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Veranstaltungsberichte

Mediendinosaurier auf der Intensivstation und moderne Netzwerke am Durchstarten

von David Brähler

Wandel und Praxis politischer Kommunikation

Die Medienlandschaft ist weltweit im Umbruch. Der zweite Tag der Beratung politischer Parteien der Mitte in Honduras stand im Zeichen dieses Wandels und fokussierte besonders auf die Praxis politischer Kommunikation in sozialen Netzwerken.

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Martín Dinatale eröffnete den zweiten Tag der Parteienberatung vor Vertretern politischer Parteien der Mitte aus Zentralamerika mit einer Standortbestimmung. Zeitungen in Papier würden bald verschwinden, aber nicht so schnell wie es zum Beispiel Bill Gates vor 10 Jahren vorausgesagt habe. Die Tageszeitung Clarin in Argentinien etwa habe heute bei doppelter Bevölkerungszahl nur die Hälfte der Auflage wie im Jahr 1952. Gleichzeitig habe jedoch noch niemand die goldene Formel entdeckt, Online-Zeitungen wirklich rentabel zu machen. Über die Ablösung von Papier durch Digitales hinaus, gehörten zum Wandel die massive Bedeutung der sozialen Netzwerke als Medien der Bürger; die Neudefinition der Rolle des Journalisten sowie das Entstehen neuer Geschäftsmodelle angesichts grundsätzlich kostenloser Inhalte im Netz. Mit den reihenweisen Entlassungen von Journalisten und immer prekäreren Arbeitsverträgen, erlebe die kritische Öffentlichkeit einen starken Brain-Drain. Dieser Verlust und das Fehlen an Hintergrundwissen und solider Ausbildung, gerade auch in Online-Redaktionen, stelle eine große Gefahr für die wichtige Funktion der vierten Macht im Staat dar.

Der Schock der traditionellen Medien, die sich bildlich gesprochen zur Behandlung auf der Intensivstation befänden, sei vor allem aufgrund der rasanten Geschwindigkeit entstanden, mit der die neuen, digitalen Medien die gleiche Anzahl an Zuhörern wie die traditionellen gewonnen hätten. Während Radio 40 und Fernsehen etwa 13 Jahre gebraucht hätten, um flächendeckend präsent zu sein, schaffte es das Internet in einem Drittel dieser Zeit, die gleiche Aufmerksamkeit zu erreichen, so Dinatale.

Egal ob Presse, Online-Medien oder Pressesprecher: Alle müssen sich die Aufmerksamkeit ihrer Zielgruppe und der Öffentlichkeit durch professionelle Botschaften verdienen. Jorge Dell’Oro, argentinischer Politikberater, führte die Teilnehmer der Partido Nacional und der Partido Demócrata Cristiana aus Honduras, Vertreter der Partido Demócrata Cristiano aus El Salvador und der Unión Demócrata Cristiana aus Nicaragua in präzisen Schritten zur Konstruktion gut gemachter Botschaften.

An erster Stelle stehe ein gutes Narrativ. Während Politiker oft nur ihre Pläne vermitteln wollten, seien die Medien auf der Suche nach echten Geschichten. Ein gutes Narrativ bestehe deshalb aus Botschaft, Konflikt, Persönlichkeit und einem klaren Drehbuch. Die Botschaft müsse wertgesättigt sein und die Versprechen des Wahlkampfes einlösen. Ein guter Konflikt würze an zweiter Stelle jedes gute Narrativ und wecke das Interesse: Ohne Böse gebe es keine Guten, ohne Bedrohung keine Rettung, ohne Drama kein Interesse, unterstrich Dell’Oro. Zu den verschiedenen Konflikttypen zähle der Widerstand gegen etwas, eine komplizierte Situation mit vielen Teilnehmern oder die Dekonstruktion der Botschaft des Gegners. Im Zentrum des guten Narrativs stehe drittens eine authentische Persönlichkeit, für die Empathie einer der größten Werte sein müsse. Die Fähigkeit sich in die Lage anderer zu versetzen, ihre Probleme und Nöte zu hören und die eigene Sprache an unterschiedliche Zuhörer anzupassen, seien unbezahlbar, so der Politikberater.

Im Drehbuch, dem vierten wichtigen Baustein eines guten Narrativs, entscheide der richtige Spannungsbogen von Hinführung, Konfliktbeschreibung und Konfliktlösung. Mit dieser Art professioneller Botschaften könne politische Kommunikation ihre Ziele erfüllen: Anliegen verdeutlichen, Lösungen fördern, die Konkurrenz konfrontieren und deren Botschaft durch eigene, überlegene Ideen und bessere Narrative neutralisieren.

Anhand von Wahlspots und erfolgreicher Redeauszüge politischer Führer führte Dell’Oro abschließend die große Bedeutung gut gemachter Narrative vor Augen. Die Teilnehmer bestätigten in der Diskussion wie wichtig es für Politiker sei, den richtigen Stil und Ton zu treffen und zum Beispiel mit gut gemachten Metaphern effektvoll zu arbeiten.

Sofía Murgueytio, Politikberaterin und Expertin der sozialen Netzwerke, stellte eine grundsätzliche Überlegung an den Beginn ihres Vortrags: „Der Schlüssel der sozialen Netzwerke liegt nicht im guten Bedienen derselben, sondern im Verständnis der Dynamik, die dahinter steht. Das Individuum steht in jedem Moment im Mittelpunkt und bildet die Essenz der modernen Netzwerke.“

Mit der Frage nach den Kerninhalten der vertretenen Parteien, führte Murgueytio die Teilnehmer zu einer guten Nachricht: Mit den Werten des christlichen Humanismus stehe der Mensch in der Ideologie der Parteien bereits im Mittelpunkt. Doch die Realität sehe oft anders aus: Während die sozialen Netzwerke in einem Formel 1-Wagen unterwegs seien, bewegten sich viele Parteien in ihrer Kommunikation im Schneckentempo. Als Ergebnis erschienen Parteien außerhalb von Wahlzeiten als undurchschaubare Black-Box, da sie sich der Öffentlichkeit nicht mitteilten. Der Bürger möchte aber an den Ideen und der Dynamik der Parteien teilhaben und nutze vor allem selbst die neuen Medien für seine politischen Anliegen. Anhand von Occupy-Wallstreet, den weltweiten Bewegungen der Indignados oder dem arabischen Frühling buchstabierte die Social-Media-Expertin die politischen Auswirkungen dieser modernen Bewegungen.

Der Schlüssel zum Verständnis der sozialen Netzwerke laute deshalb Inklusion und Dialog. Kommentare, Likes und Freundschaften seien Ausdruck sozialen Verbindung, die die Netzwerke entstehen ließen. Wenn Politik Teil dieser Dynamik werden wolle, müsse sie ihren alten Duktus von „Ich rede und du hörst zu“ zu „Wir sprechen miteinander“ ändern.

In der Praxis lohne es sich für Parteien an erster Stelle, die Landschaft sozialer Netzwerke im eigenen Land zu analysieren. Stadt und Provinz unterschieden sich stark in der Nutzung der Medien, wie die Politikberaterin anhand von Mexico verdeutlichte. Zweitens bräuchten die Verantwortlichen der Parteien einen klaren Überblick über das Potenzial der unterschiedlichen Plattformen. Drittens sei das Sammeln von Daten über eine Registriermöglichkeit auf der eigene Website unerlässlich, um eine Datenbank aufzubauen, die nachher eine potente Kommunikation ermögliche.

Murgueytio präsentierte anschließend eine Einschätzung unterschiedlicher Online-Formate. Blogs etwa seien eine gute Alternative, online zu kommunizieren. Sie seien entstanden, um Themen und Diskussionen Tiefe zu geben und einer größeren Öffentlichkeit die eigenen Inhalte näher zu bringen.

Instagram, so die Social-Media-Expertin, ermögliche als Plattform einen neuen Stil der Kommunikation ausschließlich über aussagekräftige Fotos. Die größte Stärke dieser App liege in der hauptsächlich mobilen Nutzung, was besonders technikaffine Nutzer anspreche. Politiker wie Barack Obama nutzten die App, um, verbunden mit Hashtags, den unterschiedlichsten Ereignissen eine Bedeutung zu verleihen und diese emotional zu potenzieren. Ein Bild sage in diesem Fall mehr als tausend Worte. Als Organisation, die diese emotionale Unterstützung ihrer Botschaft intensiv nutze, sei Unicef in regelmäßigen Instagram-Kampagnen vorbildlich.

Twitter als textbasiertes Netzwerk diene der politischen Arbeit, um mit Journalisten in Kontakt zu sein, ihre Aufmerksamkeit durch knackige Überschriften zu gewinnen und mit den eigenen Mitgliedern im Austausch zu stehen. Aufgrund der weiten Verbreitung könne jeder Politiker Reaktionen und Diskussionen verfolgen und beobachten, in welcher Richtung sich Tendenzen entwickelten.

Auch im Bereich Bewegtbild gebe es wertvolle Innovationen für politische Parteien. Neben YouTube erlaubten mittlerweile auch Facebook und Twitter - über die App Periscope - Video-Chats und Live-Streaming. Analysten gingen davon aus, dass mit dieser kostenlosen und selbst machbaren Form von Übertragung in weniger als fünf Jahren Live-Streaming traditionelle Fernsehübertragungen im Umfang überholen werden. Überraschend dabei sei, dass hausgemachte, authentische Videos die gleichen Reichweiten entwickelten wie professionell erstellte Filme.

Und die Parteien? Wenn Parteien mit 3000 Mitgliedern in einem Facebook-Beitrag nur sieben Likes hätten, stimme etwas nicht, so Murgueytio. In der Selbstanalyse müssten die Parteien selbstkritisch genug sein, um zu schauen, wie sie hier aufgestellt seien. Die eigenen Mitglieder stellten dabei die erste und wichtigste Kraft dar, um eine Online-Strategie voranzubringen. Jedes Mitglied sei eine Geschichte, die man personalisiert, spontan, authentisch und emotional erzählen könne. Mit dem Abschluss der eigenen Analyse gehe es an die strategische Planung von Online-Aktivitäten. „Mit welcher Botschaft will ich mich in welchem Netzwerk, mit welcher Form an welche Zielgruppe richten?“ fragte die Beraterin die Teilnehmer zentralamerikanischer Parteien. Die Unterteilung in möglichst präzise Zielgruppen und deren spezifische Ansprache führte die Social-Media-Expertin abschließend anhand einer politischen Kampagne in Argentinien vor Augen.

Der Nachmittag diente der Standortbestimmung der teilnehmenden Parteien und der Erarbeitung eines konkreten Aktionsplans für den Vorstand der eigenen Partei. In den Bereichen Botschaft, Pressebüro und soziale Netzwerke waren die Teilnehmer eingeladen, so detailliert und konkret wie möglich fehlende Strukturen und ungenutztes Potential aufzuschlüsseln. Ausgehend vom unterschiedlichen Entwicklungsstand entstanden kreative und weitreichende Vorschläge für die Parteien.

David Brähler

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