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Veranstaltungsberichte

ILO-Konvention 169: Realität und Herausforderungen für die indigenen Völker Chiles

Seminar

Zwischen dem 5. und 6. Dezember fanden in Chile mehrere Veranstaltungen statt, die darauf abzielten die indigenen Völker Chiles und Instanzen des traditionellen politischen Systems anzunähern. Mehrere Politiker der Christdemokratie unterstützten dieses Vorhaben.

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Am 5. Dezember fand in Santiago de Chile im ehemaligen Senatsgebäude eine Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Nichtregierungsorganisation CICLAS (Centro de Investigaciones Ciudadanas para Latinoamérica Sostenible) über die Implementierung der ILO-Konvention 169 in Chile mit Unterstützung des chilenischen Senats und der deutschen Botschaft in Chile statt. Ziel war es, eine Dialogplattform für indigene Organisationen und Führungskräfte mit staatlichen Instanzen anzubieten und so einen Beitrag zur Annäherung zu schaffen. In Chile ist das Verhältnis zwischen dem Staat und dem größten indigenen Volk in Chile, den Mapuche, bereits seit der Gründung Chiles konfliktiv. Auch in den letzten Jahren ist es im Süden Chiles wiederholt zu gewalttätigen Ausschreitungen der Mapuche gegen die staatliche Politik gekommen. Das gegenseitige Verhältnis ist daher von Misstrauen geprägt.

Mit der Unterstützung der deutschen Botschaft hat CICLAS 2013 eine Reihe von Seminaren mit Mapuche-Gemeinden in der Region der Araucanía über die Implementierung der ILO-Konvention 169 in Chile durchgeführt. Die ILO-Konvention über indigene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern aus dem Jahr 1989 wurde von Chile nach langwierigen Diskussionen im Parlament erst im Jahr 2008 ratifiziert und trat 2009 in Kraft. Mexiko, Bolivien, Kolumbien, Paraguay, Costa Rica, Peru, Honduras, Guatemala, Ecuador, Argentinien, Venezuela und Brasilien hatten das Abkommen in dieser Reihenfolge bereits zwischen 1990 und 2002 unterzeichnet. Dieses für die unterzeichnenden Länder verbindliche internationale Regelwerk garantiert den indigenen Völkern eine Reihe von Rechten, darunter das Recht auf Konsultation vor der Durchführung jeglicher gesetzgeberischer oder administrativer Maßnahmen, die die indigenen Völker unmittelbar betreffen könnten. In der kommenden Legislaturperiode soll in Chile ein bereits bestehendes Dekret (Dekret 124) durch ein Konsultationsgesetz ersetzt werden. Die Regierung hat bereits einen Entwurf erstellt. Ziel der Veranstaltung war es, über verschiedene Möglichkeiten der Implementierung der ILO-Konvention zu diskutieren und einen Dialog zwischen indigenen Führungskräften und Parlamentariern zu initiieren.

Zu Beginn der Veranstaltung wurde im Garten des Nationalkongresses der Llellipün durchgeführt, eine traditionelle Zeremonie der Mapuche, um den heiligen Baum, den Canelo, zu pflanzen. Der Senatspräsident Jorge Pizarro nahm an der Zeremonie teil und half, den Baum zu pflanzen. Die Öffnung des Senats für die Kultur der Mapuche und deren Anerkennung besitzt Symbolkraft. Im Anschluss eröffnete der Senatspräsident die Veranstaltung. In der Einführung wiesen sowohl Jorge Pizarro, als auch die Leiterin des PPI, Susanne Käss, der Präsident von CICLAS, Andrés Jouannet und der deutsche Botschafter in Chile, Hans-Henning Blomeyer-Bartenstein, auf die Notwendigkeit einer Annäherung zwischen staatlichen Instanzen und indigenen Völkern auf der Basis gegenseitigen Respekts hin. Um genau diesen Respekt zum Ausdruck zu bringen begrüßte Susanne Käss alle Anwesenden in der Sprache der Mapuche, Mapudungun. Orlando Millao, traditionelle Autorität (Longko) der Mapuche aus Millahuin in der Araucanía wies darauf hin, dass seiner Kultur vom Staat bisher kein Respekt gezollt wurde. Dieser sei jedoch unabdingbar, um gegenseitige Vorurteile und Misstrauen abzubauen.

Der Einführung und dem ersten Panel wohnte der ehemalige Staatspräsident Patricio Aylwin bei. Aylwin hatte in seiner Regierung 1993 den Grundstein für die Ratifizierung der ILO-Konvention 169 gelegt. Die Anerkennung der Rechte der indigenen Völker war und ist ihm ein besonderes Anliegen. Aylwin, bereits 95 Jahre alt, nimmt nur noch selten an öffentlichen Veranstaltungen teil. Somit unterstrich er mit dieser Geste die Bedeutung des Seminars.

Im ersten Panel erläuterten traditionelle und staatliche Autoritäten aus der Araucanía die Probleme im Bezug auf die Implementierung der ILO-Konvention. Der chilenische Staat hat bereits vor 2008 zahlreiche Forst-, Wasser- und Fischereikonzessionen vergeben, ohne Konsultationsprozesse mit den indigenen Völkern durchzuführen. Die Monokultur von Eukalyptus- und Nadelwäldern der Forstindustrie in der Araucanía entzieht den Böden das Wasser, so dass trotz intensiver Regenfälle im Süden Chiles die traditionelle Landwirtschaft mit der Trockenheit der Böden zu kämpfen hat. Da private Firmen Konzessionen unter anderem über Flusswässer haben, können die Indigenen den Flüssen kein Wasser entnehmen. An der Küste darf in bestimmten Gebieten nicht mehr gefischt werden, da ebenfalls Konzessionen an internationale Fischereikonzerne vergeben worden sind. Die Mapuche kritisieren, dass ihnen somit die Basis für ihre traditionellen Aktivitäten entzogen wird. Besondere Sorgen bereitet ihnen die Zerstörung der Umwelt.

Im nächsten Panel diskutierten Akademiker die Reichweite der ILO-Konvention. Guillermo Padilla, Experte aus Kolumbien, ordnete die chilenische Situation in den lateinamerikanischen Kontext ein. In diesem Zusammenhang wurde klar, dass Chile noch ganz am Anfang der Implementierung steht und dass Erfahrungen aus anderen Ländern hilfreich sein können, um Fehler zu vermeiden und aus positiven Erfahrungen zu lernen.

Am Nachmittag fand ein Panel mit Parlamentariern statt. Matías Walker, Abgeordneter der chilenischen Christdemokraten, sprach über die Herausforderungen der Reglamentierung des Konsultationsrechts und über die Schwierigkeiten im Bezug auf Umwelt- und Wassergesetzgebung und ging damit auf die Wasserknappheit als großes Problem für die indigenen Völker ein. Die christdemokratische Fraktion habe einen Gesetzesentwurf eingebracht, der vorsieht, dass das Wasser zuerst die Grundbedürfnisse befriedigen müsse und erst danach Konzessionen vergeben werden könnten. Die anwesenden Indigenen nutzten die Gelegenheit, um den Abgeordneten auf eine Reihe von Missständen in den chilenischen Gesetzen hinzuweisen. Sie kritisierten die Arbeit staatlicher Instanzen scharf, waren aber dankbar für den direkten Austausch mit dem Abgeordneten. Im Anschluss sprach Maria Soledad Pérez, Abgeordnete der PPC aus Peru. Peru ist das einzige Land in Lateinamerika, in dem bisher ein Konsultationsgesetz verabschiedet wurde. In der Praxis hatte dies bisher jedoch keine positiven Auswirkungen für indigene Völker, da kaum Konsultationsprozesse durchgeführt werden.

Im letzten Panel berichteten Francisco Huenchumilla, Politiker der chilenischen Christdemokratie und von der Abstammung her Mapuche, und Victor Húgo Cárdenas, ehemaliger Vizepräsident von Bolivien und Aymara von der Erfahrung, als Indigener auf staatlicher Seite Politik zu gestalten. Beide betonten, dass die Indigenen zwar ihre Interessen vertreten müssten, aber eine radikal ablehnende Haltung gegenüber staatlichen Instanzen nicht zum Erfolg führe. Man müsse die Instanzen der staatlichen Macht verstehen lernen und sich an den Verhandlungstisch setzen, nur so könne eine interkulturelle Gesellschaft politisch gestaltet werden.

Zum Ausklang stellte das PPI mit dem Autor Guillermo Padilla und Kommentaren von Maria Soledad Pérez und Víctor Húgo Cárdenas das Buch „Das Konsultationsrecht der indigenen Völker in Lateinamerika“ vor, welches bereits auch schon in Bolivien, Peru und Mexiko präsentiert wurde.

Am 6. Dezember besuchten die Koordinatorin des PPI, Claudia Heins, und die Leiterin des Programms, Susanne Käss, den ehemaligen Staatspräsidenten Patricio Aylwin, um ihm eine Anerkennung für sein Engagement für die indigenen Völker in Chile zu überreichen. Aylwin würdigte den Ansatz des PPI, traditionelle politische Akteure für die Bedeutung indigener Themen zu sensibilisieren und einen friedlichen interkulturellen Dialog zu fördern.

Am gleichen Tag fand in der chilenischen christdemokratischen Partei ein Treffen zwischen dem Parteivorsitzenden, Senator Ignacio Walker, dem Generalsekretär der Partei, Victor Maldonado und ca. 40 Führungskräften der Mapuche statt. Die Indigenen berichteten dem Parteivorsitzenden von ihren Problemen und ihrer Kritik an der aktuellen Politik und baten ihn, die Christdemokratie möge sich in Zukunft verstärkt für indigene Belange einsetzen. Ignacio Walker definierte drei Zukunftsthemen für die Partei: Umwelt- und Klimaschutz, Geschlechterverhältnisse und indigene Fragen. Er kündigte für Januar einen Besuch in der Araucanía an, um vor allem den Mapuche zuzuhören. Er habe noch viel zu lernen und der erste Schritt einer Zusammenarbeit sei es, sich kennenzulernen und Misstrauen abzubauen. Dafür müsse man sich zuhören. Der Bürgermeister von Cholchol, Lui Huirilef dankte dem Parteivorsitzenden für seine Offenheit und bat ihn, das indigene Thema in der Fraktion prioritär zu behandeln, da die Verabschiedung mehrerer Gesetze ansteht, die bedeutende Auswirkungen für die indigenen Völker in Chile haben werden, darunter das Konsultationsgesetz.

CICLAS und die KAS haben mit den geschilderten Veranstaltungen eine Annäherung zwischen indigenen Führungskräften und Instanzen des traditionellen politischen Systems ermöglicht. Darauf kann jetzt aufgebaut werden, um einen Beitrag zur interkulturellen Verständigung zu leisten.

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