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"Wir trugen die Grenzen auch in unseren Köpfen"

Dagmar Schipanski in Freiburg

Professor Dr. Dagmar Schipanski überzeugte an der Universität Freiburg mit einem ungeschönten Blick auf das Leben in der DDR. Wenige Tage vor dem Tag der Deutschen Einheit setzte sie sich kritisch mit einigen Mythen über das Leben in der DDR auseinander.

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Die renommierte Physikerin, der in der DDR eine Professur verwehrt geblieben war, weil sie nicht in die SED eintreten wollte, machte nach der Deutschen Einheit eine steile Karriere in der Wissenschaft. Als erste Frau hat sie es an die Spitze einer Technischen Hochschule geschafft. Bernhard Vogel, damals Ministerpräsident in Thüringen, schlug sie überraschend als Kandidatin der CDU/CSU für das Amt des Bundespräsidenten vor. Sie unterlag im zweiten Wahlgang knapp gegen Johannes Rau. Später wurde sie Wissenschaftsministerin und Landtagspräsidentin im Freistaat Thüringen und engagierte sich vielfältig in Politik und Ehrenämtern.

Schipanski ließ die Geschichte der DDR Revue passieren. Die massenhaften Verfolgungen und Inhaftierungen schon vor der Gründung der DDR in der SBZ, die Verstaatlichung der Produktionsbetriebe, die Enteignungen auch der kleinen Handwerker und Geschäfte, die Einführung der sozialistischen Planwirtschaft. Die massenhafte Fluchtbewegung in den Westen die zum Bau der Mauer führte, die Kollektivierung der Landwirtschaft, die Ausgrenzung von Christen, die Gleichschaltung von Parteien und Medien, die Bespitzelung durch das Ministerium für Staatssicherheit und einiges mehr. Die Grenze beschrieb sie als Zeichen einer abgeschotteten Gesellschaft, in der es an offenen Debatten und an dem Austausch mit der westlichen Welt mangelte.

Positiv beschrieb sie das System der staatlichen Kinderbetreuung, das die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichte, allerdings auch vom Staat zur Vereinnahmung und ideologischen Beeinflussung von Kindern missbraucht wurde.

Auch die gute Ausbildung an den technischen und naturwissenschaftlichen Fakultäten oder etwa die soziale Absicherung auf einem niedrigen Niveau hob sie hervor.

Erst kurz vor dem Ende der DDR habe man in der SED eine schonungslose Bilanz gezogen und festgestellt, dass das Land jahrelang völlig über seine Verhältnisse gelebt hatte. Die Arbeitsproduktivität war um 40 Prozent niedriger als in der Bundesrepublik. Hinzu kamen eine enorme Verschuldung und eine völlig marode Infrastruktur. Nicht die Währungsunion sei verantwortlich für den Zusammenbruch der DDR sondern 40 Jahre sozialistischer Misswirtschaft unter dem Diktat der SED.

Sie erinnerte an die Friedliche Revolution, die es mit der Kraft der Kerzen geschafft habe, die Macht der SED-Diktatur zu brechen. „Wir haben uns mit dem Verlust der Angst unsere Würde zurückgeholt“ zitierte sie den früheren Bundespräsidenten Joachim Gauck.

„Wir leben heute in Helmut Kohls blühenden Landschaften“

Während die Infrastruktur in den neuen Ländern mittlerweile wieder intakt und das Einheitsgrau aus den Städten längst verschwunden sei, habe man sich beim Aufbau Ost zu sehr auf die Ökonomie konzentriert und zu wenig Wert auf das mentale Zusammenwachsen von Ost und West gelegt. Die Verwerfungen durch die hohe Arbeitslosigkeit in manchen Regionen hätten sie erschüttert.

Die Grundwerte des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates seien nicht hinreichend vermittelt worden. An den Schulen werde zu wenig über das Leben in der DDR informiert. Viele Schüler kennen nicht einmal den Unterschied zwischen einer Demokratie und einer Diktatur. Weder in den Medien, wo die Verteidiger des SED-Staates sich als gern gesehene Gäste in den Talkshows etabliert haben, während die Opfer der Diktatur nur selten zu Wort kommen, noch in der Politik finde die Auseinandersetzung mit der DDR-Diktatur oder die mentale Situation in den neuen Bundesländern die gebotene Aufmerksamkeit.

Werte wie eine „Freiheit in Verantwortung, Solidarität und Toleranz“ müssten mit Leben gefüllt werden. Auch die Vorzüge der Sozialen Marktwirtschaft sollten stärker betont werden, weil aus dem linken Spektrum schon wieder lautstark die Forderung nach Verstaatlichung von Banken und Betrieben erhoben werde.

"Gedächtnisverlust ist auch für eine Gesellschaft eine schwere Erkrankung"

Es gelte über den Unrechtsstaat DDR aufzuklären, ohne pauschal die Menschen, die in der DDR gelebt haben, zu verurteilen. Angesichts der aktuellen Ergebnisse der Bundestagswahlen in den neuen Ländern komme es mehr denn je darauf an, aufeinander zuzugehen, miteinander im Gespräch zu bleiben und eine gemeinsame Vision für die Zukunft Deutschlands zu entwickeln.

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