die für die Farc einen enormen Wirtschaftsfaktor darstellten. Als letztes, aber keineswegs nachrangiges Thema, besprächen die Parteien die Situation der Opfer und die Aufarbeitung der Vergangenheit (transitional justice), ausgehend vom Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes sowie den Erfahrungen Nelson Mandelas in Südafrika.

Zu den großen Sorgenkindern der Verhandlungen zählte Bayardi einerseits das ungelöste Problem tausender Minenarbeiter, die auf mehr als 300.000 Hektar illegalen Bergbau betrieben. Andererseits die entgegengesetzten Vorstellungen von Regierung und Farc darüber, wie die Demilitarisierung und Integration in die Gesellschaft vonstattengehen solle.

In den Augen der Opfer steht die Begeisterung für den Frieden

Ein sehr leidenschaftliches und lebendiges Bild des zurückgelegten Friedensweges zeichnete Denise Cook, Entwicklungsberaterin der Vereinten Nationen in Kolumbien zwischen 2009 und 2013 und heute Vertreterin der Weltorganisation in Montevideo. Sie erinnere sich sehr gut an die vielen Jahren, in den eine Lösung des Konflikts in der kolumbianischen Gesellschaft trotz tausender Opfer und Millionen Vertriebener kein Thema war.

Erst mit der Ankunft von Präsident Juan Manuel Santos habe sich dies geändert. Schon bei seinem Amtsantritt sei er bereit gewesen, von Frieden zu sprechen. Dies habe neue Räume für vertrauliche Verhandlungen und eine strukturiertere Arbeit für den Frieden eröffnet.

Sobald das Wort „Frieden“ in Kolumbien die Runde machte, hätten die Vereinten Nationen mit der Schaffung einer politischen Mission und der Gründung vieler regionaler Büros in den am meisten vom Konflikt betroffenen Gebieten des Landes reagiert. Man habe sich ausschließlich integre und vertrauenswürdige Partner in der lokalen Politik gesucht, die ein wirkliches Interesse an Veränderungen hatten. Die einzige andere Organisation mit einem solchen direkten Kontakt sei die katholische Kirche gewesen. In den unterschiedlichen Initiativen sei dann etwa zu Ernährungsproblemen oder Menschenrechten gearbeitet worden.

Die Vereinten Nationen hätten von Anfang an die Opfer in den Mittelpunkt zu stellen versucht, um dem oft ideologischen oder technischen Konflikt ein menschliches Antlitz zu geben. Die Regionalbüros hätten den Schwerpunkt der Gespräche auf die menschliche Ebene verlagert, indem sie offene und inklusive Foren organisierten, in denen sich Opfer von Regierungs- und Farc-Gewalt und Tätern sowie Guerilleros gegenüber gesessen hätten.

Cook unterstrich den beeindruckenden Enthusiasmus der Opfer für den Frieden, die als einzige Gruppe des Konflikts nie die Hoffnung und die Leidenschaft für den Frieden aufgegeben hätten. Wenn man mit ihnen spreche, werde schnell klar, dass eine Fortführung des Konflikts inakzeptabel sei, wenn Kolumbien vorankommen wolle. Die Opfer hätten ein Anrecht auf die Wahrheit, auf Gerechtigkeit und Wiedergutmachung, so Frau Cook von den Vereinten Nationen. Trotz aller Komplexität des Konflikts aufgrund vieler verschiedener Akteure und den Faktor Drogen habe die Regierung diese Botschaft verstanden. Die Unterschrift unter das Dokument sei ein wichtiger Schritt, die Realität zu verändern, so Cook. Noch wichtiger seien jedoch die Tage und Jahre danach, die Bestätigung, schnelle Ergebnisse und internationale Unterstützung bedürften. Die echte und tiefe Verwandlung des zerstörten gesellschaftlichen Gewebes sei ein Prozess, der viele Jahre dauern werde.

Trotz aller Polemik: nur eine unterschriebene Einigung kann die Realität verändern

„Die aktuelle Situation in Kolumbien ist von starker Polemik geprägt“, analysierte zuletzt der kolumbianische Politikprofessor José Alejandro Cepeda der Universität Javeriana in Bogota die Ereignisse vor Ort. Entgegen einer internationalen Dynamik von Unterstützung und Wohlwollen gegenüber dem Friedensprozess, gebe es innerstaatlich ein massives Aufeinanderprallen von Freund und Feind des eingeschlagenen Weges. Dahinter stehe die alte Feindschaft zwischen Präsident Juan Manuel Santos, der für den Prozess sei, und seines Amtsvorgängers Àlvaro Uribe, der viele Jahre erbittert gegen die FARC gekämpft habe und dies trotz der Erfolge seines Nachfolgers weiterhin tue.

Cepeda teilte die Sorgen seiner beiden Vorredner. Da sich Kolumbien sehr viel vorgenommen habe, „sei nichts klar, bis es unterschrieben ist“. Gleichzeitig verwies er auf die positiven Beispiele lateinamerikanischer Länder im Umgang mit Versöhnung und der Sorge für die Opfer. Kolumbien sei so etwas wie „ein lebendiges Labor“ und könne im Falle eines Erfolges als Beispiel für viele dienen. Dafür kämpfe aktuell ein Großteil der kolumbianischen Bevölkerung unter Beteiligung von Künstlern, Musikern und Schauspielern.

Die Zuhörer, unter ihnen viele Kolumbianer und sogar ein ehemaliger Kämpfer der Farc, schlossen den Vormittag mit einer engagierten Diskussion. Es wurde herausgestellt, dass allein aufgrund seiner zeitlichen und geographischen Ausdehnung der Konflikt historisch einmalig sei. Allen wurde klar, dass der Frieden im Moment zwar noch unvollständig erscheine und an vielen Stellen, wie zum Beispiel der Demilitarisierung oder der zukünftigen Rolle der Armee, hinke. Trotz all dessen, so war sich das Publikum einig, müsse es der Frieden selbst sein, der über seine zukünftigen Vorteile die Leute begeistere und antreibe. Die Unterschrift unter eine Einigung werde der erste Schritt sein, die Realität zu verändern.

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