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Das Votum im rumänischen Parlament stellt eine vorläufige Zäsur in der Auseinandersetzung zwischen dem mächtigen PSD-Vorsitzenden und Präsidenten der Abgeordnetenkammer Liviu Dragnea einerseits und dem scheidenden Regierungschef Sorin Grindeanu andererseits dar, die in den vergangenen Wochen zunehmend eskalierte und öffentlich ausgetragen wurde. Bereits eine Woche zuvor hatte der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei einstimmig dem Premierminister sein Vertrauen entzogen – mit der Begründung, dass die Umsetzung des Regierungsprogramms nicht zufrieden stellend sei. Um Grindeanu zum Rücktritt zu zwingen, hatten außerdem nahezu alle Minister beider Koalitionsparteien ihre Ämter niedergelegt.
In weiten Teilen der rumänischen Öffentlichkeit wird der Konflikt zwischen Grindeanu und Dragnea darauf zurückgeführt, dass der Premierminister Änderungen des Strafrechts im Zusammenhang mit Amtsmissbrauch und Korruptionsvergehen nicht entschieden verfolgt hatte. Bereits im Frühjahr hatte der Premierminister entsprechende Rechtsakte, die das Kabinett per Notverordnung beschlossen hatte, nach massiven öffentlichen Protesten zurückgenommen. Von diesen Änderungen hätte auch Dragnea profitieren können, der selbst wegen Amtsmissbrauch angeklagt ist und sich im September seinem nächsten Verhandlungstermin gegenübersieht. Da Dragnea bereits vorbestraft ist, konnte er aufgrund der geltenden Gesetzeslage bereits nicht selbst Premierminister werden. Bei einer erneuten Verurteilung droht ihm eine Gefängnisstrafe.
Grindeanu hatte sich geweigert, zurückzutreten, was er damit begründete, es müsse zunächst sichergestellt werden, dass Präsident Iohannis wieder einen PSD-Politiker zu seinem Nachfolger ernenne. Zugleich versuchte der Regierungschef aber, in den Reihen der PSD-Parlamentarier Anhänger für seinen Verbleib im Amt zu suchen. Dabei fand er Unterstützung vom ehemaligen Premier Victor Ponta (der als innerparteilicher Rivale von Dragnea gilt), den er am 16. Juni zum Generalsekretär der Regierung ernannte.
Grindeanu und Ponta suchten dabei offenbar die Machtprobe mit Dragnea und setzten darauf, dass es letzterem nicht gelingen würde, die notwendige Mehrheit für einen erforderlichen Misstrauensantrag in den eigenen Reihen zu finden, um Dragnea danach möglicherweise die Führung der PSD streitig zu machen. Ponta und Grindeanu sind mittlerweile beide aus der PSD ausgeschlossen worden. Ihre politische Zukunft ist fraglich. Während Ponta noch Abgeordneter ist, verfügt Grindeanu über kein Amt oder Mandat mehr. Neben Ponta, der als einziger Abgeordneter der PSD gegen den Antrag stimmte, nahmen weitere zwölf Abgeordnete der PSD nicht an der Abstimmung teil.
Der Misstrauensantrag wurde mit insgesamt 241 Stimmen angenommen. 233 Stimmen – die absolute Mehrheit der Abgeordneten und Senatoren - wären erforderlich gewesen. Aufgrund der fehlenden Stimmen aus der PSD wurde der Misstrauensantrag nur mit Stimmen aus der Fraktion der nationalen Minderheiten angenommen, die ihren Abgeordneten das Abstimmungsverhalten frei gestellt hatte. Abgeordnete der Minderheiten stimmen allerdings häufig mit der Parlamentsmehrheit, da sie bei ihren Anliegen auf deren Unterstützung angewiesen sind.
Die Oppositionsparteien PNL (Nationalliberale Partei) und USR (Union Rettet Rumänien) nahmen zwar an der Sitzung teil, aber nicht an der Abstimmung, ebenso wie die Abgeordneten der PMP (Volksbewegung) des früheren Präsidenten Basescu und der UDMR (Demokratischer Verband der Ungarn). Dass Dragnea vor der Abstimmung noch Verhandlungen mit der UDMR geführt hatte und dabei offenbar zu weitgehenden Zugeständnissen bereit war, um deren Stimmen zu gewinnen, zeigt allerdings auch, dass er sich seiner Mehrheit nicht sicher war.
Durch die Annahme des Misstrauensantrages wurde die Position Dragneas zumindest kurzfristig gestärkt. Eine größere Spaltung der PSD-Fraktion – über die zeitweilig in den Medien spekuliert worden war – ist ausgeblieben. Verfassungsmäßig liegt jetzt die Aufgabe bei Präsident Iohannis, Konsultationen mit allen Fraktionen durchzuführen und einen neuen Premierminister zu designieren, der dann vom Parlament bestätigt werden muss.
In den Konsultationen mit dem Präsidenten dürfte Dragnea eine ihm gegenüber loyale Person als Premierminister vorschlagen. Präsident Iohannis hat allerdings deutlich gemacht, nur Personen zu designieren, an deren Integrität keine deutlichen Zweifel bestehen. Bereits vor der Bildung der Regierung Grindeanu hatte das Staatsoberhaupt deshalb die zuerst von der PSD vorgeschlagene Kandidatin abgelehnt.
Im Ergebnis werden der Präsident und die PSD einen gemeinsamen Nenner finden müssen. Die künftige Regierung dürfte dabei weiterhin von der PSD und ALDE getragen werden, sowie auf Stimmen der Minderheitenfraktion. Die verfassungsmäßigen Hürden für eine Neuwahl sind recht hoch und setzen zwei Versuche des Präsidenten voraus, einen Premierminister zu designieren. Die parlamentarische Mehrheit scheint stabil. Zudem wäre nicht abzusehen, dass Neuwahlen zu anderen Kräfteverhältnissen führen würden.
Die wichtigste Oppositionspartei PNL befand sich nach der verlorenen Parlamentswahl vom Dezember 2016 noch in einem Prozess der inneren Konsolidierung. Nachdem die Partei danach lange nur von einer kommissarischen Führung geleitet wurde, wurde erst vor wenigen Tagen, am 17. Juni, auf einem Parteitag mit Ludovic Orban ein neuer Vorsitzender gewählt. Dieser steht jetzt vor der Aufgabe, die PNL als führende Oppositionspartei im politischen Diskurs wieder klar zu positionieren. Die USR befindet sich inmitten eines Führungsstreits, nachdem der bisherige Vorsitzende und Gründer der Partei, Nicusor Dan, seinen Rücktritt erklärt hat, unter Bedingungen allerdings auch bekundet hat, erneut um die Führung zu kandidieren.
Wann eine neue Regierung im Amt sein dürfte, wird vermutlich eine Frage weniger Wochen sein. Die der gegenwärtigen Regierungskrise zugrundeliegenden Konfliktlinien um das Strafrecht und die Korruptionsbekämpfung einerseits und Dragneas Führung innerhalb der PSD andererseits werden die rumänische Politik allerdings weiterhin prägen.