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Veranstaltungsberichte

Wiederwahlen in Lateinamerika

von Dr. iur. Christian Steiner
Vom 13. bis 15. April 2011 vereinte das Rechtsstaatsprogramm Lateinamerika der Konrad-Adenauer-Stiftung gemeinsam mit dem Iberoamerikanischen Institut für Verfassungsrecht und der Universität Externado in Bogotá, Kolumbien, namhafte Verfassungsrechtler aus ganz Lateinamerika und den USA, um das auf dem Kontinent seit der Unabhängigkeit ständig wiederkehrende Problem der Wiederwahl von Staatspräsidenten zu erörtern.

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Der Kongress wurde von Jorge Carpizo (Präsident des Instituto Iberoamericano de Derecho Constitucional und Forscher am Instituto de Investigaciones Jurídicas der UNAM in Mexiko), Juan Carlos Henao (Präsident des kolumbianischen Verfassungsgerichts), Fernando Hinestrosa (Rektor der Universität Externado de Colombia) und Christian Steiner (Leiter des KAS Rechtsstaatsprogramms Lateinamerika) eröffnet.

Nach einem vergleichenden Einführungsreferat von Daniel Zovatto (Argentinien) referierten Experten aus den USA und der Mehrzahl der lateinamerikanischen Staaten zu Historie, Regelung und aktuellem Sachstand der präsidialen Wiederwahlen. Aus den USA berichtete Tony M. Fine, über die nun schon Jahrzehnte andauernde Tradition eines absoluten Wiederwahlverbots Mexikos Jorge Carpizo; zur besonderen Situation Kubas und Haitis berichtete der Kolumbianer Augusto Hernández, während Eduardo Jorge Prats wortgewandt die drastischen Methoden beschrieb, mit denen diversen Präsidenten der Dominikanischen Republik, die ihr Mandat ausdehnen wollten, Einhalt geboten wurde. Aus Guatemala berichtete Jorge Mario García Laguardia, über Honduras der Mexikaner Imer B. Flores und aus El Salvador René Fortín Magaña. Zu den jüngeren Ereignissen in Costa Rica y Nicaragua referierte der Mexikaner Raúl Ávila Ortiz, aus Panama Salvador Sánchez González. Die Situation in Kolumbien beschrieben Julio Cesar Ortiz und Néstor Osuna; der im Exil lebende Verfassungsjurist Allan R. Brewer Carías illustrierte einmal mehr, wie Hugo Chavez in Venezuela schrittweise den Rechtsstaat untergraben hat, auch um (s)eine uneingeschränkte Wiederwahl zu ermöglichen. Aus Ecuador informierte der Ex-Präsident des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Hernán Salgado Pesantes, aus Peru Domingo García Belaunde, aus Brasilien Marcelo Figueiredo und schließlich aus Paraguay Jorge Silvero Salgueiro.

In einigen Staaten Lateinamerikas mündet die Enttäuschung über die noch weithin spürbaren Defizite der jungen Demokratien in zunehmende politische Instabilität. Der Bedeutungsverlust politischer Parteien ist mancherorts dramatisch und geht einher mit der Rückwendung zu populistischen Führungsfiguren, denen ein Hang zur Perpetuierung im Amt gemeinsam ist.

Die Geschichte des Kontinents ist geprägt von einer notorischen Tendenz zu autoritären Regimen des linken und rechten Spektrums, die – mal getragen vom Volkswillen, mal nicht – ihre Amtsperioden in die Länge zu ziehen neigen. Und dies, obwohl in der Verfassungsgeschichte praktisch aller Staaten zahllose Versuche unternommen wurden, dem Machtmissbrauch in überlangen Regierungszeiten eines Staatspräsidenten Einhalt zu gebieten. Aber die Vielfalt an Modellen der Amtszeitbegrenzung (keine Wiederwahl, einmalige Wiederwahl, unterbrochene Wiederwahl, unterschiedliche Dauer der Amtszeiten) erwiesen sich im entscheidenden Moment bis in die jüngste Vergangenheit hinein immer wieder als ungeeignet, einem einflussreichen Präsidenten die Wiederwahl wirksam vorzuenthalten. Mit militärischer oder populistischer Übermacht gelang und gelingt es ihnen immer wieder, die verfassungsrechtlichen Verbote zu beseitigen oder durch die „kreative“ Auslegung ihnen wohl gesonnener Gerichtshöfe zu umgehen.

Das Thema hat in der jüngeren Geschichte wieder an Bedeutung gewonnen. Davon zeugen eine Reihe umstrittener Wiederwahlen mit entsprechenden Verfassungsänderungen (Venezuela, Bolivien, Ecuador) oder Gerichtsurteilen, die eine Wiederwahl zuließen (Costa Rica, Nicaragua) bzw. verboten (Kolumbien). In den kommenden Jahren finden in Lateinamerika zahlreiche Präsidentschaftswahlen statt, bei denen eine verfassungsrechtlich eigentlich verbotene erste oder zweite Wiederwahl zur Debatte steht. Zu beobachten ist – bezogen auf die Wiederwahlen des Staatspräsidenten, nicht etwa der Mitglieder der Legislative – ein Trend von einem den Wiederwahlen abgeneigtem zu einem wiederwahlfreundlichen Kontinent (Daniel Zovatto). Heute ist die Wiederwahl des Staatspräsidenten in unterschiedlichen Modalitäten gestattet und nur in Guatemala, Honduras, Mexiko und Paraguay absolut ausgeschlossen. Dabei präsentiert sich das Venezuela von Hugo Chávez als El Dorado für den ambitionierten Präsidenten (keine Beschränkung), während Honduras die Wiederwahl nicht nur verfassungsrechtlich kategorisch ausschließt, sondern dieses Verbot zusätzlich durch eine Ewigkeitsklausel geschützt und selbst den Vorschlag, dies zu ändern, mit Strafe und einem automatischen Amtsverlust bewährt hat.

Eine medienwirksame Note erhält dieses Phänomen mancherorts noch durch eine verwandschaftliche bzw. dynastische Komponente.

So bewirbt sich in Guatemala die Gattin des gegenwärtigen Präsidenten Álvaro Colom Caballeros um die Präsidentschaft; wegen des verfassungsrechtlichen Verbots der Kandidatur für Verwandte des Präsidenten, betreibt Sandra Julieta Torres Casanova die Scheidung von Álvaro Colom, „um das guatemaltekische Volk zu heiraten“. In Argentinien beabsichtigten die Kirchners die Präsidentschaft im ständigen Wechsel für mehrere Perioden in der Familie zu halten. In Peru hat es Keiko, die Tochter des wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit verurteilten Ex-Präsidenten Fujimori, jüngst in die Stichwahl gegen Ollanta Humala geschafft.

Erstaunlich dünn ist vor diesem Hintergrund und der ständig wechselnden verfassungsrechtlichen Gestaltung die argumentative Durchdringung des Wiederwahlverbots.

Das Verbot der Wiederwahl des Staatspräsidenten erscheint gleichsam als Zauberformel, als Garant für den republikanisch angestrebten, ständigen Machtwechsel zwischen den widerstreitenden politischen Kräften. Es hat diesen Zweck, mit wenigen Ausnahmen, aber nicht wirklich erfüllt. Mexiko, das mit seinem strikten Wiederwahlverbot seit vielen Jahrzehnten zwar augenscheinlich nie in die Versuchung der Wiederwahl eines Staatspräsidenten kam, hatte bis 2000 effektiv ein Einparteiensystem. In anderen Staaten wurde das Verbot just dann reformiert (manche würden sagen: ausgehebelt), wenn es am dringendsten gebraucht wurde (etwa in Venezuela).

Sofern Reformen erfolgten, waren diese regelmäßig hastig, inkohärent und konjunkturell erzwungen, dienten also vor allem dem Zweck, dem gegenwärtigen Präsidenten entgegen dem früheren Konsens des Verfassungsgebers doch die (erneute) Wiederwahl zu ermöglichen (Daniel Zovatto).

So nahm auf dem Kongress ein beträchtlicher Teil der Ausführungen der geladenen Experten hatte die Beschreibung der – in Bezug auf die Verhinderung von Wiederwahlen – gescheiterten Verfassungsgeschichte in den betroffenen Ländern ein. Dr. Néstor Pedro Sagüés bezeichnete dies treffend als „Gruppentherapie“.

So stellt sich das Verbot präsidialer Wiederwahlen mehr als Gradmesser für die politische Verfassung des Kontinents, denn als wirksames Instrument zur Stabilisierung derselben dar.

Die strukturellen Defizite politischer Parteien und ein „Hyperpräsidentialismus“ (Daniel Zovatto) in seiner lateinamerikanischen Ausprägung scheinen sich in weiten Teilen des Kontinents gegenseitig zu potenzieren: Die politischen Parteien lassen eine klare Programmatik und ideologische Linie vermissen und kämpfen auch deshalb mit einer beachtlichen Untreue ihrer Mandatsträger. Diese stellen ungesund häufig ihre persönlichen Interessen vor politische Überzeugungen und die Loyalität zur Partei. Populistisch geneigte Präsidenten legen einen sehr direkten Regierungsstil an den Tag und können trotz der kurzsichtigen Gestaltung an sich überaus erforderlicher sozialer Projekte zur Armutsbekämpfung, gestützt von einer günstiger Konjunktur der Rohstoffpreise, ihren Rückhalt in breiten Bevölkerungsteilen ausbauen, obwohl ihre Politik eine wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit vermissen lässt. Dabei bedienen sie sich nicht selten eines schamlosen Klientelismus.

Gleichwohl gibt es auf dem Kontinent auch Beispiele für staatsmännische Selbstbeschränkung trotz überragender Zustimmungsraten in der Bevölkerung. So verzichteten etwa die Präsidenten Lula da Silva in Brasilien und Michel Bachelet in Chile auf eine erneute Kandidatur; in Kolumbien akzeptierte respektierte Álvaro Uribe ohne Zögern ein historisches Verfassungsgerichtsurteil, das die Durchführung eines Referendums über die Verfassungsänderung untersagte, mit der eine zweite Wiederwahl zugelassen werden sollte. In den drei Ländern hatte stabilisierte diese Zurückhaltung Demokratie und Rechtsstaat. Im Falle Kolumbiens bestand das besondere Verdienst des Verfassungsgerichts in der Entpersonalisierung der Frage: Es ging nicht um das Verdienst oder Versagen des amtierenden Präsidenten, sondern, abgesehen von förmlichen Fragen, um die verfassungsrechtliche Verträglichkeit eines dritten konsekutiven Mandats mit demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen. Die institutionelle Stabilität und demokratische Stärke Kolumbiens zeigten sich nicht nur in der unabhängigen Entscheidung des angesehenen Verfassungsgerichts, sondern gleichermaßen in der eindeutigen Akzeptanz des Richterspruchs durch den Präsidenten selbst ebenso wie durch die Bevölkerung und dies trotz einer Zustimmungsrate zur Arbeit des Präsidenten von rund 70%.

Verfassungsänderungen zur Zulassung einer (erneuten) Wiederwahl wurden in der Regel durch Verfassungsreformen – mit oder ohne vorheriges bzw. anschließendes – Referendum aber auch vermittels einer dahingehenden Interpretation des Verfassungstextes vollzogen.

Indes ist die gerichtliche Auseinandersetzung mit dem Wiederwahlverbot bislang jedoch noch recht dünn. Angesichts der anstehenden Stresstests für die Wiederwahlregelung in den lateinamerikanischen Verfassungen, erschien eine fundierte Auseinandersetzung mit der Problematik angezeigt, um eine argumentative Grundlage für die politischen und höchstgerichtlichen Akteure in den fraglichen Staaten zu schaffen. Die Beiträge des Kongresses werden daher mit zwei einführenden vergleichenden Studien zeitnah in Kolumbien und Mexiko veröffentlicht und auf dem Kontinent verbreitet.

In den letzten Jahren haben sich die Obersten bzw. Verfassungsgerichte und -senate in Costa Rica, Nicaragua und Kolumbien mit dem Wiederwahlverbot beschäftigt. In Costa Rica und Nicaragua wurde das Wiederwahlverbot dabei aufgeweicht. Wenngleich sich die Urteile sowohl in Costa Rica als auch in Nicaragua auf Art. 23 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention stützen (der politische Rechte, u. a. das passive Wahlrecht schützt), waren im Falle Costa Ricas doch eher Verfahrensfehler bei der Einführung des Wiederwahlverbots ausschlaggebend. Der Oberste Gerichtshof Costa Rica setzte damit jedoch ein zweifelhaftes Präjudiz für die Entscheidung des Verfassungssenats des OG Nicaragua aus dem Jahr 2009, mit dem in nicht vertretbarer Weise das Wiederwahlverbot schlichtweg unter Verweis auf den Verstoß gegen das passive Wahlrecht des Beschwerdeführers Daniela Ortega gestützt wurde. Dabei hatten der argentinische Oberste Gerichtshof (Urteil Partido Justicialista de Santa Fe aus dem Jahr 1995) und der Interamerikanische Gerichtshof (Castañeda-Urteil aus dem Jahr 2008) zuvor überzeugend dargelegt, dass über die Hinderungsgründe des Absatz 2 der Vorschrift hinaus Beschränkungen des passiven Wahlrechts aufgrund staatsorganisatorischer Erwägungen heraus (etwa Demokratie und Gewaltenteilung) möglich seien, auch dieses Grundrecht mithin nicht absolut gelte.

Die Berufung auf das Demokratieprinzip ebenso wie auf das Diskriminierungsverbot bedarf jedoch einer präziseren Erörterung als dies gemeinhin geschieht, da beide Grundsätze sowohl gegen als auch für ein Wiederwahlverbot angeführt werden können. Wenn einem amtierenden oder früheren Präsidenten nämlich die Wiederwahl verwehrt wird, beschneidet es sein passives Wahlrecht und das aktive Wahlrecht der Bürger, ihren bevorzugten Kandidaten zu wählen. Andererseits kann die Perpetuierung im Amt ein und derselben Person mittelfristig zu einer Schwächung des für die Demokratie bedeutsamen Gleichgewichts zwischen widerstreitenden politischen Kräften führen. Ähnlich kann sich der an der Wiederwahl gehinderte Kandidat auf Gleichbehandlung bei der Zulassung zur Wahl berufen wie die übrigen Kandidaten ihre ungleichen Chancen rügen mögen, wenn sie gegen einen amtierenden Präsidenten antreten, der gleichsam den gesamten Staatsapparat für seinen Wahlkampf zur Verfügung hat.

Die perfekte Regelung gibt es nicht. Der Verfassungsgeber hat zweifelsohne einen Beurteilungsspielraum, den er unter Beachtung von Grundrechten (Wahlrecht, Gleichheitssatz) sowie Verfassungsprinzipien (Demokratie, Gewaltenteilung) ausfüllen muss.

Es kommt darauf an, das der Verfassungsgeber unter Berücksichtigung dieser Vorgaben im demokratischen Rechtsstaat sowie der konkreten Befugnisse des Staatspräsidenten eine tragfähige Lösung findet, die dann auch von den politischen Kräften respektiert und im Zweifel von der Verfassungsgerichtsbarkeit verteidigt wird. Das Wiederwahlverbot kann nur Teil der Lösung sein, um in Lateinamerika stabile Demokratien zu formen.

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