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Regierungswechsel in Spanien

von Dr. Wilhelm Hofmeister

Gekommen um zu bleiben

Am 1. Juni ist Pedro Sánchez, der Generalsekretär der Sozialistischen Partei PSOE, durch ein konstruktives Misstrauensvotum zum neuen Ministerpräsidenten Spaniens gewählt worden. Obwohl er nicht über viel politische Gestaltungskraft verfügt, weil die Sozialisten mit 84 von 350 Sitzen nur ein knappes Viertel der Mandate im Parlament besitzen und Sánchez keine andere Partei in seine Regierung aufnahm, richtet er sich auf eine längere Zeit im Amt ein – auch über die nächsten vorgezogenen Wahlen hinaus, die wahrscheinlich im nächsten Jahr stattfinden werden.

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Spaniens Ministerpräsident neuer Pedro Sánchez gibt sein Kabinett bekannt, 6. Juni 2018. | © Spanische Regierung / Flickr / CC BY-NC-ND 2.0 © Spanische Regierung / Flickr / CC BY-NC-ND 2.0
Spaniens Ministerpräsident neuer Pedro Sánchez gibt sein Kabinett bekannt, 6. Juni 2018. | © Spanische Regierung / Flickr / CC BY-NC-ND 2.0

Der abgewählte Ministerpräsident Mariano Rajoy trat auch vom Vorsitz der Volkspartei (PP) zurück, die einer ungewissen Zukunft entgegenblickt.

Pedro Sánchez hat sein Ziel erreicht und nicht die Absicht, so schnell wieder aus der Moncloa auszuziehen, dem Regierungspalast in Madrid. Mit 180 der 350 Stimmen der Abgeordnetenkammer wurde er am 1. Juni 2018 im Rahmen eines konstruktiven Misstrauensvotums zum neuen spanischen Ministerpräsidenten gewählt. Sánchez hatte das Misstrauensvotum angeregt, nachdem die Urteile gegen ehemalige Führungsmitglieder der PP in einem lange zurückliegenden Korruptionsfall veröffentlicht wurden und das Gericht dabei auch die Glaubwürdigkeit von Ministerpräsident Rajoy, der als Zeuge in dem Prozess ausgesagt hatte, in Zweifel zog. Nun erhielt Sánchez am 1. Juni neben den Stimmen seiner eigenen Partei PSOE (84) auch die Stimmen der linkspopulistischen Partei Podemos (67) und deren regionalem Ableger Compromís in Valencia (4), der beiden katalanischen nationalistischen Parteien ERC (9) und PDeCat (8), der beiden baskischen nationalistischen Parteien PNV (5) und EH Bildu (2) sowie der Coalición Canaria (1). Entschieden hat die Wahl am Ende die Baskische Nationalpartei PNV mit ihren fünf Stimmen. In der Woche vor dem Misstrauensvotum hatten sie noch mit Rajoys PP und der Ciudadanos-Partei den Staatshaushalt verabschiedet, nachdem ihnen wie im Vorjahr erneut viele Zugeständnisse gemacht wurden. Nun stimmten sie gegen Rajoy und für Pedro Sánchez, nachdem der den Basken versprach, den Staatshaushalt wie verabschiedet anzuerkennen und umzusetzen. Sánchez selbst und die Parlamentarier der PSOE sowie alle anderen Parteien, die nun für ihn stimmten, hatten in der Woche davor den Haushaltsentwurf scharf kritisiert und abgelehnt. Beim Misstrauensvotum ging es somit weniger um politische Prinzipien als um die Gelegenheit eines Machtwechsels. Ob sich die Basken mit ihrem Seitenwechsel tatsächlich einen Vorteil verschafften, wird die Zukunft zeigen. Auf jeden Fall hat Sánchez nicht nur Wendigkeit hinsichtlich seiner politischen Positionen, sondern auch Verhandlungsgeschick bewiesen. Und das notwendige Quäntchen Glück hatte er auch auf seiner Seite.

Geholfen hat Sánchez neben der eigenen Chuzpe, ein konstruktives Misstrauensvotum in Gang zu setzen, obwohl er sich keiner parlamentarischen Mehrheit sicher sein konnte, dass alle Oppositionsparteien über alle widerstreitenden Parteiinteressen hinweg eine tiefe Abneigung gegen Rajoy einigte. Zudem hat der selbst seinem Herausforderer den Weg geebnet, indem er sich weigerte zurückzutreten, womit das Misstrauensvotum gestoppt worden wäre. Doch daraus sehr wahrscheinlich folgende vorgezogene Neuwahlen fürchteten Rajoy und die PP angesichts des eigenen Tiefs in den Meinungsumfragen und den Vorteilen für die Ciudadanos-Partei. Rajoy hat zwar noch versucht, Sánchez die Zeit für Verhandlungen mit den übrigen Parteien im Parlament zu beschneiden, indem er darauf hinwirkte, dass die Debatte und die Abstimmung über das Misstrauensvotum möglichst kurzfristig angesetzt wurden. Doch der Zeitdruck nutzte am Ende nur Sánchez, weil seine Wähler sonstige Differenzen zurückstellten, um zuerst Rajoy zu stürzen.

Die neue Regierung: gekommen um zu bleiben

Auf den ersten Blick führt Ministerpräsident Sánchez eine schwache Minderheitsregierung. Das ist auch der Tenor der ersten Kommentare zahlreicher Medien und Beobachter in Spanien. Die PSOE hat nur 84 Mandate in der Abgeordnetenkammer und Sánchez hat es abgelehnt, andere Parteien an seiner Regierung zu beteiligen. Etliche Kommentatoren haben deshalb baldige Neuwahlen angeregt oder sogar gefordert, um der neuen Regierung eine breitere Legitimitätsbasis zu verschaffen. Doch Sánchez hat nur sehr vage Neuwahlen vor dem eigentlichen Termin Mitte 2020 in Aussicht gestellt. Er will so lange im Amt bleiben wie möglich, um damit die Ausgangslage für sich und seine Partei zu verbessern. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ihm das gelingt. Zwar verfügt er aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Parlament über keine eigene Gestaltungsmacht. Doch stürzen kann ihn praktisch keiner. Nur er selbst kann als Ministerpräsident vorgezogene Neuwahlen veranlassen. Selbst bei einer neuen Abstimmung des Staatshaushalt in der Abgeordnetenkammer aufgrund einiger Änderungen, die die PP im Senat einbringen will, ist damit zu rechnen, dass der Haushalt am 1. Juli in Kraft tritt; denn ein Boykott fiele auf seine Urheber zurück. So wird Sánchez alles daran setzen, um auf der Grundlage der insgesamt positiven wirtschaftlichen Lage Sympathien für sich und seine Partei zu sammeln.

Eine Woche nach seiner Wahl stellte Pedro Sánchez seine neue Regierung vor. Er hat damit zwei Signale verknüpft: Reformwille und Verlässlichkeit. Nachdem ihm in der Vergangenheit neben dem Mangel an Erfahrung auch ein Mangel an klaren Konzepten und Positionen vorgeworfen wurde, scheint er nun mit der Regierungsbildung ein Konzept zu verfolgen, das sozialdemokratische Reformansprüche mit der Zusicherung von Berechenbarkeit und Verlässlichkeit nach innen und außen verknüpft. Dass 11 der 17 Kabinettsmitglieder Frauen sind und dass die stellvertretende Ministerpräsidentin Carmen Calvo gleichzeitig das wieder geschaffene Ressort für Gleichstellung übernimmt, ist Signal für einen neuen Aufbruch. Die Ernennung von Josep Borrell zum Außenminister, der 2004-07 Präsident des Europäischen Parlaments und 1991-96 Minister unter Felipe González war, sowie die Berufung der parteilosen Nadia Calviño zur Wirtschaftsministerin, die bisher in der EU-Kommission Generaldirektorin für den EU-Haushalt war, setzt ein deutliches Zeichen gegenüber der einheimischen Wirtschaft und den europäischen Partnern, dass der neue Regierungschef, wie er selbst auch versicherte, alle europäischen Verpflichtungen Spaniens einhalten will, darunter auch diejenigen zum weiteren Schuldenabbau und zur Haushaltskonsolidierung. Die spanische Wirtschaft hat vertrauensvoll auf dieses Signal reagiert. Nachdem der Aktienindex IBEX35 unmittelbar nach der Wahl von Sánchez mehr als 5% verlor (auch unter dem Eindruck der gleichzeitigen Krise in Italien), gab es nach Bekanntwerden der Kabinettsliste wieder eine leichte Aufwärtsbewegung.

Auch hinsichtlich des schwierigsten innenpolitischen Themas in Spanien hat Sánchez ein Signal gesetzt. Er hat zwei prominente Katalanen in sein Kabinett aufgenommen: Meritxell Batet, als neue Ministerin für Territorialpolitik und Öffentliche Verwaltung, und eben Josep Borrell, der sich in den letzten Monaten als prominenter Gegner der Unabhängigkeitsbestrebungen profilierte und nun als Außenminister auch für eine bessere Kommunikation der spanischen Regierungspositionen nach außen sorgen soll.

Ein wichtiger Hinweis für die eigene Partei war die Ernennung von María Jesús Montero zur neuen Finanzministerin. Sie war bisher Regionalministerin in Andalusien und ist eine enge Vertraute der wichtigsten innerparteilichen Gegnerin von Sánchez, der andalusischen Regionalpräsidentin und PSOE-Regionalvorsitzenden Susana Díaz. Sánchez gab damit zu verstehen, dass er die bisherigen innerparteilichen Gegensätze überwinden will, nicht zuletzt um die nächsten Wahlen mit Geschlossenheit zu führen.

Zu seinem Kabinettchef hat er mit Iván Redondo einen politischen „spin doctor“ ernannt, der nicht der PSOE angehört und auch schon als Berater für einen PP-Regionalpräsidenten in Extremadura arbeitete, zuletzt aber enger Strategieberater von Sánchez war. Das ist ein klarer Hinweis dafür, dass es dem neuen Ministerpräsidenten in erster Linie um die Vorbereitung der nächsten Wahlen geht.

Eine Ernennung aber hat selbst bei manchen wohlwollenden Kommentatoren Stirnrunzeln hervorgerufen: der neue Minister für Kultur und Sport, Màxim Huerta, hat als Journalist und Autor zwar bereits mehrere Bücher geschrieben, doch nach eigener Aussage nicht das geringste Interesse an Fußball!

Politikfelder

Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Abgeordnetenhaus ist der tatsächliche politische Gestaltungsspielraum des neuen Ministerpräsidenten gering. Zudem werden alle Parteien darum bemüht sein, ihm wenig Möglichkeiten einer eigenen Profilierung zu bieten, um seine Chancen bei Wahlen möglichst einzuschränken. Es bleibt auch abzuwarten, ob und wie der Haushalt für 2018 letztlich verabschiedet wird. Wegen der Änderungen des Haushaltsentwurfs durch die Volkspartei im Senat muss die Abgeordnetenkammer erneut darüber abstimmen und dann könnten auch Podemos und die nationalistischen Parteien weitere Änderungen verlangen. Doch eine Mehrheit für substantielle Änderungen ist nicht wahrscheinlich. Die Baskische Nationalpartei wird wegen der neuen Vorschläge der PP nur wenige ihrer mit Rajoy verhandelten Zugeständnisse verlieren.

Unabhängig von der Verabschiedung des Haushalts gibt es etliche Politikfelder, in denen die neue Regierung aktiv werden wird, um sich angesichts künftiger Wahlen zu profilieren. Im Folgenden werden einige dieser Politikfelder kurz skizziert.

Sozialpolitik: Es ist damit zu rechnen, dass die neue Regierung schon bald erste sozialpolitische Initiativen ergreift, die vor allem darauf abzielen, junge und ehemalige Wähler, die zuletzt für Podemos stimmten, für die PSOE zurückzugewinnen. Gleicher Lohn für Alle, die Bekämpfung der Diskriminierung am Arbeitsplatz, die Ausweitung des Mutterschutzes und Korrekturen an der Arbeitsmarkt- und Gesundheitsreform der PP-Regierung, u.a. die Verbesserung der Grundversorgung für Personen ohne Sozialversicherung und die Verbesserung der prekären Arbeitsverhältnisse im Niedriglohnbereich, von denen insbesondere Jugendliche betroffen sind, besitzen obere Priorität.

Katalonien: Das schwierigste innenpolitische Thema bleibt der Umgang mit den Separatisten in Katalonien. Pedro Sánchez und die PSOE haben in den letzten Monaten deutlich gemacht, dass sie eine Unabhängigkeit Kataloniens ablehnen; Sánchez hat die Intervention und Absetzung der früheren Regionalregierung durch seinen Vorgänger Rajoy unterstützt und hatte mit ihm auch vereinbart, dass die Intervention erneuert werden soll, falls die neue Regionalregierung unter Quim Torra gegen die Verfassung und die Gesetze verstoßen würde. Nun ist zu erwarten, dass Sánchez nach einer politischen Lösung des Konflikts sucht. Am 1. Juni hat Torra darauf verzichtet, inhaftierte und ins Ausland geflohene ehemalige Regierungsmitglieder in sein Kabinett zu holen. Damit entfiel der Anlass für die Verlängerung der Intervention, die daraufhin aufgehoben wurde. Sánchez hat aber bereits weitere Zeichen gesetzt. Er hat mit Torra telefoniert und will sich demnächst mit ihm treffen. Bereits beschlossen wurde auch eine Lockerung der Ausgabenkontrolle der Regierung in Katalonien. Das ist ein großes Zugeständnis gegenüber der Regionalregierung, die nun wiederum nach Belieben schalten und walten kann – und gewiss wie in der Vergangenheit ihre Mittel einsetzen wird, um die Unabhängigkeit vorzubereiten. Möglicherweise war das eines der Zugeständnisse von Sánchez an die nationalistischen Parteien Kataloniens für ihre Stimmen beim Misstrauensvotum. Die neue Territorialministerin Batet hat zudem in Aussicht gestellt, über einen Gesetzgebungsprozess einen Teil der vom Verfassungsgericht vor acht Jahren kassierten Artikel des neuen Autonomiestatuts in Kraft setzen zu wollen. Das führte zwar sogleich zu energischem Widerspruch des Vorsitzenden der Ciudadanos-Partei, Albert Rivera, und etlicher Kommentatoren, die auf die juristischen und politischen Probleme eines solchen Vorgehens hinwiesen. Doch gegenüber den katalanischen Separatisten sind das deutliche Signale im Hinblick auf die Gesprächs- und Verhandlungsbereitschaft der neuen Regierung. Eine wichtige Repräsentantin der katalanischen Nationalisten, die Koordinatorin der Partei PDeCAT, Marta Pascal, signalisierte bereits, dass zumindest ihre Partei die Unabhängigkeit künftig weniger konfliktiv betreiben wolle. All das deutet darauf hin, dass der Konflikt der letzten Monate etwas an Schärfe verliert. Freilich ist nicht damit zu rechnen, dass die Separatisten deshalb ihr Ziel der staatlichen Unabhängigkeit aufgeben werden. Sánchez wird wissen, dass man im übrigen Teil Spaniens – und auch innerhalb der Sozialistischen Partei – genau darauf achtet, zu welchen Zugeständnissen gegenüber den Separatisten er bereit ist. Das wird entscheidenden Einfluss auf seine Wahlchancen haben.

Territorialpolitik: Nicht nur mit Katalonien, sondern auch mit anderen Autonomen Gemeinschaften war das Verhältnis der Zentralregierung zuletzt stark belastet. Der Dialog war auch deshalb schwierig, weil die PP nur noch in fünf der 17 Autonomen Gemeinschaften regiert. Die wichtigsten Themen sind die Finanzierung der Autonomien und das System des Finanzausgleichs. Es ist nun nicht zu erwarten, dass bis zum Ende der Legislaturperiode wichtige Entscheidungen im Hinblick auf diese Themen getroffen werden. Doch der Beginn einer Reformdebatte zeichnet sich ab. Die neue Finanzministerin aus Andalusien hat in der Vergangenheit geäußert, dass sie die Privilegien des Baskenlandes nicht befürwortet. Mit einer beginnenden Debatte um einer Reform der Finanzierung der Autonomen Gemeinschaften kann die Regierung an Profil gewinnen, wobei sie eine Enttäuschung der Basken sicherlich in Kauf nehmen wird, weil diese Region für die PSOE wahlpolitisch nicht besonders relevant ist. Die neuen Autonomiebestrebungen im Baskenland werden die neue Regierung kurzfristig nicht vor zusätzliche Probleme stellen. Doch mittel- und langfristig braut sich hier ein neuer Konflikt zusammen.

Haushalt und Finanzen: Kurzfristig noch wichtiger als die Reform des territorialen Finanzausgleichs ist die Einhaltung des Ausgabenlimits in Übereinstimmung mit den europäischen Vereinbarungen und Verpflichtungen Spaniens. Die Regierung Rajoy hat auf Druck der Baskischen Nationalpartei eine höhere Rentenanpassung vorgesehen als im ursprünglichen Haushaltsentwurf geplant, wodurch sich die Belastungen des Staates erhöhen. Die mit der EU vereinbarte Neuverschuldungsquote für 2018 von 2,2% des Staatshaushalts war damit nicht zu halten und wurde dann auf 2,7% projiziert, was noch unter dem Grenzwert des Stabilitätspaktes bliebe. Mit neuen Steuern für die Technologieunternehmen Facebook, Google, Apple und Amazon, die im laufenden und kommenden Jahr mehr als 2. Mrd Euro erlösen sollten, wollte man die Belastungen ausgleichen. Die Steuern sind aber noch nicht entschieden. Für 2019 hat sich die Regierung Rajoy gegenüber der EU sogar auf ein Haushaltsdefizit von 1,3% verpflichtet. Das wird auf keinen Fall einzuhalten sein. Es bleibt nun abzuwarten, ob und welche neuen Steuern und zusätzlichen Einnahmen die Regierung Sánchez mobilisieren kann. Das neue Ausgabenlimit müsste bis Ende Juni entschieden sein, damit es für künftige Haushaltsplanungen gilt. Es bleibt ungewiss, ob die Regierung das einha lten kann und auch im Parlament Unterstützung für neue Steuerpläne und überhaupt einen neuen Haushaltsplan findet.

Europa: Auf jeden Fall will die Regierung ihre europäischen Verpflichtungen einhalten. Das hat Pedro Sánchez bereits in seiner Bewerbungsrede vor dem Parlament betont und danach wiederholt. Der neue Ministerpräsident hat bisher keine sehr kohärente Position in europäischen Fragen bewiesen. Im letzten Jahr beispielsweise veranlasste er ein Votum der sozialistischen Fraktion in der Abgeordnetenkammer gegen das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada, obwohl die PSOE-Vertreter im Europäischen Parlament dafür gestimmt hatten. Zu den Reformüberlegungen der EU oder auch den Vorschlägen des französischen Präsidenten Macron hat Sánchez, soweit erkennbar, keine eigenen Positionen beschrieben. Allerdings ist nun davon auszugehen, dass er eher die Pläne Macrons unterstützt, wo diese auf höhere Transfers innerhalb der EU abzielen. In der Vergangenheit hatte sich Sánchez wiederholt sehr kritisch gegenüber den vermeintlichen „Spardiktaten“ aus Deutschland geäußert und die Bundesregierung für ihre Positionen im Rahmen der EU-Rettungsprogramme gegenüber den Krisenländern in Südeuropa geschmäht. Nun hat Sánchez eine erste Gelegenheit genutzt, um sich als vorbildlicher Europäer zu präsentieren, als er anbot, das Schiff „Aquarius“ mit 629 Flüchtlingen an Bord, das von der italienischen Regierung abgewiesen wurde, könne den Hafen von Valencia anlaufen. Das hat ihm die einhellige Unterstützung der linken Parteien, vor allem auch der linkspopulistischen Stadtregierungen in Valencia, Madrid und Barcelona eingebracht, sodass die humanitäre Geste auch ein wahlpolitisches Ziel der PSOE bedient, nämlich die Zurückgewinnung von verlorenen Stimmen an Podemos und die Linkspopulisten. Auch die Regierung Sánchez aber wird angesichts des wachsenden Flüchtlingsdrucks auf Spanien solche humanitären Gesten nicht ständig zeigen können oder wollen. Zudem bieten die linken Stadtregierungen den Flüchtlingen in der Regel nicht mehr als Rhetorik und nur äußerst geringe Geld- und Sachleistungen, sodass die meisten Ankömmlinge Spanien bald in Richtung Norden verlassen. Die neue spanische Regierung wird daher gewiss substantielle finanzielle Leistungen ihrer Partner mit der Reform des gemeinsamen europäischen Grenzregiments erwarten.

Die Volkspartei vor einem schwierigen Erneuerungsprozess

Mariano Rajoy war seit 2004 Vorsitzender der Partido Popular. Nach seiner Abwahl als Ministerpräsident hat er den Parteivorsitz abgegeben, verzichtete aber ausdrücklich darauf, einen Nachfolger zu empfehlen. Damit sind die Diskussion und auch der parteiinterne Kampf um den Vorsitz und die Kontrolle der Volkspartei entbrannt. Der neue Vorsitzenden soll auf einem Parteikonvent am 20. und 21. Juli gewählt werden. Es werden dann nicht Einzelkandidaten zur Wahl stehen, sondern Wahllisten, und die siegreiche Liste wird dann den gesamten Parteiapparat übernehmen. Das trägt zwar zur ehernen Geschlossenheit der Parteiführung bei, schränkt jedoch durch den Ausschluss von abweichenden Meinungen die innerparteiliche Diskussion sehr ein. Einige Parteimitglieder würden während des Konvents zwar gerne auch über das Programm oder die Neuausrichtung der Partei diskutieren, um ihr Profil zu stärken. Doch Rajoy und die Mehrheit des Parteivorstand haben das abgelehnt, um innerparteiliche Konflikte zu vermeiden, die die Wahlaussichten der PP bei den Kommunal- und Europawahlen im Mai nächsten Jahres zusätzlich belasten würden.

Ohnehin hoffen viele in der Partei, dass die Vorstandswahl ohne tiefere Zerwürfnisse enden wird. Aussichtsreichste Anwärter, die aber alle ihre Kandidatur noch nicht erklärten, sind die langjährige Generalsekretärin der PP María Dolores de Cospedal, die zuletzt gleichzeitig auch Verteidigungsministerin war, die bisherige stellvertretende Ministerpräsidentin Soraya Sáenz de Santamaría sowie der Regionalpräsident von Galizien Alberto Núñez Feijóo. Feijóo gilt als aussichtsreichster Kandidat. Er ist unbelastet von den Vorgängen der Vergangenheit, die das Bild der PP in der Öffentlichkeit beeinträchtigen. In Galizien hat er im letzten Jahr erneut eine absolute Mehrheit gewonnen. Allerdings ist es schwierig, aus Santiago de Campostella, der Haupstadt Galiziens, die Partei zu führen. Bei einem Umzug nach Madrid müsste er sein Amt als Regionalpräsident aufgeben, ohne dass er sich im nationalen Parlament als Oppositionsführer profilieren könnte. Zudem ist es keineswegs sicher, dass er eine nationale Wahl gewinnen würde. Frau Cospedal hat den Vorteil, dass sie zumindest bis zum Parteikonvent unmittelbaren Zugriff auf den Parteiapparat hat. Doch die Verfehlungen von Parteimitgliedern in der Vergangenheit belasten auch ihr Image, obwohl ihr persönlich keine illegalen Haltungen vorgeworfen werden. Frau Sáenz de Santamaría gilt als beliebt bei vielen Mitgliedern der Parteibasis, doch ist sie jetzt nur noch einfache Abgeordnete und gehört nicht mehr dem Parteivorstand an, was ihre Möglichkeiten eine parteiinterne Kampagne einschränkt.

Der oder die neue Vorsitzende muss die Volkspartei bis zu den Kommunal- und Europawahlen im nächsten Jahr neu profilieren. Das wird deshalb eine große Herausforderung, weil die PP gegen drei Gegner gleichzeitig antritt: die neue Regierung, die Ciudadanos-Partei, die seit Monaten mit einer konservativen Ausrichtung viele Anhänger unter früheren PP-Wählern gewinnt, und nicht zuletzt auch das angeschlagene Ansehen der Partei aufgrund etlicher Korruptionsprozesse. Die Urteilsverkündung in einem dieser Prozesse war der Anlass für das konstruktive Misstrauensvotum gegen Mariano Rajoy. In den nächsten Monaten wird die Verkündung weiterer Urteile in anderen Prozessen erwartet. Das wird das Image der PP anhaltend stark belasten. Die Kommunal- und Europawahlen, die auf jeden Fall im Frühjahr stattfinden, werden eine große Herausforderung für die PP sein. Vorgezogene Neuwahlen muss die Partei aus der augenblicklichen Perspektive eher fürchten als herbeisehnen.

Vorbereitung von Wahlen

Ministerpräsident Sánchez hat vorgezogene Wahlen in Aussicht gestellt, doch bleibt offen, wann diese stattfinden werden. Er wird auf einen günstigen Moment warten und bis dann versuchen, sich selbst und seiner Partei ein Profil als verlässliche Reformer zu geben. Allein die wenigen skizzierten Politikbereiche deuten an, dass die neue spanische Regierung in den nächsten Monaten wohl nicht viele konkrete Projekte umsetzen kann. Ihre Maßnahmen werden sich auf symbolische Handlungen beschränken, die eher Bereitschaft zu Veränderungen und Reformen ausdrücken als tatsächliche Regierungskompetenz. Sofern er, vor allem im Hinblick auf Katalonien, keine größeren Fehler begeht, könnte Sánchez aber von zwei Faktoren profitieren: einerseits der Auseinandersetzung zwischen der Volkspartei und Ciudadanos um die Führung der Opposition, die am Ende beiden mehr schaden kann als der Regierung. Andererseits findet sich Sánchez in einer ähnlichen Situation wie sein Kollege Costa in Portugal. Nachdem die Regierung Rajoy die unpopulären Maßnahmen zur Überwindung der Wirtschaftskrise getroffen hat, Spaniens Wirtschaft wächst und der Haushalt einige zusätzliche Sozialleistungen erlaubt, kann er die Früchte dieser Anstrengungen einsammeln, auch wenn er zu deren Ertrag nichts beigetragen und alle Maßnahmen, die zu der insgesamt günstigen Wirtschaftslage führten, bisher bekämpft hat.

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24. Mai 2018
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