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Der Beginn der Destabilisierung der Sozialdemokraten
Der Anfang vom Ende der PSD-Regierungszeit, die im April 2002 hoffnungsvoll begonnen hatte, bildete die Ernennung von José Manuel Durão Barroso zum Präsidenten der Europäischen Kommission im Juli 2004. Damit ließ Barroso, welcher im Jahre 2002 mit nur 46 Jahren zum damals jüngsten Regierungschef Portugals gewählt worden war und als groβer Hoffnungsträger galt, nach nur der Hälfte der Legislaturperiode ein Land zurück, von dem viele Beobachter der politischen Szene Portugals sagten, es stecke in der tiefsten Krise seit dem Ende der Diktatur im Jahr 1974.
Wurde von vielen, insbesondere von den linksgerichteten Parteien, angesichts des Weggangs Barrosos die Ausrufung von Neuwahlen erwartet, machte Präsident Sampaio diese Hoffnungen mit der Vereidigung des bisherigen Bürgermeisters von Lissabon, Pedro Santana Lopes, zum neuen Ministerpräsidenten Portugals vorerst zunichte. Mit der Ernennung eines Kandidaten des liberal-konservativen PSD zum Ministerpräsidenten zog Präsident Sampaio, der den Sozialisten angehört, heftige Kritik aus dem eigenen Lager auf sich. Dabei hätte der in der portugiesischen Verfassung mit starken Befugnissen ausgestattete Präsident (Art. 133 der portugiesischen Verfassung) auch Neuwahlen anordnen können. Die Sozialisten aus den eigenen Reihen des Präsidenten kritisierten die Entscheidungen des Präsidenten und waren so verärgert, dass noch am Tag der Vereidigung der neuen Regierung Santana Lopes der damalige Vorsitzende der Sozialistischen Partei (PS), Eduardo Ferro Rodrigues, sein Amt aus Protest niederlegte.
Präsident Sampaio hingegen bezog sich auf seine demokratischen Verantwortung und begründete seine Haltung damit, dass Neuwahlen zu keinen klaren Ergebnissen führen würden und Kontinuität sowie politische Stabilität angesichts der gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes oberste Priorität hätten. Daher habe er die Regierungsverantwortung in den Händen der Koalition des liberal-konservativen PSD und dem rechts-konservativen CDS-PP gelassen, zumal die Regierung aufgrund der 2002 gewonnenen Parlamentsmehrheit nach wie vor demokratisch legitimiert sei. Gleichzeitig rief er Santana Lopes dazu auf, die Regierung mit Besonnenheit zu führen und die auf Stabilisierung bedachte Haushaltspolitik Barrosos sowie die Konsolidierung der Staatsfinanzen fortzuführen. Steuersenkungen und eine Erhöhung der Staatsausgaben seien ausgeschlossen. Schon damals wurde die Tatsache, dass Sampaio dem neuen Regierungschef Santana Lopes so klare Richtlinien für sein Regierungshandeln mit auf den Weg gab, von Kennern der politischen Szene Portugals als Warnsignal des Staatspräsidenten an die Adresse des PSD interpretiert.
Im Rückblick liegt der Verdacht nahe, dass die Vereidigung von Pedro Santana Lopes durchaus politisches Kalkül von Staatspräsident Sampaio gewesen sein mag. Aufgrund seiner bisherigen Karriere u.a. mit Stationen als Bürgermeister in Lissabon und in Figueira da Foz, wo Santana Lopes öffentliche Gelder für Prestigeprojekte verschleuderte, galt Santana Lopes als Populist und schlechter Haushälter. Wegen des ihm nachgesagten unsteten Lebenswandels sowie seines Rufes als Frauenheld war Santana Lopes gern gesehener Gast in jeder Talkshow und Star der portugiesischen Regenbogenpresse. Vor diesem Hintergrund wurde Santana Lopes, der wohl als „Berlusconi Portugals“ in die Geschichte der Landes eingehen wird, die Lösung der Probleme Portugals allgemein nicht zugetraut. Selbst in der eigenen Partei war Santana Lopes alles andere als unumstritten.
Die Sozialistische Partei hätte eine Wahl im Juli 2004 kaum gewinnen können, mangelte es doch an einem geeigneten Gegenkandidaten zu Lopes, welcher als „Kronprinz“ Barrosos auch dessen gewichtige Unterstützung fand. Ihr Vorsitzender Ferro Rodrigues war innerparteilich umstritten, die Partei selbst in innere Rivalitäten und Machtkämpfe verwickelt. Vor diesem Hintergrund gilt es als wahrscheinlich, dass Sampaio einen günstigeren Zeitpunkt für Neuwahlen abwarten wollte, bis sich der PS unter seinem neuen Vorsitzenden, José Sócrates, gefestigt und zu neuer Geschlossenheit zurückgefunden hatte. Die zweifelhafte Rolle des Präsidenten bei der Auflösung des Parlaments hat der Glaubwürdigkeit Sampaios geschadet. Das Amt des Präsidenten - auch wenn nicht öffentlich debattiert - ist beschädigt worden. Nicht zuletzt deswegen wird über die BeschneidungKompetenzen des Präsidenten im Rahmen einer Verfassungsänderung nachgedacht.
Die unglückliche Hand des Santana Lopes
Die knapp viermonatige Regierungszeit von Santana Lopes stand im Zeichen eines stetig zunehmenden Vertrauensverlustes gegenüber der Regierung infolge beinahe wöchentlich auftretender Skandale. Schon nach der Bekanntgabe des Kabinetts wurde selbiges von der bekannten portugiesischen Tageszeitung Publico als „bunter Salat“ bezeichnet. Im Nachhinein betrachtet hatte diese Bezeichnung hinsichtlich der vielen Kabinettsumstrukturierungen durchaus Berechtigung. Des weiteren wurden auch wegen der personellen Neubesetzungen starke Zweifel geäußert, da diese im Ruf standen, nicht aufgrund politischer Eignung, sondern persönlicher Beziehungen erfolgt zu sein. Erstmals zeigte sich die Handlungsunfähigkeit der jungen Regierungsmannschaft in der Tatsache, dass sie nicht imstande war, den Schulen fristgerecht Lehrer zuzuordnen, infolgedessen der Schulstart um einen Monat verschoben werden musste. In der weiteren Zeit gerieten dann die Haushalts- und Medienpolitik in die öffentliche Kritik. So musste sich Santana Lopes vorwerfen lassen, von der angekündigten Weiterführung des Sparkurses von Barroso abgewichen zu sein. Trotz anders lautender Zusagen bei seinem Amtsantritt, hatte Santana Lopes – seinem Hang zu populistischen Maßnahmen folgend – Steuersenkungen und Rentenerhöhungen sowie überdurchschnittliche Gehaltserhöhungen für die Beamten angekündigt. Alle Finanzexperten des Landes sowie sein eigener Finanzminister zeigten sich entsetzt, waren doch die Maßnahmen in keiner Weise finanzierbar. Ferner mischte sich die Regierung in die Medienpolitik ein, nachdem der private Fernsehsender TV1 regierungsfeindliche Aussagen gesendet hatte. Der Rücktritt des Verantwortlichen kurz darauf löste einen öffentlichen Proteststurm aus. Der Regierung wurde vorgeworfen, die Medienfreiheit per Zensur einzuschränken.
Für weiteres Aufsehen sorgte der Rücktritt von Sport- und Jugendminister, Henrique Chaves. Dieser galt eigentlich als enger Vertrauter und Freund von Santana Lopes, welchen er bei seinem Rücktritt jedoch als „unaufrichtig“ bezeichnete. Angesichts solcher Vorfälle, der schlechten wirtschaftlichen und finanziellen Lage im Land sowie katastrophaler Umfrageergebnissen, in denen 55 Prozent der Portugiesen die Amtsführung als schlecht oder sehr schlecht beurteilten, entschied sich Staatspräsident Sampaio Anfang Dezember zur Auflösung des Parlaments und vorgezogenen Neuwahlen. In seiner Begründung betonte er unter anderem, dass die zur Lösung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme notwendige Stabilität im Lande durch die Regierung Santana Lopes nicht mehr garantiert werden könne. Santana Lopes selbst reagierte hierauf mit Unverständnis. Zwar respektiere er die Entscheidung des Präsidenten, doch seien ihm die Gründe eher schleierhaft.
Wahlkampf der Leidenschaftslosigkeit
Obgleich die Wahlkampagne offiziell erst in der Nacht des 4. auf den 5. Februar eingeläutet wurde, lieferten sich die beiden Kontrahenten von PSD, Pedro Santana Lopes, und PS, José Socrates, welcher von Oktober 1999 bis April 2002 im sozialistischen Kabinett Guterres als Umweltminister gedient hatte und im September 2004 zum Vorsitzenden der sozialistischen Partei (PS) gewählt wurde, schon seit der Bekanntgabe der vorgezogenen Parlamentswahlen einen offenen Schlagabtausch. Während die Wahlkampfplakate der Sozialisten versicherten, dass sie Portugal in eine andere Richtung führen würden, betonte die konservativ orientierte sozialdemokratische Partei, dass sie stark gegen Wind und Flut stehen würde. Insgesamt zeichnete sich der Wahlkampf jedoch durch inhaltliche Leere aus und vermochte die Wähler in den vergangenen Wochen nicht zu überzeugen. Die Wahlprogramme der beiden großen Parteien unterschieden sich nur in wenigen Punkten und ergossen sich eher in allgemeinen Plattitüden über die Bewältigung der Wirtschaftkrise und der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Der Wahlkampf wurde von der Prämisse geprägt, dass nur eine absolute Mehrheit einer Partei eine stabile funktionierende Regierung garantieren kann. In der Bevölkerung machte sich zunehmend das Gefühl breit, dass die großen Parteien mit der portugiesischen Krise nicht mehr fertig werden können.
In diesem Sinne sind auch die Umfrageergebnisse zu bewerten. Dass Santana Lopes die Wahl noch gewinnen kann, gilt als nahezu unmöglich. Zu sehr sind sich die Wähler noch der Ereignisse des letzten halben Jahres bewusst. Zu sehr auch haben sich bedeutende Stimmen aus den eigenen Reihen gegen die Skandalfigur Santana Lopes geäuβert. So beispielsweise Digo Freitas do Amaral, Parteigründer des ehemaligen rechtskonservativen Koalitionspartners CDS, welcher explizit zur Wahl der Sozialisten aufrief; oder auch der ehemalige beliebte Regierungschef (1985-1995) Cavaco Silva (PSD), der aussagte, nur wenig von Santana Lopes zu halten, und nicht bereit war, sein Konterfei für ein Wahlplakat mit alles bisherigen Regierungschefs des PSD, inklusive Santana Lopes, herzugeben. Dass sich nunmehr fast am Ende des Wahlkampfes Durão Barroso aus Brüssel auf die Seite von Santana Lopes stellte, dürfte die Wählerschaft nicht mehr sonderlich beeindrucken. Zu lange hatte sich auch dieses PSD-Schwergewicht zurückgehalten, um Santana Lopes im Wahlkampf den Rücken zu stärken. Zudem wird die Rolle des Kommissionspräsidenten als „Wahlkämpfer der letzten Sekunde“ in Frage gestellt. Ob er sich und seiner Partei damit einen Gefallen erwiesen hat, wird sicherlich nach der Wahl weiter debattiert werden.
Die letzten Umfragen
Seit Wochen deuten die Meinungsumfragen auf einen klaren Wahlsieg der Sozialisten unter ihrem Parteivorsitzenden und Spitzenkandidaten José Socrates hin. In einer am 11. Februar in der portugiesischen Wochenzeitschrift Expresso veröffentlichten Umfrage zeigten sich 62 Prozent der Befragten von einem Wahlsieg der Sozialistischen Partei PS überzeugt; 53 Prozent rechnen sogar mit einer absoluten Mehrheit. Die am 18. Februar in der Tageszeitung Publico veröffentlichte Sonntagsumfrage bescheinigt dem PS mit 46 Prozent einen klaren Wahlsieg, der auf eine absolute Mehrheit hindeutet. Der PSD kommt nach der neuesten Umfrage nur noch auf 31 Prozent (Ende Januar noch 32,1 Prozent). Die kleine Parteien hingegen können Zugewinne verzeichnen. Vom Verlust des PSD kann der PP/CDS von Paolo Portas, der in der beendeten Legislaturperiode zusammen mit dem PSD eine Koalitionsregierung gebildet hatte, nicht profitieren. Seine Partei verliert leicht von 7 auf 6 Prozent. Die abnehmende Zustimmung zum PSD überträgt sich in einen Zuwachs für die am linken Rand des portugiesischen Parteispektrums angesiedelten CDU und BE. Während die kommunistische CDU sich von 6,6 Prozent auf 7 Prozent verbessern kann, macht der Linksblock BE einen großen Sprung von 4,6 auf rund 7 Prozent.
Angesichts dieser Umfrageergebnisse scheint ein Regierungswechsel sicher. Dies wird auch durch den direkten Vergleich der beiden Spitzenkandidaten Pedro Santana Lopes (PSD) und José Sócrates (PS) bestätigt. Mit 60 Prozent Zustimmung genießt Sócrates eine weitaus höhere Zustimmung als Santana Lopes (37 Prozent). Anders herum betrachtet lehnen 53 Prozent der Befragten Santana Lopes ab, bei Sócrates sind dies nur 29 Prozent. Besonders schlecht schneidet Santana Lopes bezüglich der persönlichen Glaubwürdigkeit ab. Bei der Frage, wem sie eher einen Gebrauchtwagen abkaufen würde, bevorzugen 63 Prozent der Befragten den Sozialisten Socrates; nur 19 Prozent geben Santana Lopes an.
Trotz der Ungenauigkeit portugiesischer Meinungsumfragen ist damit zu rechnen, dass die Sozialisten die nächste Regierung bilden werden. Die einzig offene Frage lautet, ob der PS die absolute Mehrheit erzielen wird. Verfehlt der PS die absolute Mehrheit, so könnte sich der bisherige Koalitionspartner des PSD, der rechts-konservative PP-CDS, den Sozialisten andienen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass die Sozialisten eine Koalition mit den kommunistischen Linksparteien CDU und/oder dem Linksblock eingehen.
Ausblick
Die aus den Wahlen am 20. Februar hervorgehende Regierung wird es schwer haben, die gravierenden Probleme Portugals in den Griff zu bekommen. Einerseits muss die tiefe Wirtschaftskrise bekämpft werden, was durch den Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 7,1 Prozent, der höchste Stand seit 6 Jahren, nicht erleichtert wird. Auch die künftig drohende Streichung von EU-Geldern schwebt wie ein Damoklesschwert über dem Land. Andererseits gilt es, das veraltete Verwaltungssystem zu erneuern und gleichzeitig eine Rechts- und Verfassungsreform anzustreben. Ferner ist das Bildungssystem des Landes stark reformbedürftig. Portugal hatte in der Pisa-Studie in fast allen Bereiche die letzten Plätze eingenommen. Die Sozialisten, die verstärkt auf nicht finanzierbare Sozialprogramme setzen, werden den starken Gewerkschaften entgegenkommen müssen. Dies steht in krassem Widerspruch zu den notwendigen Reformen in der Arbeitsmarktpolitik und dem Zwang zum drastischen Sparkurs. Darüber hinaus kann eine Regierung unter Sócrates nur auf personelle „Altlasten“ der Guterres-Regierung zurückgreifen. Durch Skandale konnte sich der PS in den vergangenen Jahren personell nicht regenerieren. Auch inhaltlich stehen die Sozialisten ohne eine programmatische Erneuerung da. All dies spricht für weiteren Stillstand der portugiesischen Politik und eine kontinuierliche politische Krise.
Eine künftige sozialistische Regierung in Portugal, sofern sie gewählt wird, steht bereits vor ihrer Wahl auf wackligen Füßen. Die Wählerschaft traut keiner der beiden großen Parteien einen grundlegenden Neubeginn zu. Vielmehr besteht die Auffassung, dass beide Parteien mehr schlecht als recht sind und insofern nur das kleinere Übel von beiden gewählt werden kann. Der Vertrauensverlust gegenüber den politischen Parteien in der portugiesischen Gesellschaft lässt sich nur schwerlich korrigieren. Die Jahre der politischen Skandale und der Korruption, die die Regierung von Guterres zum Rücktritt zwangen, sowie das unter Santana Lopes entstandene politische Chaos bleiben weiterhin in der Erinnerung der Portugiesen. Der PSD steht wohlmöglich vor seiner schwierigsten Krise. Dass Santana Lopes, der erst seit Juli 2004 Parteivorsitzender ist, nach einer Wahlniederlage freiwillig zurücktritt, gilt als unwahrscheinlich. Er will seine Partei in die Kommunalwahlen im kommenden Oktober führen . Damit ist der interne Machtkampf bereits jetzt vorprogrammiert. Kritische Stimmen aus dem PSD deuten auf eine mögliche Spaltung der Partei hin. Dies könnte zu „italienischen Verhältnissen“ der bürgerlichen Mitte in Portugal führen. Tritt diese Situation ein, ist mit einer Stabilisierung der portugiesischen Politik auf lange Sicht nicht zu rechnen.