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Veranstaltungsberichte

Gewalt und Kriminialität und ihre Auswirkungen auf indigene Völker in Lateinamerika

Internationales Seminar

Im Rahmen des Regionalprogramms „Politische Partizipation Indigena“ (PPI) der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), und in Zusammenarbeit mit dem zentralamerikanischen Institut für Politische Studien (INCEP), fand am 27. August das internationale Seminar „Gewalt und Kriminialität und ihre Auswirkungen auf indigene Völker in Lateinamerika“.

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Heutzutage hat das Phänomen des Drogenhandels eine neue Richtung in der Region angenommen. Dafür sind zwei Faktoren verantwortlich: 1) Die Legalisierung der Marihuana in Uruguay, was eine wesentliche Neuorientierung bei der Antidrogenpolitik zur Folge hat, und 2) die laut der UN besorgniserregende Verstärkung der Netze des organisierten Verbrechens, was weitere Probleme wie Menschenhandel sowie illegalen Waffenhandel mit sich bringt und des Weiteren auch indigene Gemeinden beeinflusst.

Die Armut in den ländlichen Regionen sowie die Abwesenheit des Staats als Autorität, um die politische Ordnung und Justiz zu kontrollieren, sind das Vakuum indem der Drogenhandel als Problem eindringt und fähig ist die Lebensführung etlicher indigener Völker zu verzerren. Die institutionellen Schwächen, um gegen das organisierte internationale Verbrechen zu kämpfen, stellen für diverse indigene Gemeinden neue Schwierigkeiten dar im Sinne von Sicherheit sowie Umstrukturierung ihrer Kulturen und Identitäten.

Aus diesem Grund plante das PPI die Durchführung einer internationalen Veranstaltung, die über die Verhältnisse des Drogenhandels, Netzwerke des organisierten Verbrechens, gewalttätige Konflikte und deren Auswirkungen auf die indigenen Völker, aufklären soll. Dadurch sollten wesentliche Bedrohungen für die öffentliche Sicherheit, die Strukturen der indigenen Kulturen, die nachhaltige Entwicklung und die Subsistenz der Demokratie in Lateinamerika identifiziert werden.

Hierfür berief die KAS Experten in Menschenrechte, Antidrogenhandel-Politik, Bekämpfung des Drogenhandels, Indigene Bewegungen und Anthropologen für Kriminalität in Lateinamerika ein. All dies war nicht ausschließlich mit der Absicht Forscher, internationale und staatliche Institutionen sowie indigene Organisationen zu verbinden, sondern fernerhin, um die Debatte über die Auswirkungen des Drogenhandels und des organisierten Verbrechens auf etlichen indigenen Territorien anzustoßen und geeignete Maßnahmen für die lateinamerikanische Region abzuleiten.

Die eingeladenen Experten waren der ehemalige Präsident Boliviens, Víctor Hugo Cárdenas, die Kolumbianerin María Clara Torres aus der New Yorker State University, Daniel Matul aus dem zentralamerikanischen Institut für öffentliche Verwaltung Costa Ricas, Luis Mario Martínez aus der Universität Landivar aus Guatemala und der Experte in Bürgerbeteiligung und Sicherheit Josue Ospina aus Panama.

Das Seminar wurde in zwei Blöcke geteilt. Der erste umfasste die Situation in Südamerika und der zweite die in Mittelamerika.

Victor Hugo Cárdenas stellte den Fall Boliviens vor. Dabei verwies er auf die Merkmale der indigenen Mobilisierung der Völker Yuracaré und Mojeño, aus dem indigenen Territorium und dem Nationalpark Isiboro Sécure (TIPNIS), die er als Widerstandsfall der Indigenen gegen die Ausweitung der Agrargrenze für die Produzenten von Kokablättern aus dem Chapare (Cochabamba) interpretierte. Die staatliche Politik befürworte, in vielfacher Hinsicht, die Expansion des Anbaus von Kokablättern u.a. durch den Bau einer Straße, die das Herz des indigenen Territoriums durchkreuze, prangere die traditionellen gemeinschaftlichen Ländereien (TCO) einiger indigenen Völker an, beute die Nationalparks/Naturschutzgebiete aus und wende Gesetzen fragwürdig an. Diese staatlichen Aktionen zeichnen sich durch den wachsenden politischen Einfluss der Kokaproduzenten in den staatlichen Institutionen aus, Institutionen die eigentlich die Kokaproduktion regulieren sollten, aber stattdessen wird diese Regulierung geschwächt und nicht verstärkt. Die Konsequenzen sind steigende Kriminalität und Todesfälle, die mit dem Drogenhandel zu tun haben, die Entzweiung indigener Organisationen, Umweltverschmutzung und die fortschreitende Desinstitutionalisierung des Staates.

Danach nahm Maria Clara Torres Bezug auf ihre Doktorarbeit “Kokaanbau, Ernte von Wahlstimmen: Der kolumbianische Fall”. Dabei behauptete die Referentin, dass, im Vergleich zu anderen Andenländern, Kolumbien eine indigene Bevölkerungsdichte von 3% habe. Die geringere Zahl der indigenen Bevölkerung leite Konsequenzen bei der traditionellen Nutzung der Kokablätter ab und habe einen beschränkten Einschlag in der kolumbianischen Gesellschaft. Die massive Expansion des Kokaanbaus sowie die Herstellung von Kokain sei ein neuartiges Phänomen. Die Präsentation von Frau Torres zeigte also, anhand ihrer Doktorarbeit, was der Auslöser des massiven Anbaus von Kokablättern ist, unter Betrachtung der geringeren kulturellen Relevanz dieses Produkts in Kolumbien. Überdies belege die Studie, inwiefern die „Wirtschaft der Koka“ die Beziehung der Menschen im Putumayo (an der Grenze mit Ecuador) und dem nationalen Staat beeinträchtigt und ebenfalls die Auswirkung der illegalen Kultivierung bei dem Aufbau von staatlichen und lokalen Strukturen. Um dies zu beweisen, hat Frau Torres die Wahlbeteiligung im Putamayo von 1968 bis 2009 analysiert; dabei versuchte sie zu erläutern warum und weshalb die lokale Bevölkerung, die den illegalen Kokaanbau betreibt, sich an den Wahlen beteiligt. Darüber hinaus erforschte sie Erwartungen und Wahrnehmung der Kokabauer-Gemeinden (darunter befinden sich Indigene) der Wahlen. Die Fälle der Untersuchung deuten darauf hin, dass unabhängig von ihrem illegalen Status und ihrer Verfolgung seitens des Staates, die Kokabauer-Gemeinden sich aktiv an der Politik beteiligten und somit zu dem Aufbau staatlicher Strukturen in einigen Orten Kolumbiens beitragen. Weiterhin errege die Studie die Aufmerksamkeit auf politische Prozesse und auf den Aufbau staatlicher Strukturen in Grenzgebieten.

Als nächstes referierte der Panamaer Josué Ospina über das Thema „Der Drogenhandel in indigenen Territorien: Eine durch Marginalisierung und Armut verschärfte Wirklichkeit“. Panama sei von Anfang an eine Anlaufstelle für Handel und Kommerz gewesen; diese Wirklichkeit sei ebenfalls für das illegale Drogengeschäft gültig. Aufgrund ihrer geografischen Merkmale seien die Gebiete der Indigenen wichtige Korridore für den Verkehr von Drogen, was eine Interaktion, die entweder auf Einschüchterung oder auf Zusammenarbeit basiert, hervorruft. Die Nähe zu Kolumbien sei der Grund dafür, dass das indigene Territorium (Comarca) Emberá Wounaan von diesen Drogenverkehr beinträchtig wird. Es müsse nicht vergessen werden, dass eine der Stützen der FARC (revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) auf den Drogenverkehr beruht. In den letzten Jahren hat die Nationalpolizei etliche Stätten dieser Streitkräfte in indigenen Territorien entdeckt und sogar ein illegales Drogenlabor. Diese Interaktion ist nicht neu, sie stammt aus den 70er Jahren, Jahrzehnt seitdem indigene Ansiedler kommerzielle Beziehungen mi dieser Armee pflegen. Ebenfalls hat man einige Fälle von Rekrutierungsprozessen junger Indigener für den Drogenhandel gemeldet. Im Falle des indigenem Territorium Guna Yala hat ihre Küstennähe tiefe Interaktionen mit dem Drogenhandel ausgelöst. Dies generiere indigene Vermittler und in einigen Fällen die Bereitstellung der indigenen Behörden beim Prozess des Drogenverkehrs. Es existieren indigene Gruppen, deren Reichtum aus solchen Kooperationen entsteht, was Konflikte mit den innerstaatlichen Justizbehörden auslöst. Trotz dieser Situation, spricht sich die Mehrheit der indigenen Autoritäten des indigenen Territoriums Guna Yala für die Bekämpfung als auch für die Vermeidung des Drogenhandels und die Kooperation, und gegen den wachsenden Drogenkonsum der jungen Menschen, aus. Dieses Phänomen tritt in geringerem Maße im indigenen Territorium Ngäbe Buglé auf, welches aber von den sich immer veränderten Mechanismen des Drogenhandels abhängt. Allerdings ist der gemeinsame Nenner die fehlende institutionelle Antwort, die Armut und die schwierige geografische Lage der Territorien. Die Erarbeitung einer Lösung auf die Wirklichkeit des Drogenhandels geht über die Einsetzung militärischer Kräfte in diesen indigenen Gebieten hinaus, denn solange die Armut, die fehlende Bildung/Möglichkeiten andauern, bleibt der Drogenhandel als einzige Chance und Leiden für viele Indigene bestehen.

Daniel Matul gab eine allgemeine Übersicht bezüglich des Drogenhandels und des organisierten Verbrechens in Mittelamerika. Die indigenen Völker seien dabei als Akteure und Opfer zu sehen. Angesichts der jetzigen Lage, die vom Ende des kalten Kriegs bzw. der Entschärfung des Ost-West Konflikts sowie der Konsolidierung der Demokratie in Mittelamerika geprägt ist, benötige man bei der Agenda für globale Sicherheit den Aufbau eines breiteren Konsens rund um die geteilten Werte und Interessen in Sicherheitsfragen. Als erster Schritt und mit dem Ziel ein angemessenes Vorgehen zu entwickeln, welches die Existenz von nicht traditionellen Bedrohungen mitenschließe, haben die Länder aus der westlichen und südlichen Hemisphäre internationale Regimes errichtet, die die unterschiedliche multidimensionale Natur solcher Phänomene identifizieren. Neue Gruppen von interessierten Akteuren kommen ins Geldwäschegeschäft und dessen zusammenhängenden Tätigkeiten, was neue Herausforderungen stelle und beim illegalen Handel neue Arbeitsweisen schaffe. Unter den wichtigsten Elementen dieser neuen Geografie des organisierten Verbrechens und deren Netze zur Unterstützung des Handels, stehe die wachsende Verstärkung der mexikanischen Organisationen sowie die Abschwächung und Fragmentierung der kolumbianischen Strukturen. In diesem Zusammenhang haben die leitenden Akteure gegenüber den Netzwerken eine geringere Bedeutung. Der Zustrom illegaler Güter, Personen, Kapitalien und Produkte (u.a. Waffen, Drogen, Beförderungsmittel, Tiere, Kulturerbe) geschehe nicht linear, d.h. es laufe nicht in eine Richtung im Sinne von „Herkunfts- und Bestimmungsort“ ab, vielmehr sei dieser Zustrom zirkulär beim Zulauf von Gütern als auch beim Einsatz von Gewalt. Die Ausübung von Gewalt in Mexiko und in Mittelamerika (s. Maras und Zetas) zeige die Umgestaltung des organisierten Verbrechens in einer Größenordnung, die das Bild der traditionellen „Bodega“, wo das organisierte regionale Verbrechen stattfand, übertrifft. Dies bedeute neue Arten der Organisation, Transport und Kontrolle der Arbeitsnetze. Der Dynamismus, mit dem das organisierte Verbrechen sich in der Region wiederorganisiert, setzt der alten Vorstellung der „mittelamerikanischen Bodega“ ein Ende und zeichne den Beginn eines aktiven Bildes der Region, wo kleine Akteure, die beim Transport von Gütern, Personen oder Kapitalien zwischen Norden und Süden in Lateinamerika mithelfen, immer an Wichtigkeit gewinnen. Die Wahrnehmungsweise und das Verständnis der Region im Sinne des organisierten Verbrechens haben sich in den letzten zehn Jahren verändert. Mit Sicherheit sei das Bild von „Brücke“, „Bodega“, „Rückzugsort“, oder „Halteplatz“ unzureichend, um die Präsenz von Kriminalität in Mittelamerika zu erklären. Das, was als „Brücke“ oder „beiläufiger Ort“ begann, habe mehr die Gestalt einer „Tankstelle“ als das einer „Bodega“ angenommen. Was früher ein kleines, gebündeltes Problem war, hat sich, heutzutage, in eine Bedrohung für die staatliche Sicherheit entwickelt. Es spiele eine immer größere Rolle in den Gebieten der Länder und habe starke Verbindungen, nicht nur zwischen den Regionen, sondern zwischen den wichtigsten regionalen Akteuren, wie Mexiko und Kolumbien.

Zum Schluss sprach der Guatemalteke Luis Mario Marínez über „Die Transformation des Lokalen und die Auswirkung der Unsicherheit und des Drogenhandelns auf die indigenen Gemeinden Guatemalas“. In den letzten Jahrzehnten provozierten die Zunahme der Kriminalität, die Gewalt und die Verstärkung des organisierten Verbrechens, besonders des Drogenhandels, wichtige Transformationen in den Territorien und in den sozialen Dynamiken der indigenen Gemeinden. Diese Transformation begünstige die Entstehung lokaler Sicherheitskräfte, die die staatliche Macht verdrängten. Sie habe die Kontrolle über die Gemeinden, verletzen Rechte, und in zahlreichen Fällen schließen sie sich an den Drogenhandeln und anderen kriminellen Netzwerken an. Zudem seien die Merkmale der indigenen Territorien durch eine starke soziale Konfliktgeladenheit gekennzeichnet. Diese wird von dem Staat nur mit Vorsicht in Angriff genommen und dränge in der Wirklichkeit des organisierten Verbrechens ein, was neue wichtige Bedingungen für die Eskalationen von Konflikten schaffe.

Die Ergebnisse des Seminars führten zu dem wichtigen Schluss, dass das vorherige Bild Südamerikas als „Produzent“ und Zentralamerika als „Transitknotenpunkt“ für den Drogenhandel sich verändert hat. Gegenwärtig bewegt sich die organisierte Kriminalität in festgelegten Netzen, die die etablierten Rollen modifiziert haben. In Lateinamerika scheint das Problem des Drogenhandels und des organisiertes Verbrechen größer zu sein als gedacht, dies aufgrund des Mangels an staatlichen Strukturen in weitabgelegenen Regionen. Die Wirkungen auf die indigenen Völker entstehen, sowohl im Sinne seiner Teilnahme an illegalen Aktivitäten als auch im Sinne, dass sie die negativen Folgen, wie Gewalt über ihre Gemeinden, zu spüren bekommen.

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