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Veranstaltungsberichte

Neue politische Tendenzen in Lateinamerika

"Jeder Populist braucht einen inneren Feind"

SAO PAULO.Das größte Land Südamerikas steckt mitten in einer schweren politischen und wirtschaftlichen Krise. Rezession und Korruptionsskandale führten jüngst zu einem Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff. Das Abgeordnetenhaus hatte im April mit Zweidrittelmehrheit für das Verfahren gestimmt, vergangene Woche sprach auch der verantwortliche Senatsausschuss sich für den Amtsenthebungsprozess aus.

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Geplant war deshalb für Mittwoch, den 11. Mai, ein Senatsplenum zur endgültigen Entscheidung. Am 9. Mai kam es allerdings zu einem überraschenden Beschluss: Der amtierende Präsident des Abgeordnetenhauses erklärte die Abstimmung im April über die Entmachtung Rousseffs für nichtig. Ob diese Entscheidung zulässig ist, bleibt abzuwarten.

Mitten in diesen bewegten Zeiten veranstaltete die Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. in Zusammenarbeit mit ODCA, der Christdemokratischen Organisation Amerikas, in Sao Paulo ein internationales Forum zu den neuen politischen Tendenzen in Lateinamerika. Am 9. Und 10. Mai diskutierten ausgewählte Partnerparteien und Experten vor allem Strategien gegen den Populismus und die Korruption, die den Kontinent momentan auf eine schwere Probe stellen.

Warum das Treffen überhaupt nötig war, erklärte gleich zu Beginn Cesar Maria, der Vizepräsident der ODCA: „Um die heutigen Herausforderungen gemeinsam bewältigen zu können, müssen die nationalen Parteien auf internationaler Ebene einen Weg zur gemeinsamen Kooperation und Organisation finden.“ Gerade im Bereich der internationalen Beziehungen hätten viele der lateinamerikanischen Länder viel aufzuholen. Die physische Präsenz der politischen Führungspositionen müsse unbedingt verstärkt werden. Es sei deshalb kaum wünschenswert, dass, wie momentan der Fall ist, vor allem Beamte im Sektor der internationalen Beziehungen arbeiten, die gewählten Politiker diesem Bereich allerdings kaum Bedeutung schenken würden. „Unsere politischen Führungspersonen haben kaum praktische Erfahrung im Ausland.“ Diplomatische Annäherung geschehe über internationale Beziehungen. Diese Annäherung sei nicht immer leicht, es handle sich schließlich um äußerst heterogene Parteien. Wichtig sei es vor allem, gemeinsame Annäherungspunkte zu finden, ausgehend vom kleinsten gemeinsamen Nenner: der Opposition gegen die populistischen Regierungen.

Demokratie und Humanismus als politische Alternative

Wichtig sei vor allem das Schaffen einer politischen Alternative erklärte Jorge Ocejo Moreno, Präsident der ODCA, der über Demokratie und Humanismus sprach. Im 20. Jahrhundert sei die größte Herausforderung für die Politik in Lateinamerika gewesen, die Demokratie gegen die autokratischen Tendenzen zu verteidigen, die sich vor allem in Militärputschen und Militärregimen äußerten. Es galt demokratische Spielregeln zu etablieren, freie und faire Wahlen, Presse- und Meinungsfreiheit zu sichern und legitime politische Repräsentation zu schaffen. Dies sei in den meisten Ländern zunächst gelungen. Aber Demokratie sei mehr. Besonders die Achtung des Rechtstaates würde heute in vielen Ländern nicht mehr gewährleistet scheinen. Auch entstehe Legitimität nicht allein durch rechtmäßige Wahlen, sondern auch die Ausübung der Herrschaft und die Resultate müssen Legitimität besitzen. Besonders unter populistischen Regierungen entspricht dies nicht der Realität. In den vergangenen 20 Jahren entstanden immer mehr solcher populistischen Regierungen in Lateinamerika, politische Freiheiten wurden hier Schritt für Schritt beschränkt. In diesem Zusammenhang von Semi-Demokratien oder Defekten Demokratien zu sprechen, sei gefährlich. Der Mangel an Legitimität werde so hinter einer Maske oder einer Fassade versteckt und generiere einen falschen Eindruck.

Im Gegensatz, es sei besonders wichtig mehr Ansprüche an die Demokratie zu stellen, dort beginne die Aufgabe demokratischer Parteien. Gerade in Lateinamerika seien die Herausforderungen besonders groß. In kaum einer anderen Region der Welt erreiche die Ungleichheit ähnliche Ausmaße wie in Lateinamerika. Die Verteilung der Güter sei unangepasst und die Korruption überdurchschnittlich hoch. Anstatt Ergebnisse zu liefern, erzeuge die Politik in der Region bisher eher Frustration und Hoffnungslosigkeit, die Politiker hätten gleichzeitig jegliches Prestige verloren. Es sei daher kaum verwunderlich, dass die Menschen populistische oder gar autokratische Regierungen zu wählen. Die größten Bedrohungen für die Demokratie seien dabei die folgenden:

- die Unfähigkeit Armut, soziale Exklusion und Ungleichheit zu verhindern

- die Repräsentationskrise und zunehmende Distanzierung von Repräsentanten und Repräsentierten

- die Korruption

Ocejo zufolge könnte nur eine konsequente Strafverfolgung Abhilfe schaffen. Die Justiz müsse beginnen auch die Mächtigen zur Rechenschaft zu ziehen und ethisch korrekt zu handeln.

Aber auch die politischen Parteien müssten sich einigen Herausforderungen stellen. So solle vor allem die Person im Mittelpunkt der Politik stehen. Es seien außerdem tiefgreifende Veränderungen in der Institutionalität und ein weiterreichendes Verständnis für die Entfremdung von der Bevölkerung nötig. Man müsse sich den Bürgern wieder annähern und ihre Forderungen besser verstehen. Dazu müssten neue Handlungsräume und Partizipationskanäle geschaffen werden. Wichtig sei dabei vor allem die Frage warum Politik gemacht wird: zum Wohl der Bevölkerung. „Die Zeit ist gekommen um den Bürgern endlich wieder zuzuhören und weitreichende Veränderungen anzustoßen.“

Der Rückgang des Populismus in Argentinien, Venezuela und Bolivien

In Argentinien konnten 2015 Jahr solche Veränderungen erzielt werden. Der Präsident der noch jungen Partei PRO, Humberto Schiavoni, erläuterte genauer, wie Argentinien die Krise überwinden konnte. Nachdem während der Ära Kirchner jahrelang das politische System verzerrt worden sei und die Krise sich auf alle Bereiche des Alltags ausgeübt habe, hätte sich letztlich eine politische Alternative durchgesetzt. Begonnen habe diese Veränderung 2007, als Mauricio Macri mit der Partei PRO die Wahl zum Hauptstadtbürgermeister gewann. In diesem Moment sei zum ersten Mal eine politische Alternative zu den zwei Traditionsparteien, den Peronisten und der UCR, aufgetreten. Allerdings hätte damit die eigentliche Herausforderung erst begonnen: „Die PRO, oder Partei des 21. Jahrhunderts, stellte zwar den Bürgermeister in Buenos Aires, in Bezug auf föderale Strukturen und Erschließung weniger dicht besiedelter Regionen verfügte sie nicht annähernd über die gleichen Mittel wie die herkömmlichen Parteien.“ Die Strategie die bei den letzten Wahlen dennoch zum Erfolg geführt habe, sei die direkte Kommunikation mit den Menschen gewesen. Man hätte Präsenz im öffentlichen Leben gezeigt und dementsprechend auch Kandidaten aufgestellt, die den Forderungen der Gesellschaft gerecht werden konnten. „Dabei ist der Kampf gegen den Populismus keineswegs einfach. Auf lange Sicht kann man jedoch mit den korrekten Maßnahmen nachhaltige Veränderungen erzielen.“

Auch Maria Lourdes Landivar, Senatorin der Democratas in Bolivien, erläuterte ihre Erfahrungen mit dem Populismus in ihrem Land. Nachdem Evo Morales 2005 gewählt wurde, sei es zur totalen Konzentration der Macht gekommen und politische Freiheiten Stück für Stück reduziert worden. Einige Belege, die María Lourdes Landivar dafür anführte sind: politische Verfolgung der Opposition, Politisierung der Justiz, mangelnde Gewaltenteilung und Pressefreiheit sowie fehlender Schutz der Eigentumsrechte. Auch der populistische Stil der Partei sei zunehmend problematisch. Die Senatorin beschrieb in diesem Zusammenhang besonders die Stilisierung des „inneren Feindes“, eines der unabdingbaren Instrumente des Populisten, die sich in diesem Fall auf die Opposition richtete, die eine Strategie der Autonomie und Öffnung verfolgte. Im Zuge des Referendums zur Verfassungsänderung 2016 trug die extrem aufwendige Kampagne der Regierung allerdings keine Früchte. Morales verlor seine Glaubwürdigkeit als seine Person mit zwei Korruptionsskandalen, dem Fall Zapato und dem Fondo Indigena, in Verbindung gebracht wurde. Dazu kam die Wirksamkeit der Kampagne für das NO, die vor allem auf Bürgerplattformen und die bolivianische Gesellschaft an sich ausgerichtet gewesen sei und nicht auf einzelne Oppositionskandidaten. Auf diese Weise hätte die Regierung nicht auf einen Feind reagieren können, weil die Bürger schlichtweg nicht angreifbar waren. „Nie zuvor haben außerdem die sozialen Netzwerke eine derart große Rolle in einer politischen Kampagne gespielt.“ Die Mobilisierung sei enorm gewesen und die Bolivianer konnten sich so als Gemeinschaft für die Demokratie durchsetzen. Den Parteien sei vor allem die Rolle als Schiedsrichter zugekommen, die ihre Kanäle zur Verfügung stellten und gleichzeitig den ordnungsgemäßen Ablauf der Wahlen garantierten. „Nun ist die Aufgabe politische Alternativen aufzubauen, um Bolivien auf die Wahlen 2019 vorzubereiten.“ Es brauche einen neuen demokratischen Diskurs, um auf den Populismus reagieren zu können, dabei müsse besonders auf Inklusion geachtet werden.

Im Anschluss wurde der Fall Venezuela besprochen. Dr. Ramon Guillermo Aveledo berichtete über sein Land, dass zwar die venezolanische Verfassung demokratisch sei, die Gesetzgebung und die Handlungsweise der Regierung allerdings populistisch. Es sei deshalb ein neues politisches System und vor allem ein neuer demokratischer Diskurs notwendig. Die extrem hohe Inflationsrate (momentan bei 400 Prozent), Verstaatlichungen und extreme Kriminalitäts- und Mordraten, die nur von Honduras übertroffen werden, seien die Konsequenzen der politischen Krise des Landes. „In Venezuela leben wir momentan in Straffreiheit, die Situation für die Bürger ist unerträglich, da kriminelles Verhalten nicht verfolgt wird.“ Die unerträgliche Situation gepaart mit dem Verlust der charismatischen Führerperson Chavez sowie dem drastischen Einsturzes des Ölpreises würden die Politik an die Grenzen ihres Handlungspotentials manövrieren. Die Parteistrukturen, aber auch der Rückhalt der Bevölkerung seien so stark geschwächt, dass das populistische Projekt in Venezuela kurz vor dem Scheitern stehe.

Die politische Zukunft Brasiliens

Ebenfalls am Scheitern ist die brasilianische Regierung. Anlässlich der aktuellen Situation beschrieb zunächst der Abgeordnete Rodrigo Garcia die Situation des Populismus in Brasilien. Seit 2013 sei das Land geprägt von zahlreichen Protesten, die vor allem von der Jugend des Landes getragen würden. Ursache sei die Perspektivlosigkeit, mit der die Jugendlichen täglich konfrontiert würden. Auch wenn diese Bewegung durchaus bedeutsam gewesen sei und großes Potential zur Mobilisierung barg, blieben die Ergebnisse verhalten. „Das Land befindet sich in einer enormen Krise und bedarf einer handlungsfähigen Regierung, die es momentan allerdings nicht besitzt.“ Dennoch würden die jüngsten Ereignisse für die Revitalisierung der Demokratie und der öffentlichen Teilhabe sprechen, versammelten sich zuletzt mehr als dreihunderttausend Menschen auf der Avenida Paullista in Sao Paulo, um im Zuge des Amtsenthebungsverfahrens Reformen zu fordern.

„Der große Unterschied in Bezug auf den Populismus ist, dass in Brasilien stark ausgebildete demokratische Institutionen existieren. Dies ist ein großer Vorteil im Vergleich zu anderen Ländern“, erklärte der Abgeordente der Democratas und Präsident der Fundation Liberdade e Cidadania, Jose Carlos Aleluia. Auch ein Amtsenthebungsverfahren sei ein demokratisches Mittel, eingeleitet durch das Oberste Gericht und keineswegs feindlich gegenüber der linken Arbeiterpartei PT, der Rousseff angehört. Ein Mittel, dass die Mehrheit der Bevölkerung befürworte. „Die Brasilianer wollen neue Wahlen“, betonte der Präsident der PSDC und Abgeordnete Jose Maria Eymael. In dieser dramatischen Situation fordere die Bevölkerung Teilhabe am politischen Wandel, sie wolle Teil der Lösung sein. Aber auch die Oppositionsparteien müssten ihren Beitrag leisten. So rechtfertigt sich der Abgeordnete a.D. Jose Anibal der PSDB: „Wir unterstützen den Amtsenthebungsprozess weil wir dem Land nicht zumuten können, auf die Wahlen 2018 zu warten“. Nichtsdestotrotz stürze die Regierung nicht, weil im Parlament die benötigte Zweidrittelmehrheit zur Enthebung erreicht worden ist, sondern weil am 17 April mehr als 6 Millionen Personen auf der Straße für den Wandel eingetreten seien und Veränderung gefordert hätten.

Sollte die Annullation des Verfahrens für ungültig erklärt und im Senat die Entscheidung zur Entmachtung der Präsidentin getroffen werden, hätten auch die Brasilianer gute Chancen an die Erfolge in Argentinien anzuknüpfen. Die sogenannte „blaue Welle“ müsse allerdings mit Vorsicht betrachtet werden. Brasilien habe nicht grundlos vier aufeinanderfolgende Male den PT und den Populismus gewählt. Dem konservativen Diskurs fehle oftmals die soziale Komponente. „Unser Diskurs handelt überwiegend von Wirtschaftspolitik, für die Anliegen der Bürger und für Humanismus bleibt oftmals kein Platz“, kritisierte Aleluia. Gerade in Ländern, die derart stark von Ungleichheit geprägt sind, wie die der Region, sei es unabdingbar den Menschen Hoffnung auf Inklusion zu geben. Das sei bisher auch der PT in ihren 4 Regierungsperioden nicht gelungen, im Gegenteil, die Frustration und Perspektivlosigkeit steigt und folglich wachsen Kriminalität und Gewalt. „Der Schlüssel zur Veränderung ist Inklusion. Sollte es nicht gelingen, den Menschen Hoffnung auf Chancengleichheit und Inklusion zu geben, werde die blaue Welle nur von kurzer Dauer sein.“

Arbeitstreffen zur Verbesserung der Kooperation zwischen den Partnerparteien

Der Nachmittag stand im Zeichen eines Arbeitstreffens in dem die Mitgliedsparteien der ODCA die parteiinterne Kooperation diskutierten. Die Sitzung begann mit einer Präsentation der anwesenden Parteien. Dabei standen die historische Entwicklung der Parteien sowie ihre Positionierung innerhalb des eigenen Landes im Vordergrund. Zu den an vertretenen Partnerparteien zählten die Partido Conservador aus Kolumbien, die chilenischen Democratas Cristianos, das Movimiento Democrata Social aus Bolivien sowie drei Parteien aus Brasilien: Partido Democrata, Partido Da Social Democracia Brasileira und Partido Social Democracia Cristiana. Gerade diesen Parteien, die als Oppositionsparteien das Impeachment-Verfahren unterstützen, wird bei der neuen Regierungsbildung und bei den politischen Reformen eine wichtige Rolle zukommen. Wichtig sei dabei allerdings, dass wir von den jungen Politikern lernen. „Im Bereich Vernetzung sind die Jungen uns voraus“, man sollte sie einbeziehen in die Prozesse und von ihnen Lernen, resümierte Francisco Jara zum Abschluss der Sitzung.

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