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Veranstaltungsberichte

Herausforderungen für die politische Partizipation von Indigenen und für die Gestaltung der Politik gegenüber Indigenen

Internationales Seminar

Am 14. Juni 2011 führte das PPI mit mehreren Partnern ein internationales Seminar mit dem Ttitel „Desafíos de la participación política indígena y de las políticas públicas para los pueblos indígenas en Latinoamérica“ in Temuco, Chile, durch.

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Am 14. Juni 2011 führte das Programm zur Politischen Partizipation von Indigenen (PPI) der Konrad-Adenauer-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Katholischen Universität Temuco und mit der Unterstützung des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen, dem Fachbereich Soziologie und Politikwissenschaft der Katholischen Universität Temuco, dem Unternehmen der Universität Empresas UCT, dem Observatorio Ciudadano und der Fundación Instituto Indígena ein internationales Seminar mit dem Titel „Desafíos de la participación política indígena y de las políticas públicas para los pueblos indígenas en Latinoamérica“ durch.

Es handelte sich um die erste Veranstaltung des PPI in Chile. Bisher konzentrierte das Regionalprogramm seine Aktivitäten vor allem auf Bolivien, Ekuador, Peru und Guatemala und vereinzelt wurden Veranstaltungen in Mexiko durchgeführt. Ab 2011 will sich das PPI auch für andere Länder öffnen, in denen ein bedeutender Anteil der Bevölkerung indigen ist und in denen Fragen zur politischen Partizipation Indigener diskutiert werden. Nach einer Volksbefragung des chilenischen Planungsministeriums aus dem Jahr 2006 gibt es ca. 1.061.000 Indigene der Ethnien Aymara, Quechua, Atacameño, Coya, Diaguita, Rapa Nui, Mapuche, Kawaskar und Yagán in Chile. Somit sind ca. 6,6% der chilenischen Bevölkerung indigen. Die größte Volksgruppe unter den Indigenen sind mit 87,2% die Mapuche, danach kommen die Aymara im Norden Chiles mit 7,8% und die Atacameños mit 2,8%. Die anderen Volksgruppen machen jeweils weniger als 1% der indigenen Bevölkerung des Landes aus. Der Großteil der Mapuche lebt in der neunten Region Chiles, in deren Hauptstadt Temuco das Seminar stattfand.

Die Geschichte der Mapuche in Chile ist von Konflikten geprägt. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts hielten die Mapuche den Angriffen der Inka stand und konnten somit die Besetzung ihres Territoriums verhindern. Auch die Spanier versuchten das Territorium der Mapuche zu erobern und somit begann die intensivste kriegerische Auseinandersetzung der Spanier mit einem indigenen Volk in Lateinamerika überhaupt. Im Jahr 1641 wurde das Abkommen von Quillin getroffen, dass den Mapuche territoriale Unabhängigkeit vom Fluss Bio Bio nach Süden bis nach Valdivia zugestand. Nach der chilenischen Unabhängigkeit von Spanien im Rahmen des Aufbaus der chilenischen Nation sollte das Territorium vereint werden. Zwischen 1861 und 1883 führte das chilenische Militär die so genannte „Befriedung der Araucanía“ durch, bei der das Territorium der Mapuche besetzt wurde und zahlreiche Indigene ums Leben kamen. Den Überlebenden wurden kleine Landstriche zugeteilt, auf denen sie eine Subsistenzwirtschaft betrieben. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts forderten die Mapuche vor allem Land. Auf diese Forderung gingen die Präsidenten Eduardo Frei und Salvador Allende teilweise im Rahmen der Agrarreform ein, die jedoch mit dem Beginn der Diktatur von Augusto Pinochet zunichte gemacht wurde. Die Diktatur war von einer Unterdrückung der Mapuche gekennzeichnet. Das Dekret Nr. 2568 aus dem Jahr 1979 sah die Abschaffung der indigenen Gemeinschaften als Lebensform der Mapuche vor, gestattete den Verkauf des Lands in indigenem Besitz und verbot die Benutzung der Sprache der Mapuche, dem „mapudungúm“. Die Mapuche organisierten sich während der Diktatur in verschiedenen kulturellen Zusammenschlüssen, um ihre Kultur zu wahren und somit der Unterdrückung zu trotzen.

Das Verhältnis zwischen den Mapuche und den demokratischen Regierungen seit 1989 ist vom Dialog geprägt, ohne jedoch den Konflikt vollständig gelöst zu haben. 1993 wurde die Spezialkommission der indigenen Völker (CEPI) und der Nationale Kongress der indigenen Völker gegründet, die den Anstoß für die Verabschiedung des Indigenen Gesetzes (Ley Indígena) gaben. Dieses Gesetz erkennt die Mapuche als Ethnie, nicht jedoch als Volk an. Das Gesetz sah nicht nur eine Lösung der Landfrage vor, sondern auch Programme für Bildung und Entwicklung, um die Mapuche aus der strukturellen Armut zu befreien. Die Fortschritte der Politik in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre waren jedoch bescheiden. Als die Frustration in der indigenen Bevölkerung stieg, führte die Regierung Frei 1999 die kommunalen Dialoge ein, die in 31 indigenen Gemeinden durchgeführt wurden, um das Konfliktpotenzial zu senken. Es handelte sich um eine öffentliche Konsultation mit dem Ziel der Neuorientierung der indigenen Politiken. Unter Präsident Lagos wurde 2003 eine Kommission der historischen Wahrheit eingerichtet, um die historische Schuld gegenüber der indigenen Bevölkerung zu erforschen und somit eine symbolische Wiedergutmachung in Gang zu setzen. Im Abschlussbericht der Kommission wurde empfohlen, die Verfassung zu ändern und darin die Existenz der indigenen Völker und ihrer Kulturen anzuerkennen, ihnen Selbstbestimmung zu gewähren und die Ausübung kollektiver Rechte und somit die Einrichtung eigener Institutionen zu garantieren. Auch die Vereinten Nationen veröffentlichten ca. einen Monat später einen Bericht über die Situation der indigenen Völker in Chile mit Empfehlungen an die Regierung, die Lagos rhetorisch berücksichtigte, die jedoch in der Realität nur geringfügig umgesetzt wurden. In der Regierung von Michele Bachelet war der wichtigste Fortschritt in der indigenen Politik die Ratifizierung des Abkommens 169 der ILO im Jahr 2008. Chile ist somit das vorletzte Land in Lateinamerika (Nikaragua in 2010), das bisher das Abkommen 169 ratifiziert hat.

Trotz dieser legalen Fortschritte gab es einen Widerspruch zwischen dem Diskurs der demokratischen Regierungen und den konkreten politischen Maßnahmen, was zu einer Frustration der Mapuche und zu einer Radikalisierung ihrer politischen Ausdrucksformen in den neunziger Jahren führte. Einige Mapuche-Organisationen nutzten physische Gewalt vor allem gegen Gegenstände, um ihrem Protest Gehör zu verleihen. Hauptsächlich wurden Hoheit über das traditionelle Territorium und Selbstbestimmung gefordert. Der Staat reagierte mit Repression, zahlreichen Verhaftungen und dem Verbot der Mapuche-Organisation „Coordinadora de Comunidades en Conflicto Arauco Malleco“ als terroristische Organisation.

Um den Konflikt zwischen dem chilenischen Staat und den Mapuche lösen zu können, muss ein offener und respektvoller Dialog geführt werden. Die Anerkennung politischer Rechte und die politische Repräsentation der Mapuche in diesem Prozess sind unerlässlich. Die Veranstaltung in Temuco verfolgte das Ziel, durch die Diskussion von Beispielen der politischen Partizipation von Indigenen in anderen Ländern der Region die Diskussion in Chile zu entpolemisieren und Anregungen für mögliche zukünftige Entwicklungen zu geben.

Der erste Vortrag wurde von der Peruanerin Dr. Elizabeth Salmón über die politischen und zivilen Rechte der indigenen Völker in Lateinamerika gehalten. Frau Salmón gab zuerst einen Überblick über die internationalen rechtlichen Instrumente zur Wahrung indigener Rechte und konzentrierte sich dann auf das interamerikanische System der Menschenrechte, dessen Rechtsprechung bindend für die Nationalstaaten ist. Obwohl es im interamerikanischen System der Menschenrechte keine spezielle Norm gibt, die die indigenen Völker betrifft, beziehen sich zahlreiche Urteile auf die Rechte indigener Individuen und Gemeinden. Frau Salmón führte verschiedene Beispielfälle an, um darauf hinzuweisen, dass der interamerikanische Rechtsweg Erfolg haben kann, falls die Nationalstaaten trotz Ratifizierung internationaler Abkommen die spezifischen Rechte der indigenen Völker nicht wahren.

Im Anschluss hielt die Direktorin des Zentralamerikanischen Instituts für politische Studien (INCEP) in Guatemala, Catalina Soberanis, einen Vortrag über die politische Partizipation von Indigenen in Zentralamerika. Frau Soberanis führte an, dass in vielen Ländern Zentralamerikas die Statistiken über den Anteil der indigenen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung künstlich niedrig gehalten werden. Somit werden die Forderungen der indigenen Bevölkerung in einigen Ländern von den Regierungen nicht genügend berücksichtigt. Im Mittelpunkt stehen vor allem drei Forderungen: 1.) Differenziertes Bürgertum (ciudadanía diferenciada): Die indigenen Völker fordern, dass ihre grundsätzliche Unterschiedlichkeit von der restlichen Bevölkerung respektiert und in der Politikgestaltung berücksichtigt wird. 2.) Politische Selbstbestimmung. 3.) Autonomie. Obwohl der Anteil der Indigenen in einigen Ländern Zentralamerikas beträchtlich ist, ist die politische Partizipation von Indigenen immer noch sehr gering. Es sind Unterschiede zwischen den verschiedenen Entscheidungsebenen des politischen Systems festzustellen. Auf kommunaler Ebene ist die politische Partizipation von Indigenen am höchsten und auf nationaler Ebene am geringsten. Obwohl die Situation der indigenen Bevölkerung in den meisten Ländern Zentralamerikas noch nicht zufrieden stellend ist, hat es in den letzten Jahren einige politische Fortschritte gegeben. In vielen Ländern sind eigens Ministerien für indigene Fragen eingerichtet worden. In Panama und Nikaragua existieren indigene Autonomien. Außerdem sind zahlreiche Gesetze zugunsten der indigenen Bevölkerung verabschiedet und internationale Abkommen über indigene Rechte ratifiziert worden. So haben z.B. in Zentralamerika alle Länder außer Panama und El Salvador das Abkommen 169 der ILO ratifiziert.

Francisco Reyes, ehemaliger Direktor der Abteilung indigener Rechte in der mexikanischen Menschenrechtskommission, referierte über die indigene politische Partizipation in politischen Parteien. Da Francisco Reyes im letzten Moment seine Reise nach Chile absagen musste, wurde sein Vortrag als Videobotschaft aufgezeichnet und während der Veranstaltung übertragen. Obwohl der Anteil der indigenen Bevölkerung in Mexiko mit 10% geringer ist als in anderen Ländern Lateinamerikas, ist Mexiko das Land mit der zahlenmäßig größten indigenen Bevölkerung (ca. 10 Millionen) auf dem Subkontinent. Vor allem im Süden des Landes (Chiapas, Yucatán, Oaxaca und Guerrero) ist der Anteil der indigenen Bevölkerung sehr groß. Während der 71 Jahre langen Regierungszeit der PRI (Partido Revolucionario Institucional) bemühte sich vor allem diese Partei um die Stimmen der indigenen Bevölkerung. Die Versuche der Partei, in die indigenen Gemeinden vorzudringen stießen jedoch auch oft auf eine breite Ablehnung, da die traditionellen indigenen Organisationsformen in der Parteipolitik nicht berücksichtigt wurden. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts fand ein größerer Wettbewerb zwischen den politischen Parteien um indigene Wählerstimmen statt und es wurde ebenfalls ein Prozess der Integration von Indigenen in die jeweiligen Parteien angestoßen. 2010 gewann die Wahlen im stark indigen geprägten Staat Oaxaca erstmals die PAN (Partido Acción Nacional). Den Vorsitz im Kongress von Oaxaca übernahm die indigene Politikerin Eufrosina Cruz, die sich entschlossen hatte, für die PAN an den Wahlen teilzunehmen. Dies macht deutlich, dass Indigene in Mexiko immer mehr auch traditionelle politische Institutionen nutzen, um ihren Interessen Gehör zu verschaffen. Die Wahl von Eufrosina Cruz hat außerdem eine große symbolische Bedeutung, da in vielen indigenen Gemeinden Frauen weder über aktives noch passives Wahlrecht verfügen. In den letzten Jahren hat jedoch ein Prozess des Umdenkens eingesetzt und immer mehr indigene Gemeinden erkennen die politischen Rechte der Frauen an. Eufrosina Cruz ist ebenfalls Direktorin für indigene Fragen in der Bundesgeschäftsstelle der PAN. Man kann festhalten, dass die politische Partizipation von Indigenen in politischen Parteien in Mexiko in den letzten Jahren deutlich angestiegen ist.

Luis Penchuleo, Repräsentant der Partei Wallmapuwen, hob die Forderungen und Strategien zur Ausübung des Rechts zur politischen Partizipation in der Mapuche-Bewegung und die Reaktionen des Staats hervor. Herr Penchuleo gab in seinem Vortrag eine kurze historische Einführung über die Geschichte der Mapuche in Chile und konzentrierte sich dann auf die politischen Ausdrucksformen der Bewegung ab den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Als Hauptgrund des Konflikts zwischen den Mapuche und dem chilenischen Staat führte er an, dass der Staat das Problem oft auf die Landfrage beschränke und somit den Forderungen der Mapuche nicht gerecht werde. Die Mapuche sind stärker als alle anderen Chilenen von Armut und Unterentwicklung betroffen. Penchuelo forderte die Schaffung von Entwicklungsprogrammen, die die kulturellen Eigenheiten der Mapuche berücksichtigen. Außerdem sei die Anerkennung der Mapuche als Volk und somit die Zugestehung eigener Formen der politischen und kulturellen Organisation unabdingbar. Die Partei Wallmapuwen ist in Chile noch nicht offiziell als politische Partei anerkannt. Sie setzt sich für die Repräsentation der Mapuche in den offiziellen Entscheidungsinstanzen Chiles ein.

Josué Ospina aus Panama setzte den Schwerpunkt auf die territoriale Ordnung als Werkzeug der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Entwicklung. Zu Beginn seines Vortrags gab er zu bedenken, dass jedes rechtliche Werkzeug nur seine Wirkung entfalten könne, falls es gut genutzt werde. Die territoriale Ordnung sei in diesem Sinn ein Werkzeug für Entwicklung, das gut eingesetzt eine strategische strukturelle Stärkung der lokalen Wirtschaft ermögliche, aber falsch eingesetzt die Armut steigern könne. Die Tatsache, dass nicht indigene Regierungen das indigene Konzept von Territorium oft nicht verstünden führe zu einer falschen Politikgestaltung. Die kulturellen, sozialen und religiösen Besonderheiten einer jeden indigenen Kultur müssten in die Gestaltung der territorialen Ordnung einbezogen werden. Ospina unterstich die Bedeutung einer effizienten Dezentralisierung. Nur durch administrative und finanzielle Dezentralisierung könne man den indigenen Völkern gerecht werden.

Der chilenische Anthropologe Álvaro Bello sprach über Form und Gehalt der politischen Praxis der indigenen Völker in Lateinamerika. Zu Beginn seines Vortrags stellte er die These auf, dass sich die politische Partizipation der Indigenen in Lateinamerika in den letzten 20 Jahren grundlegend gewandelt habe. Er ging auf die politischen Entwicklungen in verschiedenen Ländern Lateinamerikas ein, die zu einer deutlich erhöhten politischen Partizipation von Indigenen geführt haben. Die Entwicklungen in bestimmten Ländern (z.B. Bolivien) hätten auch eine Katalysatorwirkung auf andere Länder. Von Bedeutung seien vor allem die internationalen Abkommen über indigene Rechte, die von fast allen lateinamerikanischen Ländern ratifiziert sind und die indigene Themen mehr in den internationalen Fokus gestellt haben.

Der Chilene José Aylwin referierte über die Politik bezüglich indigenen Lands in Lateinamerika. Er betonte die Fortschritte in der Anerkennung indigener Rechte in den letzten Jahrzehnten in der Region, die auc h Rechte über Land und Territorium beinhalten. Dabei zitierte er die peruanische Expertin Raquel Yrigoyen, die drei Zyklen in der Anerkennung indigener Rechte in Lateinamerika untescheidet. Ein erster Zyklus beginnt in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts und führt zum Abkommen 169 der ILO. Dadurch werden in verschiedenen Ländern der Region (Guatemala, Nikaragua und Brasilien) Reformen im Bereich der indigenen Politiken angestoßen. Ein zweiter Zyklus findet in den neunziger Jahren statt. Zahlreiche Länder (Argentinien, Bolivien, Kolumbien, Ekuador, Mexiko, Paraguay und Venezuela) erkennen die indigenen Völker als kollektive Subjekte in ihren Verfassungen an und gestehen ihnen eine Reihe politischer, kultureller und sozialer Rechte zu. In mehreren Verfassungen wurden die Rechte über Land und Territorium aufgenommen. Von besonderer Bedeutung in diesem Zusammenhang ist das Konsultationsrecht der indigenen Völker bei politischen Maßnahmen, die ihr Territorium direkt oder indirekt betreffen. Allerdings ist in den meisten Ländern ein Zwiespalt zwischen der Rechtslage und der konkreten Politik zu beobachten. Vor allem das Konsultationsrecht wird von vielen Staaten nicht angewandt. Ein dritter Zyklus wird mit der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker im Jahr 2007 eingeleitet, die z.B. in den Verfassungsprozessen in Ekuador und Bolivien Berücksichtigung finden, an denen die indigenen Völker beider Länder direkt beteiligt sind. Zum Abschluss führte José Aylwin an, dass es in der Anerkennung der Rechte der Indigenen über Land und Territorien in den letzten Jahrzehnten wichtige Fortschritte gegeben hat. Die Herausforderung bestünde darin, zu erreichen, dass internationale Abkommen und die nationale Gesetzgebung auch angewandt und eingehalten würden.

Der ehemalige Vizepräsident Boliviens, Victor Húgo Cárdenas, verdeutlichte in seinem Vortrag die Politiken für indigene Völker in Bolivien. Er bezog sich in seinem Vortrag vor allem auf die Regierungszeit des derzeitigen Präsidenten Evo Morales. Victor Húgo Cárdenas war in Bolivien der erste Indigene in einem hohen Staatsamt. Er gehört dem Volk der Aymara an. Da Evo Morales sich selbst als indigen bezeichnet, werden die Entwicklungen in Bolivien von den indigenen Völkern in Lateinamerika genau beobachtet. Evo Morales hat unter anderem die Wahlen im Jahr 2005 gewonnen, da er eine effektive Inklusion der indigenen Völker und die Anerkennung indigener Rechte versprach. Er erreichte mehr als 50% der Wählerstimmen und kurz nach Amtsantritt eine Beliebtheit von über 70%. Die bolivianische Bevölkerung wünschte sich einen Wandel und war somit bereit, die Politik der Regierung zu unterstützen. Victor Húgo Cárdenas stellte in seinem Vortrag die Versprechen der Regierung bei ihrem Amtsantritt im Jahr 2006 der aktuellen Realität gegenüber. Im Bereich der Staatsreform hatte der MAS bei Regierungsantritt den Aufbau des Plurinationalen Staates, die Einrichtung einer Verfassungsgebenden Versammlung, das Gleichgewicht zwischen den Gewalten und die Justizreform versprochen. Der Plurinationale Staat existiert heute vor allem auf dem Papier, da in der Verfassung 36 indigene Nationen anerkannt sind. In der Praxis geht die Regierung aber vor allem auf die Forderungen der Aymara und Quechua ein und die anderen Völker werden kaum berücksichtigt. Die Verfassungsgebende Versammlung fand zwar statt, aber statt das Land zu befrieden weckte sie Polemik und schaffte es nicht, einen mehrheitlich angenommenen Verfassungsentwurf auszuarbeiten. Es besteht kein Gleichgewicht zwischen den Gewalten sondern die Exekutive greift stark in das Handeln von Legislative, Judikative und Wahlorgan ein. Um die Justiz zu reformieren sollen die Obersten Richter im Oktober vom Volk gewählt werden. Allerdings trifft die Gesetzgebende Versammlung, in der der MAS über Zweidrittelmehrheiten in beiden Kammern verfügt, eine Vorauswahl der Kandidaten. In der Wirtschaftspolitik versprach die Regierung das Ende des neoliberalen Wirtschaftsmodells durch die Schaffung staatlicher Unternehmen. Außerdem sollte das Land industrialisiert werden, um weniger von Rohstoffexporten abhängig zu sein. Die Armut sollte bekämpft werden. Heute kann festgestellt werden, dass die meisten staatlichen Unternehmen schlecht oder gar nicht funktionieren. Das Land ist nicht industrialisiert worden und hängt je als mehr zuvor von den Rohstoffexporten ab. Erdöl muss sogar importiert werden. Der einzige Wirtschaftssektor, der sich weiterentwickelt hat, ist der Drogenhandel. Die Armut ist nicht entscheidend gesunken. Weiterhin kritisierte Cárdenas die Tatsache, dass die Regierung bei Rohstoff ausbeutenden Projekten oft nicht das Konsultationsrecht der indigenen Völker beachte. Zusammenfassend führte er an, dass eine Desillusion in Bolivien im Bezug auf die Regierung herrsche. Die Regierung trage autoritäre Züge. Es gebe keine strategische Politikgestaltung, sondern nur kurzfristige Aktionen. Die Regierung sei weder indigen, noch handele sie für Indigene. Nach außen werde ein umweltpolitischer Diskurs geführt, der im Land selbst keine Entsprechung fände. Im Namen der Dekolonialisierung werde ein Projekt des Aymara- Zentrismus verfolgt, ohne die weiteren Kulturen einzubeziehen und zu würdigen. Der Drogenhandel und die organisierte Kriminalität seien stark angestiegen. Alles werde ideologisiert, ohne die technisch adäquaten Antworten zu suchen.

Im Anschluss an die Vorträge arbeiteten Experten und Teilnehmer in gemischten Arbeitsgruppen zu den verschiedenen Themen (rechtliche Anerkennung der indigenen Völker, indigenen Territorien, politische Partizipation, indigene Rechte, kulturelle Aspekte und Politiken zur öffentlichen Finanzierung bezüglich indigener Themen). Das Interesse an der Veranstaltung war sehr groß und es wurde ein offener und respektvoller Dialog geführt. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Situation der indigenen Bevölkerung je nach Land stark variiert, obwohl die rechtlichen Rahmenbedingungen in vielen Fällen sehr ähnlich sind. Der regionale Austausch ist unabdingbar, um Anregungen für Lösungswege konkreter Probleme zu sammeln und Strategien zu entwickeln, um diese Anregungen Stück für Stück umzusetzen.

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