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Länderberichte

Erste Regierungsumbildung des neuen Präsidenten – ein Balanceakt?

von Dr. Ute Gierczynski-Bocandé

Kritik und offene Fragen

Am 29. Oktober 2012, ein halbes Jahr nach seiner Wahl, hat der senegalesische Präsident Macky Sall seine erste Regierungsumbildung vorgenommen. Die strategisch wichtigen Ressorts des Inneren und Äußeren wurden neu besetzt. Zahlreiche Minister wechselten die Ressorts, das Kabinett wurde von 25 auf 30 Minister erweitert. Die Umbildung war gewiss die Konsequenz einiger Monate Arbeitserfahrung, die Macky Sall mit der neuen Regierung gemacht hatte. Aber vermutlich verfolgt er auch andere Absichten.

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Überraschend kam die Regierungsumbildung des im März gewählten senegalesischen Präsidenten Macky Sall nicht. Schon seit den Sommermonaten munkelte man hinter den Kulissen davon, jedoch hielt Sall sich bedeckt. Einige kleine und größere Skandale brachten nun das Fass zum Überlaufen, und Sall machte einen Rundumschlag. Anstatt lediglich den stark kritisierten Innenminister Ndiaye und den etwas zu „unabhängigen“ Außenminister Cissé abzulösen, tauschte Sall etliche weitere Minister aus, legte Ressorts zusammen, teilte andere neu auf und erhöhte gleichzeitig die Anzahl der Ministerien.

„Das ist Wade ohne Wade“, wurde ihm von mehreren Seiten vorgeworfen. Sein Vorgänger, Abdoulaye Wade, hatte in seiner 12-jährigen Amtszeit im Durchschnitt alle sechs Monate eine Regierungsumbildung vorgenommen, die Ministeranzahl ständig erhöht und verschiedene Institutionen eingeführt und wieder abgeschafft, was zu einer permanenten institutionellen Instabilität ge-führt hatte. So ist die Befürchtung nachvollziehbar, Sall könnte es ihm gleich tun.

Jedoch war in der aktuellen Lage eine Umbildung und Neuausrichtung der Regierung vermutlich notwendig, zumindest verständ-lich. Die Tatsache, dass Macky Sall mit dem Innenminister Mbaye Ndiaye und dem Außenminister Alioune Badara Cissé zwei ihm sehr nahe stehende Personen entließ, die in seiner Partei APR (Alliance pour la République: Allianz für die Republik) wichtige Funktionen einnehmen, spricht für ihn. Allerdings werfen einige andere Entscheidungen Fragen auf.

Der Innenminister, die Polizei und die Religionen

Mbaye Ndiaye wurde sicher auch deswegen entlassen, weil er – in seiner Eigenschaft als Chef der staatlichen Ordnungskräfte – nicht genügend Durchsetzungsvermögen gezeigt hatte. Als Mitte Oktober die Anhänger eines wegen Mordes angeklagten und im Gefängnis einsitzenden hohen Marabouts (religiöser Würdenträger) im Zentrum Dakars 123 Autos zerschlugen, Geschäfte plünderten und Menschen angriffen, dauerte es mehrere Stunden, bevor die Polizei der Situation Herr wurde. Das langsame und mangelhaft koordinierte Management dieser Situation veranlasste Journalisten und Politiker, den Rücktritt des Innenministers zu fordern.

Aber schon vorher hatte Mbaye Ndiaye nicht immer die notwendige Aufmerksamkeit und Sensibilität im Bereich der Religionen gezeigt. So war sein Kommentar nach massiven Grabschändungen auf christlichen Friedhöfen, im Rahmen derer die Kreuze von den Gräber gerissen wurden, „dies sei eine Angelegenheit zwischen Christen“. Sicher wollte er damit auf die Vermutung anspielen, die Kreuze seien gestohlen worden, um sie kurz vor Allerheiligen wieder zu verkaufen. Jedoch legte die Bemerkung zwei Probleme bar: einen oberflächlichen Umgang mit den Untersuchungstechniken der Polizei, die die Täter noch nicht festgenommen hatte und somit deren Religionszugehörigkeit nicht bestimmen konnte, und einen flagranten Mangel an Respekt der christlichen Minderheit gegenüber. In einem Land, wo der interreligiöse Dialog hochgehalten und gepflegt wird, sollten die politischen Verantwortlichen mit gutem Beispiel voran gehen.

Der Nachfolger von Mbaye Ndiaye ist der General a. D. Pathé Seck. Mit dieser Wahl entspricht Präsident Sall auch dem Willen der politischen Klasse und der Bevölkerung, die einen unparteiischen Innenminister fordern, insbesondere im Hinblick auf die Wahlorganisation. Seck ist mit seinen 67 Jahren der dritte General auf diesem Posten. Er wird für seine Erfahrung und Effizienz bei der Organisation der Gendarmerie (in Senegal eine Militäreinheit) und der Territorialverwaltung geschätzt, und ist gleichzeitig Schriftsteller und Humanist.

Effizienz und Erfahrung als Kriterium

Die Gründe für die Entlassung des Außenministers Alioune Badara Cissé, auch eines Freundes von Macky Sall, liegen im Dunkeln. Offiziell ging es Sall, wie auch beim Innenminister, um mehr Effizienz und Kohärenz in der Amtführung. Anscheinend haben auch die zahlreichen Auslandsreisen des Ministers, der den Präsidenten häufig nicht informiert haben soll, zu seiner frühzeitigen Entlassung beigetragen. Sein Nachfolger ist der bisherige Botschafter Senegals in Paris, Mankeur Ndiaye, der langjährige außenpolitische Erfahrung aufweist, insbesondere als Sonderbeauftragter Senegals bei den UN in New York.

Nicht ganz überraschend kam die Ressort-Beschneidung des prominenten Ministers und Sängers Youssou Ndour. Er war mit der Kultur und dem Tourismus überlastet und war in den letzten Monaten zunehmend ins Zentrum der Kritik geraten. Ihm blieb der Tourismus, das Kulturressort wurde von ei-nem Kulturmanager neu besetzt.

Auch die Abberufung des Erziehungsminis-ters gehorchte der Forderung nach mehr Effizienz. Selbstredend konnte der bisherige Minister das völlig marode Schulwesen nicht in sechs Monaten reformieren und effizienter gestalten, zu schwer liegen die „Altlasten“ auf ihm. Das Schuljahr musste verlängert werden, um überhaupt anerkannt zu werden, da es wegen massiver Lehrerstreiks zu Beginn des Jahres fast als ungültig eingestuft worden wäre. Die Lehrergewerkschaften hatten auf diese Weise Druck machen und zur Abwahl des ehemaligen Präsidenten Wades beitragen wollen. Lehrerstreiks als politisches Druckmittel wirkten sich jedoch katastrophal aus, Schuljahrsverlängerung und Examensverzögerung führten zu einem latenten Chaos im ganzen Schulwesen.

Der neue Minister ist der alte Hochschulminister, Serigne Mbaye Thiam. Er gehört in der großen Regierungskoalition Macky Salls der Sozialistischen Partei an. Seine Wahl erlaubt zweierlei Deutungen: Einmal geht Sall davon aus, dass Thiam als Sozialist vermutlich eine gute Verbindung zu den Gewerkschaften hat. Falls er jedoch in seiner Mission der Restrukturierung des Sektors scheitert und die Schulen weiterhin dem Chaos entgegen gleiten, läge die Verantwortung nicht auf einem APR-Politiker, was im Hinblick auf die Lokalwahlen Beginn 2014 nicht zu unterschätzen ist.

Der ehemalige Rektor der Universität St. Louis, Marie-Tew Niane, entspricht hingegen dem idealen Profil eines Hochschul- und Forschungsministers. Er gehört keiner politischen Partei an und hat sich als herausragender Wissenschaftler, Universitäts-Manager und Mensch des Konsens einen guten Ruf erarbeitet.

Die Tatsache, dass die gute Regierungsführung zu einem Ressort erklärt und mit dem Rechtsanwalt und Publizisten Abdou Latif Coulibaly besetzt wurde, zeugt vom Willen des Präsidenten, die Regierung selber und die Regierungsführung der staatlichen Institutionen und Organisationen zu kontrollieren und zu sanieren. Coulibaly hat sich als unbarmherziger Kritiker des Wade-Regimes international einen Namen und national viele Feinde gemacht. In seinen Büchern und in der von ihm gegründeten Zeitschrift „La Gazette“ hat er zahlreiche Skandale aufgedeckt und belegt. Auch Sall war seiner Kritik nicht entgangen, der ja mehrere Jahre Minister und sogar Innenminister Wades gewesen war. So ist die Geste Salls, ihn zum „Aufseher“ der Regierungsführung zu erklären, sicher ein Zeichen seiner Offenheit und Innovationsbereitschaft. Coulibaly bekleidet jedoch gleichzeitig die Funktion des Regierungssprechers – was als Widerspruch, zumindest als ein Befangenheit schaffendes Element gewertet werden kann.

Kontinuität: Streitkräfte, Justiz und Gesundheit vorne

Drei Schlüsselministerien blieben bei der umfassenden Regierungsumbildung erhalten und nehmen die ersten Plätze in der protokollarischen Ordnung der Regierung ein: Der Streitkräfteminister Augustin Tine ist als Parteimitglied der APR zwar ein Sall naher Politiker, er wird jedoch überall für die Besonnenheit seiner Entscheidungen und sein hohes Verantwortungsbewusstsein geschätzt. Er nimmt die erste Stelle der Rangordnung nach dem Premierminister ein. Ihm folgt Aminata Touré, die durchsetzungskräftige und unerschrockene Justizministerin, die sich einen Namen als Kämpferin für die Menschenrechte gemacht hat und in der neuen Regierung die Symbolfigur für Gerechtigkeit auf allen Ebenen geworden ist. Sie schreckt nicht vor unpopulären Maßnahmen zurück, wie der eingehenden Finanzprüfung aller Institutionen. Sie ist eine der Säulen der Regierung Sall.

Eva Marie Coll Seck steht als Ministerin für Gesundheit und Soziales an dritter Stelle. Dies kann manchen erstaunen. Keiner Partei zugehörig, hat Coll Seck in der Regierung Wades die Funktion der Gesundheitsministerin bekleidet, bevor sie eine herausragende Stelle in den Vereinten Nationen einnahm. Die Ärztin gilt als hochkompetent in ihrem Fachgebiet, aber auch als effiziente Managerin des Gesundheitswesens.

Kritik und offene Fragen

Wenn die Regierungsumbildung allgemein verständlich und mehr oder weniger anerkannt wurde, warf sie doch Fragen auf. Von 25 Ministern wurden zwölf entweder entlassen oder auf andere Ministerposten versetzt. Mehrere Ressorts wurden aufgeteilt bzw. zusammen gelegt. Die Regierung wurde von 25 auf 30 Minister erweitert. Die Medien kritisierten insbesondere die Erhöhung der Ministerzahl und warnen von einer „Wade-Dynamik“. Wozu solle es auf der einen Seite dienen, den Senat aus Kostengründen abzuschaffen, wenn auf der anderen Seite die Ausgaben für Ministerien erhöht würden?

Eine Veränderung wird von vielen Beobachtern als Fehlentscheidung bewertet: Der Dezentralisierungsminister Bamba Dieye wurde zum Kommunikationsminister ernannt. Seine Nachfolgerin ist die weitgehend unbekannte Literaturlehrerin Arame Ndoye. Dieye, Bürgermeister von St. Louis, hatte in den wenigen Monaten seiner Amtszeit vieles in Bewegung gebracht: die notwendigen und dringenden Reformen der bislang nur halbherzig geführten Dezentrali-sierungspolitik angestoßen, strategische Re-flexionen geführt und er interessierte sich besonders für die Problematiken der Gebietskörperchaften. War er vielleicht zu effizient?

Dieye ist nicht Mitglied der APR, sondern Parteichef einer kleinen Partei. Er hat allerdings maßgeblich zur friedlichen Revolution des 23. Juni (2011) und zur Wahl Macky Salls beigetragen. Warum wurde er also von der Dezentralisierung abberufen? Eine Vermutung liegt nahe: Als volksnaher, offener und innovationsfreudiger Minister hatte er beste Verbindungen zu den gewählten Vertretern und Meinungsträgern der Landgemeinden, Städte und Regionen des Landes. Angesichts der Lokalwahlen 2014 hätte dies seiner kleinen Partei großen Einfluss und Erfolg bescheren können – dies sollte vielleicht verhindert werden.

So gehorchte die Regierungsumbildung offiziell und tatsächlich einer Effizienzsteigerung, aber auch andere Kriterien haben wahrscheinlich eine Rolle gespielt. Ein Journalist schrieb „Mehr Patrie (Staat, Land) und weniger Partei“. Zumindest erhofft sich die Bevölkerung Senegals eine Regierung, bei der die nationalen Interessen im Zentrum stehen und nicht parteipolitische oder wahltaktische Überlegungen.

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