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Länderberichte

Senegal wählt einen neuen Präsidenten

Auf dem Weg in eine neue Zeit

Am 25. Februar 2024 wählt Senegal einen neuen Präsidenten. Vor allem die überwiegend junge Bevölkerung wünscht sich einen Generationswechsel in der Regierung. Der umstrittene Oppositionspolitiker Ousmane Sonko, der Favorit vieler junger Senegalesen, ist allerdings nicht als Kandidat zugelassen worden. Ob die geschwächte, aber dennoch sehr präsente Opposition sich trotzdem durchsetzen kann, bleibt fraglich.

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Zwölf Jahre Macky Sall – eine Bilanz

Fest steht aktuell nur eins: Macky Sall wird abgelöst. Er wurde 2012 erstmalig zum Präsidenten gewählt und konnte sich 2019 für ein zweites Mandat durchsetzen. Eine dritte Amtszeit ist laut Verfassung nicht möglich, obwohl es viele Interpretationsversuche gab, um dies zu ändern. Wie aber hat sich Senegal in den zwölf Jahren der Führung unter Präsident Macky Sall entwickelt? Auf der positiven Seite lässt sich sicherlich vermerken, dass viele Infrastrukturprojekte vorangekommen sind und vor allem das Straßen- und Autobahnnetz erweitert wurde. Auch Vorhaben zur landesweiten Energie- und Wasserversorgung schreiten voran, vorhandene Ressourcen werden zunehmend erschlossen. Dazu gehören vor allem auch die Vorhaben der Gas- und Erdölförderung vor der Küste Senegals sowie der bereits stattfindende Abbau von Zirkon, Gold, Phosphat und Kalk im Tagebau. Die Bauwirtschaft boomt, Dakar ist internationales Drehkreuz in Westafrika und zieht Investoren an. Macky Sall selbst ist geschätzter internationaler Verhandlungspartner. Er hat sich in der Afrikanischen Union und der ECOWAS sowie bei den UN einen Namen gemacht und wurde vielfach ausgezeichnet.

Trotz dieser Fortschritte hat die Regierung von Macky Sall aber auch ihre Schattenseiten. Gerade in den letzten Jahren ließ sich eine vermehrte Zunahme von demokratischen Defiziten beobachten. Dazu muss auch der indirekte Versuch Macky Salls gewertet werden, seine eigene Amtszeit um ein verfassungswidriges drittes Mandat zu verlängern. Man wirft der Regierung vor, politische Gegner ausschalten zu wollen, in dem man sie mit juristischen und langwierigen Verfahren überzieht und Anlässe schafft, um sie in Untersuchungshaft zu nehmen. Auch hat die Zahl der politischen Häftlinge vor allem im letzten Jahr deutlich zugenommen. Ihnen wird z.B. die Teilnahme an nicht erlaubten Demonstrationen bzw. Beteiligung an Aufständen vorgeworfen. Senegals Regierung wehrt sich gegen diese Vorwürfe[1], verweist auf den gesetzlichen Rahmen und begründet die Maßnahmen als Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und staatliche Pflicht. Vernachlässigt wurde auch der marode Bildungssektor, was unmittelbare Konsequenzen für die Perspektiven von jungen Menschen hat. Es gibt zwar vielfältige Programme zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und zur Förderung von Startups, aber Erfolge in der Breite sind nicht gegeben. Kritisiert wird außerdem, dass Familienmitglieder Salls immer wieder einfluss- und ertragsreichen Positionen bekommen, wie z.B. sein Bruder Aliou Sall[2] .

In der Summe wirft die Bevölkerung Macky Sall deswegen vor, seine Wahlversprechen der Jahre 2012 und 2019 nicht gehalten zu haben, die der „Plan Senegal Émergeant“[3] mit Blick auf mehr Gleichheit und soziale Gerechtigkeit [4] festgelegt. Trotz wirtschaftlicher Erfolge ist die Kaufkraft der Senegalesen insgesamt gesunken. Unzureichend ausgebildete junge Menschen fluten den Arbeitsmarkt, ihre Frustration wächst. Das hat auch Einflüsse auf die Migration nach Europa und den USA, die von Senegal ausgehend 2023 wieder zugenommen hat. Die Jugend fühlt sich nicht wahrgenommen und sieht keine Zukunftsperspektiven[5].

 

Senegal im politischen Spannungszustand

Diese Frustration war auch die treibende Kraft hinter den gewaltsamen Ausschreitungen, die Senegal seit 2021 mehrfach erlebt hat. Sie erreichte ihren Höhepunkt im Rahmen der Vergewaltigungsaffäre um den Oppositionspolitiker Ousmane Sonko[6], der als Hoffnungsträger der Jugend galt und der bei der Präsidentschaftswahl 2019 den dritten Platz belegte. Seine Unterstützer gingen für ihn auf die Straße und vermuteten ein Komplott der Regierung, um Sonko durch einen Skandal zu diskreditieren. Sonkos anschließende Inhaftierung löste schließlich die gewaltvollen Auseinandersetzungen aus, beendete seine politische Karriere aber nicht. Tatsächlich wurde Sonko in der Vergewaltigungsaffäre 2023 zu einer Haftstrafe verurteilt, die allerdings bis heute nicht offiziell vollstreckt ist. Dieses Urteil löste im Juni 2023 erneut landesweite Ausschreitungen[7] aus, die mit Toten und erheblichen Zerstörungen von Bildungseinrichtungen und staatlichen Institutionen einhergingen. Das Internet war fast eine Woche gesperrt, es gab Verhaftungen von Mitgliedern seiner Partei PASTEF und Aktivisten sowie Schließungen von Medienhäusern. Sonko stand inoffiziell mehrere Wochen unter Hausarrest. Ein weiterer Prozess wegen Diffamierung des Tourismusministers Mame Mbaye Niang[8] ging Anfang 2023 zu seinen Ungunsten aus. Das Urteil wurde Anfang 2024 rechtskräftig und schließt Ousmane Sonko damit nun definitiv von einer Präsidentschaftskandidatur aus. Derzeit sitzt er wegen einer Klage der Volksverhetzung in Untersuchungshaft. Sonko hatte wiederholt seine Anhänger dazu aufgerufen, „auf den Präsidentenpalast zu marschieren“, die Häuser der Minister anzugreifen und das Regime zu stürzen. Zudem hatte er während eines Ausgangs im Hausarrest eine Polizistin angegriffen, was ihm eine weitere Klage einbrachte. Deshalb sitzt er derzeit in Untersuchungshaft.

Mit dem Verbot und der Auflösung seiner Partei PASTEF sowie seiner ungültigen Kandidatur ist Ousmane Sonko bereits jetzt der große Verlierer dieser Wahl. Vor allem die Jugend empfindet das als Verlust ihres politischen Fürsprechers. Gleichzeitig sehen viele Senegalesen Sonko aber auch kritisch und sind sich durchaus bewusst, dass die heftigen Ausschreitungen mit seinem Kommunikationsstil und -inhalten zu tun hatten. Einige ehemalige Anhänger schreiben ihm mittlerweile politische Unreife und mangelnde Erfahrung zu. Es gibt auch Vorwürfe von Intoleranz, einer diktatorischen Autorität und Führungsschwäche aus den Reihen seiner eigenen Partei. Sonko hat als „Ersatz“ Bassirou Diomaye Faye, den ehemaligen Generalsekretär von PASTEF, als unabhängigen Kandidaten bestimmt. Dieser konnte alle Kriterien der Prüfkommission erfüllen und steht jetzt ganz offiziell auf der Kandidatenliste. Sonkos Botschaft lautet sinngemäß: „Wählt Ihr Bassirou, wählt Ihr mich.“ Allerdings sitzt Bassirou gegenwärtig ebenfalls in Untersuchungshaft. Gegen ihn liegen ähnliche Vorwürfe wie gegen Sonko vor (mit Ausnahme des Vergewaltigungsvorwurfs), er ist allerdings noch nicht verurteilt worden.

 

Wer wird der nächste Präsident?

Damit bei den Wahlen am 25. Februar alles so reibungslos wie möglich verläuft, wurde mit der Vorbereitung bereits im Mai 2023 begonnen, nämlich mit der Überprüfung der Wählerverzeichnisse. In Senegal ist der Personalausweis gleichzeitig auch die Wahlkarte. Darauf ist vermerkt, in welchem Wahlkreis bzw. Wahllokal man seine Stimme abgeben muss. Alle Bürger waren aufgerufen, diese Informationen zu überprüfen. Es gibt keine Meldepflicht bei Umzügen, weshalb bei Wahlen rege Reisebewegungen im ganzen Land zu beobachten sind. Brisant ist dieses Verfahren für Erstwähler, die in der Regel auch noch keinen Ausweis haben. Insbesondere diese Gruppe war aufgerufen, sich registrieren zu lassen und rechtzeitig die notwendigen Papiere zu beantragen.

Schon seit dem Ende der „politischen Sommerpause“ 2023 dreht sich medial alles um die zukünftigen Kandidaten. In diesem Jahr können die Senegalesen zwischen 20 unterschiedlichen Kandidatinnen und Kandidaten[9] wählen. Jeder muss mit seiner Bewerbung eine Kaution[10] in Höhe von 45.000 EURO hinterlegen. Dazu kommen persönliche Kriterien wie z.B. die senegalesische Staatsbürgerschaft (der Besitz einer doppelten Staatsbürgerschaft ist für Bewerber nicht zulässig), ein Mindestalter von 35 Jahren, französische Sprachkenntnisse sowie keine aktuellen juristischen Verurteilungen. Die Bewerbungen wurden zwischen dem 27.12.2023 und dem 20.01.2024 in zwei Prüfungen nach Losverfahren vom Verfassungsrat geprüft.

Der lebhafte öffentliche Diskurs um die Kandidaten macht deutlich, dass die Gesellschaft am Vorabend der Wahl gespalten ist. Einerseits wünschen sich viele Menschen eine Veränderung und eine neue Generation Politiker, haben aber nicht unbedingt Vertrauen in die radikale Opposition. Sie befürchten eine komplette Systemveränderung auf Kosten der bereits erreichten Errungenschaften sowie des friedlichen Zusammenlebens. Andererseits sind es vor allem junge Wählergruppen, die emotional wählen und ihre Stimmen der Opposition geben werden.

Insofern wird es Amadou Ba, der designierte Nachfolger der aktuellen Regierungskoalition Benno Bok Yakar (BBY), schwer haben, sich durchzusetzen. Dennoch besteht eine reelle Chance, dass er gewählt wird, weil die jetzige Regierung trotz aller Kritik ganz klare Erfolge bzgl. der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes für sich verbuchen kann. Ba steht für Kontinuität, die Erhaltung der sozialen Kohäsion und für Konsens. BBY verfügt auch über die entsprechenden Ressourcen, um einen harten Wahlkampf zu führen.

Es ist aber auch durchaus möglich, dass die Senegalesen ihre Stimme einem „volksnäheren“ und jüngeren Kandidaten geben werden, der für einen Gegenentwurf zum Regierungskandidaten Ba steht. El Hadj Mamadou Diao hat diesbezüglich durchaus Chancen. Er ist recht populär und setzt sich sehr für seine Gemeinde ein. Er hat politische Erfahrung und kommt aus der senegalesischen Kaderschule ESA. Er entspricht dem Bild eines Politikers, der im Dienst des Volkes steht. Mit ihm wird sowohl Kontinuität als auch die Bereitschaft verbunden, sich auf Veränderung und Reformen einzulassen, ohne dabei aber einen radikalen Bruch darzustellen.

Der Favorit der Jugend ist eindeutig Bassirou Diomaye Faye. Er steht für die Person Sonko und für dessen ehemalige Partei PASTEF. Sonko verkörpert den Typus des Antipolitikers, der als Gegenentwurf zur alten Generation von Politikern wahrgenommen wird. Er gilt als jemand, der sagt, was das Volk denkt, sich nicht von geltenden Regeln beeindrucken lässt, scheinbar keine Angst vor Konsequenzen hat und als Anführer, der dem Establishment die Stirn bietet. Die Wahl Bassirous als Ersatzmann kann durchaus auch mit politischem Kalkül verbunden sein. Sollte er an die Macht gelangen, könnte er Sonko begnadigen und ihm ein politisches Amt verschaffen. Sonko würde dann praktisch an die Macht gelangen, ohne direkt gewählt worden zu sein. Die Frage bleibt allerdings, ob so ein Schachzug juristisch so einfach umzusetzen ist.

Das aktuelle Stimmungsbild macht deutlich, dass die senegalesischen Wähler sich unsicher sind. Das kann zu knappen Wahlergebnissen führen. Auch die Anzahl der Kandidaten spricht dafür, dass es wahrscheinlich zu einem zweiten Wahlgang kommen kann.

 

Alte Herausforderungen für den neuen Regierungschef

Wer auch immer der neue Präsident Senegals wird – er wird sich vielen altbekannten Herausforderungen stellen müssen. Insbesondere wird es darum gehen, der Jugendarbeitslosigkeit und den daran geknüpften Migrationsbewegungen beizukommen. Der marode Bildungssektor bedarf größerer Reformen. Eine marktgerechte Berufsausbildung und mehr Wertschätzung für das Handwerk sind notwendig, um ein Rückgrat für den Mittelstand zu bilden und die angestrebte Industrialisierung auf den Weg zu bringen. Senegal muss darauf hinarbeiten, mehr Wertschöpfung durch Weiterverarbeitung der eigenen Ressourcen zu generieren. Aber nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch wird die Jugend, die immerhin 50% der Gesamtbevölkerung ausmacht, in Zukunft stärker eingebunden und an Entscheidungen beteiligt werden müssen.  Vorhandene Gremien müssen verjüngt werden, damit sich die Jugend auch wahrgenommen fühlt.

Im institutionellen Bereich wird es v.a. darum gehen, die Verwaltung effizienter zu gestalten, Verfahren zu verkürzen und bereits angeschobene Reformen im Bereich der Dezentralisierung und der Digitalisierung der Verwaltung („E-Territoire“) weiter voranzubringen. Auch das Gesundheitssystem bedarf Reformen, um bessere und bezahlbare Versorgungsleistungen zu ermöglichen. Lebensmittelsicherheit ist ein wichtiges Thema, denn Senegal ist stark von Importen abhängig. Auch mit Klima- und Umweltfragen wird sich Senegal in Zukunft noch stärker beschäftigen müssen, um die Ressourcen zu schonen und nachhaltiger zu nutzen, die für die eigene Versorgung wichtig sind (wie z.B. die Fischbestände).

Auch die Sicherheit wird ein wichtiges Thema bleiben. Senegal hat mit Mali im Osten und Guinea sowie Guinea-Bissau im Süden gleich mehrere instabile Nachbarn. Das Erstarken der organisierten Kriminalität in der Region könnte außerdem dazu führen, dass sich Senegal zu einem Drehkreuz für Kriminalität entwickelt, wenn nicht mit entsprechenden Maßnahmen gegengesteuert wird. Auch Tendenzen zur Radikalisierung im eigenen Land müssen sorgfältig beobachtet und effektiver bekämpft werden.

Unabhängig vom Wahlsieger ist davon auszugehen, dass Deutschland und die EU auch unter einer neuen Regierung wichtige Partner bleiben werden, vor allem auch im Kontext der oben angesprochenen Herausforderungen. Es existieren verschiedene bilaterale Abkommen und mehrjährige Projekte, die bereits verhandelt sind und v.a. Kooperationen in Bereichen wie Energie und Klima, Gesundheit oder dem Transportsektor betreffen. Vor allem Deutschland genießt nach wie vor einen guten Ruf, auch bei der Opposition.

 

Friedlicher Wahlkampf, friedliche Wahlen?

Der Wahlkampf beginnt offiziell am 04. Februar 2024 und endet am 23. Februar 2024. Im ganzen Land werden Politiker auf Stimmenfang gehen. Das geht einher mit bunten und sehr lauten Kundgebungen, die eher Volksfestcharakter haben. Man kann nur hoffen, dass „verfeindete“ politische Gruppen sich hier nicht in die Quere kommen werden. Seit Monaten arbeitet die Zivilgesellschaft schon darauf hin, Gewalt zu vermeiden, u.a. durch präventive Antigewalttrainings für Jugendorganisationen und junge Parteimitglieder. Ob es trotzdem Ausschreitungen geben wird, lässt sich aktuell nicht vorhersagen. Die letzten Monate waren trotz Aufrufen zu Kundgebungen ruhig, es scheint eine Art „Demonstrations-Müdigkeit“ eingetreten zu sein, weil jeder Aufruhr immer auch zu Stillstand und Sicherheits- und Versorgungsproblematiken für die Bevölkerung führt. Die Mehrheit der Bevölkerung will ihrem Alltag in Ruhe nachgehen - wer auch immer in der Regierung sitzt. Gleichzeitig sollte aber nicht unterschätzt werden, wie sehr den Senegalesen ihre demokratischen Werte und Institutionen am Herzen liegen und dass sie durchaus bereit sind, diese im Zweifelsfall auch zu verteidigen.

 

[1] dakaractu.com/Repression-et-detentions-arbitraires-au-Senegal-la-replique-du-ministre-Aissata-Tall-Sall-sur-le-rapport-de-Human-Rights_a243436.html

[2] fr.wikipedia.org/wiki/Aliou_Sall, https://www.jeuneafrique.com/1391747/politique/senegal-du-petrole-a-leducation-les-sept-vies-daliou-sall/

[3] fr.wikipedia.org/wiki/Macky_Sall

[4] sunu2012.sn/index-php/home/promesse-de-macky-sall.html

[5] ipar.sn/-Migration-et-emploi-des-jeunes-.html?lang=fr

[6] kas.de/de/web/senegal/publikationen/einzeltitel/-/content/kommunalwahlen-im-senegal

[7] fr.wikipedia.org/wiki/Manifestations_de_2023_au_S%C3%A9n%C3%A9gal

[8] fr.wikipedia.org/wiki/Mame_Mbaye_Niang

 

 

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Caroline Hauptmann

Caroline Hauptmann (2020)

Leiterin des Auslandsbüros Senegal

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