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Länderberichte

Slowakei ein Jahr vor Parlamentswahlen

von Grigorij Mesežnikov, Dr. Werner Böhler

Stand und Aussichten

Die innenpolitische Situation in der Slowakei scheint zu Beginn des Jahres 2015 für externe Beobachter stabil und vorhersehbar zu sein. Die grundlegenden Kenn-zahlen der Wirtschaftsentwicklung sind im Grunde genommen günstig. Zum Jahresende 2014 erreichte das BIP-Wachstum 2,4%, die zwischenjährige Inflationsrate lag im Februar 2015 sogar bei -0,5%. Die Arbeitslosenquote ist zwar ziemlich hoch, allerdings sinkt sie sukzessive – im Februar 2015 hat sie 12,6% betragen.

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Ein Jahr vor den Parlamentswahlen (sie sollten im März 2016 stattfinden) scheint die Position der Regierungspartei Smer-SD („Richtung – Soziale Demokratie“) nicht gefährdet zu sein – den letzten Meinungsforschungen der Agentur FOCUS zufolge liegt diese Partei mit ihren 35% souverän in Führung, während ihre politischen Gegner weit hinten bleiben – an der zweiten und dritten Stelle waren zwei Parteien – Sieť („Netzwerk“), die im Jahr 2014 entstanden ist und KDH („Christlich-demokratische Bewegung“) mit jeweils 11%, gefolgt neben der nationalistischen SNS („Slowakische Nationalpartei“) von sieben Parteien des Mitte-Rechtsspektrums (Most-Híd /“Brücke“/, OĽaNO / „Gewöhnliche Bürger und unabhängige Persönlichkeiten“/, SMK /“Slowakisch-ungarische Koalition“/, SaS /“Freiheit und Solidarität“/, Nova, TIP, SDKÚ-DS /“Slowakische demokratische und christliche Union-demokratische Partei“), von denen einige wörtlich ums Überleben kämpfen, da sie die für das Parlament notwendige Grenze von 5% unterschreiten.

Obwohl es auf den ersten Blick aussieht, dass die Regierung des jetzigen links-populistischen Ministerpräsidenten Robert Fico auch in der nächsten Wahlperiode fortgesetzt wird, wäre es heutzutage noch zu früh eindeutige Prognosen zu machen. Die slowakischen Wähler und Politiker haben schon öfter mit ihrem eigenartigen Sinn für unerwartete Wendungen überrascht. Im Jahr 2010 haben vier Parteien des Mitte-Rechtsspektrums (SDKÚ-DS, KDH, SaS und Most-Híd) die führende Partei Smer-SD in den Wahlen geschlagen und überraschend – den ursprünglichen Erwartungen vieler politischer Beobachter zuwider – eine konservativ-liberale Regierung mit Iveta Radičová an der Spitze gebildet. Das Kabinett von Radičová hat die Reformpolitik nach vier Jahren der links-nationalistischen Regierung von R. Fico, die selbst keine Reformen gemacht und einige Reformschritte der vorherigen Regierung von Mikuláš Dzurinda sogar aufgelöst hat, wiederhergestellt.

Eine noch größere Überraschung bereitete der von innen veranlasste Zusammenbruch der Regierung von Iveta Radičová im Herbst 2011, der zu vorzeitigen Wahlen im März 2012 führte. Die Partei Smer-SD hat in diesen Wahlen einen niederschmetternden Sieg verzeichnet, und dabei – für die Partei selbst überraschend – ein für die Bildung einer einfarbigen Regierung ausreichendes Ergebnis erreicht. Dies geschah in der Slowakei zum ersten Mal nach der Wiederherstellung der Demokratie nach dem Jahr 1989.

Die Partei Smer-SD mit Robert Fico an der Spitze hat es in der Folge darauf abgezielt Machtpositionen auf allen Etagen des politischen Systems (einschließlich der Gerichtsbarkeit) höchstmöglich zu konzentrieren. Als Höhepunkt der Machtkonsolidierung in der Partei Smer-SD sollte die Präsidentenwahl im Jahr 2014 gelten, in der der Parteivorsitzende Robert Fico den politisch loyalen, allerdings ungeschickten und unauffälligen Präsidenten Ivan Gašparovič in dessen Amt ablösen sollte. Robert Fico hat allerdings den Erwartun-gen zuwider und trotz einer massiven Wahlkampagne mit der Nutzung von Verwaltungskapazitäten des Staates ein Riesenfiasko erlebt, als er in der zweiten Wahlrunde eine Niederlage gegenüber dem unabhängigen zentralistischen Kandidaten Andrej Kiska mit einem großen Unterschied (40,6% : 59,4%) erlitten hat. Der Traum Ficos davon einen Machtmonolith mit der Perspektive seiner wiederholten Reproduktion (einer einigermaßen sanfteren Version des Putin-Regimes, das heutzutage von Viktor Orbán in Ungarn auf eine bestimmte Art und Weise modifiziert wird), ist geplatzt. Sogar mehr, der neue Präsident hat nach seinem Amtsantritt Schritte eingeleitet, die dazu führen das System der Bremsen und Gegengewichte wiederherzustellen und die Unabhängigkeit und Effizienz der Gerichtsbarkeit zu stärken. Bei der Ausübung seiner Befugnisse hat der Präsident A. Kiska angefangen die führende Position der Regierungspartei Smer-SD realistisch auszubalancieren, auch wenn er dabei versucht hat persönliche Konflikte mit dem Mi-nisterpräsidenten R. Fico zu vermeiden.

Heutzutage zweifelt keiner daran, dass die Partei Smer-SD die meisten Stimmen in den Wahlen im März 2016 erhalten wird. Es bleibt dabei allerdings fraglich, ob er eine Regierung bilden kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Partei Smer-SD erneut eine absolute Mandatsmehrheit im Parlament alleine bekommen wird, ist äußerst niedrig (es kann nur dann passieren, wenn die enttäuschten Wähler der Parteien im Mitte-Rechtsspektrum nicht zur Wahl gehen, wie es im Jahr 2012 nach dem Zusammenbruch der Regierung von I. Radičová der Fall war). Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass Smer-SD einen Koalitionspartner brauchen wird. Und es sieht so aus, dass zwei Parteien an dieser Stelle den Trumpf in der Hand haben können – SNS und KDH.

Wenn die Partei SNS nach sechs außerhalb des Parlaments verbrachten Jahren wieder ins Parlament kommt, kann sie mit der Partei Smer-SD eine Regierung mit Parlamentsmehrheit bilden. Es wird zwar für Smer-SD nicht der idealste Partner sein (deshalb wird Smer-SD versuchen KDH für die Zusammenarbeit zu gewinnen), aber sollte es nicht anders gehen, wird Smer-SD eine Regierung ruhig auch mit Nationalisten bilden – es gab bereits Erfahrungen mit dieser Partei innerhalb der Koalitionszusammenarbeit in den Jahren 2006-2010. Sollte die Partei SNS ins Parlament zurückkehren und Smer-SD nach den Wahlen Zusammenarbeit der Partei KDH anbieten (mit dem Argument, dass wenn KDH mit der Partei Smer-SD nicht regieren wird, wird Smer-SD eine Koalititon mit SNS bilden), wird für die christlichen Demokraten ein schwieriges Dilemma entstehen: die Partei Smer-SD und die radikalen Nationalisten mit vielen Korruptionsskandalen aus der Vergangenheit an die Macht lassen oder selbst mit Smer-SD regieren.

Das Angebot von Smer-SD für eine Koalitionszusammenarbeit kann allerdings auch dann kommen, wenn SNS nicht im Parlament vertreten sein wird und Smer-SD nicht genug Parlamentsmandate haben wird um eine Mehrheitsregierung zu bilden. Die Partei Smer-SD macht kein Geheimnis daraus, dass sie in diesem Fall mit den christlichen Demokraten eine Koalition bilden möchte. Und wie steht es um KDH selbst? Wird diese Partei mit Smer-SD zusammen regieren in einer Situation, wenn die Bedingungen dafür gegeben sein werden eine Koalition von mehreren Mitte-Rechtsparteien mit der Mandatsmehrheit im Parlament als eine Alternative zu Smer-SD zu bilden (wie es nach den Wahlen 2010 der Fall war), wobei die Zuneigung der Partei KDH zur Zusammenarbeit mit Smer-SD die Chancen für ihre Bildung sofort zunichtemachen würde? Die führenden KDH-Vertreter, einschließlich des Vorsitzenden Ján Figeľ, kritisieren heutzutage Smer-SD wegen der Parteipolitik hart, sie sprechen davon, dass das Ziel von KDH es ist diese Partei abzulösen und nicht ihr Regieren zu verlängern. Aber die Vorstellung eines reichlichen Angebotes von Smer-SD vor dem Hintergrund möglicher Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Koalition von mehreren kleinen Parteien kann KDH in ihren Überlegungen dazu führen das Angebot der Partei von Fico anzunehmen. Die Entscheidung wird bei KDH nicht einfach gefällt, es wird in vieler Hinsicht die weitere Entwicklung des Landes als auch die Gesamtsituation der politischen Landschaft davon abhängen, einschließlich der Kooperationsformen der Parteien rechts von der Mitte.

Für einige Mitte-Rechtsparteien wäre die einzige realistische Chance für ein gutes Wahlergebnis im März 2016 wirksame gemeinsame Strategien vor den Wahlen auszuarbeiten, die das Ausmaß an Zersplitterung des Mitte-Rechtsspektrums der politischen Landschaft mindern könnten (Koalition vor den Wahlen, gemeinsame Kandidatenlisten). Obwohl die Beziehungen unter den führenden Personen einzelner Parteien problematisch sind, auch wenn sie bis vor kurzem Mitglieder derselben Subjekte waren und ihre politischen Wege sich später getrennt haben, sprechen vernünftige Argumente dafür sich vor den Wahlen zusammenzuschließen (nicht unbedingt organisatorisch). Die Parteien haben noch Zeit dazu. Allerdings läuft die Zeit davon. Zum Jahresende 2015 sollten die Parteiführungen entscheiden wie sie weiter vorgehen werden. Die Parteivorsitzenden sprechen allerdings von einer Zusammenführung der Kräfte vor den Wahlen nicht viel, in letzter Zeit sind sogar neue Mitte-Rechtssubjekte entstanden (Partei SKOK – „Slowakische Bürgerkoalition“, die von einigen Ausgeschiedenen aus der Partei SaS gegründet wurde, Partei Šanca – „Chance“ – als Ergebnis der Spaltung innerhalb der SDKÚ-DS).

Obwohl als Hauptthemen der Wahlkampagne in der Slowakei üblicherweise Fragen, die mit der Wirtschafts- und Soziallage zusammenhängen, aufgeführt werden, scheint ein wichtiges außenpolitisches und Sicherheitsthema den Parteiwettbewerb vor den Wahlen 2016 zu beeinflussen, nämlich der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Die Slowakei als ein EU-Mitgliedstaat hält sich streng an der gemeinsamen europäischen Einstellung – sie unterstützt die Ukraine und hält die Sanktionen gegen Russland ein. Der Präsident Andrej Kiska nimmt eine klare proukrainische Position ein und befürwortet eine stärkere Zusammenarbeit der Länder im Westen (insbesondere NATO) im Hinblick auf die Gefahr aus Russland. Darin ist seine Position mit der des Außenministers Miroslav Lajčák identisch. Einige Aussagen des Ministerpräsidenten R. Fico wecken allerdings Zweifel an der Stärke der Solidarität der Slowakei mit der Ukraine, und der Einheit der SR mit den EU- und NATO-Verbündeten. Der Ministerpräsident bezeichnet den russisch-ukrainischen Krieg als einen Konflikt zwischen Russland und dem Westen (insbesondere den USA), er spricht vom Bedarf die Sanktionen gegen Russland zu mildern oder aufzulösen, er lehnt es ab NATO-Militäreinheiten auf dem Gebiet der SR zu platzieren (obwohl die slowakische Regierung von der NATO bisher darum nicht ersucht wurde).

Der Ministerpräsident spielt damit den NATO-Gegnern in der Slowakei objektiv zu, die mit der Unterstützung der prorussischen Internetserver und Vereine eine Kampagne für den NATO-Austritt der Slowakei gestartet haben. Diese Kampagne hat dazu geführt, dass eine bizarre Allianz entstanden ist, die die Vertreter der stalinistischen KSS außerhalb des Parlaments, der ethnischen Nationalisten der Partei SNS, der ehemaligen KDH-Vorsitzenden Ján Čarnogurský und Vladimír Palko, Vertreter der rechtsradikalen und extremistischen Verbände, Befürworter der Konspirationstheorien rund um die obskure Zeitschrift Zem a Vek (“Erde und Alter“) und Befürworter des Putin-Projektes „Novorossija“ zusammengeführt hat.

Es sieht so aus, dass die politischen Parteien in der Slowakei vor den Wahlen klar zum Ausdruck bringen müssen, wie sie sich die Zukunft des Landes vor dem Hintergrund der neuesten Ereignisse im Osten Europas vorstellen. Es ist offensichtlich, dass auch in außenpolitischen Fragen die Stellungnahmen der Mitte-Rechtsparteien überzeugender wirken werden, wenn sie gemeinsam und konsequent gegen die Allianz der NATO-Gegner und der passiven opportunistischen Partei Smer-SD auftreten werden.

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